von Celdion » 14 Jul 2025, 11:21
Langsam ließ er sich von seinem Mustang gleiten, bevor er diesen an einen Pfosten der üblichen Stallung band.
Behutsam tätschelte er seinen treuen Begleiter am Hals. Celdion genoss für einen kurzen Moment die Ruhe, die das Tier ausstrahlte, und ließ die frische Nachtluft seine Lungen füllen, ehe er ruhig und langsam ausatmete.
Das Gatter fiel hinter ihm ins Schloss und ließ seinen Blick das Gebäude vor sich von unten bis oben mustern.
Schon oft war er hier gewesen, doch jedes Mal war er aufs Neue beeindruckt. Der Ort hatte etwas Besonderes, seit jeher. Irgendetwas zog ihn immer wieder hierher, wenn er Ruhe suchte und seine Gedanken neu ordnen musste.
Wenn die Welt sein Denken ins Chaos stürzte, kam er hierher. Er wusste selbst nicht genau, warum ausgerechnet hier... es hatte sich einfach so ergeben – bislang ohne erkennbaren Grund.
Er zog die schwere Tür des alten Theaters auf und betrat dessen Aula, gefolgt von Schritten auf dem Holzboden, die von innerer Gelassenheit begleitet waren.
Die Stufen knarrten unter Celdions Stiefeln, als er langsam die Treppe zur oberen Etage emporstieg.
Oben angekommen, ließ er seinen Blick durch die Schatten schweifen, die das Mondlicht offenbarte.
Die Stille, die Celdion eben noch als beruhigend empfunden hatte, wurde jäh von einer Stimme durchbrochen. Sie klang weder schroff noch störend – eher wie ein leiser Windhauch in einer dunklen Nacht.
„Zu so später Stunde suchst du das alte Theater auf?“
Für einen Moment zuckte Celdion zusammen. Sein Blick glitt langsam in jene Richtung, aus der die ihm vertraute Stimme gekommen war.
Dort stand zu seinem Erstaunen: Nathan, ein Freund, er wusste selbst nicht, wie lange schon. Er stand am Fenster, sein Blick schweifte hinaus in die Dunkelheit. Das fahle Mondlicht legte sich wie ein silberner Schleier auf seine unnatürlich blasse Haut, verlieh ihm ein beinahe unwirkliches, erhabenes Aussehen.
Celdion lächelte leise und neigte den Kopf in einer respektvollen Geste.
„Meine Verehrung, Nathan. Nun ja... die Zeit spielt für mich oft keine Rolle. Manchmal braucht es Momente und Orte der Stille.“
Ein leiser Wind fuhr durch das alte Gemäuer, und für einen Moment schien es, als ob selbst die Schatten innehielten. Nathan kostete das Wort „Stille“ auf der Zunge, als wolle er seinen wahren Klang erfassen.
„Dieses Theater birgt durchaus... Erinnerungen“, erwiderte er dann, seine Stimme gedämpft und von etwas Unsagbarem durchzogen.
Langsam wandte sich Nathan um. Fast gleichzeitig ließen beide Männer den Blick durch den Raum gleiten: Über die leeren, staubbedeckten Ränge, die verblassten Kulissen – stumme Zeugen längst vergangener Zeiten. Es war, als hallte in den Schatten die Vergangenheit selbst wider.
„Erinnerungen... kostbare Güter in der heutigen Zeit“, murmelte Celdion schließlich, sein Tonfall von leiser Melancholie getragen.
Nathan nickte kaum merklich, seine Augen schienen dabei in etwas zu versinken, das jenseits des Raumes lag.
„Die Menschen haben Potenzial für beides... für das Gute wie für das Zerstörerische.“
„Das stimmt“, entgegnete Celdion mit einem kaum hörbaren Seufzen. „Oft jedoch handeln sie eher destruktiv... leider.“
Schweigend trat Nathan an einen großen Tisch in der Mitte des Raumes. Sein Schritt war lautlos, als schwebe er mehr, als dass er ging.
„Setzen wir uns? Ich freue mich über diese nächtliche Begegnung.“
Beide nahmen Platz. Celdion rückte seinen Stuhl sorgfältig zurecht, während Nathan sich beinahe schwerelos niederließ. Die Zeit schien langsamer zu vergehen, als ob auch sie den Worten lauschte, die zwischen ihnen hin und her glitten.
„Sag... was treibt dich an solch einen Ort?“ fragte Celdion nach einer Weile. „Die Suche nach Ruhe? Oder sind es die Erinnerungen?“
Nathan ließ sich Zeit mit der Antwort, sprach dann mit bedachter Stimme:
„Manchmal habe ich das Gefühl, die Erinnerungen suchen mich. Als wäre Zeit nicht immer linear... und plötzlich ist die Vergangenheit wieder da, als hätte sie nie geruht.“
Celdion senkte leicht den Kopf, als würde er einen verborgenen Gedanken erwägen.
„Erinnerungen suchen einen immer wieder heim“, sagte er schließlich. „Meist sind sie an Orte, Stimmungen oder Situationen geknüpft. Man glaubt, sie vergessen zu haben, und dann kehren sie zurück.“
Es vergingen einige Momente in Schweigen, bevor Nathan die Frage stellte, die in der Luft gelegen hatte:
„Und dich? Was bewegt dich derzeit?“
Celdion schwieg länger, als wolle er in sich selbst horchen.
„Es ist... der ungewisse Wandel in der Welt. Niemand weiß genau, was geschieht. Die Menschen sind aufgeregt, unruhig, doch sie verstehen nicht, warum. Es lastet schwer auf der Gesellschaft... und es ermüdet.“
Nathan wandte sich wieder dem Fenster zu. Der Mond stand hoch, und sein Licht zeichnete silbrige Muster auf Nathans Haut.
„Der Wandel... die fallenden Sterne... ja, es ist bestürzend. Und der Mensch möchte wissen, wohin es geht.“
„Nur manches bleibt ihm verwehrt...“, sagte Celdion leise.
„Doch bleibt uns immer unsere eigene Reaktion.“ Nathans Stimme war nun kaum mehr als ein Flüstern, so leise, dass sie fast mit dem Wind zu verschmelzen schien.
„Das ist oft das Einzige, was uns bleibt“, stimmte Celdion zu. „Reagieren.“
Nathan hob sacht eine Hand, als wolle er seine nächsten Worte wie eine Gabe überreichen:
„Verzeih mir eine Metapher, Celdion. Wie ein Segelboot auf launischer See ist es uns erlaubt, das Segel den Kräften anzupassen. Doch kommen wir auch vom Kurs ab... auch ich. Dennoch können wir uns dem Wind und den Kräften beugen – oder sie nutzen.“
Celdions Miene veränderte sich kaum, doch etwas in seinen Augen schien aufzuleuchten.
„Oft ist es das Einzige, was uns bleibt“, wiederholte er bedächtig. „Gegen vieles können wir nicht ankämpfen... wir sind wie ein Segel im Wind, das in die vorgegebene Richtung gedreht wird.“
„Ich versuche es... die Kräfte zu nutzen, so es mir gelingt. Doch manchmal fühlt man sich dabei wie ein Spielball.“ Nathan blickte zu ihm, und für einen Moment lag ein warmer Schimmer in seinen sonst so kühlen Augen.
„Doch glaube ich, dass die Macht der Entscheidung nicht zu unterschätzen ist.“
„Sofern einem diese obliegt... kann sie sehr mächtig sein, will aber auch gut überlegt sein.“, bestätigte Celdion ruhig.
Nathan musterte ihn mit einer neuen Art von Aufmerksamkeit.
„Celdion, du bist handwerklich begabt... wie begleitet dich diese Gabe auf deinem Weg?“
Ein leichtes Schmunzeln glitt über Celdions Gesicht, wie ein Lichtstrahl, der durch eine Wolke bricht.
„Das Handwerk öffnet mir viele neue Türen. Zu anderen... und zu mir selbst. Vor allem lehrt es mich Selbstdisziplin und den Willen, nicht aufzugeben – mein Handwerk zu perfektionieren.“
Nathan hörte schweigend zu. Seine Miene war ernst, doch in seinen Augen blitzte etwas von jenem inneren Feuer auf, das ihn auszeichnete.
„Dadurch öffnen sich andere Türen fast von selbst“, fuhr Celdion fort. „Man begegnet Menschen, die nach dem suchen, was sie selbst nicht können. Und man lernt, zuerst an sich selbst zu arbeiten, bevor man andere beurteilt.“
Nathan nickte langsam, beinahe feierlich.
„Das scheint wirklich eine wertvolle Gabe zu sein. In der Tat... wir müssen uns erst mit uns selbst verbinden, um klar zu sein.“
„Selbstreflexion“, stimmte Celdion leise zu. „Mit dem Finger auf andere zu zeigen ist leicht. Sich selbst zu verändern dagegen... schwer.“
Wieder wanderte Nathans Blick zum Mond. „Celdion, deine Gabe ist wertvoll. Doch es gibt auch Gaben der Nacht, die über das Menschliche hinausgehen.“
Der Handwerker runzelte leicht die Stirn.
„Gaben der Nacht?“ murmelte er, und seine Stimme klang wie ein Echo.
Nathan schwieg kurz, dann nickte er.
„Die Gaben der Nacht, Celdion... Vielleicht etwas, worüber wir noch sprechen sollten. Der Weg zu dir selbst und was deine Herausforderung ist, könnte ein unsichtbarer Fingerzeig sein.“
Celdion wirkte nachdenklich, legte die Stirn in Falten.
„Genau weiß ich es nicht“, fuhr Nathan entschlossen fort, „doch ich glaube nicht an Zufälle.“
„Das tue ich ebenso wenig“, erwiderte Celdion.
Ein Moment verstrich, und Nathan schien ihn zu kosten wie einen seltenen Wein. Dann richtete er sich auf und erhob sich.
„Celdion, ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen.“
Auch Celdion stand auf, seine Bewegungen ruhig und von innerer Achtung getragen.
„Das hoffe ich ebenso. All das stimmt mich nachdenklich“, erwiderte er.
Nathan legte seine Worte nun wie einen letzten Stein in ein wohlgeordnetes Mosaik:
„Celdion... Freund... Lass uns dieses Gespräch fortführen. Ich muss nachdenken über das Gesagte.“
„Sehr gerne“, sagte Celdion ruhig.
Nathan schwieg einen Moment, als wolle er abwägen, wie viel er preisgeben wollte. Dann deutete er eine Verbeugung an – lautlos, wie es seiner Art entsprach.
„Bis dann, Celdion.“
Celdion neigte respektvoll sein Haupt.
„Bis dann, Nathan. Pass auf dich auf.“
Daraufhin entschwand Nathan in die Nacht, verfolgt vom Blick eines Handwerkers, der jetzt wohl mehr Gedanken in sich trug, als er bei seiner Ankunft mitgebracht hatte.
Celdion ließ sich wie ausgelaugt wieder auf seinen Stuhl sinken. Er blieb noch eine ganze Weile.
Die Worte von Nathan hatten in ihm mehr aufgewirbelt, als er anfangs zu deuten vermochte. Er ging immer wieder das Gesagte durch. Immer wieder kamen ihm die Worte seines Freundes in den Sinn, die ihm keine Ruhe ließen.
„Die Gaben der Nacht“, murmelte er immer wieder vor sich hin. „Keine Zufälle.“ Vieles machte keinen Sinn, anderes wieder umso mehr.
So selten die beiden sich auch trafen, umso vertrauensvoller waren die Begegnungen.
Seine Gedanken schienen mehr und mehr zu kreisen, ihn aufzuwühlen. Unruhe durchfuhr seinen Körper.
Der Handwerker erhob sich von seinem Stuhl und trat an das Fenster, welches dem Mondlicht Einlass gewährte.
Celdions Blick verweilte einige Momente starr auf dem Mond, als würde er gelenkt werden. Eine fast schon unheimliche Stille umhüllte die ganze Szenerie. Für ihn schien die Zeit einen Moment lang stillzustehen.
Die Konversation mit Nathan verschwamm immer mehr vor seinem geistigen Auge, bis es nur noch Wortfetzen waren, die sich in seinem Kopf festgesetzt hatten. Immer wieder hallten die gleichen Zeilen durch seine Gedanken, als würden sie ihn anschreien. „Die Gaben der Nacht“, „Keine Zufälle“, „Die Macht zu entscheiden“. Alles um ihn herum schien ausgeblendet.
Dann, ein ihm vertrautes Geräusch, kaum hörbar für menschliche Ohren aufgrund der Entfernung, doch er vernahm es, als wäre es direkt neben ihm. Ein Schnauben, das Getrampel von Hufen. Es war sein Mustang.
Sein treuer Begleiter, der ihn immer auf seinen Ausflügen durch die Nacht trug, als wollte er rufen: „Komm, was vergeudest du Zeit, du alter Narr, wir müssen los, es braucht Antworten!“
Celdions Gedanken wurden auf einmal wieder klar.
Er stieg die alten Holzstufen hinab in die Aula, begleitet von dem vertrauten Knarren unter seinen Stiefeln. Für einen kurzen Moment musste er schmunzeln, als er sich vorstellte, wie sein Pferd ihn zurechtwies und ihn mit Schnauben und Trampeln aus seinem Gedankenstrudel zurückholte.
Als Celdion das Gatter der Stallung öffnete und eintrat, stand sein Pferd ruhig da, der Blick erwartungsvoll auf seinen Reiter gerichtet.
Celdion trat heran, legte eine Hand an den Hals seines Pferdes und tätschelte diesen ruhig und behutsam.
Dann überkam ihn abermals ein Schmunzeln:
„Komm, du alter Esel, es braucht Antworten.“
Langsam ließ er sich von seinem Mustang gleiten, bevor er diesen an einen Pfosten der üblichen Stallung band.
Behutsam tätschelte er seinen treuen Begleiter am Hals. Celdion genoss für einen kurzen Moment die Ruhe, die das Tier ausstrahlte, und ließ die frische Nachtluft seine Lungen füllen, ehe er ruhig und langsam ausatmete.
Das Gatter fiel hinter ihm ins Schloss und ließ seinen Blick das Gebäude vor sich von unten bis oben mustern.
Schon oft war er hier gewesen, doch jedes Mal war er aufs Neue beeindruckt. Der Ort hatte etwas Besonderes, seit jeher. Irgendetwas zog ihn immer wieder hierher, wenn er Ruhe suchte und seine Gedanken neu ordnen musste.
Wenn die Welt sein Denken ins Chaos stürzte, kam er hierher. Er wusste selbst nicht genau, warum ausgerechnet hier... es hatte sich einfach so ergeben – bislang ohne erkennbaren Grund.
Er zog die schwere Tür des alten Theaters auf und betrat dessen Aula, gefolgt von Schritten auf dem Holzboden, die von innerer Gelassenheit begleitet waren.
Die Stufen knarrten unter Celdions Stiefeln, als er langsam die Treppe zur oberen Etage emporstieg.
Oben angekommen, ließ er seinen Blick durch die Schatten schweifen, die das Mondlicht offenbarte.
Die Stille, die Celdion eben noch als beruhigend empfunden hatte, wurde jäh von einer Stimme durchbrochen. Sie klang weder schroff noch störend – eher wie ein leiser Windhauch in einer dunklen Nacht.
„Zu so später Stunde suchst du das alte Theater auf?“
Für einen Moment zuckte Celdion zusammen. Sein Blick glitt langsam in jene Richtung, aus der die ihm vertraute Stimme gekommen war.
Dort stand zu seinem Erstaunen: Nathan, ein Freund, er wusste selbst nicht, wie lange schon. Er stand am Fenster, sein Blick schweifte hinaus in die Dunkelheit. Das fahle Mondlicht legte sich wie ein silberner Schleier auf seine unnatürlich blasse Haut, verlieh ihm ein beinahe unwirkliches, erhabenes Aussehen.
Celdion lächelte leise und neigte den Kopf in einer respektvollen Geste.
„Meine Verehrung, Nathan. Nun ja... die Zeit spielt für mich oft keine Rolle. Manchmal braucht es Momente und Orte der Stille.“
Ein leiser Wind fuhr durch das alte Gemäuer, und für einen Moment schien es, als ob selbst die Schatten innehielten. Nathan kostete das Wort „Stille“ auf der Zunge, als wolle er seinen wahren Klang erfassen.
„Dieses Theater birgt durchaus... Erinnerungen“, erwiderte er dann, seine Stimme gedämpft und von etwas Unsagbarem durchzogen.
Langsam wandte sich Nathan um. Fast gleichzeitig ließen beide Männer den Blick durch den Raum gleiten: Über die leeren, staubbedeckten Ränge, die verblassten Kulissen – stumme Zeugen längst vergangener Zeiten. Es war, als hallte in den Schatten die Vergangenheit selbst wider.
„Erinnerungen... kostbare Güter in der heutigen Zeit“, murmelte Celdion schließlich, sein Tonfall von leiser Melancholie getragen.
Nathan nickte kaum merklich, seine Augen schienen dabei in etwas zu versinken, das jenseits des Raumes lag.
„Die Menschen haben Potenzial für beides... für das Gute wie für das Zerstörerische.“
„Das stimmt“, entgegnete Celdion mit einem kaum hörbaren Seufzen. „Oft jedoch handeln sie eher destruktiv... leider.“
Schweigend trat Nathan an einen großen Tisch in der Mitte des Raumes. Sein Schritt war lautlos, als schwebe er mehr, als dass er ging.
„Setzen wir uns? Ich freue mich über diese nächtliche Begegnung.“
Beide nahmen Platz. Celdion rückte seinen Stuhl sorgfältig zurecht, während Nathan sich beinahe schwerelos niederließ. Die Zeit schien langsamer zu vergehen, als ob auch sie den Worten lauschte, die zwischen ihnen hin und her glitten.
„Sag... was treibt dich an solch einen Ort?“ fragte Celdion nach einer Weile. „Die Suche nach Ruhe? Oder sind es die Erinnerungen?“
Nathan ließ sich Zeit mit der Antwort, sprach dann mit bedachter Stimme:
„Manchmal habe ich das Gefühl, die Erinnerungen suchen mich. Als wäre Zeit nicht immer linear... und plötzlich ist die Vergangenheit wieder da, als hätte sie nie geruht.“
Celdion senkte leicht den Kopf, als würde er einen verborgenen Gedanken erwägen.
„Erinnerungen suchen einen immer wieder heim“, sagte er schließlich. „Meist sind sie an Orte, Stimmungen oder Situationen geknüpft. Man glaubt, sie vergessen zu haben, und dann kehren sie zurück.“
Es vergingen einige Momente in Schweigen, bevor Nathan die Frage stellte, die in der Luft gelegen hatte:
„Und dich? Was bewegt dich derzeit?“
Celdion schwieg länger, als wolle er in sich selbst horchen.
„Es ist... der ungewisse Wandel in der Welt. Niemand weiß genau, was geschieht. Die Menschen sind aufgeregt, unruhig, doch sie verstehen nicht, warum. Es lastet schwer auf der Gesellschaft... und es ermüdet.“
Nathan wandte sich wieder dem Fenster zu. Der Mond stand hoch, und sein Licht zeichnete silbrige Muster auf Nathans Haut.
„Der Wandel... die fallenden Sterne... ja, es ist bestürzend. Und der Mensch möchte wissen, wohin es geht.“
„Nur manches bleibt ihm verwehrt...“, sagte Celdion leise.
„Doch bleibt uns immer unsere eigene Reaktion.“ Nathans Stimme war nun kaum mehr als ein Flüstern, so leise, dass sie fast mit dem Wind zu verschmelzen schien.
„Das ist oft das Einzige, was uns bleibt“, stimmte Celdion zu. „Reagieren.“
Nathan hob sacht eine Hand, als wolle er seine nächsten Worte wie eine Gabe überreichen:
„Verzeih mir eine Metapher, Celdion. Wie ein Segelboot auf launischer See ist es uns erlaubt, das Segel den Kräften anzupassen. Doch kommen wir auch vom Kurs ab... auch ich. Dennoch können wir uns dem Wind und den Kräften beugen – oder sie nutzen.“
Celdions Miene veränderte sich kaum, doch etwas in seinen Augen schien aufzuleuchten.
„Oft ist es das Einzige, was uns bleibt“, wiederholte er bedächtig. „Gegen vieles können wir nicht ankämpfen... wir sind wie ein Segel im Wind, das in die vorgegebene Richtung gedreht wird.“
„Ich versuche es... die Kräfte zu nutzen, so es mir gelingt. Doch manchmal fühlt man sich dabei wie ein Spielball.“ Nathan blickte zu ihm, und für einen Moment lag ein warmer Schimmer in seinen sonst so kühlen Augen.
„Doch glaube ich, dass die Macht der Entscheidung nicht zu unterschätzen ist.“
„Sofern einem diese obliegt... kann sie sehr mächtig sein, will aber auch gut überlegt sein.“, bestätigte Celdion ruhig.
Nathan musterte ihn mit einer neuen Art von Aufmerksamkeit.
„Celdion, du bist handwerklich begabt... wie begleitet dich diese Gabe auf deinem Weg?“
Ein leichtes Schmunzeln glitt über Celdions Gesicht, wie ein Lichtstrahl, der durch eine Wolke bricht.
„Das Handwerk öffnet mir viele neue Türen. Zu anderen... und zu mir selbst. Vor allem lehrt es mich Selbstdisziplin und den Willen, nicht aufzugeben – mein Handwerk zu perfektionieren.“
Nathan hörte schweigend zu. Seine Miene war ernst, doch in seinen Augen blitzte etwas von jenem inneren Feuer auf, das ihn auszeichnete.
„Dadurch öffnen sich andere Türen fast von selbst“, fuhr Celdion fort. „Man begegnet Menschen, die nach dem suchen, was sie selbst nicht können. Und man lernt, zuerst an sich selbst zu arbeiten, bevor man andere beurteilt.“
Nathan nickte langsam, beinahe feierlich.
„Das scheint wirklich eine wertvolle Gabe zu sein. In der Tat... wir müssen uns erst mit uns selbst verbinden, um klar zu sein.“
„Selbstreflexion“, stimmte Celdion leise zu. „Mit dem Finger auf andere zu zeigen ist leicht. Sich selbst zu verändern dagegen... schwer.“
Wieder wanderte Nathans Blick zum Mond. „Celdion, deine Gabe ist wertvoll. Doch es gibt auch Gaben der Nacht, die über das Menschliche hinausgehen.“
Der Handwerker runzelte leicht die Stirn.
„Gaben der Nacht?“ murmelte er, und seine Stimme klang wie ein Echo.
Nathan schwieg kurz, dann nickte er.
„Die Gaben der Nacht, Celdion... Vielleicht etwas, worüber wir noch sprechen sollten. Der Weg zu dir selbst und was deine Herausforderung ist, könnte ein unsichtbarer Fingerzeig sein.“
Celdion wirkte nachdenklich, legte die Stirn in Falten.
„Genau weiß ich es nicht“, fuhr Nathan entschlossen fort, „doch ich glaube nicht an Zufälle.“
„Das tue ich ebenso wenig“, erwiderte Celdion.
Ein Moment verstrich, und Nathan schien ihn zu kosten wie einen seltenen Wein. Dann richtete er sich auf und erhob sich.
„Celdion, ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen.“
Auch Celdion stand auf, seine Bewegungen ruhig und von innerer Achtung getragen.
„Das hoffe ich ebenso. All das stimmt mich nachdenklich“, erwiderte er.
Nathan legte seine Worte nun wie einen letzten Stein in ein wohlgeordnetes Mosaik:
„Celdion... Freund... Lass uns dieses Gespräch fortführen. Ich muss nachdenken über das Gesagte.“
„Sehr gerne“, sagte Celdion ruhig.
Nathan schwieg einen Moment, als wolle er abwägen, wie viel er preisgeben wollte. Dann deutete er eine Verbeugung an – lautlos, wie es seiner Art entsprach.
„Bis dann, Celdion.“
Celdion neigte respektvoll sein Haupt.
„Bis dann, Nathan. Pass auf dich auf.“
Daraufhin entschwand Nathan in die Nacht, verfolgt vom Blick eines Handwerkers, der jetzt wohl mehr Gedanken in sich trug, als er bei seiner Ankunft mitgebracht hatte.
Celdion ließ sich wie ausgelaugt wieder auf seinen Stuhl sinken. Er blieb noch eine ganze Weile.
Die Worte von Nathan hatten in ihm mehr aufgewirbelt, als er anfangs zu deuten vermochte. Er ging immer wieder das Gesagte durch. Immer wieder kamen ihm die Worte seines Freundes in den Sinn, die ihm keine Ruhe ließen.
„Die Gaben der Nacht“, murmelte er immer wieder vor sich hin. „Keine Zufälle.“ Vieles machte keinen Sinn, anderes wieder umso mehr.
So selten die beiden sich auch trafen, umso vertrauensvoller waren die Begegnungen.
Seine Gedanken schienen mehr und mehr zu kreisen, ihn aufzuwühlen. Unruhe durchfuhr seinen Körper.
Der Handwerker erhob sich von seinem Stuhl und trat an das Fenster, welches dem Mondlicht Einlass gewährte.
Celdions Blick verweilte einige Momente starr auf dem Mond, als würde er gelenkt werden. Eine fast schon unheimliche Stille umhüllte die ganze Szenerie. Für ihn schien die Zeit einen Moment lang stillzustehen.
Die Konversation mit Nathan verschwamm immer mehr vor seinem geistigen Auge, bis es nur noch Wortfetzen waren, die sich in seinem Kopf festgesetzt hatten. Immer wieder hallten die gleichen Zeilen durch seine Gedanken, als würden sie ihn anschreien. „Die Gaben der Nacht“, „Keine Zufälle“, „Die Macht zu entscheiden“. Alles um ihn herum schien ausgeblendet.
Dann, ein ihm vertrautes Geräusch, kaum hörbar für menschliche Ohren aufgrund der Entfernung, doch er vernahm es, als wäre es direkt neben ihm. Ein Schnauben, das Getrampel von Hufen. Es war sein Mustang.
Sein treuer Begleiter, der ihn immer auf seinen Ausflügen durch die Nacht trug, als wollte er rufen: „Komm, was vergeudest du Zeit, du alter Narr, wir müssen los, es braucht Antworten!“
Celdions Gedanken wurden auf einmal wieder klar.
Er stieg die alten Holzstufen hinab in die Aula, begleitet von dem vertrauten Knarren unter seinen Stiefeln. Für einen kurzen Moment musste er schmunzeln, als er sich vorstellte, wie sein Pferd ihn zurechtwies und ihn mit Schnauben und Trampeln aus seinem Gedankenstrudel zurückholte.
Als Celdion das Gatter der Stallung öffnete und eintrat, stand sein Pferd ruhig da, der Blick erwartungsvoll auf seinen Reiter gerichtet.
Celdion trat heran, legte eine Hand an den Hals seines Pferdes und tätschelte diesen ruhig und behutsam.
Dann überkam ihn abermals ein Schmunzeln:
„Komm, du alter Esel, es braucht Antworten.“