von Ancanagar Tyenes » 31 Okt 2025, 14:03
Alles in allem waren die Tage und Nächte auf See erfreulich gewesen. Das Schaukeln der Wogen war vom Kuriosum über eine spielerische Gleichgewichtsübung zu einem Hintergrunddetail der Welt geworden, zusammen mit dem Ächzen des Holzes, dem Duft nach Pech und Salz und Wind und dem ungewöhnlichen Hunger, weswegen nun schon drei der Seeleute, die dem Nachtrundgang zugeordnet wurden, auf unerwartete Weise, nun, unpässlich geworden waren. Es war Zeit ihr Muster zu ändern. Gewiss, es war Herbst, die Nachtkälte bissig - hah! - aber eine anemische Bettlägrigkeit, ohne ersichtliche Ursache sollte nicht so regelmäßig einzelne Besatzungsmitglieder erfassen. Nun, zur Not konnte sie der Küche die Schuld geben. Trotzdem. Erneut lies sich der Gedanke an Blut nicht mehr völlig verdrängen. Woher der ständige Durst? Sonst hatte sie beinahe einen Monat ohne Raub ausgehalten. Und auf einmal jede Nacht? Aber sicherlich war dies nur ein Effekt der unterschwelligen Aufregung, immer erkannt und entlarvt werden zu können, ein Ritt auf einer Woge von Gefahr. Sicherlich war es nur der ständigen Konzentration geschuldet, die sie Tagsüber in ihrer verdunkelten Kajüte wach hielt, die fünf Loci ihrer Aufmerksamkeit aufrechterhaltend, und dabei über die Natur der Tiefsee nachzudenken. Sicherlich hatte es keinen profunderen Grund.
Die armen Seemänner. Sie hatte die Hand von Jorsch gehalten, als sie sein Blut raubte, in glückseeligem Stupor weich gewordene Finger gespürt, voller Schwielen, die sie an das wassergeätze Holz der Reling erinnerten, an der sie sich selbst festhielt, wenn sie in die nächtlichen Wasser blickte. Immerhin hatte sich das Unglück jenes Seemannes aus Düsterhafen, vor Monaten, nicht wiederholt. Ihre Opfer lebten, wenn auch für einige Zeit dienstunfähig. Und bisher keine Erinnerungen, keine Wunden, keine direkten Hinweise. Keine Anklagen. Zurückhaltend wie das Sternenlicht, dass ihren Taten im Grunde gar applaudierte. Dunkles Blut im Silberschein. Die Schatten der Nacht, des Todes, in den bewusstlosen Zügen der rauen Matrosen. Die stechenden Stoppeln von Männerkehlen. Blut, das wie ein Meer um ihre Knöchel schwappte, unendliche Wellen von Macht und Magie am Horizont. Das Ende der versengenden...
Ancanagar blieb stehen, die gesunde Hand an der Schläfe. Nein, irgendetwas war definitiv nicht in Ordnung. Allerdings: Keine Zeit, sie würde funktionieren müssen. Sehr bald würde sie in die Tiefe zurückkehren, auf der Suche nach dem ersten der gefallenen Sterne, in den Augen ihres Meisters und ihrer Mitdiener ein Ding ohne große Schwierigkeit, für sie selbst jedoch mehr als heikel, denn ihre rasch zusammengeworfenen Ideen, wie denn die schwachen Leiber der Lebenden im Abyss überstehen sollten, waren gänzlich ungetestet. Und sie wollte sich weder vor dem Meister blamieren, noch den hübschen Xemor in Gefahr bringen. Sie hatte den jungen Magier noch nicht isoliert aufgefunden, und ohnehin, eine mehr und mehr resignierende innere Stimme rief sie zur Mäßigung auf. Doch sicherlich waren seine Hände geschmeidig, die Stoppeln seines Bartes noch weich von der Jugend, sein Blut flammend und...
Mädchen! Komm zur Vernunft! Du wolltest einen Gedanken vor einem denkenden Wesen aussprechen und sehen, welceh Reaktion er erntet. Sonst ergeht es deinen neuen Freunden wirklich wie den dunklen Elfen. Du bist weder ein junges Mädchen noch ein junger Vampir!
Und doch - irgendetwas hungerte. Egal, Egal! Jemand musste ihre Intuition überprüfen. Herr Ethar hatte panische Angst vor dem Druckunterschied von Oberfläche zur Tiefsee gezeigt, etwas, was sie als kaum bedenklich empfunden hatte. Sie konnte ein paar Nächte später genau beobachten, wie gewichtig dieser Druckunterschied tatsächlich war, als sie sich die Reste des implodierten Dunkelelfenkopfes aus dem Gesicht wischte. Das tat ihr noch immer leid und weh. Sie war in sein Wachgebiet eingedrungen, zornig zwar, aber das konnte der Krieger ja kaum wissen. Wie auch die Dunkelelfen überhaupt nicht wissen konnten, dass sie dort Ancanagars geheiligten Trauertempel entweihten. Und sie hätte erwartet, dass er lediglich.. nun.. tot umfiel, nicht wie ein strahlend rote Rose erblühte. An den Rest jener Nacht mochte sie überhaupt nicht weiter denken.
Jedenfalls – sie wollte ein wenig Versicherung, nicht erneut einer falschen Ansicht zu erliegen. Also, hin zu ihrem Mitdiener, dem Herren Dessin, um ihn zu fragen, was er von der Idee hielt, den weltengroßen Druck wenigstens zum Teil in Bewegung zu verwandeln, in ein Gegengewicht, dass sich dem restlichen Wasser entgegenstemmte. Oder von dem Einfall, die Last in einem größeren Umfeld zu verteilen, um die punktuelle Schwierigkeit zu mindern. Oder ein gemischtes Vorgehen, oder aber sich voll hinter die Idee der Bewegung zu werfen, und in Nachahmung ihres Blättersturms im ruhenden Zentrums des Chaos zum Ziel zu finden.
Nur wie sollte sie das alles formulieren? Sie war sich nicht sicher, wie sie am Besten mit dem nervösen Mann umgehen sollte, den sie womöglich gleich allein vorfinden würde. Die untote Magierin hatte das Gefühl, eine falsche Silbe würde den Mann in tiefste Melancholie stürzen, und wie könnte sie dann seinem Urteil über ihre Idee trauen?
Sie könnte ihm einen ihrer selbstgebackenen Gebäcktaler mitbringen, vielleicht würde ja diese Testreihe etwas mehr Zuspruch finden und sein fragiles Gemüt stützen. Oder sie könnte sein Blut rauben, denn etwas glückseeliger Stupor würde ihm womöglich gut tun.
Irgendwie erregte diese Vorstellung weniger, als sie es von derlei Phantasien gewohnt war.
Wenige Momente später barg sie einen ihrer Gebäcktaler, in feuchter Salzluft gereift, und schlug ihn in ein sauberes Tuch ein. Dann machte sie sich auf den Weg zur Kajüte Cassius'.
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[size=150]A[/size]lles in allem waren die Tage und Nächte auf See erfreulich gewesen. Das Schaukeln der Wogen war vom Kuriosum über eine spielerische Gleichgewichtsübung zu einem Hintergrunddetail der Welt geworden, zusammen mit dem Ächzen des Holzes, dem Duft nach Pech und Salz und Wind und dem ungewöhnlichen Hunger, weswegen nun schon drei der Seeleute, die dem Nachtrundgang zugeordnet wurden, auf unerwartete Weise, nun, unpässlich geworden waren. Es war Zeit ihr Muster zu ändern. Gewiss, es war Herbst, die Nachtkälte bissig - hah! - aber eine anemische Bettlägrigkeit, ohne ersichtliche Ursache sollte nicht so regelmäßig einzelne Besatzungsmitglieder erfassen. Nun, zur Not konnte sie der Küche die Schuld geben. Trotzdem. Erneut lies sich der Gedanke an Blut nicht mehr völlig verdrängen. Woher der ständige Durst? Sonst hatte sie beinahe einen Monat ohne Raub ausgehalten. Und auf einmal jede Nacht? Aber sicherlich war dies nur ein Effekt der unterschwelligen Aufregung, immer erkannt und entlarvt werden zu können, ein Ritt auf einer Woge von Gefahr. Sicherlich war es nur der ständigen Konzentration geschuldet, die sie Tagsüber in ihrer verdunkelten Kajüte wach hielt, die fünf Loci ihrer Aufmerksamkeit aufrechterhaltend, und dabei über die Natur der Tiefsee nachzudenken. Sicherlich hatte es keinen profunderen Grund.
Die armen Seemänner. Sie hatte die Hand von Jorsch gehalten, als sie sein Blut raubte, in glückseeligem Stupor weich gewordene Finger gespürt, voller Schwielen, die sie an das wassergeätze Holz der Reling erinnerten, an der sie sich selbst festhielt, wenn sie in die nächtlichen Wasser blickte. Immerhin hatte sich das Unglück jenes Seemannes aus Düsterhafen, vor Monaten, nicht wiederholt. Ihre Opfer lebten, wenn auch für einige Zeit dienstunfähig. Und bisher keine Erinnerungen, keine Wunden, keine direkten Hinweise. Keine Anklagen. Zurückhaltend wie das Sternenlicht, dass ihren Taten im Grunde gar applaudierte. Dunkles Blut im Silberschein. Die Schatten der Nacht, des Todes, in den bewusstlosen Zügen der rauen Matrosen. Die stechenden Stoppeln von Männerkehlen. Blut, das wie ein Meer um ihre Knöchel schwappte, unendliche Wellen von Macht und Magie am Horizont. Das Ende der versengenden...
Ancanagar blieb stehen, die gesunde Hand an der Schläfe. Nein, irgendetwas war definitiv nicht in Ordnung. Allerdings: Keine Zeit, sie würde funktionieren müssen. Sehr bald würde sie in die Tiefe zurückkehren, auf der Suche nach dem ersten der gefallenen Sterne, in den Augen ihres Meisters und ihrer Mitdiener ein Ding ohne große Schwierigkeit, für sie selbst jedoch mehr als heikel, denn ihre rasch zusammengeworfenen Ideen, wie denn die schwachen Leiber der Lebenden im Abyss überstehen sollten, waren gänzlich ungetestet. Und sie wollte sich weder vor dem Meister blamieren, noch den hübschen Xemor in Gefahr bringen. Sie hatte den jungen Magier noch nicht isoliert aufgefunden, und ohnehin, eine mehr und mehr resignierende innere Stimme rief sie zur Mäßigung auf. Doch sicherlich waren seine Hände geschmeidig, die Stoppeln seines Bartes noch weich von der Jugend, sein Blut flammend und...
Mädchen! Komm zur Vernunft! Du wolltest einen Gedanken vor einem denkenden Wesen aussprechen und sehen, welceh Reaktion er erntet. Sonst ergeht es deinen neuen Freunden wirklich wie den dunklen Elfen. Du bist weder ein junges Mädchen noch ein junger Vampir!
Und doch - irgendetwas hungerte. Egal, Egal! Jemand musste ihre Intuition überprüfen. Herr Ethar hatte panische Angst vor dem Druckunterschied von Oberfläche zur Tiefsee gezeigt, etwas, was sie als kaum bedenklich empfunden hatte. Sie konnte ein paar Nächte später genau beobachten, wie gewichtig dieser Druckunterschied tatsächlich war, als sie sich die Reste des implodierten Dunkelelfenkopfes aus dem Gesicht wischte. Das tat ihr noch immer leid und weh. Sie war in sein Wachgebiet eingedrungen, zornig zwar, aber das konnte der Krieger ja kaum wissen. Wie auch die Dunkelelfen überhaupt nicht wissen konnten, dass sie dort Ancanagars geheiligten Trauertempel entweihten. Und sie hätte erwartet, dass er lediglich.. nun.. tot umfiel, nicht wie ein strahlend rote Rose erblühte. An den Rest jener Nacht mochte sie überhaupt nicht weiter denken.
Jedenfalls – sie wollte ein wenig Versicherung, nicht erneut einer falschen Ansicht zu erliegen. Also, hin zu ihrem Mitdiener, dem Herren Dessin, um ihn zu fragen, was er von der Idee hielt, den weltengroßen Druck wenigstens zum Teil in Bewegung zu verwandeln, in ein Gegengewicht, dass sich dem restlichen Wasser entgegenstemmte. Oder von dem Einfall, die Last in einem größeren Umfeld zu verteilen, um die punktuelle Schwierigkeit zu mindern. Oder ein gemischtes Vorgehen, oder aber sich voll hinter die Idee der Bewegung zu werfen, und in Nachahmung ihres Blättersturms im ruhenden Zentrums des Chaos zum Ziel zu finden.
Nur wie sollte sie das alles formulieren? Sie war sich nicht sicher, wie sie am Besten mit dem nervösen Mann umgehen sollte, den sie womöglich gleich allein vorfinden würde. Die untote Magierin hatte das Gefühl, eine falsche Silbe würde den Mann in tiefste Melancholie stürzen, und wie könnte sie dann seinem Urteil über ihre Idee trauen?
Sie könnte ihm einen ihrer selbstgebackenen Gebäcktaler mitbringen, vielleicht würde ja diese Testreihe etwas mehr Zuspruch finden und sein fragiles Gemüt stützen. Oder sie könnte sein Blut rauben, denn etwas glückseeliger Stupor würde ihm womöglich gut tun.
Irgendwie erregte diese Vorstellung weniger, als sie es von derlei Phantasien gewohnt war.
Wenige Momente später barg sie einen ihrer Gebäcktaler, in feuchter Salzluft gereift, und schlug ihn in ein sauberes Tuch ein. Dann machte sie sich auf den Weg zur Kajüte Cassius'.
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