Sandrine warf das Tuch, mit dem sie soeben noch über die Theke gewischt hatte, frustriert auf die Holzplanken. „Bei allen Göttern, Martin,“ begann sie, ihre Stimme klang eine Spur zu laut in dem halbleeren Schankraum, „ich halt das nicht mehr aus. Seit Tagen stolpern wir hier über die Biester, und es werden immer mehr. Hast du gesehen, wie sie heute Nachmittag sogar in der Küche über den Tisch gehuscht sind? Ich schwöre dir, wenn noch einmal eine Ratte in den Brotteig fällt, geb ich den ganzen Kram auf und lauf davon.“
Sie stemmte die Hände in die Hüften, sah zu den verwaisten Bänken und schnaubte. „Schau dich doch um! Früher war’s hier laut, fröhlich, voller Stimmen – und jetzt? Nur Stille. Die Kundschaft bleibt aus, und wer will’s ihnen verdenken? Niemand mag sein Bier mit einem Rattenschwanz teilen. Wenn das so weitergeht, Martin, können wir den Laden dichtmachen, und ich weiß nicht, wovon wir dann leben sollen.“
Martin stützte sich schwer auf den Schankdeckel, die Ärmel hochgekrempelt, als wolle er gleich mit bloßen Händen gegen die Nager ins Feld ziehen. „Du meinst, ich merk das nicht?“ brummte er, schüttelte den Kopf und rieb sich die Schläfen. „Letzte Nacht bin ich wach geworden, weil ich dachte, es regnet auf dem Dach – dabei waren’s die Krallen der Biester, die im Gebälk kratzen. Ich träum inzwischen von Rattenschwänzen, Sandrine. Und das will was heißen.“
Er schnaufte, griff nach dem Krug, der kaum mehr als einen Schluck fasste, und nahm ihn in einem Zug. „Du hast recht – wir müssen zu Godomar. Der sitzt in seinem feinen Haus, zählt die Münzen, und wir stehen hier knietief im Ungeziefer. Helden, Söldner, verdammte Katzen, meinetwegen – Hauptsache, es kommt jemand, der sich darum kümmert. Denn wenn’s so weitergeht, haben wir bald nicht nur keine Kundschaft mehr, sondern auch keinen Dielenboden, auf dem wir stehen können.“
Mit einem müden Grinsen, das mehr Resignation als Humor war, fügte er hinzu: „Und wenn’s am Ende keine Helden gibt… dann graben die Ratten vielleicht schneller als wir und eröffnen ihre eigene Schenke. Ich seh’s schon kommen: ‚Zur dreiäugigen Ratte‘ – mit mehr Gästen als wir sie je hatten.“
Einen Moment schwieg sie, biss sich auf die Lippe, und dann klopfte sie mit dem Finger auf die Theke. „Wir müssen mit Meister Godomar reden. Er ist der Eigentümer, er kassiert seinen Anteil, aber kümmern tut er sich einen Dreck. Wenn er will, dass die Taverne nicht endgültig den Bach runtergeht, dann soll er gefälligst ein paar Helden anheuern. Leute, die die Rattenplage beseitigen – und wenn’s sein muss, auch noch den Grund für dieses ganze Elend herausfinden.“
Sie atmete scharf durch und fügte hinzu: „Und wenn er nicht will, dann gehen wir eben direkt zum Bürgermeister – zu Kunrad Roswylde. So viel Stolz wird er schon haben, dass der Marktplatz von Minoc nicht zur Rattenburg verkommt. Am Ende geht’s ja nicht nur um uns, Martin – wenn die Leute erst anfangen, über eine verseuchte Taverne am Hauptplatz zu reden, dann leidet der ganze Ort.“
Sie seufzte tief, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und senkte die Stimme. „Denn eins sag ich dir, Martin… irgendwas stimmt da unten nicht. Ratten kommen nicht von allein in solchen Scharen. Es ist, als hätten wir die Pest im Gemäuer. Und wenn’s wirklich so ist, dann… dann wird uns ein sauberes Bier nicht mehr retten.“
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