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Zwischen Gebet und Grauen

Verfasst: 21 Jun 2025, 08:39
von Jhea'kryna Ky'Alur
Dicht und schwer lag der Weihrauch in der Luft, als sich die schwarzen Vorh?nge der inneren Kapelle des Hauses Ky?Alur zur Seite schoben. Eine dr?ckende Stille breitete sich in der Halle aus, nur unterbrochen vom leisen Klirren der Ornamente an den Roben der Priesterinnen. Inmitten dieses feierlichen Schattens stand Jhea?kryna Ky?Alur, die Ilharess, hoch erhoben auf der obersten Stufe des Podiums, das sich wie ein gezackter Obsidianstern um den Hauptaltar spannte. Ihr K?rper war geh?llt in das schwarzen Kleid der hohen Priesterinnen, durchwirkt mit Silberf?den, die sich wie Spinnennetze ?ber ihre Schultern und Arme zogen. Ein Diadem aus ge?tztem Runenstahl umschloss ihre Stirn, aus dessen Zentrum ein kleiner Splitter schimmernden Kristalls in die H?he ragte ? ein Tribut an die dunkle G?ttin.

Zu ihrer Rechten stand Dhaunae, mit einer W?rde, die selbst f?r eine Tochter der Ilharess ungew?hnlich war. Ihre langen wei?en Haare waren zu einer kunstvollen Krone aus Z?pfen geflochten worden, in denen winzige schwarze Knochenperlen eingearbeitet waren. Zu ihrer Linken Yrea?jahrae, jung, sch?n und streng ? das Ebenbild der Herrin selbst, in karger, fast asketischer Robe, nur durchzogen von einem einzigen roten Spinnenornament, das sich ?ber ihre Brust spannte.

Die Halle selbst war von purpurnen Flammen erhellt, die aus dutzenden Feuerschalen aufstieg. Jede Flamme war von einem f?nfzackigen Kreis umrahmt, gezeichnet und geweiht mit Blut. Am Rande der Halle bewegten sich die Tempeldienerinnen in strengen, synchronen Bahnen. Ihre Weihrauchkessel schwangen in weiten B?gen durch die Luft, verstr?mten dichten, s??lich-bitteren Rauch, der sich wie ein Leichentuch auf alles legte.

Die Gl?ubigen hatten sich auf den B?nken hinter dem offenen Altarbereich niedergelassen ? die Krieger, Magier, und die einfachen Angeh?rigen des Hauses Ky'Alur, ihre Stirnen mit Asche gezeichnet, ihre H?nde auf den Boden gepresst, die K?pfe gesenkt. Vereinzelt erklangen bereits leise, monotone Ges?nge ? alte Worte, lang vergessen in der Oberwelt, aber hier in Elashinn gepflegt wie Reliquien aus Blut.

Mit langsamen Schritten trat Jhea?kryna an den Rand des Altars. Ihre H?nde waren leer, doch der Raum f?llte sich augenblicklich mit einer Pr?senz, die mehr Gewicht hatte als jeder Stahl. Dann hob sie die H?nde, lie? sie sacht nach au?en gleiten ? eine Geste der ?ffnung, des Empfangens.

?Vernehmt mich, Kinder der Tiefe,? sprach sie mit einer Stimme, die keinen Zweifel lie?. ?Heute ?ffnen wir das Netz. Heute wird Blut gefordert. Heute flie?en Kraft und Fleisch, um die G?ttin zu n?hren.?

Ihre rechte Hand kreiste, beschrieb ein Spinnennetz in der Luft. Die linke strich ?ber die Brust, ein Zeichen der Demut, ein Bekenntnis zur Hingabe.

?Lloth, Mutter der Schatten, webe deine F?den durch unsere Herzen. Nimm das, was schwach ist. Best?rke das, was treu ist.?

Dhaunae trat vor, verneigte sich knapp und begann, den Altar zu reinigen ? mit Asche, Wein, und einem blutgetr?nkten Tuch. Daneben kniete Yrea?jahrae, entfaltete langsam ein Tuch, in dem sorgf?ltig der Opferdolch lag: eine gezackte Klinge aus obsidianem Stahl, geschmiedet mit dem Blut dreier Geknechteter. Der Griff war umwickelt mit altem Tempelleinen, durch das die Reste von G?ttlicher Magie pulsierten.

Jhea?kryna senkte ihre Stimme nun zu einem Singsang ? ein uralter Choral, in der Sprache der Yathrinen, un?bersetzt und uralt. Die Gl?ubigen begannen mit einzustimmen. Erst leise, dann lauter. Immer eindringlicher. Immer ekstatischer. Die Tempeldienerinnen marschierten im Kreis, lie?en die Kessel kreisen, w?hrend sie selbst nun fl?sterten, schrien, flehten ? jede auf ihre Weise, aber im selben Takt.

Dann erklang der Gong. Ein dumpfer, bebender Schlag, der durch die Knochen fuhr. Schweigen fiel wie ein Schnittmesser auf die Halle. Jhea?kryna trat zur Seite, bedeutete mit einer winzigen Geste, dass das Opfer gebracht werden sollte.

Zwei Tempeldiener f?hrten ihn herein ? einen Mann, mittleren Alters, seine Augen weit aufgerissen, die Bewegungen fahrig. Die Kleidung war von Dreck und Blut durchtr?nkt. Er hatte offenbar gek?mpft, aber der Kampf war ihm l?ngst genommen worden ? durch Gifte, Fesseln und das unaufhaltsame Gewicht der Erkenntnis. Er war wach. Er war bewusst. Und er wusste.

Er wurde auf den Altar gelegt. Die Seile waren fest, aber unn?tig ? der K?rper hatte kaum noch Kraft, sich zu wehren. Als er den Kopf drehte, fl?sterte er tonlos, kaum h?rbar: ?Bitte... warum...?

Jhea?kryna trat nahe heran, beugte sich zu ihm herunter ? und strich ihm mit einer fast liebevollen Geste ?ber die Wange. Ihre Finger waren k?hl, aber sanft. Ein L?cheln lag auf ihren Lippen, aber es war die Art L?cheln, die nichts Gutes versprach.

?Du darfst Lloth dienen, Sterblicher. Mehr kann man in seinem Leben kaum erreichen.?

Sie wandte sich ab.

Dhaunae trat vor. In ihrer linken Hand hielt sie den Dolch. Ihre rechte war zu einer geballten Faust geformt, auf ihrem Handr?cken ein altes Zeichen der G?ttin, das in dunkler Tinte eingebrannt worden war.

Langsam, unerbittlich, hob sie die Klinge.

Dhaunaes Blick war starr auf den Dolch gerichtet, den sie nun in beiden H?nden hielt. Ihr Gesicht zeigte keine Regung, keine Schw?che ? nur reine Konzentration und entschlossene Hingabe. Dann, ohne zu z?gern, senkte sie die Klinge mit ruhiger Kraft in die Brust des Mannes, der unter ihr auf dem Altar lag.

Der Dolch glitt durch Fleisch und Muskel, bis das Knacken von Knochen das einzige Ger?usch war, das die gespannte Stille durchbrach. Ein ersticktes R?cheln entrang sich den Lippen des Opfers ? seine Augen weiteten sich ein letztes Mal, als das Leben aus ihm wich.

Doch diesmal sollte es nicht einfach ins Nichts entweichen.

Jhea?kryna trat an den Rand des Altars, w?hrend die ersten Tropfen Blut ?ber den Obsidiansockel liefen. Ihre Finger formten ein Muster in der Luft, eine Geste aus der Schrift der alten Priesterinnen. Ihre Lippen bewegten sich, doch kein Laut war zu h?ren ? nicht f?r Sterbliche. Ihre Worte riefen nicht Lloth, sondern befehligten die Essenz selbst. Ihr Blick war nicht auf das Opfer, sondern auf das Artefakt am Kopfende des Altars gerichtet.

Das Ger?t ruhte auf einem kleinen, dreibeinigen Tisch aus Adamant, direkt neben dem Altar. Die drei Kristalle, noch immer leer, begannen unter ihrer Konzentration zu flimmern. Feine F?den zogen sich vom Ger?t ?ber den Boden, verankert in einem Kreis, den sie selbst vor der Zeremonie gezogen hatte ? genau dort, wo das Blut jetzt hinfloss.

Die ersten Tropfen ber?hrten die Linien.

Und dann geschah es.

Ein feines Summen erhob sich ? kaum wahrnehmbar, wie ein ferner Chor aus einem l?ngst vergessenen Reich. Der Arkanit begann schwach zu leuchten. Kein grelles Licht ? ein pulsierendes inneres Glimmen, als w?rde er mit jedem Herzschlag des sterbenden Mannes atmen.

Jhea?kryna kniete sich nieder. Ihre Finger ruhten nun direkt auf dem Ger?t, die Augen weit ge?ffnet. Ein d?nner Schleier von Schwei? gl?nzte auf ihrer Stirn, w?hrend sie die Essenz lenkte. Es war kein Fluss, sondern ein Ringen ? das Leben wollte entweichen, aufsteigen oder sich in den Hallen der Unterwelt verlieren. Doch sie zwang es. Ihre Gedanken schnitten sich durch das Blut, durch Schmerz, durch Erinnerung. Die Energie wurde umgelenkt, gesammelt, gefesselt.

Ein Ruck durchzuckte das Ger?t. Der Arkanit ver?nderte sich sichtbar, nahm eine dunklere Nuance an. Der Mondstein begann zu pulsieren ? langsam, dann schneller, im Takt der sinkenden Lebenskraft des Opfers.

Ein leichtes Zischen erklang, als die ersten Funken zwischen den Kristallen zu tanzen begannen.

Dann trat Yrea?jahrae an den Altar. Mit einer Geste wies sie die Tempeldienerinnen an, das n?chste Opfer hereinzuf?hren. Eine Frau diesmal ? eine hochgewachsene Schamanin aus den Weiten des Nordens, mit T?towierungen ?ber Gesicht und Armen. Ihre Augen waren glasig, aber noch klar genug, um zu erkennen, wo sie war.

Sie k?mpfte nicht. Vielleicht war es Einsicht. Vielleicht war es Resignation.

Dhaunae reinigte die Klinge mit einem dunklen Tuch, das zuvor in gesegnetes Wasser getr?nkt worden war. Sie trat zur Seite, lie? das Blut vom ersten Opfer langsam auf die Robe tropfen, als w?re es eine zweite Weihe.

Jhea?kryna kniff die Augen zusammen, als das Ger?t kurz zu flackern begann. Der Fluss der Essenz war nicht gleichm??ig. Sie ver?nderte die Runen mit einem Zauber ihrer linken Hand, korrigierte die Bahn des Flusses, lie? die Emotionen des Sterbenden durch den Kristall flie?en.

Das Ger?t zitterte. Ein inneres Knacken. Dann Stabilisierung.

?Er ist bereit f?r das N?chste,? murmelte sie heiser.

Dhaunae nickte. Der Schamane wurde auf den Altar gelegt ? diesmal ohne Worte. Nur ein Fl?stern drang von seinen Lippen, eine alte Sprache, ein Gebet an einen l?ngst vergessenen Geistergott. Es wurde von der Pr?senz der G?ttin in der Halle verschluckt.

Der Dolch fuhr erneut nieder.

Wieder begann der Fluss. Und diesmal bereitete sich Jhea?kryna vor. Ihre Finger formten schneller werdende Muster, ihre Stimme wurde klarer, dr?ngender. Der Arkanit begann nun in einer neuen Frequenz zu leuchten ? tiefer, rotgl?hend. Der Mondstein zeigte erste kristalline Linien, als ob sich neue Kan?le bildeten. Und ganz am Boden ? der Kristall der Empathie ? flackerte kurz auf, ver?nderte seine Struktur.

Ein Rinnsal aus Emotion ? Furcht, Trauer, Trotz ? rann in ihn hinein, f?rbte ihn schwach violett.

Der gesamte Raum schien sich zu neigen. Die Gl?ubigen begannen wieder zu singen. Der Gong hallte erneut. Diesmal begleitet von Taktst?cken, die auf kleine bronzene Platten schlugen. Die Ger?usche wurden zu einem Crescendo, das die Grenze zwischen Klang und Magie durchbrach.

Jhea?kryna schwankte. Doch sie hielt stand.

Das Ger?t vibrierte nun. Die Essenz zweier Leben war darin gespeichert. Noch roh, noch ungeordnet ? aber sp?rbar.

Ihre Lippen formten ein letztes Wort: ?Weiter.?

Und schon wurde das dritte Opfer gebracht.