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Yon Essray ? Der Schwur des Schweigens

Verfasst: 06 Mai 2025, 17:06
von Yon Essray
Niemand wusste, wo Yon Essray so lange gewesen war. Und niemand sollte es je mit Sicherheit erfahren. Was man von ihm sah, war nur der Schatten eines Mannes, der einst ein Werkzeug g?ttlicher Macht gewesen sein mochte. Aber jetzt? Jetzt war er ein wandernder Priester - wortkarg, unscheinbar, fast gebrochen - und doch trug sein Blick eine Sch?rfe, als s?he er mehr als andere.
Man fand ihn an einem regnerischen Morgen in der N?he eines verfallenen Tempels, auf den Stufen kauernd, die H?nde gefaltet, das Gewand zerrissen. In seinen Augen: Dunkelheit und Klarheit zugleich. Doch keine g?ttliche Kraft begleitete ihn. Kein Strahl des Segens. Kein Licht, kein Wunder.
?Ich bin wieder da?

sagte er nur - aber zu niemandem.

Yon war einst ein gesalbter Priester Arachnans gewesen, von Gott selbst in einem Traum auserw?hlt. Arachnans Stimme war klar gewesen - kalt, logisch, durchdrungen von uraltem Hass. Und Yon, ein Mann des Gesetzes, fand in diesem Gott die Wahrheit, die er in den verworrenen Lehren anderer nie gefunden hatte: Ordnung durch Willen. Disziplin durch Schmerz. Erl?sung durch Rache.
Er wurde einer der sogenannten ?Stummen Klingen?, ein Wanderpriester, der allein durch die Lande zog, um Einfluss zu s?en und Tyraels J?nger zu unterwandern. Sein Glaube war rein. Seine Macht war gro?. Bis er eines Tages verschwand - mitten auf einer geheimen Mission in den Grenzlanden des Ostens. Niemand h?rte mehr von ihm.

Yon behauptet, vom Geist Arachnans auf eine Pilgerreise ?ins Innere der Finsternis? geschickt worden zu sein. Dort, an einem Ort jenseits der Zeit, habe Arachnan ihn vor eine Wahl gestellt.
Wer mein Wesen verstehen will, muss es ohne es tragen. Wer meine Ordnung verk?nden will, muss das Chaos in sich dulden. Wer Tyrael brechen will, darf sich nicht l?nger auf mich st?tzen, sondern muss seine Klinge aus eigenem Stahl schmieden.
In diesem Moment soll Yon freiwillig einen gro?teil seiner g?ttliche Verbindung geopfert haben - als Beweis seines unersch?tterlichen Glaubens. Ein Schwur des Schweigens, der Verlust der Macht auf Zeit. Ein Abstieg, um sp?ter in noch gr??erer Reinheit zur?ckzukehren.
Nat?rlich kann man das nicht beweisen.
Er k?nnte ein Narr sein. Ein Wahnsinniger. Ein Hochstapler. Oder ein Gefallener, der sein Scheitern umdeutet.
Aber niemand kann es mit Sicherheit widerlegen. Das macht Yon so gef?hrlich.
Seitdem wandert Yon Essray als ?gew?hnlicher Priester? durch die Welt. Seine g?ttliche Macht ist reduziert bis zum Ende der Pr?fung. F?r andere ist er ein Schw?chling. Kein Wunder. Kein Segen. Kein Zorn. Nur Worte. Und Blicke.
Er tr?gt ein einfaches schwarzes Gewand, in dessen S?ume alte Gebetsrunen eingen?ht sind - verborgen unter Schichten von Dreck und Staub. An seiner Seite ein schlichter Wanderstab, dessen Griff mit Dornensymbolen eingeritzt ist, die man nur erkennt, wenn man wei?, wonach man sucht.
Doch was ihn auszeichnet, ist nicht seine Kraft. Es ist seine ?berzeugung.
Er spricht wenig. Beobachtet viel. Und stellt Fragen, die andere nicht h?ren wollen:
?Glaubst du, dass das Licht dich befreit - oder f?hrt es dich??
?Hast du je Gnade erfahren - oder nur Unterwerfung in sch?nem Gewand??
?Ist es Verrat, den falschen Herrn zu verlassen - oder ist es Wahrheit??

Arachnan hatte Yon nicht verlassen ? er hatte ihn gekennzeichnet.

Die Botschaft ist klar:
Wenn du mein Streiter sein willst, darfst du nicht aus Gewohnheit glauben. Du musst mir treu sein, selbst wenn ich dich nicht sch?tze. Selbst wenn du f?llst. Selbst wenn du allein bist.
Damit entzog Arachnan ihm einen Gro?teil seiner g?ttlichen Macht ? nicht aus Strafe, sondern als Pr?fung. Was blieb, war ein schwelender Funke. Eine schmerzhafte Glut g?ttlicher Energie tief in Yons Innerem, die sich nur selten entfaltet. Wenn sie es tut, sp?rt er gleichzeitig die Macht und den Schmerz der Verbindung ? als w?rde jeder Zauber, jede Gabe durch eine brennende Wunde gepresst.
Er kann noch wirken ? aber nicht wie fr?her. Kleine Wunder. Gebete, die z?gerlich beantwortet werden. Kr?fte, die nicht immer gehorchen. F?r viele ein Zeichen von Schw?che. F?r Yon ein Zeichen des Glaubens.
Er sagt:
Wer nur stark glaubt, wenn er stark ist, glaubt nicht. Wer glaubt, wenn alles schwindet, ist Werkzeug eines Gottes.
In Wahrheit glaubt Yon, dass diese Schw?chung ihn w?rdiger macht als alle anderen Kleriker. Denn er dient nicht f?r Macht. Sondern f?r Rache. F?r Ordnung. F?r Arachnan selbst ? auch wenn der schweigt.

Re: Yon Essray – Der Schwur des Schweigens

Verfasst: 13 Okt 2025, 16:58
von Yon Essray
„Nur wer ohne Zeichen glaubt, hat das Dunkel verstanden.“
– Überlieferung aus den Aufzeichnungen des Schwertbundes

Seit dem Sternenfall herrschte Stille.
Keine Träume mehr. Keine Visionen. Keine Zeichen.
Nur Schweigen – das tiefe, ehrliche Schweigen Arachnans.

Yon Essray hatte geglaubt, auf das Schweigen vorbereitet zu sein. Doch als es kam, fühlte es sich an wie das Ende allen Glaubens.
Der Himmel hatte Feuer gespien, und viele nannten es ein Wunder – andere ein göttliches Gericht.
Für Yon war es ein Ruf.
Ein Ruf, der unbeantwortet blieb.
Der Träumer schwieg.

Er wartete. Betete. Suchte.
Doch nichts kam zurück – nur der eigene Atem in der Kälte des Morgens.

Wo einst ein göttliches Wispern in den Schatten seiner Seele wohnte, herrschte nun Leere. Kein Trost. Keine Richtung. Nur die Erinnerung an jene Worte, die ihm einst Halt gegeben hatten.

In dieser Leere erwachte eine neue Stimme – seine eigene.
Und sie flüsterte: Wenn der Engel schweigt, muss der Mensch handeln.

So führte ihn sein Weg nach Düsterhafen – eine Stadt, die selbst in der Finsternis Schatten warf.
Hier sammelten sich die Vergessenen, die Verstoßenen, die, die keinen Gott mehr hatten.
Und genau hier, dachte Yon, musste der Glaube neu entzündet werden – nicht durch Wunder, sondern durch den Willen der Sterblichen.

Er trug eine Robe aus dunklem, verblichenem Rot – die Farbe des Opfers. Kein edles Purpur, sondern das matte, bräunliche Rot getrockneten Blutes.
Für ihn war sie Symbol und Mahnung zugleich: Arachnans Feuer hatte ihn gezeichnet, und auch wenn die Flamme erloschen schien, glühte sie in ihm weiter.

Wo Yon sprach, brachte er Worte. Manche nannten es Predigt, andere Wahnsinn.
Doch die Verlorenen hörten ihm zu.
Er sprach von der Prüfung im Schweigen, davon, dass der Dunkle Engel nicht fort war, sondern schlief – und dass es an seinen Kindern lag, seinen Traum zu bewahren, bis er wieder erwachte.

„Wir sind sein Atem, solange er schweigt.
Sein Schwert, solange er ruht.“

In dieser Zeit hörte er vom Schwertbund des Dunklen Engels – einem Orden, der nicht nur glaubte, sondern handelte.
Keine Priester in goldenen Hallen, keine Schwätzer mit Heiligenschein.
Krieger, die die Flamme lebten, auch wenn sie brannte.

Yon suchte sie auf. Nicht, um Ruhm zu finden, sondern Richtung.

Die Wege führten Yon schließlich an die Grenzen des Ordens.
In einem alten Tempel, halb im Nebel verborgen, fand er, wonach er gesucht hatte.
Dort wurde er von einem Mann namens Aurion empfangen – ein Bruder des Schwertbundes, dessen Blick mehr prüfte, als seine Worte verrieten.
Yon stellte sich vor, sprach von seinem Weg und von Arachnans Schweigen.
Aurion hörte zu, ohne zu urteilen, und führte ihn schließlich in die Hallen des Bundes.
Dort wartete der Gildenstein – und die Entscheidung, ob Yon würdig war, den Schwur zu sprechen.

Als er schließlich vor dem Gildenstein stand, kniete er nieder. Nicht aus Unterwürfigkeit, sondern aus Anerkennung für das, was Arachnan in ihnen weitertrug.
Er wusste: Der Schwertbund war kein Ort für Schwache.
Doch hier, in seinem Schatten, konnte sein Glaube überleben.

Er sprach seinen Schwur – leise, aber mit ungebrochener Klarheit:

„Ich bin Yon Essray, Diener des Schweigens, Träger des Feuers.
Arachnan spricht nicht – und doch höre ich ihn.
Nicht in Worten, sondern im Willen.
Ich schwöre, den Dunklen Engel zu ehren, auch wenn er mich nicht erhört.
Zu handeln, wo andere warten.
Zu opfern, wo andere beten.
Denn das Schweigen ist nicht das Ende – es ist die Prüfung.“

Der Stein nahm seinen Schwur an.
Ein Windstoß fegte über den Hof, als lausche selbst der Himmel.

Seit diesem Tag war Yon Teil des Schwertbundes. Kein Anführer, kein Held – ein Wanderer.
Doch mit jedem Sonnenaufgang wuchs sein Entschluss.
Wenn Arachnan schwieg, würde er selbst das Wort sein.
Wenn das Licht triumphierte, würde er das Feuer neu entfachen.

Man sah ihn fortan oft auf den Mauern von Düsterhafen – die rote Robe im Wind, das Gesicht im Schein der Fackeln.
Er sprach selten. Doch wenn er sprach, klangen seine Worte wie Gebete – und wie Drohungen zugleich.

„Der Engel schläft nicht – er träumt.
Und wer in seinem Traum wandelt, trägt die Verantwortung, ihn zu vollenden.“

So wurde Yon Essray zur Stimme im Schweigen.
Zum Zeugen eines Glaubens, der ohne Zeichen auskam.
Und zum Schatten, in dem das Feuer weiterlebte –
bis selbst die Sterne verstummen.