Nathan Calresh hat mir ein leeres Buch geschenkt, mit der Aufforderung, ein Wort pro Seite und Nacht niederzuschreiben. Entschuldige, Nathan, das ist mir nicht m?glich. Stattdessen werde ich diese unertr?gliche Leere f?llen, um dann dieses einzige Wort aus den entstandenen Zeilen zu destillieren. Wenn dies dadurch wie ein gew?hnliches Tagebuch, nur mit einem kleinen, bergeschweren Zusatz wirken sollte: So sei es.
Nun denn:
Mir ist nicht wohl. Kein Zustand, der in meinem Falle erw?hnenswert ist? Ja und Nein. Der Geschmack ist schal geworden. In Gedichten, die bald eine Dekade alt sein werden, trinke ich das Leid dieser Welt, ern?hre mich von ihrer Trauer ? aber der Geschmack ist schal geworden. Einsamkeit. Mein Exil als H?terin meiner wenigen Erinnerungen in diesem Grabesturm wiegt so schwer. Schwer genug, dass ich mich aus meiner Ruine wieder in die Menschenwelt gewagt habe. Oh, das Leben, Trank und Gestank, laut und septisch. Und so warm. Habe ich tats?chlich meine Abscheu davor vermisst? Oder scheut mich mein Vermissen? Welch ein schlechter Witz.
Und die Seite f?llt sich bereits und ich habe gerade erst begonnen. Komm' auf den Punkt, dummes Kind. Mir ist nicht wohl, aus myriaden Gr?nden. Da drau?en gibt es mehr an Leben als ich mich erinnere. Was sagt mir schon der sch?chterne Raub von schlafenden Wanderern ?ber den Trubel und das Sein der Welt? Es gibt noch fern verwandte, genauso verlorene Seelen ohne tats?chliche Seele. Woher sonst h?tte ich dieses Buch?
Achja, wichtig noch: Unruhe, Sorge. Ver?nderung. Es sind meine Sterne! Mein Herz sehnt sich nach einem Bruch, einem Beben, das diese schreckliche Spannung ausl?scht. Daher mein Wort, bevor die Seite zu Ende ist; Anscheinend das Ding, wonach ich mich sehne, was ich jetzt, in diesem Augenblick erkenne:
Umbruch.
Ancanagar legte die Feder zur Seite, begutachtete ihre spontanen Worte, verfolgte mit den Augen die immer kleiner und enger werdende Schrift, fand einen Tropfen Vergn?gen im Sumpf aus Hunger, Sorge, Einsamkeit und schob dann das kleine Buch von sich.
Sie hatte Nathan an einem Ort getroffen, der voll schlechter Erinnerungen war. Sie selbst hatte sich auf die Anklagebank gesetzt, auf der sie vor so vielen Jahren Yerabeth sah, als sie selbst noch kaum ein Jahr ohne Sonne zugebracht hatte. Sie verstand damals nicht, warum es diesen schweren Bruch in der zugegebenerma?en losen Gemeinschaft gab. Selbst heute noch erschien ihr diese H?userpolitik v?llig unsinnig. Sie waren ohnehin so wenige, so einsam, warum also noch mehr Verlorenheit beschw?ren?
Die Bank war hart, unbequem, alt. Sie mochte sie nicht. Und dann hatte sie Nathan gefunden, fremdartig, unheimlich, verwandt. Wie seltsam, hier an diesem schrecklichen Keller so etwas wie eine Friedensahnung zu finden. Hoffnung w?re zu weit gegriffen. Mal sehen, was sie aus dem Tagebuch machen w?rde. Aber die Gletschergeschwindigkeit, die ihr der ?ltere Vampir vorgegeben hatte, war nicht nach ihrem Geschmack. Was w?rde so ein Takt f?r eine Geschichte bedeuten? Eintausend Worte, eintausend Tage. Drei Jahre f?r ein kleines Kapitel? Das w?ren mehr als zehn B?cher. F?r eine ganze Erz?hlung w?rde ihr Zuhause keinen Platz haben.
Vielleicht w?rde sie darauf zur?ckkommen, wenn die Zeit alles andere geschliffen hatte und sie die ?onen irgendwie ?berwinden wollte. Einen gewissen Reiz fand sie durchaus in der Vorstellung ? das Gewicht eines ganzen Tages, zusammengepresst in ein, zwei, drei, vielleicht vier Silben. Wie schwer mochte dann das vollendete Werk sein? Profund. Sie schmeckte bereits die Unruhe, die ein zwingendes 'und' in eine der endlosen N?chte in ferner Zukunft unter fremden Sternen streute.