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Im Schatten von Britain

Verfasst: 29 Jun 2025, 08:31
von Shezar
Britain schläft. Die Gassen sind leergefegt, die Tavernen geschlossen, der Markt verstummt. Nur das gelegentliche Klappern eines losen Fensterladens oder das entfernte Bellen eines Hundes erinnert daran, dass hinter den Mauern noch Leben existiert. Und doch – in einem bestimmten Teil der Stadt, genau genommen in der schmalen Gasse hinter der Bank, herrscht Nacht für Nacht eine merkwürdige Betriebsamkeit, die nicht zum übrigen Bild passt.

Es beginnt nie zur gleichen Stunde – doch immer dann, wenn die Dunkelheit am tiefsten ist. Wenn der Himmel vom bleiernen Gewicht der Wolken erdrückt wird und selbst das blasse Licht des Mondes hinter grauen Schleiern verborgen bleibt. An diesen Nächten erwacht der ansonsten unauffällige Laden des sogenannten Blackrocksyndikats zum Leben.

Zunächst fällt es kaum auf. Ein leiser Schritt, das Knarren einer alten Holzstufe, das kaum hörbare Klicken eines Schlosses. Dann öffnet sich die Tür – langsam, beinahe lautlos – und eine dunkle Gestalt schiebt sich durch den Spalt. Schwarz gekleidet und einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze. Kein Wort, kein Zögern. Nur ein kurzer Blick in beide Richtungen der Gasse, ehe sie sich in das nächtliche Dunkel stiehlt.

Und kaum ist sie verschwunden, folgt die nächste. Sie kommen oder gehen. Immer wieder öffnet sich die Tür – nie abrupt, nie hektisch. Es ist, als folge das Ganze einer festgelegten Choreografie. Die Gestalten bewegen sich mit der Präzision eines Uhrwerks. In regelmäßigen Abständen treten sie in Zweier- oder Dreiergruppen auf, oft mit schweren Lasten auf den Schultern: längliche Säcke, grob vernäht, lose über die Schulter oder auf eine Trage geworfen. Sie wirken schwer. Teilweise so schwer, dass manche nur zu zweit getragen werden konnten. Ihre Form erinnert an etwas, das viele nicht auszusprechen wagen – zu sehr ähneln sie den Leichensäcken.

Einige Säcke verschwinden in der Nacht. Andere – leer und schlapp – kehren zurück in das Geschäft. Eine seltsame Symmetrie.
Ein nächtlicher Spaziergänger, der angibt, sich in der Gasse verlaufen zu haben, berichtete von merkwürdigen Geräuschen, die aus dem Inneren des Gebäudes gedrungen seien. Dumpfe Schläge, metallisches Kratzen, das Klirren von Eisen auf Stein – begleitet von dem rhythmischen Knarren von Holz und dem gelegentlichen Kreischen einer Säge. Ob seine Schilderung der Wahrheit entspricht, lässt sich kaum sagen. Doch in seiner Stimme lag ein Ernst, der nur schwer als bloße Einbildung abzutun ist.

Gelegentlich kommen die Gestalten mit Gegenständen, die in grobe Tücher eingeschlagen sind. Die Form verrät sie trotzdem: lang und schmal, mit Metallenden, an denen sich der Stoff hebt – Schaufeln, Hämmer, Spitzhacken, vermutet man. Werkzeuge. Aber warum in Tücher gewickelt?
Tagsüber wirkt der Laden des Syndikats wie jedes andere Geschäft in der Stadt. Die Tür steht offen, Kunden kommen und gehen in ruhigem Rhythmus. Der Ablauf erscheint geordnet, professionell und unauffällig.

Auffällig hingegen sind gelegentliche Lieferungen größerer Mengen Holz. Das gelieferte Material besteht meist aus frischem, sägerauem Nadelholz – teils noch feucht, mit Rinde und Spuren von Schmutz. Die Ladungen werden in kurzen Abständen hinter dem Gebäude abgestellt und innerhalb kürzester Zeit ins Innere gebracht. Es geschieht zügig und wortlos, ohne dass Außenstehende einen Einblick erhalten, wofür das Holz bestimmt ist. Abgesehen davon ist während des Tagesbetriebs keine ungewöhnliche Aktivität festzustellen.

Was dort vorgeht, weiß niemand. Vielleicht ist es auch besser so. Die Gardisten, die ihre Runden in der Nähe drehen, machen gezielt und auffälig einen Bogen um den Laden. Vielleicht, weil sie wissen, wohin man besser nicht schaut.

Re: Im Schatten von Britain

Verfasst: 29 Jun 2025, 21:32
von Ulaf Runendonner
Der Morgen war noch jung, als der Zwerg über die grobe Steinplatte seiner Arbeitstafel strich – einem natürlichen Quarzbrocken, den er selbst einst aus den südlichen Ausläufern der Dunstberge geholt hatte. Der Geruch von feuchtem Gesteinsstaub, getrocknetem Wurzelharz und altem Schmieröl lag in der Luft – vertraut und beruhigend. Messzirkel, Hangneigungskarten und eisenbeschlagene Geodenröhren lagen ordentlich sortiert bereit.

Ulaf prüfte gerade eine kleine Ader aus geschliffenem Serpentinit unter der Lupe, als es an der Tür klopfte – drei Mal, kurz, dann zwei Mal lang. Ein Muster, das er kannte. Ohne Eile wischte er sich den Staub von den Händen, trat zur Tür und öffnete.

Draußen stand ein schweigsamer Bursche in dunklem Mantel, das Gesicht unter einer Kapuze verborgen. Er überreichte wortlos ein versiegeltes Schreiben, nickte knapp – und verschwand, ohne ein Wort zu verlieren.

Der Zwerg schloss die Tür wieder musterte den Brief. Tief eingedrückt in schwarzen Wachs prankte das Symbol des Blackrocksyndikats. Darunter: ein kleine Rune in zinnoberroter Farbe – ein Kennzeichen höchster Geheimhaltungsstufe.

Er runzelte die Stirn. Diese Klassifizierung nutzte das Syndikat nur in sehr wenigen Fällen – Aufträge höchster Priorität und mit absoluter Vertraulichkeit. Ulaf kramte nach einem kleinen, schwarzen Etui, öffnete es mit rauen Fingern und entnahm einen schlichten Ring aus dunklem Eisen. Eingelassen in die Oberfläche: eine türkise Glyphe.

Als er den Ring über die Rune hielt, begann die Glyphe in der Mitte schwach zu pulsieren.
Auf der leeren Seite begannen sich Buchstaben zu formen. Türkis. Schimmernd. Zeile für Zeile – lesbar nur für ihn.


An Ulaf Runendonner,

im Namen des Blackrocksyndikats ersuche ich eure Expertise für ein Projekt von höchster Priorität und Diskretion.

Geplant ist die Errichtung eines unterirdischen Tunnelkomplexes – vom Keller unseres Handelskontors in Britain bis in die nördlichen Ausläufer der Berge. Der Gesamtverlauf wird voraussichtlich eine Strecke von etwa 227 Metern umfassen. Ihr werdet mit der technischen Planung, geologischen Bewertung sowie der Bauaufsicht betraut.

Alle erforderlichen Ressourcen, Werkzeuge und unterstützenden Kräfte werden dir durch das Syndikat zur Verfügung gestellt. Dieser Auftrag unterliegt der Geheimhaltungsstufe Zinnober. Eine vollständige Verschwiegenheit gegenüber Dritten ist Grundvoraussetzung.

Für die weitere Abstimmung ist ein persönliches Treffen erforderlich. Komm bei Nacht – Celdion und meine Wenigkeit werden euch erwarten.

Für das Syndikat,
Shezar



Ulaf legte den Ring beiseite, ohne ein Wort zu verlieren. Sein Blick war wach, hell, fast ehrfürchtig – nicht vor dem Auftrag, sondern vor der Herausforderung. Tunnelbau war seine Kunst, seine Berufung. Und wenn das Syndikat rief, war der Job nie einfach, aber immer gut bezahlt. Vor allem: spannend.

Er lächelte schmal, während er den Brief in einer eisenbeschlagenen Truhe verschwinden ließ.

Celdion hatte immer ein Händchen dafür, ihn zu rufen, wenn es komplex wurde. Und Shezar... Shezar zahlte nie zu wenig.

Noch in derselben Nacht machte sich Ulaf auf. Schritt für Schritt. Mit gespannter Vorfreude und einem Runenkompass im Gürtel. Wo andere einen Tunnel sahen, sah er bereits: den Querschnitt, das Holz, den Klang des Steins.

Zinnober. Es war lange her, dass ein Auftrag mit dieser Farbe kam.

Re: Im Schatten von Britain

Verfasst: 30 Jun 2025, 18:15
von Shezar
Shezar und Celdion empfingen Ulaf in einer mondlosen Nacht am Hintereingang des Kontors. Wortlos führten sie den Zwerg durch den schmalen Gang, vorbei an Regalen mit Kisten und Verpackungen, in den Keller unter dem Laden – dorthin, wo Shezar sein privates Arbeitszimmer eingerichtet hatte. Der Raum war spartanisch, aber funktional, mit einer massiven Steintafel als Schreibtisch und grob gezimmerten Stühlen aus dunklem Holz.
Ein Seitengang führte in den Versammlungsraum des Syndikats – nüchtern, fensterlos, mit eingelassenen Wandnischen für Karten, Pläne und Unterlagen.
Noch ein weiterer Gang zweigte von dort ab, und hinter einer unauffälligen Tür befand sich der eigentliche Grund für Ulafs Kommen: eine in groben Umrissen ausgehobene Kammer, in deren Mitte ein enger Schacht senkrecht in die Tiefe führte. Die ersten Erdschichten waren bereits durchbrochen, gestützt durch einfache Querbalken aus frischem Nadelholz. Der Boden war feucht, aber stabil. Die Arbeit hatte begonnen – bisher nur in die Tiefe.
Nun ging es darum, in die Länge zu planen.

Es roch nach frischem Holz, kaltem Erdreich, geschmolzenem Harz – und dem scharfen, erdigen Duft von Zwergentabak, den Ulaf in langsamen Zügen aus seiner Pfeife steigen ließ. Gemeinsam beugten sich Shezar, Celdion und der Geode über ein großformatiges Pergament, das die geplante Tunneltrasse in klaren, sorgfältig gezogenen Linien zeigte. Jeder von ihnen betrachtete den Plan mit eigenem Blickwinkel: Ulaf prüfte die geologischen Besonderheiten, Shezar achtete auf die logistischen Abläufe, und Celdion sorgte sich um die taktische Sicherheit.

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Ein sorgfältig beschriftetes Pergament zeigte den geplanten Querschnitt – jede Linie mit Lineal gezogen, im Maßstab 1:100. Der Tunnel sollte exakt 227 Meter lang werden. Der Ausgangspunkt lag tief unter dem hinteren Lagerraum des Ladens, das Ziel führte an die Ausläufer der nördlichen Hügelkette, dort, wo das Gelände felsiger, das Land unwegsamer und einsamer wurde.

„Das ist die Linie“, brummte Ulaf mit rauer Stimme. Sein Finger – schwielig, mit eingetrocknetem Lehm unter dem Nagel – fuhr die gedachte Route auf dem Pergament nach. „Sie muss unter den Stadtfundamenten durch, aber noch über dem Grundwasserspiegel. Und wir dürfen auf keinen Hohlraum treffen. Wenn uns die Decke einbricht, war’s das.“

Der Zwerg hatte in den Tagen zuvor diskret Bodenproben entnommen – stets bei Nacht, in kleinen Portionen entlang der geplanten Route. Die Untersuchung ergab: zunächst lehmige Erde, durchsetzt mit Sandschichten. Nach knapp fünfzig Metern verdichtete sich das Material, bis es in ein festes Kalk-Schiefer-Gemisch überging. Ulaf nickte zufrieden. „Das erste Drittel wird ein Biest. Lehm braucht Stütze. Aber das Gestein? Das trägt sich selbst – wenn du weißt, wo du ansetzen musst.“

Der Plan unterteilte den Bau in drei Phasen:

Phase 1 – Einstieg und Zugangsschacht (ca. 15 m):

Direkt unter dem Lagerraum sollte ein vertikaler Schacht entstehen. Gerade breit genug, um zwei Männer mit einer Trage passieren zu lassen. Zur Sicherung empfahl Ulaf eine Blockbohlenkonstruktion: Querliegende Nadelholzbalken, mit Eisenklammern gesichert und in regelmäßigen Abständen verkeilt. Jeder Meter musste unmittelbar abgestützt werden, bevor weiter gegraben wurde. „Wir stützen erst, dann graben. Alles andere ist Leichtsinn“, wiederholte Ulaf mehrfach. Ein vorläufiger Seilaufzug würde den Materialtransport sicherstellen.

Phase 2 – Stollen im Erdreich (ca. 60 m):

Hier war klassische Stollenbauweise erforderlich. Zwei seitliche Träger aus flexiblem, frischem Nadelholz, darüber ein gewölbter Deckbalken, der Druck aus dem Erdreich aufnahm. Alle 1 bis 1,5 Meter wurden Querbalken eingezogen, die Struktur mit Holznägeln und Zugschnüren fixiert. Zur Entwässerung sollten seitliche Rinnen eingearbeitet werden, ausgehöhlt im Bodenprofil und mit Leinen ausgekleidet. Ein zentraler Punkt der Planung war der enorme Holzbedarf.

Ulaf rechnete:

227 Meter bei einem Verbau alle 1 Meter ergibt 227 Ausbaurahmen. Pro Rahmen wurden 12 Laufmeter Holz benötigt (4 senkrechte und 4 waagrechte Balken à 1,5 m). Gesamtbedarf: 2.724 Laufmeter. Bei einem Querschnitt von 15 × 15 cm entsprach das rund 61 Kubikmetern Nadelholz – frisch geschlagen, sägerau, idealerweise aus der Region.

Ein weiterer Punkt war die Beleuchtung: „Fackeln taugen nichts. Zu kurzlebig, zu viel Rauch. Und Feuer in einem Schacht? Wahnsinn.“
Stattdessen wurde ein Magier mit der Anbringung magischer Leuchtrunen beauftragt – dauerhaft glimmende Glyphen, eingebrannt in die Trägerbalken. Rauchfrei, unauffällig, zuverlässig.

Phase 3 – Stollen im Gestein (ca. 150 m):

Ab dem 80. Meter sollte der Tunnel durch festen Kalk und Schiefer führen. Hier war mehr Kraft gefragt. Sprengmeißel, Handbohrer, Eisenkeile und Hämmer kamen zum Einsatz. Die Gesteinsschichten mussten gelesen werden – ihre natürlichen Linien verrieten, wo Drucklinien verliefen, wo Bruchstellen zu erwarten waren. Ulaf bestand auf nächtliche Ruhepausen: „Der Schall zieht nach oben. Wir arbeiten, wenn die Stadt schläft.“

Die folgenden Nächte verbrachten Ulaf, Shezar und Celdion über den Papieren. Fragen wurden diskutiert:

• Wie lässt sich Frischluft sicherstellen? → Provisorische Lüftungsschächte mit Stoffsegeln.
• Wie wird der Aushub abtransportiert? → In Säcken, verteilt über die Nachtstunden.
• Wie wirkt sich eine Neigung von 3 Grad auf Statik und Feuchtigkeit aus? → Modell-Simulation im Keller.

„Niemand darf etwas mitbekommen", sagte Shezar. Ulaf nickte nur und sprach: „Dann machen wir’s wie früher. Nacht für Nacht, ohne Spuren.“

Materialliste (vorläufig):

• 110 zugeschnittene Balken (Eibe oder Fichte)
• 2.724 Laufmeter Nadelholz (ca. 61 m³)
• 8 Dutzend Eisenklammern und Holznägel
• 3 vollständige Werkzeugsätze für Grabung und Ausbruch
• 1 tragbare Handpumpe mit Schlauchsystem
• 2 Loren, auf Kistenbasis umgebaut

Am Ende der zweiten Nacht wurde die Blaupause fertiggestellt. Die Arbeit würde beginnen, sobald Wetter, Sicht und Mondphase es erlaubten.

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In den nächsten mondlosen Nächten begannen dann die Arbeiten – zunächst leise, tastend, dann mit wachsender Routine. Der Zugangsschacht war vollendet, die ersten Meter des Tunnels bereits ausgehoben, Stützbalken sorgfältig verkeilt. Der Gang nahm Gestalt an. Doch das Erdreich zeigte sich widerspenstig: schwer, feucht, stellenweise brüchig. Immer wieder mussten Abschnitte nachgesichert und Werkzeuge ersetzt werden. Was anfangs wie ein zügiger Durchbruch wirkte, entpuppte sich als zähe Nachtarbeit, bei der jeder Schritt abgewogen, jede Entscheidung bedacht sein musste. Der Fortschritt kam – aber er kam langsam. Stunde um Stunde und Meter für Meter, Spatenstich um Spatenstich.

Re: Im Schatten von Britain

Verfasst: 30 Jun 2025, 18:44
von Anna Sias
Zwei Schritte vorraus
Die Nacht lag über Britain wie ein dichter Vorhang, schwer und atmend. Der Wind glitt durch die schmalen Gassen, strich an Mauern entlang, als ob er längst vergessene Geschichten mit sich trüge. Dort, wo andere nur Stille vermuteten, waren Schritte zu hören - leise, gezielt, ganz ohne Eile.
Die Männer des Syndikats wussten, was sie taten. Der Tunnel, den sie unter dem Kontor trieben, war kein Zufallswerk, keine hastige Grabung. Es war ein Bau, der im Verborgenen wachsen sollte - fern von Blicken, fern von Gesetzen. Jeder Weg war ihnen bekannt, jede Bewegung durchdacht. Das ausgehobene Erdreich trugen sie fort, nicht wahllos, sondern an einen Ort, der nicht mehr gefragt wurde - den alten Nordfriedhof.
Zwischen verwitterten Steinen und vermoosten Gräbern, deren Namen die Zeit längst verschluckt hatte, ließen sie die Erde Schubkarre um Schubkarre im Boden verschwinden, wie einen Krug Wasser, welchen man in einen See kippt.
Dort stellte niemand Fragen. Dort hörte niemand hin.
Bis heute.
Ein neuer Hauptmann führte seine Männer durch eine Route, die nicht vorgesehen war. Vielleicht Neugier. Vielleicht Instinkt. Vielleicht mehr.
Sein Weg schnitt den ihren. Er stellte sich ihnen entgegen - das Schwert an der Seite, der Blick fest.
„Was tut ihr hier?“ Seine Stimme war schneidend, der Ton eines Mannes, der Ordnung verlangte. „Diese Arbeiten sind nicht gemeldet. Die Straßen Britains sind kein Ort für geheime Transporte.“
Die Männer blieben still. Ihre Gesichter verrieten weder Furcht noch Trotz.
Plötzlich trat Anna Sias aus der Dunkelheit der Bäume, ihre Schritte leise, sicher. In ihrem Gesicht lag weder Überraschung noch Sorge - nur das Wissen darum, dass diese Begegnung unvermeidlich war.
„Hauptmann“, sagte sie, als treffe man sich zufällig auf einem nächtlichen Spaziergang. Ihre Stimme war ruhig, der Blick undurchdringlich. „Ein ungewöhnlicher Ort für eine nächtliche Kontrolle.“
„Eure Männer verstoßen gegen die Ordnung dieser Stadt.“ Sein Griff schloss sich fester um den Schwertknauf. „Ich dulde keine verborgenen Transporte.“
„Es spricht für Euch, dass Ihr so gewissenhaft seid.“
Anna ließ ihre Hand langsam in den Mantel gleiten, als ob sie nach etwas Belanglosem griff. Doch als ihre Finger das versiegelte Pergament umschlossen, veränderte sich die Stille der Nacht.
Sie holte es hervor, hielt es zwischen Daumen und Zeigefinger, drehte es sacht, als wäre es ein Spielzeug - harmlos, zerbrechlich.
„Manche Dinge“, sagte sie leise, als wäre es bloß ein Gedanke, „versteht nur, wer klug genug ist, hinzusehen.“
Der Hauptmann zögerte. Seine Hand schloss sich etwas zu langsam um das Pergament, als hätte er instinktiv gespürt, dass es schwerer war, als es schien.
Der Hauptmann nahm es, brach das Siegel und las.
Kein Laut drang aus den Gassen, selbst der Wind schien auf Abstand zu bleiben.
Der Blick des Hauptmanns glitt über die Zeilen. Sein Atem stockte.
Was er dort las, ließ etwas in ihm zerbrechen - vielleicht seine Autorität, vielleicht das Bild, das er von sich selbst hatte.
Er las ein zweites Mal. Langsamer.
Dann rollte er das Pergament sorgfältig zusammen, als wöge es nun mehr als sein Schwert.
Anna trat einen Schritt näher. „Manche Pfade verlieren sich im Nebel. Es ist klug, nicht jeden Weg zu gehen.“
Er sah in ihr Gesicht, suchte einen Rest von Unsicherheit - fand aber nur eine ruhige Bestimmtheit, unerschütterlich, unbeweglich.
Ein leises, fast resigniertes Schnaufen. „Manchmal ist es besser, wenn Wege sich einfach kreuzen - und wieder trennen.“ „Eine weise Entscheidung.“ Ihr Lächeln war höflich, fast freundlich - doch es erreichte ihre Augen nicht. „Möge Eure Nacht friedlich verlaufen.“
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab, gab seinen Männern ein stummes Zeichen.
Sie gingen ohne Hast. Kein Blick zurück.
Der Hauptmann schob das Pergament in seinen Mantel, wo es schwer auf ihm zu lasten begann. Er wusste, dass er diesen Moment nie würde benennen können - nicht vor seinen Vorgesetzten, nicht vor sich selbst.
Und niemand, nicht einmal seine engsten Vertrauten, erfuhr je, was auf dem Pergament stand.
Aber eines begriffen sie alle:
Anna Sias war ihm in dieser Nacht nicht nur einen Schritt voraus.

Licht und Schatten

Verfasst: 30 Jun 2025, 19:08
von Auriel Toleno
Nachdenklich stand Auriel auf den Zinnen oberhalb der Burgmauer des Königsschlosses des britannischen Königsgeschlechts. Oder... war es übrhaupt noch das, nach den seltsamen Bildern in seinem Kopf. Gerade hatte er noch die alte Paradeuniform der königlichen Leibgarde durch die Standardausführung der britannischen Stadtgarde ausgetauscht. Niemand hatte ihn darauf angesprochen, dass er eine eigentlich leicht überholte Uniform trug. Die neuen Ausführungen empfand der Gardist als zu schlicht. Und ja, die alte Uniform hatte das falsche Rangabzeichen aber das war in seinem Falle zumeist ohnehin nur Schall und Rauch.
Auriel gehörte zum Inventar. Es gab kaum einen Gardisten, der hätte benennen können, welchen Rang Auriel aktuell inne hatte oder zu welcher Abteilung der Garde er unter der aktuellen Regierung gehörte. Er nahm sich nie zu viel heraus, strahlte stets Ordnung und Autorität aus und so fiel es jenen, denen er Befehle gab nie schwer, diese zu akzeptieren. Und jene, die ihm Befehle gaben, hatten keinen Grund zur Klage, wenngleich er sie auf Augenhöhe entgegen nahm. Doch dieses Mal war es anders.

Der Hauptmann stand neben ihm und blickte unsicher auf die Abzeichen eines Feldwebels an Auriels Uniform. Prangte auf der Paradeuniform vorhin nicht noch das Abzeichen eines Leutnants?
Wie gesagt, willkommen zurück aus der befristeten Freistellung. Euren Dienstplan hattet ihr am Morgen bereits in der Kommandantur eingeholt. Sehr löblich, doch ich hatte noch nicht die Gelegenheit ihn vor eurer Ankunft zu überholen. Dies sind die gültigen Pläne.
Damit überreichte er Auriel eine Rolle mit den neuen Dienstplänen. Ein kundiger Blick des, in die Jahre gekommenen Gardisten bemerkte das Problem mit dem Plan zügig. Blinde Flecken. Generationen bestechlicher Gardisten hatten dies schon versucht. Offenbar hatte sein Name nicht mehr den einstigen Biss, dass man es wieder mit einem so plumpen Versuch wagte.
Jawohl Herr Hauptmann!
Doch als sich dieser sich salutierend bereits zum Gehen wendete:
Das ist ja seltsam... zahlt Kalil nicht mehr die Sonderspenden für seine zusätzliche Patrouille um die Reichsbank? So wird es sein, denn sonst hätte man diese nicht ausgelassen und würde riskieren, dass die Garde diesen lukrativen Zuschuss verlöre.
Auriel sprach in Gedanken wie zu sich selbst in augenscheinlich ernster Sorge. Den Hauptmann beachtete er nicht weiter.
Ich muss dringend mit dem guten Reberdan sprechen, er muss schon voller Sorge anlässlich der Mittel für die Garde sein. Wahrscheinlich hat er noch mehr graue Haare bekommen. Wenn dieses Sümmchen weggefallen ist, liegt er dem Schatzmeister bestimmt schon seit längerem in den Ohren und auch am Hof wird man sich bereits persönlich damit befasst haben. Das bedeutet Überstunden.
Überrascht blickte Auriel auf, als der Hauptmann ihn erneut ansprach. Auriel erkannte an seinem dezenten aber dennoch gequält wirkenden Windungen, dass dieser sich offenkundig in einer äußerst unangenehmen Zwickmühle befand, aus der er keinen offensichtlichen Ausweg sah. Und so blieb es, wie Auriel es vorausgesehen hatte. Es sei wohl ein Versehen gewesen und die neuen, korrigierten Dienstpläne würden in Kürze folgen. Nun ja, mittelfristig würde sich zeigen, wer von beiden besser vernetzt war. Bis dahin hatte Auriel noch freie Hand.

Zumindest er würde weiterhin Patrouillen in die blinden Flecke anführen. Nicht, weil er davon ausging, dass dort etwas großes vor sich ging. Sondern um mit Präsenz dafür zu sorgen, dass die kleinen nicht übermütig würden. Etwas wirklich großes hatte es in Britain lange nicht gegeben und so zog Auriel es vorerst gar nicht in Betracht.

Re: Im Schatten von Britain

Verfasst: 02 Jul 2025, 18:45
von Anna Sias
Ein Gespräch im Vorübergehen

Anna Sias betrat die kleine Taverne über der Bank – ein schmaler, etwas dunkler Raum mit wenigen Tischen und einem einfachen Tresen, der zu später Stunde kaum noch Gäste anzog. Sie war nur hier, um eine Nachricht abzuholen, die ihr ein Kontakt hier deponiert hatte. Nichts, was viel Zeit in Anspruch nehmen sollte.

Als sie gerade an den kleinen Holzschrank hinter dem Tresen trat, um das vereinbarte Pergament an sich zu nehmen, fielen ihr gedämpfte Stimmen auf. Zwei junge Gardisten saßen an einem der hinteren Tische – nicht weit entfernt, aber offenbar überzeugt, unbeobachtet zu sein.

„… hast du das mitbekommen? Auriel hat es bemerkt“, sagte der eine leise, während er sich über seinen Krug beugte.

„Was?“, fragte der andere träge und nippte an seinem Bier.

„Die Patrouille. Er hat gemerkt, dass der Abschnitt um die Bank nicht so gewissenhaft gelaufen ist, wie er sollte. Nicht immer, aber oft genug.“

„Ach, das war doch nur ein Versehen im Dienstplan, oder?“

„Das glaubt vielleicht der Hauptmann. Auriel nicht. Er hat’s genau beobachtet. Er hat sogar selbst angefangen, den Weg zu gehen. Einfach so. Nachts.“

Der zweite Gardist verzog das Gesicht. „Der nimmt’s aber auch immer genau.“

„Zu genau. Er wird wiederkommen. Und er wird nicht einfach drüber wegsehen.“


Anna ließ den Schrank langsam zufallen, als hätte sie das Gespräch gar nicht gehört. Doch in Gedanken schärfte sich bereits ein neuer Fokus.

Auriel. Er war niemand, den man unterschätzen durfte – und offenbar hatte er nicht nur die Lücke gesehen, sondern auch die Nachlässigkeit bemerkt.
Das war gefährlich. Aber auch nützlich, denn: Wer so aufmerksam ist, hinterlässt selbst Spuren.

Anna verließ die Taverne so ruhig, als wäre nichts gewesen. Aber in ihrem Inneren war die Entscheidung längst gefallen: Sie würde zwei Schritte voraus bleiben müssen.
Und sie wusste jetzt, dass Auriel bereits auf dem Weg war.

Die Patrouille

Verfasst: 02 Jul 2025, 19:25
von Auriel Toleno
Ernst Schritt Auriel die Reihe junger Gardisten ab. Entgegen dem, was diese vermuten mochten, arbeitete er am liebsten mit denen, die noch frisch, unverbraucht und voller Potenzial waren. Aus genau diesem Grund bevorzugte er auch den Rang des Feldwebels. Weniger Politik und mehr Beinarbeit als früher.
An jedem der Gardisten gab es etwas zu bemängeln. Das lag schlicht in der Natur der Sache. Die Erfahrung würde mir der Zeit kommen. Vor allem war es aber die richtige Einstellung, die er in die Köpfe drillte.
Fast wäre ihm ein Schmunzeln über die Lippen gekommen, als er unwillkürlich daran dachte, wie die Rollen vertauscht waren und er die Drills eines Barrack von Finsterrode oder Aladar Delorions empfing. Doch den Gedanken wischte er rasch wieder zur Seite als er den schweren Gleichschritt aus Richtung des Haupttores hörte. Es war Zeit zur Ablösung. Und so führte Auriel den Trupp junger Gardisten in ihren blank polieren Rüstungen an dem eintreffenden Trupp vorbei und in Richtung Weststadt, dem tiefen Abendrot entgegen.

Das Licht im dunklen

Verfasst: 03 Jul 2025, 12:12
von Vadan
Vadan öffnete die Tür zum Kontor - Den Haupteingang.

Es hatte gerade erst aufgehört zu regnen, die ersten Bürger Britains befanden sich wieder auf den Straßen. Die meisten hatten, genau so wie er, den Regenerguß in der Taverne verbracht, auf den ersten Sonnenschein und die letzten Regentropfen gewartet. Nun ging wieder jeder seinem Tagesgeschäft nach, es wimmelte nur so in den Straßen von Britain.

Er machte gar keine Anstalten, nicht aufzufallen. Denn genau so viel man am wenigsten auf. Und er ging in den Kontor des Syndikats, viele gehen dort täglich ein und aus. So auch er. Er wurde gerufen, und es war anzunehmen, dass es kaum einer weiß. Er ging hinein, schaute sich um, grüßte jeden und schaute kurze Zeit einigen Mitgliedern zu, wie sie eifrig einige Mixturen erstellten. Das Geschäft blühte.

Kurz darauf ging er weiter und traf Celdion und Shezar, die offenbar mit einigen Mitglieder etwas beredeten. Vadan stellte sich etwas abseits der Gruppe, hörte hin und wieder hin. Es waren Belanglosigkeiten.

Als alles geklärt war, jeder seinem Tagwerk nachging, blieben nur Celdion und Shezar dort. Sie deuteten Vadan mitzukommen. Es ging durch einige Gänge, Treppen herunter und um noch mehr Ecken - und irgendwann standen sie vor dem Schacht. Es war ein Geheimnis, niemand ausserhalb des Syndikats durfte davon wissen. Und auch Vadan hatte nur rudimentäre Kenntnisse, da er mit der ganzen Arbeit nichts zu tuen hatte. Bis jetzt...

Es war Tag, die Sonne stand hoch oben über Britain und die Arbeiten am Schacht ruhten. Vadan schaute hinab in den dunklen Schacht, kein noch so kleiner Strahl der Sonne war zu sehen. Es ging tief hinab ... in die Dunkelheit. Vadan erkannte das Problem sofort.

"Es ist dunkel"

Celdion nickte.

"Deshalb bist DU hier" sagte Celdion. "Wir dachten an Glyphen in den Trägerbalken. Genau so hell, wie sie sein müssen, nicht mehr. Kannst du das?"

Vadan nickte. Er stieg langsam in den Schacht und machte sich an die Arbeit. Bei dem Schwanken in den arkanen Strömen der letzten Zeit würde diese Aufgabe nicht auffallen, zumal er dort unten, soweit unter der Erde, eh nicht auffallen sollte.

Es dauerte eine Weile, da kam er wieder aus dem Schacht heraus. Es war getan. Weit war der Stollen noch nicht, es gab noch einiges zu tun. Er würde wiederkommen, täglich. Er war eh beinahe täglich im Kontor, ausfallen würde er also nicht. Nachts wird gegraben, tagsüber für Licht gesorgt.

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Re: Im Schatten von Britain

Verfasst: 03 Jul 2025, 19:26
von Shezar
Britain, tiefer unter dem Kontor

Der kalte Geruch feuchter Erde mischte sich mit dem harzigen Duft frischer Nadelholzbalken und dem metallischen Klang von Meißeln, die auf Stein trafen. Shezar stand auf dem hölzernen Querträger eines der letzten Ausbaurahmen, die an diesem Abend eingezogen worden waren, und ließ den Blick schweifen.

Der Tunnel war lebendig.

Ein stetiger Rhythmus durchzog das Erdreich – das leise Knarzen von Holz, das dumpfe Schaben von Schaufeln, das Murmeln vereinzelter Stimmen, gedämpft durch Tücher vor dem Mund. Männer und Frauen arbeiteten im flackernden Schimmer der Leuchtrunen, die in gleichmäßigen Abständen in die Tragbalken eingebrannt waren. Vadan hatte ganze Arbeit geleistet. Die Glyphen glommen nicht grell, sondern in einem weichen, gelblichen Schein – hell genug, um zu sehen, aber nicht so hell, dass sie blendeten. Rauchfrei. Sicher. Dauerhaft.

Shezar berührte eine der Runen flüchtig mit den Fingerspitzen. Warm. Stabil.

Sein Blick wanderte weiter über den Tunnel. Die Stützbalken saßen stramm, die Entwässerungsrinnen waren ausgekleidet, der Aushub wurde zügig in die bereitstehenden Leinensäcke verladen. Zwei Träger passierten ihn gerade, stumm, Rücken gekrümmt, Schweiß glänzte an den Schläfen. Auf einer Holztafel an der Wand war die zurückgelegte Strecke mit Kreide markiert worden – 1.180 Meter. Mehr als die Hälfte war geschafft. Der Durchbruch rückte näher, greifbar fast.

Doch der Fortschritt hatte seinen Preis. Müdigkeit stand den Arbeitern ins Gesicht geschrieben. Der Tunnel war feucht, schwer, die Luft stand still, trotz der improvisierten Lüftungsschächte mit ihren leise flatternden Segeln aus Leinen. Shezar wusste, dass jeder Meter härter wurde – das Gestein dichter, der Lärm riskanter.

Ein leises Rascheln ließ ihn sich umdrehen. Anna Sias stand im Licht einer Rune, das ihre Züge nur halb erhellte. Sie hatte ihm von dem Gardisten berichtet, einem gewissen Auriel, der offenbar begonnen hatte, sich in den blinden Winkeln Britains zu bewegen. Shezar hatte den Namen schon gehört – ein Relikt aus besseren Tagen, unbequem, zuverlässig, wachsam.

Jetzt also das. Wenn einer wie Auriel zu nah kam, musste gehandelt werden. Diskret. Klug. Nicht mit Gewalt. Er würde sich etwas überlegen.

Er schwieg einen Moment. Und sprach dann ruhig, fast tonlos:

„Die Transporte. Ab sofort nur noch maximal zu zweit und immer zeitlich versetzt. Nie dieselbe Route zweimal hintereinander. Und keine Säcke mehr, die wie Leichensäcke aussehen. Tücher. Körbe. Weinfässer, meinetwegen. Es muss… normal aussehen.“

Er sah zu Anna, dann zurück in den Tunnel. Die Schritte, die jetzt folgten, würden keine schnellen mehr sein.

Aber noch war Zeit.

Re: Im Schatten von Britain

Verfasst: 05 Jul 2025, 14:24
von Turgon
Ein Kapitel aus den Tiefen unter Britain

Der Regen hatte gerade erst aufgehört, als Turgon das Kontor des Blackrocksyndikats betrat. Lächelnd erinnerte er sich an das Gespräch mit Shezar und Celdion. Ein Tunnel, was für eine großartige Idee und wenn es gelang ein Meisterstück.

Er war kein Gelehrter wie Ulaf, dem er zunächst skeptisch gegenüberstand, aber nachdem er die Pläne gesehen hatte, beeindruckend fand, kein Zauberer wie Vadan, kein Planer wie Shezar. Er war ein Minenarbeiter und Schmied. Ein Mann mit breiten Schultern, schwieligen Händen und einer Spitzhacke.

Die Nachricht war klar gewesen:
„Du beginnst bei Neumond. Keine Fragen. Der Schacht unter dem Lager. Grab tief, grab ruhig. Keine Spuren.“
Das war vor Tagen gewesen. Er war beeindruckt wie schnell und unermüdlich alle arbeiteten.

Nun stand er abermals vor dem zugedeckten Eingang. Celdion wartete bereits, reichte ihm eine kleine Öllampe und einen Schluck aus einer kantigen Metallflasche. Der Schnaps brannte wie Feuer. Gut. So wusste man, dass man lebte.

Turgon sagte nichts. Stattdessen löste er die Abdeckung, kramte sein Werkzeug zurecht – Spitzhacke, Brecheisen, ein improvisiertes Hebegeschirr, zwei kurze Seile. Alles, was man braucht, um einen Tunnel ins Erdreich zu schlagen.

Er ging durch den Durchgang. Die Balken waren gesetzt, und Dank der Runen von Vadan war der Weg gut beleuchtet. Er sog den Duft von kalter Erde, frisch geschlagenem Holz ein und genoss den Klang von Spitzhaken die in die Erde fuhren oder auf Stein trafen. Er lief den Tunnel ab und schätzte das sie die Hälfte der 227 Meter geschafft hatten– circa 120 Meter durch Erde, Lehm und Stein.

Am Ende angekommen, hockte er sich in den dunklen Gang, hier waren noch keine Runen, und lauschte. Er war die Ablösung. Nun war er allein im Tunnel. Keine Schritte, kein Rufen, kein Echo. Nur das Pochen seines eigenen Herzens.

Dann setzte er die Axt an. Nicht schnell. Nicht wütend. Ruhig.
Wie man ein Lied anstimmt, das man sein Leben lang kennt.

Er wusste, dass sie gut vorankamen und das es für ihn mehr als nur Arbeit war– es war etwas, das größer war als er selbst. Kein Lohn konnte das aufwiegen, keine Worte erklären. Aber er fühlte es im Boden. Die Schicht war fest, durchzogen von feinen Wurzeln. Noch kein Lehm. Noch kein Wasser. Das war gut.

Er grub die erste Stunde allein. Dann zwei. Immer in der Dunkelheit, nur sein Atem, das Knirschen des Gesteins und das Kratzen von Eisen auf Erde begleiteten ihn. Alle zwei Meter sicherte er mit Bohlen, die ihm von hinten angereicht wurden. Immer exakt. Immer bedacht.

Nach sechs Stunden war der Schacht vier Meter länger. Der nächste Abschnitt stand. Alle waren zufrieden die Arbeit ging voran und die nächsten Meter getan.


Doch in dieser Nacht sprach niemand.
Turgon kam aus dem Schacht, schmutzig, müde, schweigend.
Celdion stand am Eingang reichte ihm einen Schnaps.
Er nahm den Schnaps, nickte Celdion zu – und verschwand.

Am nächsten Abend würde er wieder zu seiner Schicht kommen.
Und die Nacht darauf auch.