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Unter dem Sussurbaum – Begierde in Ketten

Verfasst: 29 Jun 2025, 11:38
von gelöschter Charakter_779
Der Traum begann mit Licht. Weiches, fahles Licht, das durch das wogende Geäst eines alten Sussurbaum fiel – einer Art Weide, deren silberne Blätter wie Tropfen aus Schatten herabrieselten. Unter ihr, eingebettet in weichen Moosgrund, hing eine kunstvoll geflochtene Schaukel, geschwärztes Holz mit dunklem Seidenband umwunden. Auf ihr saß Lyr’sa, ein Traum in tiefblauem Samt, das Kleid auf eine Weise geschneidert, wie sie es sich in Wirklichkeit nie leisten könnte. Ihre Haare waren offen, glänzten wie frisch poliertes Mondstein, und eine kaum merkliche Röte lag auf ihren Wangen.

Sie schaukelte sanft. Vor ihr – ein Bild aus Lyr’sas innerstem Sehnen: Tath’raen, wie er mit nacktem Oberkörper im Halbdunkel des Hains stand, nur mit einer locker gebundenen schwarzen Hose bekleidet. Sein Blick entschlossen, sein Griff fest, als er mit einer großen Axt Holz spaltete. Jeder Schlag wurde begleitet von einem Knacken, das Lyr’sa als rhythmische Musik empfand – wie der Trommelschlag ihres Herzens.

„Oh… Nau…“, hauchte sie verträumt, während Tath’raen sich zu ihr umdrehte, die Axt lässig über der Schulter.

„So allein auf dieser Schaukel, Lyr’sa?“, fragte er, und seine Stimme war tief, samtig, mit einem leichten Akzent, der nichts mit Tath’raens realer Sprechweise zu tun hatte.
„Ich… ich genieße nur die Ruhe…“, flüsterte sie errötend, obwohl sie sicher war, dass ihr Kleid deutlich zu tief ausgeschnitten war für irgendeine Form von Unschuld.

Er trat näher, schob mit einer einzigen Bewegung ein paar Haarsträhnen aus ihrem Gesicht, berührte dabei sacht ihre Wange – wie zufällig. Sie drehte den Kopf leicht weg, sah ihn aber trotzdem von der Seite an. Er roch nach Holzkohle, Leder und irgendeinem imaginären Duft, den ihre Träume für männliche Drow reservierten.

„Du willst davonlaufen?“
„N-nau… also vielleicht… ein bisschen?“
Er griff sanft nach ihrer Taille, hob sie mühelos von der Schaukel, und ehe sie etwas sagen konnte, war sie in seinen Armen. Sie zappelte – halbherzig –, trat ihn leicht gegen die Brust. „Neh… neh neh neh neh neh!“, machte sie aufgeregt, wie ein zerkochender Pilz.

Er lachte. Tief. Warm. Und beugte sich vor, Lippen beinahe auf ihren.

„Eh… eh eh eh eh eh!“, quiekte Lyr’sa, als der Moment der Wahrheit näherkam.


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Mit einem leisen Ruck schreckte sie hoch – die Decke halb vom Körper gerutscht, ein Arm wirr ausgestreckt, während ihre Lippen japsend die letzten Silben von „eh eh eh eh“ formten. Der Raum war still.

Fast.

Denn an der linken Wand saß Tath’raen auf seinem Feldbett, ein Bein über das andere geschlagen, ein Buch in der Hand. Er sah nicht genervt aus. Nur… verwundert. Und irgendwie – was noch schlimmer war – belustigt.

„...schlechte Träume?“, fragte er ruhig und legte den Kopf schief.

Lyr’sa starrte ihn an. Starrte. Dann fiel ihr Blick auf ihre eigene Decke, ihre Finger, ihre zerzausten Haare – und schließlich wieder zu Tath’raen.

„...ich muss... äh... mein... mein Hammer...“, murmelte sie, sprang mit einem Satz auf, stolperte über ihre eigenen Füße, riss beinahe das Nachtlicht um und rannte – glühend wie ein unterirdischer Vulkan – aus dem Zimmer.

Nur aus der Ferne hörte man noch:
„Oh nau nau nau nau...“

Und ganz leise, in Tath’raens Stimme, ein:
„‘Neh neh neh neh’...?“


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