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Vom Flüstern der Apokalypse

Verfasst: 02 Jul 2025, 14:47
von gelöschter Charakter_779
Der Saal lag in gespenstischem Halbdunkel. Nur die violetten Flammen der Wandfackeln warfen scharfe Schatten auf das schwarze Gestein und die kunstvoll eingravierten Reliefs, die Szenen von Schmerz, Triumph und göttlicher Unterwerfung zeigten. Jhea'kryna saß auf ihrem mit obsidianverzierten Thron, das Artefakt – geschaffen von Alniira und von ihrer Magie aktiviert– ruhte in einer Schale aus blutrotem Seidenstoff zu ihren Füßen. Es vibrierte schwach, als ob es hungerte.

Die Ilharess hatte es bereits gespürt: Die Kraft des Artefakts ließ sich nicht durch stumpfes Ritual oder Opferung aufladen. Es gierte nach Emotion – reiner, roher, kollektiver Furcht. Der Geschmack der Masse. Keine kultivierte Angst, sondern jene archaische, die Menschen zu Herden und Herden zu Panik treibt.

Sie hatte drei Pläne ersonnen.
Der erste: Eine öffentliche Hinrichtung eines falschen Propheten mit verzerrten magischen Effekten.
Der zweite: Das Verbreiten gefälschter Orakeltexte durch die Paladine selbst.
Der dritte: Ein Angriff auf ein oberirdisches Dorf – mit Überlebenden.
Alle... unrein. Ungenügend. Zu banal. Nichts dauerhaftes...

Sie benötigte mehr Energien. Nein. Sie brauchte Weltuntergang. Keine Tat. Ein Glauben daran. Und dieser sollte in feuchten Flüstern durch Trinsic, Minoc und Britain gar selbst kriechen wie Myzel unter der Erde.

Sie lächelte. „Weltuntergangspropheten...“ murmelte sie, beinahe liebevoll. „Dumm, vernarbt, glühend – aber so leicht zu formen.“

Sie hob eine knochige Hand. Die Schatten bewegten sich.
„Holt mir... Lyr’sa.“



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Die Tür öffnete sich zischend. Lyr’sa wurde hineingeführt, zwischen zwei stillen Wächtern. Ihre Haut glänzte bläulich im Fackellicht, das Haar wie gefrorene Seide über Schultern und Rücken fallend. Die Schürze war fleckig vom Schmieden. Der Werkzeuggürtel klirrte bei jedem Schritt.

„Oh nau...“, murmelte sie kaum hörbar, die Augen nervös flackernd, als sie die Präsenz der Ilharess spürte.

Jhea’kryna rührte sich nicht. Ihre Stimme war kalt wie das erste Eis an einem frühen Wintermorgen:
„Komm näher, Lyr’sa.“

Lyr’sa trat zögernd vor. Sie wollte sprechen, aber der Blick der Ilharess war wie eine Nadel, die Gedanken aufspießt, bevor sie geformt werden konnten.

„Ich brauche Propheten.“
Ein Blinzeln. „Du... brauchst... was?“

Jhea neigte leicht den Kopf.
„Fanatische Menschen, die an das Ende der Welt glauben. Nicht morgen. Heute. Ich will, dass sie rufen, brüllen, schreiben, beten. Dass sie tränenblind durch die Städte der Menschen taumeln und ihre Furcht auf andere übertragen.“
Sie erhob sich, langsam, jede Bewegung von majestätischer Schwere.
„Bediene dich des Syndikats. Ihre Händler, ihre Flüsterer, ihre Fälscher. Du wirst sie für mich... überzeugen. Sie werden wissen wo diese zu finden sind, in den Tavernen, in den Hinterhöfen, in den Kirchen Ihrer Götter. Dort wo Hoffnung fault und Angst Wurzeln schlägt-“

Lyr’sa riss die Augen auf. „Aber ich— ich hab— ich kenn da niemanden! Und die mögen mich eh nicht! Ich bin keine... keine Verhandlerin!“

Jhea trat heran. Ihre Fingerspitzen berührten kurz das Kinn der Schmiedin – kalt, präzise.
„Du wirst sie überzeugen. Weil du keine Wahl hast. Weil du sonst morgen im Zentrum dieses Glaubens stehst, mit brennenden Augen und geweihtem Feuer unter der Zunge.“
Ein Lächeln. Süß. Furchtbar.
„Oder willst du die Erste sein, die an das Ende glaubt?“

Lyr’sa schluckte hart. Ihre Stimme war ein Krächzen. „Nau... Ich... ich geh ja schon.“




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Bezugnehmen auf die Geschichtne :

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Elashinn, tiefe Stunde der Schatten

Verfasst: 02 Jul 2025, 15:09
von gelöschter Charakter_779
Lyr’sa verließ den Thronsaal mit wackligen Knien und einem Herzen, das gegen ihre Rippen hämmerte wie ein eingesperrter Dämon. Die Worte der Ilharess klebten an ihr wie schwarzer Teer: „Du wirst sie überzeugen.“
Ein Befehl, kein Wunsch. Und unter der Drohung, selbst zum Werkzeug gemacht zu werden.

„Ich hab doch keine Ahnung vom... Überzeugen!“, murmelte sie. „Ich kann Erz überzeugen. Feuer. Schmiedehämmer.“
Sie fluchte, leise, zitternd: „Oh nau...“

Es gab nur eine, die mit dem Syndikat zu tun gehabt haben könnte. Alniira. Die Viper der Ilharess. Die hatte immer ihre eigenen Wege und... Kontakte.

Alniiras Quartier lag ruhig. Zu ruhig.
Die Tür war nicht abgeschlossen. Kein gutes Zeichen. Wer zu Jhea’krynas engeren Kreis gehörte, verließ sich nicht auf Schlösser – sondern auf Angst.

Lyr’sa schloss die Tür leise. Tastete sich durch das Halbdunkel. Der Raum war penibel aufgeräumt, geradezu verdächtig. Zu ordentlich für jemanden mit dreckigen Geheimnissen.
Doch sie wusste, wo sie zu suchen hatte.

Der Wandspiegel.
Zierlich. Silberrand. Irreführend. Lyr’sa tastete dahinter, fand einen Spalt – ein kleines Scharnier. Mit einem sanften Ruck ließ sich ein Fach öffnen. Dahinter: ein zusammengefaltetes Pergament, versiegelt mit einer unscheinbaren, aber fremdartigen Wachssignatur – kein Hauszeichen. Eher... ein Netz.

Vorsichtig entrollte sie das Pergament.
Ein grober Stadtplan von Britain.
Ein Kringel über dem Platz bei der Bank.
Ein Buchstabe in einer fremden Handschrift eingeritzt:

Lyr’sa starrte lange auf den Buchstaben.
Er sah majestätisch aus... geradezu poetisch in der Einfachkeit, und auch gefährlich. Und definitiv wie etwas, das Alniira aufbewahren würde. Vielleicht ein Codewort. Vielleicht ein Treffpunkt.

Wenig später, in ihrem eigenen Zimmer. Tath'raen war gerade nicht anwesend. Wieder irgendwo unterwegs Wanren quälen oder auf das Quartier der Ilharess aufpassen.
Tagelang hatte er von Seidenpantoffel gestöhnt - sie hatte seine Abscheu nicht ganz verstanden.
Lyr’sa stand vor einem Kleiderhaken und musterte den alten Reisekapuzenumhang, den sie seit Jahren nicht mehr getragen hatte. Staubig. Verwaschen. Unauffällig.

„Oh nau...“, hauchte sie. „Was tu ich hier eigentlich…“
Dann zog sie sich die Kapuze tief ins Gesicht, schnallte sich einen Dolch an den Gürtel, steckte das Pergament ein und verließ Elashinn durch einen Seitenstollen, der zu einem verborgenen Pfad zur Oberfläche führte.

Ihr Ziel: Britain.

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Zwischen Stahl und Schatten

Verfasst: 03 Jul 2025, 22:42
von gelöschter Charakter_779
Die Werkstatt war in Dunkelheit getaucht, nur ein flackerndes Glimmen der Esse erhellte die Umrisse des Raums. Lyr’sa war allein – dachte sie. Sie hatte sich gerade über ein paar alte Metallformen gebeugt, als sie das Kratzen von Schritten hörte. Zu leicht für Tath'raen. Zu schwer für eine Dienerin. Sie spürte es, bevor sie die Stimme hörte.

„Du bist nervös, Lyr’sa.“
Alniira stand im Türrahmen, ihr Blick spöttisch wie eh und je, das Haar sorgfältig geflochten, die Lippen leicht geschürzt.
„Reist du etwa heimlich ab? Oder... triffst du dich wieder mit deinem menschlichen Freund?“

Lyr’sa zuckte zusammen. Ihre Schultern spannten sich, ihre Hände ballten sich um das Werkzeug, das sie gerade hielt.
„Was soll das heißen? Ich hab keinen Freund. Vor allem keinen Menschen!“

„Oh, bitte.“ Alniira trat langsam in den Raum. „Du wirst rot, wenn man dich anschaut. Du bist fahrig. Und du sprichst mit ihnen – mit den Waldelfen, mit diesen Rittern... Glaub nicht, dass niemand das bemerkt hat.“

„Lüg’ nicht!“ Lyr’sas Stimme überschlug sich. „Ich... ich rede vielleicht, aber ich hab niemanden! Und ich bin nicht... ich bin noch nie...“ Sie brach ab, biss sich auf die Lippe.

Doch es war zu spät.

Xurina hatte in der Tür gestanden.

„Noch nie?“ Die Stimme der Schwester war schneidend.
Lyr’sa fuhr herum. Xurinas Blick war enttäuscht, eisig.
„Du belügst dich selbst und dein Haus. Das ist schlimmer als Schwäche.“
Sie trat vor, hob das Kinn der jüngeren Schwester mit zwei Fingern.
„Unberührt, ja? Wie ich es dir beigebracht habe?“

„Ja!“, krächzte Lyr’sa. „Ich schwöre es! Ich hatte niemanden, ich hab nie—“

Der Tritt kam ohne Vorwarnung.
Mit voller Wucht traf er Lyr’sa in die Brust, schleuderte sie gegen das Werkzeugregal. Eisen fiel krachend zu Boden, Funken stoben. Sie japste nach Luft, rutschte an der Wand hinunter.

„Du enttäuschst mich, Lyr’sa. Du warst ein schwacher Schatten, aber wenigstens ehrlich. Ich habe mich getäuscht.“

Lyr’sa hielt sich die Brust, spürte, wie ihr Atem zitterte. Ihre Rippen schmerzten.
„Ich hab nicht gelogen… es war Alniira… sie lügt… sie will mich nur demütigen.“

Xurina blickte zu Alniira, die schweigend dastand, einen Schatten auf den Lippen.
„Normalerweise…“, sagte Xurina leise, „klärt man so etwas mit Klingen.“

Lyr’sas Blick zuckte zwischen beiden hin und her. Ihre Finger tasteten an den Gürtel – und fanden den Dolch. Sie zog ihn.

„Fehler“, hauchte Alniira.

Dann ging alles sehr schnell.
Lyr’sa stieß sich ab, stürmte auf Alniira zu – ein wilder, verzweifelter Stoß.
Alniira wich zur Seite, fing den Arm ab, verdrehte ihn mit einem Knacken. Der Dolch fiel klirrend zu Boden.

Lyr’sa schrie auf, wurde an den Hals gepackt, hochgehoben und gegen den Pfeiler geschmettert. Ihr Hinterkopf krachte gegen das kalte Gestein, Sterne tanzten vor ihren Augen.

Dann sah sie sie: Die Krallen.
Schwarz, gekrümmt, ausfahrend aus Alniiras Fingerspitzen wie aus einem Alptraum.

„Was… was bist du…“ flüsterte Lyr’sa.

Alniira knurrte. Kein Laut wie Sie ihn je zuvor gehört hatte. Es war tief. Bestialisch.
Dann regneten die Schläge.

Ein Haken traf ihre Wange – sie spürte das Platzen unter der Haut, sah Blut an der Wand.
Ein Fauststoß in den Magen – ihr wurde übel, sie krümmte sich.
Ein Krallenschlag quer über die Stirn – nicht tief, aber brennend.

Sie versuchte sich zu ducken, zu entkommen, aber sie konnte kaum noch sehen.
Blut rann aus ihrer Nase. Ihre Lippe war aufgeplatzt. Sie schmeckte Eisen.
Ein Auge war zugeschwollen. Alles pochte. Alles war dumpf.
Sie rutschte zu Boden, versuchte zu sprechen, doch es kam nur ein Gurgeln.
Dann hörte es auf.

Alniira stand keuchend über ihr, die Krallen noch ausgefahren.
Ihre Brust hob und senkte sich. In ihren Augen war etwas Wildes.
Und dann... wandte sie sich ab.
Ohne ein Wort rannte sie aus dem Raum.

Xurina stand reglos da, ihre Hand um den Knauf ihres Säbels, den sie nie gezogen hatte.
Ein Nicken. Ein Urteil.

Lyr’sa blieb liegen. Krümmte sich. Spuckte Blut.
Ihre Nase pochte und Blut strömte heraus wie bei einem Wasserfall.
Sie roch sich selbst – das Kupfer ihres Blutes, den Schweiß, den Ruß.
Sie hasste diesen Geruch.
Sie hasste ihre Schwäche.
Sie hasste alles.

Die Schmerzen. Den Staub auf dem Boden. Den Geruch von Blut und altem Eisen in ihrer Nase.
Die Blicke. Die Erwartungen. Die Enttäuschung, die sie in jedem Spiegel sah, den sie nicht mehr anschauen konnte.

„Oh nau…“, murmelte sie, die Stimme kaum mehr als ein rauer Hauch.
Sie wollte weinen.
Aber es tat zu weh.
Und sie würde ihrer Schwester diese Genugtuung nicht geben.

Xurina trat einen Schritt näher, blickte auf sie herab wie auf etwas, das sich unter ihrer Stiefelsohle regte.
Ihre Stimme war leise, aber scharf wie Glas.
„Ich habe dich einmal vorgeführt. Eine Jabbress, die sich nicht zu verstecken brauchte. Eine Kriegerin mit Rückgrat. Eine von uns.“

Lyr’sa hob den Blick nicht. Sie sah nur verschwommen.
Ein Pochen hinter der Stirn, das jeden Gedanken zerschlug.

Xurinas Stimme wurde kälter.
„Was bist du jetzt? Eine winselnde, schwache Lügnerin. Ein hässlicher Fleck auf dem Namen Teb’inyon und Ky'Alur. Du hast uns zur Schande gemacht, Schwester. Wir sollten dich Lloth opfern, doch auch sie würde dich nicht wollen.“

Doch Lyr’sa hörte es kaum.
In ihrem Kopf war sie längst nicht mehr hier.

Sie sah den Turm. Die Schatten. Den Vampir.
Ancanagar.
Diese kalte Präsenz, diese süße, hasserfüllte Gefahr.
Die Worte, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließen.
Seit diesem Tag war die Angst geblieben.
Wie eine zweite Haut.
Wie ein Schleier über ihren Gedanken.

Sie hörte Xurina weiter sprechen – Worte, Silben, Dolche – aber sie kamen nicht mehr bei ihr an.
Nur Bruchstücke.
„Feigling.“
„Schande.“
„...besser, du wärst nie geboren worden.“

Dann brach der letzte Rest inneren Schutzes zusammen.

Der Schlag kam ohne Ankündigung.
Eine Faust, präzise, hart – direkt in die Magengrube.
Lyr’sa japste. Krümmte sich.
Knie – Boden – Aufprall.

In diesem einen, brutalen Augenblick zerbarst etwas in ihr.
Nicht nur die Luft wich aus ihrer Lunge, sondern auch der letzte Rest eines kindlichen Glaubens – dass ihre Ehrlichkeit zählen würde, dass Xurina sie vielleicht noch als Schwester sah, dass Worte etwas bedeuteten. Der Schmerz war nur der Bote einer tieferen Wahrheit: Niemand würde sie schützen. Nicht Blut. Nicht Wahrheit. Nicht Demut. Sie war allein. Und alles, was sie nicht selbst mit Zähnen und Nägeln verteidigte, würde ihr genommen werden.

Sie hörte ein gurgelndes Geräusch, noch ehe sie spürte, wie sich ihr Magen umstülpte.
Erbrochenes tropfte aus ihrem Mundwinkel, heiß und bitter.
Sie lag darin, japsend, zitternd, wie ein Insekt im Ölfilm.
Ihre Hände krallten sich in den Stein, suchten Halt, fanden nur Demütigung.

Xurina sah sie verächtlich an.
Dann, mit einem Lächeln, das alles in Lyr’sa zerschneiden sollte, sagte sie:

„Wenn du diesen Auftrag vermasselst, Schwester – dann brauchst du nicht mehr zurückzukehren. Ich werde dafür sorgen, dass man dich aus deinem eigenen Metall schmilzt.“

Und dann ging sie.
Stille.

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Lyr’sa wusste nicht, wie lange sie dort lag.
Der Schmerz war real. Aber seltsam fern.
Ihr rechtes Auge war fast ganz zugeschwollen. Die Lippe pochte mit jedem Herzschlag. Ihre Nase war eine Quelle dumpfen Brennens.

Sie roch Erbrochenes. Sie roch nach Erbrochenem
Nein - sie war Erbrochenes.
Ein Klumpen Angst und Versagen auf kaltem Stein.

Ein Teil in ihr wollte liegen bleiben.
Einfach… nicht mehr aufstehen.

Sie war jämmerlich. Schwach.
Eine Handwerkerin, keine Kriegerin. Eine Angsthäsin in einem Nest aus Messern.
„Sieh dich an...“, flüsterte etwas in ihr. „So enden solche wie du.“

Dann kam der Gedanke.
Der einzige, der sie bewegte:

Wenn du den Auftrag vermasselst...
...dann wird nicht Xurina dich töten.
Die Ilharess würde dich entkernen.
Langsam.
Zeremoniell.
Als Lehrstück für andere.
Opfern auf dem Altar...? Nein Schlimmer - Sie würde zur Drider gemacht werden, und ihre Tage in den tiefen Tunneln fristen, lauernd, sich nach Fleisch verzehrend. Nährend von allem was ihr in die Netze kam.

Das hier, murmelte sie innerlich, während sie zitternd einen Arm unter sich schob, ist nichts.
„Das... ist nichts.“

Aber etwas anderes, etwas Kleines und Bitteres, begann in ihr zu kochen.
Nicht Mut. Noch nicht.
Trotz.
„Wenn sie mich schon hassen... dann sollen sie wenigstens sehen, wie weit ich gehe, nur um zu überleben.“

Sie wischte sich das Gesicht ab – grob, wütend, gleichgültig. Schmierblut und Galle an den Fingern.
Sie stand auf. Keuchend. Krumm.
Sie packte ihre Sachen.
Den Dolch – den, den man ihr entrissen hatte – fand sie später unter dem Regal.
Sie wickelte ihn in Stoff. Keine Spuren.

Schnell am Zuber gewaschen.
Dann zog sie ihren alten Reisemantel über, ein weiter, zerschlissener Kaftan mit hoher Kapuze.
Sie band ihr Haar fest. Ließ sich Zeit.
Verband die Wange provisorisch.
Richtete sich auf.

Einatmen.
Der Schmerz kam mit der Luft.
Ausatmen.
Doch er ging nie ganz.

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Britain.

Die Stadt war größer, als sie es sich vorgestellt hatte. Und lauter.
Menschen, überall Menschen.
Rufe, Schreie, klirrende Karrenräder auf Kopfsteinpflaster.
Es stank nach Pferd, nach Rauch, nach Bier und Armut.
Und jeder Blick schien zu viel.
Jede Gasse eine Falle.
Jeder Mensch ein Feind.

Sie blieb in den Schatten. Immer.
Tagsüber hielt sie sich in verlassenen Kellern oder vergessenen Lagerhäusern verborgen.
Nachts schlich sie weiter – Schritt für Schritt, Gasse für Gasse.
Einmal hatte sie sich vor ihrem eigenen Schatten erschrocken.
Ein andermal vor einem streunenden Hund.
Und jedes Mal, wenn ein Wachmann oder ein Träger in Rüstung an ihr vorbeiging, zog sich ihr Magen zusammen.
Ein falscher Schritt – ein falsches Wort – und sie würde sterben.
Ohne Prozess. Ohne Fragen. Ohne Gnade.

Sie zog ihre Kapuze noch tiefer. Ihre Wange pochte.
Die Lippen waren rissig, geschwollen. Das Auge geschwollen.
So sieht Schwäche aus, dachte sie. So riecht sie. So lebt sie. So stirbt sie.

Und dann stand sie da.

Vor dem Hauptquartier des Blackrock-Syndikats.

Ein unscheinbares Gebäude, eingeklemmt zwischen der Bank von Britain und einem großen, grauen Lagerhaus.
Aber Lyr’sa konnte es spüren – die Präsenz hinter diesen Mauern. Die Bewegung hinter den Fenstern.
Hier war Macht. Schmierig. Verfilzt. Und gefährlich.
Hier gab es keine Gnade – aber vielleicht... Hilfe.

Und das war alles, was sie noch brauchte.

Sie stand nur einen Steinwurf von der Hauptstraße entfernt.
Paladine zogen vorbei.
Magier mit goldbestickten Roben.
Ein Elf mit einem Falken auf der Schulter.
Alle könnten sie töten. Nein - Alle würden sie töten, wenn sie nur den Schleier ihres Gesichts lüften würden.

Ein Windstoß blies durch die Gasse. Ihre Haare wehten hervor.
Sie presste sie zurück unter den Stoff. Dann hob sie zögernd die Hand.

Die Finger zitterten.
Einmal tief einatmen.
Die Rippen taten weh.
Der Magen rebellierte.
Das Herz klopfte wie Metall gegen Metall.

Dann klopfte sie an.
Drei Mal.
Trocken. Leise.
Aber mit Bestimmung.

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Bild

Re: Vom Flüstern der Apokalypse

Verfasst: 08 Jul 2025, 18:47
von gelöschter Charakter_503
Spät am Abend lag das Kontor still im dämmrigen Schein der Wandkerzen. Der Tag war längst vergangen, draußen schlief die Stadt – oder tat zumindest so. Nur das sanfte Kratzen einer Schreibfeder unterbrach die Stille in Shezars Büro.

Er saß an seinem schweren Tisch aus dunklem Eichenholz, die Finger um einen Kelch gelegt, in dem das Rot des Weines träge glänzte. Vor ihm lagen Karten, Listen, alte Notizen. Ein Stapel Berichte wartete darauf, gelesen zu werden, doch Shezars Blick haftete seit Minuten an einem einzigen Namen in einem alten Dokument.

Ein leises, bestimmtes Klopfen riss ihn aus der Versenkung.

„Herein.“

Celdion trat ein. Keine Eile, aber sein Blick war wachsam – und sein Schritt hatte dieses angedeutete Zögern, das nichts Gutes bedeutete.

„Jemand hat etwas abgegeben“, sagte er knapp. In der Hand hielt er ein Buch. Dunkel, abgegriffen, unbeschriftet. Keine Schleife, kein Brief, kein Absender.

Shezar sah kurz auf, dann stand er langsam auf und nahm es Celdion ab.

„Wer?“

„Eine Frau. Kapuze tief, Gesicht kaum sichtbar. Kam allein, hat nur wenig gesprochen. Hat es mir gegeben, als wäre es ihr letzter Besitz.“

Shezar ließ den Daumen über den Einband gleiten. Leder. Alt. Unauffällig. Und genau deshalb auffällig.

Shezar öffnete das Buch – vorsichtig, Seite für Seite, mit geübtem Blick. Erst war nichts zu sehen. Leere Seiten. Doch dann, zwischen zwei Lagen Pergament, flackerte es plötzlich auf: feine Linien, wie eingeritzte Schatten.

Er beugte sich tiefer.

Die Schrift war nicht geschrieben. Sie war eingebrannt.

Shezars Miene blieb regungslos, aber sein Blick wurde schärfer. Er las.

Shezar las jeden Satz zweimal, manchmal dreimal. Sein Blick wurde schärfer, kälter, als er den wahren Gehalt der Worte erfasste.

Celdion wartete und sagte nichts.

Shezar schloss das Buch mit einem dumpfen Ton und warf es in das Feuer des Kamins.

„Wir haben Arbeit.“