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Düsterhafen - Leere Augen in Fisch und Mensch [Lacrima - Akt I]

Verfasst: 27 Jul 2025, 16:26
von Beobachter
Nebel, dick und zäh, waberte durch den Hafen Düsterhafens an diesem Morgen. Er heftete sich an die Kleider, doch die wenigen Menschen, die zu dieser Zeit auf den Straßen waren, hatten keine Zeit diese Feinheiten wahrzunehmen. Kleine Tropfen taten sich zusammen zu einem echten Regenschauer und spülte den Nebel hinfort. Die Menschen hier waren es gewohnt nass zu werden und somit suchte auch niemand Schutz. Einzig die Jacken wurden enger gezogen.

Garm wartete auf den neuen Bootsmann, um endlich auslaufen zu können und den Fang des Tages zu machen. Er war ihm von einem anderen Fischer empfohlen worden, aber er kaum aus Britain und was von dort kam, war schon immer fragwürdig. Es war noch etwas Zeit, aber dieser Kerl hätte ja auch früher auftauchen könnten, dachte er sich und kontrollierte das letzte Netz im Bestand auf Löcher.
Eine Gestalt tauche in seinem Rücken auf, hochgewachsen, augenscheinlich muskulös. Die Haut war wettergegerbt. „Wie ist euer Name noch gleich“, fragte Gram mit seiner sonoren Stimme und wandte sich dem Hünen zu. Dieser entgegnete nur mit einem mürrischen „Nennt mich Ishmael.“

Kurz darauf legten sie ab und dies sollten neben einigen gebellten Befehlen die einzigen Worte sein, die auf dem Boot gesprochen wurden. Garm brauchte immer eine Weile, bis er an neue Menschen gewöhnt hatte und Ishmael ging es wohl ähnlich. Vielleicht war er auch nur schweigsam und das war gewiss nichts schlechtes. Nicht nur einmal hatte er darüber nachgedacht den geschwätzigen Lutrog über die Planke gehen zu lassen. Gut, dass er eines Tages einfach verschwand. Eine weitere Geschichte über die Warze in seinem Nacken hätte er nicht ertragen.
Sie kehrten mit einem prall gefüllten Netz zurück. Micael würde staunen, wenn er die Menge an Fisch sah und ihm einen guten Erlös zahlen. Vielleicht würde er vom Markt sogar ein gutes Stück Fleisch kaufen. Seine Frau und die Kinder würden sich freuen. Er öffnete die Tür zu Micaels und Kekona’s Laden:
„Hejda, ich bin…zurück. Zückt euren Geldbeutel ihr knauserigen Zechpreller!“ Seine Stiefel hinterließen nasse Spuren auf dem alten Holzboden, der knarrte und ächzte, wie einst der alte Morticah, wenn er vom Stuhl aufstand. Eine göttergleiche Aufgabe für den alten Kerl. Er hatte ihn schon lang nicht mehr gesehen und vermisste ihn schmerzlich.
Wo waren denn nun diese alten Knauserer?

Er stromerte durch den kleinen Laden und im Hinterzimmer fand er sie endlich, aber nicht so, wie er es sich gedacht hatte.
Die beiden saßen an dem kleinen Tisch wie so häufig, einen Becher Tee vor sich. Der Tee war bereits kalt und so waren auch ihre Augen, kalt und leblos, wie bei den Fischen, die er an Land gezogen hatte. Die Körper waren noch warm und fühlten sich lebendig an. Sie reagierten nicht auf Ansprache und sie atmeten nicht, sondern wirkten wie Puppen in einer bizarren Teestunde. Feine Spuren von etwas wie Magie waberten unbesehen durch den Raum stetig verblassend. Eine irrationale Angst ergriff Gram und er stürzte hinaus. Die anderen Fischer und Bootsleute kamen herbei und keiner konnte sich erklären, was sich dort zugetragen hatte.
Eine Heilerin wurde hinzugerufen, doch auch diese konnte sich über den Zustand der Beiden keinen Reim machen. Dies überstieg deutlich ihre Kompetenzen. Sie setzte ein Schreiben an die Stadtverwaltung zu Händen von Argelis de Bar auf, da Garm ohnehin nicht schreiben konnte:

An die Stadtverwaltung z.Hd. Argelis de Bar,

in meiner Rolle als eine der Heilerinnen der Stadt möchte ich euch über folgende Vorgänge in Kenntnis setzen: Am Hafen zu Düsterhafen sind zwei leblose Personen aufgefunden worden. Sie sind in einem seltsamen Zustand, auf den ich mir keinen Reim machen kann. Es finden sich keine äußerlichen Spuren, die auf einen Mord oder ähnliches hinweisen. Auch waren sie nicht hohen Alters oder erkrankt. Es handelt sich im Micael und Kekona, welche geschätzte Angehörige des Standes der Fischer und Bootsleute sind oder waren. Dies wäre vermutlich noch kein Schreiben an Eure vielbeschäftigte Person wert gewesen, jedoch habe ich Kunde von ähnlichen Fällen etwas außerhalb der Stadtmauern erhalten. Diese Fälle übersteigen jedoch mein Können und das der anderen Heiler, wenn hier überhaupt die Fähigkeiten meines Standes gefragt sind.
Wenn es zu Eurem Wohlgefallen ist, bitte ich entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Ich bin meiner Pflicht zum Bericht hiermit nachgekommen.

Ergebenst,

Carlotta Severin