von Kaimond Devenor » 05 Aug 2025, 09:51
Dunkelschritt…erneut…wieder und wieder.
Kaimond hatte sich damit abgefunden, dass es so war, wie es war. Er starb immer und immer wieder und das war sein Schicksal. Es gab nichts außerhalb dieses Todes, keine anderen Personen oder Gesichter, sondern nur ihn selbst und die verhüllte Hand des Todes, die scheinbar eine diabolische Freude daran hatte ihn zu erdolchen, zu strangulieren, zu zerteilen, zu zerschmettern, zu verätzen, zu erschießen, zu zerquetschen, zu vergiften oder zu erhängen. Vielleicht gingen dem Tod eines Tages die Methoden des Mordens aus? Etwas waberte durch seine Kehle nach oben, ein Lachen, heiser und rau, wie das eines Verdurstenden. So musste es Menschen gehen, die kurz vor der Schwelle des Todes standen. Sie blickten hinab in das Nichts oder in die Arme des Herrn zurückzukehren und warteten, dass etwas endet. Nicht etwas, sondern das Leben. Er wartete nun eben darauf, dass der Tod endete. Eine absurde Vorstellung, jedoch war es so und es gab nichts, was dies ändern würde.
Akzeptanz.
Die Zeit hatte er vollkommen aus den Augen verloren, nein vielmehr aus dem Gefühl. Es konnten Tage oder Jahre sein, die er in diesem Strudel verbrachte. Es war aber auch einerlei. Seine Zeitrechnung war nunmehr die in Toden. Der letzte davon, das Erhängen, war so eindrücklich, dass ihm allein der Gedanke daran noch immer die Kehle zuschnürte. Es war auch weniger ein Erhängen, als vielmehr ein Ersticken. Schlinge und Knoten hatten nicht einen Bruch seines Genicks verursacht, sondern die Luft langsam aber sicher aus seinen Lungen gedrückt, bis nichts mehr da war. In diesem Moment wurden seine Gedanken leicht. Die ersten Tode waren bereits verblasst in seinen Erinnerungen. Es waren jedoch bis jetzt einhundert und ein zusätzlicher Tod.
Eins…Einsamkeit. Sie war eine weitere Lanze, die sich in seine Seite bohrte und ein schweres Gefühl in ihm weckte. Ein Gefühl, das sich rasch ausbreitete und ihn wellenartig gegen eine imaginäre Wand drückte und sein Herz beschwerte.
Trauer.
Es brauchte eine Weile bis die Trauerbrandung abebbte.
Warum ich?
Diese Frage war zentral aber gleichermaßen belanglos. Er versuchte zu eruieren, welche Sünden er begangen hatte, die dieses Schicksal rechtfertigten. Er haderte mit dem Tod, versuchte mit ihm zu verhandeln, aber bedauerlicherweise war hier niemand mit dem er hätte verhandeln können. So bliebt ihm nichts anderes übrig als sich an seinen Glauben zu wenden und auf eine Antwort zu hoffen, die jedoch wie üblich ausbliebt. Er bemühte sich ein Gebet anzuheben, jedoch verharrte er, als die Finger versuchten Male zu zeichnen. Er hatte bereits verstanden, dass eine Berührung seines Glaubens im Gebete die Dunkelschritte zuweilen auslöste.
Verhandeln.
Er grub die Finger in den staubigen Sand, der aus unerfindlichem Grund ganz und gar kalt war. Er hatte das Bedürfnis dem Tod eine Schelle zu geben, ihm ins Gesicht zu schlagen, wenn er denn eins hätte. Vielleicht war der Tod aber auch eine Frau…? Vermutlich wären Frauen nicht derart grausam, doch der Gedanke an Shenia ließ ihn sich rasch eines Besseren belehren. Die Wut brannte heiß in ihm und er wollte ein wenig von dieser Aggression weitergeben, die Energie übertragen, etwas zum Schwingen bringen bis es barst. Er dachte kurz darüber nach sich selbst zu schlagen, die Faust in sein Gesicht zu schleudern, doch auch das erschien ihm zu belanglos angesichts der sicherlich bald nahenden weiteren Tode.
„Lasst mich frei ihr vermaledeiten Folterknechte!?“ flirrte es harsch durch die Wüste und der geneigte Beobachter fragte sich wohl mit wem er da sprach, denn wie zu Beginn dieser Reise, war er allein. Viel mehr Worte flirrten durch seinen Geist, Worte, die den besten Kesselflicker sicherlich hätten erröten lassen und die noch niemals jemand ihn hatte aussprechen hören.
Zorn.
Auf den Zorn folgte eine lange Phase der Stille, die dazu genutzt wurde, die Wut langsam herunterkochen zu lassen. Sein Herz schlug nun weit weniger schnell. Er lehnte sich an eine palmenartige Pflanze und schloss kurz die Augen. Seine Aufmerksamkeit konnte durch nichts gebunden werden, denn hier war nichts. Vielleicht war all dies nur ein schlechter Traum, ein Possenspiel seines Unterbewusstseins. Er musste unweigerlich lachen als er sich vorstellte, wie Ahmed ihn mit väterlichem Blick auslachen würde, wenn er ihm von seinen Träumen erzählte. Er würde all dies als Unsinn abtun, sicherlich, nicht wahr? Seine Augen richteten sich auf die Sonnenscheibe, die ihn unwirsch blendete und hob eine Hand für ein wenig Schutz vor dem gleißenden Licht. Nur ein Traum, sicherlich. Ein Traum, sonst nichts. Er sollte nichts von all dem glauben, sich nur kneifen, dann würde er aufwachen.
Verleugnung.
Er kniff sich selbst just unter dem linken Schlüsselbein und übte Druck auf sein Brustbein aus, aber alles blieb beim Alten. Es war eine reine Enttäuschung, doch diese Enttäuschung war auch unvermeidlich. Handfläche an Handfläche, ein Senken des Kopfes, Fingerspitzen von Zeige- und Mittelfingern fuhren über Lippen, Nase, zwischen den Augen entlang, streifen die Brauen. Die Worte tropften leise hervor, wie einst vom guten Morticah Brings gehört:
(1) Sünden gewandet in bittre Qualen,
Zweifel im Herzen vor düstren Wogen
Grimmer Finger Strich wird eisig vollzogen,
Elimnels Wille wird gleißend erstrahlen.
(2) Herzen steigt auf, wischt Zweifel hinfort,
Glamaels Melodie als Stärkung erhört,
der Glaube als Note des steten Akkord‘s,
das Schild der Düsternis wird klingend zerstört.
(3) Seelen bleibt stark im Nebel der Versuchung
folgt dem Impuls, seid Kind der Berufung,
Augen öffnet euch unter Goraths Wacht,
Die Wahrheit in euch, wird gleißend entfacht.
(4) Das Schaffen als Funke des Seins in der Nacht,
Alathors Hammer auf Amboss in all seiner Pracht
Geschmiedet der Glaube als Schwert erdacht,
Die simmernde Glut in euch, strahlend erwacht.
(5) Kinder Aridhels geleiten den Pfad,
der Tod ist nur Halt, nicht Ende unverzagt,
die Träne im Mitgefühl, schmal ist der Grat,
die Seelen der Toten liebevoll beklagt.
(6) Bang ist das Herz in Zeiten der Not
Der Herold bringt Kunde in seinem Namen
Visaels Worte dienen als leitend Gebot
Zuversicht in euch, als keimender Samen.
(7) Wo aller gut Worte traurig fahren gelassen
Isidors Schwert lässt die Feinde erblassen
Das Schild als eherne Stirn gleich einem Wall
Der Klingentanz eures Seins, in Glorie erschall.
(8) Manhelas Lichts, das Gebet auf euren Zungen,
Euer Innerwille als Docht, dem Widerstand entsprungen
Dieser Ort ist Sein, von den Schatten entrungen,
der Glaube in euch, tief euch durchdrungen.
(9) Der Täuschung Tosen als Wind der sticht,
Selbstvertrauen im Geiste die Lüge feist ficht,
Ubiraths Erkenntnis, sich gespiegelt bricht,
Dies ist der Mantel eures Glaubens Gewicht.
(10) Seraphim…
Die letzten Worte wurden abgeschnitten, denn dort war das Gefühl wieder, dieses Mal sehr spät, so als wäre etwas abgelenkt worden.
Dunkelschritt…
Fürwahr führte ihn dieser Schritt ins Dunkel, jedoch nicht nur dorthin. Kaimond war in etwas getaucht, das ihm vertraut vorkam, kalt und dennoch… vertraut. Er wollte etwas sagen, doch dieses Etwas drängte sich in seinen Mund, flüssig und kühl: Wasser, das rasch ausgespuckt wurde. Dort war noch etwas, an seinen Gliedern, ein Gewicht, nein zwei, die an zweierlei Ketten gebunden waren, die ihn zweifach beschwert in die Tiefe zogen. Ertrinken, dies war neu. Von willkommen konnte hier nicht die Rede sein. Die Luft anzuhalten war ein Reflex, ein Reflex des Lebens. Allerdings es war ihm zunehmend unklar, inwieweit derartige Notwendigkeiten sinnvoll waren. Sein Körper sträubte sich jedoch, diesem Gedanken nachzugeben und den Mund erneut zu öffnen.
Es würde nicht mehr lange dauern, dann wäre es vorbei. Er würde Panik spüren, Todesangst gar. Dies war auch nicht einfach abzustellen, obgleich er vermutlich bereits ein Meister des Sterbens geworden war. Dünne Lippen begannen zu zittern, dann stiegen erste Luftblasen auf und ein erster, zunächst kleiner Schwall des Wassers drang in seinen Mund, salzig und Luft raubend. Die Augen wurden aufgerissen und seine Lungen begannen zu schmerzen, feurig brennend. Luft, Luft, Luft…drang es durch den Geist. Um nichts anders drehten sich seine Gedanken als die Panik endlich einsetzte. Er versuchte eine Schwimmbewegung, jedoch waren die Gewichte zu schwer.
Die Sphären wimmerten kurz auf, als an anderer Stelle ein feiner Faden genommen wurde. Stich, Stich, Stich - und dieser Faden wurde durch den Stoff gestoßen. Dann wurde ein weiterer Faden zur Hand genommen und beide wurden an den Enden miteinander verwoben. Es wurde an den Enden gezogen um die Verbindung kritisch zu prüfen. Sie würde für eine Weile Bestand haben.
Seine Augen wurden schwer und träge, während mit jedem Atemzug der Sauerstoff verbraucht wurde. Sie wurden langsamer, obwohl sein Körper ihn anschrie schneller zu atmen. Plötzlich knirschten die Spiegelscherben auf, laut und unmissverständlich. Etwas band die trübe Aufmerksamkeit. Ein Gesicht drückte sich durch das Wasser, als würde es trotz der Tiefe von außen kommen, ganz so, als halte man den Kopf in ein mit Wasser gefülltes Fass. Blasse Züge mit braunen Haaren, dunkel gar und Augen, die für ihn so tief wie das Meer selbst waren in dem er sich befand und deren graue Iriden Traurigkeit emittierten, in ihm gar ein starkes Gefühl auslösten. Er kannte dieses Gefühl, hatte es häufig in seinem Leben gespürt: Mitleid. Er kniff die Augen zusammen und erkannte, dass feine Eissplitter das fahle Gesicht umgaben und bisweilen mit diesem verschmolzen waren. Plötzlich veränderte das Gesicht seinen Ausdruck. Es war ein Lächeln, das kurz die Züge der Frau erhellte, jedoch schnell von der Traurigkeit, vielleicht gar Bedauern, eingefangen wurde, die diesem Lächeln eine besondere Farbe gaben. Erneut veränderte sich etwas im Bild ihres Antlitzes, wie kurze schnelle Pinselstriche, die einen neuen Ausdruck auf ihr Gesicht malten. Die Spiegelscherben fauchten abermals auf wie ein bissiges, gläsernes Raubtier. Eine Erkenntnis begann im Hinterkopf ihre Wanderung durch seinen Geist, stolperte bis sie von dort schließlich in sein Herz rutschte. Stirbt sie? Es sah so aus, aber auch wieder nicht. Nicht so, wie Menschen im Alter sterben, sondern vielmehr so, wie Menschen auf dem Schlachtfeld sterben. Rasch und unnachgiebig war der Tod. Ob er wohl auch so ausgesehen haben mochte in den unzähligen Iterationen des Todes? Dann begann das Bild langsam aber sicher zu verblassen.
Kaimond streckte sich, hielt die Hand aus um das Gesicht zu berühren. Nicht mehr allein. Dies war neu. Nicht mehr allein! Bitte! Nicht! Geht nicht! Wer seid ihr? Wer bist du? All diese Worte glitten durch seinen Geist und Kaimond schalt sich selbst, weil er so egoistisch war, die Einsamkeit verlassen zu wollen, obgleich es dieser Frau augenscheinlich nicht wohl erging. Er war so töricht, den Mund zu öffnen, um sie zu rufen, doch dies hatte nur den unvermeidlichen Effekt, dass mehr und mehr Wasser in seinen Mund drang. Ein Teil davon konnte geschluckt werden, aber ein anderer glitt in die Luftröhre und tiefer hinab in seine Lungen, die sogleich rebellierten.
Wieder wurde an den Enden der Fäden gezogen und der Zug übertrug sich auf Kaimonds Körper. Er wurde nicht nur aus dem Wasser, sondern aus allem herauskatapultiert. Ein Surren, wie von einer flitzenden Schnur dröhnte in seinem Schädel. Dies war nicht der übliche Dunkelschritt, an den er bereits gewöhnt war. Dies war anders.
War dies nun das Ende? Es fühlte sich nicht so an.
Dunkelschritt…erneut…wieder und wieder.
Kaimond hatte sich damit abgefunden, dass es so war, wie es war. Er starb immer und immer wieder und das war sein Schicksal. Es gab nichts außerhalb dieses Todes, keine anderen Personen oder Gesichter, sondern nur ihn selbst und die verhüllte Hand des Todes, die scheinbar eine diabolische Freude daran hatte ihn zu erdolchen, zu strangulieren, zu zerteilen, zu zerschmettern, zu verätzen, zu erschießen, zu zerquetschen, zu vergiften oder zu erhängen. Vielleicht gingen dem Tod eines Tages die Methoden des Mordens aus? Etwas waberte durch seine Kehle nach oben, ein Lachen, heiser und rau, wie das eines Verdurstenden. So musste es Menschen gehen, die kurz vor der Schwelle des Todes standen. Sie blickten hinab in das Nichts oder in die Arme des Herrn zurückzukehren und warteten, dass etwas endet. Nicht etwas, sondern das Leben. Er wartete nun eben darauf, dass der Tod endete. Eine absurde Vorstellung, jedoch war es so und es gab nichts, was dies ändern würde.
Akzeptanz.
Die Zeit hatte er vollkommen aus den Augen verloren, nein vielmehr aus dem Gefühl. Es konnten Tage oder Jahre sein, die er in diesem Strudel verbrachte. Es war aber auch einerlei. Seine Zeitrechnung war nunmehr die in Toden. Der letzte davon, das Erhängen, war so eindrücklich, dass ihm allein der Gedanke daran noch immer die Kehle zuschnürte. Es war auch weniger ein Erhängen, als vielmehr ein Ersticken. Schlinge und Knoten hatten nicht einen Bruch seines Genicks verursacht, sondern die Luft langsam aber sicher aus seinen Lungen gedrückt, bis nichts mehr da war. In diesem Moment wurden seine Gedanken leicht. Die ersten Tode waren bereits verblasst in seinen Erinnerungen. Es waren jedoch bis jetzt einhundert und ein zusätzlicher Tod.
Eins…Einsamkeit. Sie war eine weitere Lanze, die sich in seine Seite bohrte und ein schweres Gefühl in ihm weckte. Ein Gefühl, das sich rasch ausbreitete und ihn wellenartig gegen eine imaginäre Wand drückte und sein Herz beschwerte.
Trauer.
Es brauchte eine Weile bis die Trauerbrandung abebbte.
Warum ich?
Diese Frage war zentral aber gleichermaßen belanglos. Er versuchte zu eruieren, welche Sünden er begangen hatte, die dieses Schicksal rechtfertigten. Er haderte mit dem Tod, versuchte mit ihm zu verhandeln, aber bedauerlicherweise war hier niemand mit dem er hätte verhandeln können. So bliebt ihm nichts anderes übrig als sich an seinen Glauben zu wenden und auf eine Antwort zu hoffen, die jedoch wie üblich ausbliebt. Er bemühte sich ein Gebet anzuheben, jedoch verharrte er, als die Finger versuchten Male zu zeichnen. Er hatte bereits verstanden, dass eine Berührung seines Glaubens im Gebete die Dunkelschritte zuweilen auslöste.
Verhandeln.
Er grub die Finger in den staubigen Sand, der aus unerfindlichem Grund ganz und gar kalt war. Er hatte das Bedürfnis dem Tod eine Schelle zu geben, ihm ins Gesicht zu schlagen, wenn er denn eins hätte. Vielleicht war der Tod aber auch eine Frau…? Vermutlich wären Frauen nicht derart grausam, doch der Gedanke an Shenia ließ ihn sich rasch eines Besseren belehren. Die Wut brannte heiß in ihm und er wollte ein wenig von dieser Aggression weitergeben, die Energie übertragen, etwas zum Schwingen bringen bis es barst. Er dachte kurz darüber nach sich selbst zu schlagen, die Faust in sein Gesicht zu schleudern, doch auch das erschien ihm zu belanglos angesichts der sicherlich bald nahenden weiteren Tode.
„Lasst mich frei ihr vermaledeiten Folterknechte!?“ flirrte es harsch durch die Wüste und der geneigte Beobachter fragte sich wohl mit wem er da sprach, denn wie zu Beginn dieser Reise, war er allein. Viel mehr Worte flirrten durch seinen Geist, Worte, die den besten Kesselflicker sicherlich hätten erröten lassen und die noch niemals jemand ihn hatte aussprechen hören.
Zorn.
Auf den Zorn folgte eine lange Phase der Stille, die dazu genutzt wurde, die Wut langsam herunterkochen zu lassen. Sein Herz schlug nun weit weniger schnell. Er lehnte sich an eine palmenartige Pflanze und schloss kurz die Augen. Seine Aufmerksamkeit konnte durch nichts gebunden werden, denn hier war nichts. Vielleicht war all dies nur ein schlechter Traum, ein Possenspiel seines Unterbewusstseins. Er musste unweigerlich lachen als er sich vorstellte, wie Ahmed ihn mit väterlichem Blick auslachen würde, wenn er ihm von seinen Träumen erzählte. Er würde all dies als Unsinn abtun, sicherlich, nicht wahr? Seine Augen richteten sich auf die Sonnenscheibe, die ihn unwirsch blendete und hob eine Hand für ein wenig Schutz vor dem gleißenden Licht. Nur ein Traum, sicherlich. Ein Traum, sonst nichts. Er sollte nichts von all dem glauben, sich nur kneifen, dann würde er aufwachen.
Verleugnung.
Er kniff sich selbst just unter dem linken Schlüsselbein und übte Druck auf sein Brustbein aus, aber alles blieb beim Alten. Es war eine reine Enttäuschung, doch diese Enttäuschung war auch unvermeidlich. Handfläche an Handfläche, ein Senken des Kopfes, Fingerspitzen von Zeige- und Mittelfingern fuhren über Lippen, Nase, zwischen den Augen entlang, streifen die Brauen. Die Worte tropften leise hervor, wie einst vom guten Morticah Brings gehört:
[quote](1) Sünden gewandet in bittre Qualen,
Zweifel im Herzen vor düstren Wogen
Grimmer Finger Strich wird eisig vollzogen,
Elimnels Wille wird gleißend erstrahlen.
(2) Herzen steigt auf, wischt Zweifel hinfort,
Glamaels Melodie als Stärkung erhört,
der Glaube als Note des steten Akkord‘s,
das Schild der Düsternis wird klingend zerstört.
(3) Seelen bleibt stark im Nebel der Versuchung
folgt dem Impuls, seid Kind der Berufung,
Augen öffnet euch unter Goraths Wacht,
Die Wahrheit in euch, wird gleißend entfacht.
(4) Das Schaffen als Funke des Seins in der Nacht,
Alathors Hammer auf Amboss in all seiner Pracht
Geschmiedet der Glaube als Schwert erdacht,
Die simmernde Glut in euch, strahlend erwacht.
(5) Kinder Aridhels geleiten den Pfad,
der Tod ist nur Halt, nicht Ende unverzagt,
die Träne im Mitgefühl, schmal ist der Grat,
die Seelen der Toten liebevoll beklagt.
(6) Bang ist das Herz in Zeiten der Not
Der Herold bringt Kunde in seinem Namen
Visaels Worte dienen als leitend Gebot
Zuversicht in euch, als keimender Samen.
(7) Wo aller gut Worte traurig fahren gelassen
Isidors Schwert lässt die Feinde erblassen
Das Schild als eherne Stirn gleich einem Wall
Der Klingentanz eures Seins, in Glorie erschall.
(8) Manhelas Lichts, das Gebet auf euren Zungen,
Euer Innerwille als Docht, dem Widerstand entsprungen
Dieser Ort ist Sein, von den Schatten entrungen,
der Glaube in euch, tief euch durchdrungen.
(9) Der Täuschung Tosen als Wind der sticht,
Selbstvertrauen im Geiste die Lüge feist ficht,
Ubiraths Erkenntnis, sich gespiegelt bricht,
Dies ist der Mantel eures Glaubens Gewicht.
(10) Seraphim…[/quote]
Die letzten Worte wurden abgeschnitten, denn dort war das Gefühl wieder, dieses Mal sehr spät, so als wäre etwas abgelenkt worden.
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Dunkelschritt…
Fürwahr führte ihn dieser Schritt ins Dunkel, jedoch nicht nur dorthin. Kaimond war in etwas getaucht, das ihm vertraut vorkam, kalt und dennoch… vertraut. Er wollte etwas sagen, doch dieses Etwas drängte sich in seinen Mund, flüssig und kühl: Wasser, das rasch ausgespuckt wurde. Dort war noch etwas, an seinen Gliedern, ein Gewicht, nein zwei, die an zweierlei Ketten gebunden waren, die ihn zweifach beschwert in die Tiefe zogen. Ertrinken, dies war neu. Von willkommen konnte hier nicht die Rede sein. Die Luft anzuhalten war ein Reflex, ein Reflex des Lebens. Allerdings es war ihm zunehmend unklar, inwieweit derartige Notwendigkeiten sinnvoll waren. Sein Körper sträubte sich jedoch, diesem Gedanken nachzugeben und den Mund erneut zu öffnen.
Es würde nicht mehr lange dauern, dann wäre es vorbei. Er würde Panik spüren, Todesangst gar. Dies war auch nicht einfach abzustellen, obgleich er vermutlich bereits ein Meister des Sterbens geworden war. Dünne Lippen begannen zu zittern, dann stiegen erste Luftblasen auf und ein erster, zunächst kleiner Schwall des Wassers drang in seinen Mund, salzig und Luft raubend. Die Augen wurden aufgerissen und seine Lungen begannen zu schmerzen, feurig brennend. Luft, Luft, Luft…drang es durch den Geist. Um nichts anders drehten sich seine Gedanken als die Panik endlich einsetzte. Er versuchte eine Schwimmbewegung, jedoch waren die Gewichte zu schwer.
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Die Sphären wimmerten kurz auf, als an anderer Stelle ein feiner Faden genommen wurde. Stich, Stich, Stich - und dieser Faden wurde durch den Stoff gestoßen. Dann wurde ein weiterer Faden zur Hand genommen und beide wurden an den Enden miteinander verwoben. Es wurde an den Enden gezogen um die Verbindung kritisch zu prüfen. Sie würde für eine Weile Bestand haben.
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Seine Augen wurden schwer und träge, während mit jedem Atemzug der Sauerstoff verbraucht wurde. Sie wurden langsamer, obwohl sein Körper ihn anschrie schneller zu atmen. Plötzlich knirschten die Spiegelscherben auf, laut und unmissverständlich. Etwas band die trübe Aufmerksamkeit. Ein Gesicht drückte sich durch das Wasser, als würde es trotz der Tiefe von außen kommen, ganz so, als halte man den Kopf in ein mit Wasser gefülltes Fass. Blasse Züge mit braunen Haaren, dunkel gar und Augen, die für ihn so tief wie das Meer selbst waren in dem er sich befand und deren graue Iriden Traurigkeit emittierten, in ihm gar ein starkes Gefühl auslösten. Er kannte dieses Gefühl, hatte es häufig in seinem Leben gespürt: Mitleid. Er kniff die Augen zusammen und erkannte, dass feine Eissplitter das fahle Gesicht umgaben und bisweilen mit diesem verschmolzen waren. Plötzlich veränderte das Gesicht seinen Ausdruck. Es war ein Lächeln, das kurz die Züge der Frau erhellte, jedoch schnell von der Traurigkeit, vielleicht gar Bedauern, eingefangen wurde, die diesem Lächeln eine besondere Farbe gaben. Erneut veränderte sich etwas im Bild ihres Antlitzes, wie kurze schnelle Pinselstriche, die einen neuen Ausdruck auf ihr Gesicht malten. Die Spiegelscherben fauchten abermals auf wie ein bissiges, gläsernes Raubtier. Eine Erkenntnis begann im Hinterkopf ihre Wanderung durch seinen Geist, stolperte bis sie von dort schließlich in sein Herz rutschte. Stirbt sie? Es sah so aus, aber auch wieder nicht. Nicht so, wie Menschen im Alter sterben, sondern vielmehr so, wie Menschen auf dem Schlachtfeld sterben. Rasch und unnachgiebig war der Tod. Ob er wohl auch so ausgesehen haben mochte in den unzähligen Iterationen des Todes? Dann begann das Bild langsam aber sicher zu verblassen.
Kaimond streckte sich, hielt die Hand aus um das Gesicht zu berühren. Nicht mehr allein. Dies war neu. Nicht mehr allein! Bitte! Nicht! Geht nicht! Wer seid ihr? Wer bist du? All diese Worte glitten durch seinen Geist und Kaimond schalt sich selbst, weil er so egoistisch war, die Einsamkeit verlassen zu wollen, obgleich es dieser Frau augenscheinlich nicht wohl erging. Er war so töricht, den Mund zu öffnen, um sie zu rufen, doch dies hatte nur den unvermeidlichen Effekt, dass mehr und mehr Wasser in seinen Mund drang. Ein Teil davon konnte geschluckt werden, aber ein anderer glitt in die Luftröhre und tiefer hinab in seine Lungen, die sogleich rebellierten.
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Wieder wurde an den Enden der Fäden gezogen und der Zug übertrug sich auf Kaimonds Körper. Er wurde nicht nur aus dem Wasser, sondern aus allem herauskatapultiert. Ein Surren, wie von einer flitzenden Schnur dröhnte in seinem Schädel. Dies war nicht der übliche Dunkelschritt, an den er bereits gewöhnt war. Dies war anders.
War dies nun das Ende? Es fühlte sich nicht so an.