von Alniira Vrammyr » 29 Jun 2025, 06:58
Ein Schatten in der Flasche: Kapitel 1 Der Angriff
Der Wald atmete. Ein feuchter, erdiger Atem, der nach Moder und unergründlichen Geheimnissen roch. Alniiras Hände, vom Zittern der vergangenen Stunden befreit, umklammerten fest den Griff ihres Dolches. Die Klinge, ein schwarzer Schatten in der umgebenden Schwärze, war nun nicht länger ein bloßer Trost, sondern ein verlängerter Wille. Das Heulen war verstummt, das Lachen verklungen. Was blieb, war die Gewissheit. Die Entdeckung der „Störungen“ im Laub – des umgeknickten Farns, des verdichteten Mooses, der präzisen Kerbe im Baumstamm – hatte den Wahnsinn nicht gebannt, aber ihn in eine greifbare Form gebracht. Sie war nicht verrückt geworden. Etwas war da. Etwas, das Spuren hinterließ, auch wenn es sich selbst zu verbergen wusste.
„Es ist da“, hallte Alniiras Geist, ein kalter Triumph mischte sich in ihren Adrenalinpegel. „Ich bin nicht allein. Die Angst war keine Hirngespinst, sondern eine Vorwarnung. Die Aufgabe, diese Spur zu verfolgen, gibt meinem Willen neue Nahrung. Sie lenkt mich ab von der allumfassenden Kälte, die nach meiner Seele griff. Die Unwissenheit ist das wahre Gift, nicht die bloße Gefahr. Und ich werde es nicht zulassen, dass die Furcht meine Sinne trübt. Ich werde dieses Ding finden. Ich werde es entlarven.“
Ein Schritt nach dem anderen glitt Alniira durch das dichte Unterholz. Ihr Blick, obwohl an die Oberfläche angepasst, suchte nicht nach dem Offensichtlichen. Er scannte den Waldboden nach den kleinsten Abweichungen, den subtilsten Brüchen in der natürlichen Ordnung. Ein leicht verschobener Stein, ein kaum sichtbarer Kratzer an einer Wurzel, ein Grashalm, der unnatürlich geknickt war. Sie folgte einer Fährte aus Nicht-Existenz, einer Spur, die so vergänglich war wie ein Traum im Morgengrauen.
Doch die Jagd war zermürbend. Die Spuren schienen sich aufzulösen, ehe sie sie fassen konnte. Ein umgeknickter Farn führte zu einem Bereich von unberührtem Moos. Ein verdichtetes Laubfeld endete abrupt vor einem scheinbar undurchdringlichen Dickicht. Der Wald selbst schien sich gegen sie zu wenden, seine Pfade verschwanden und formten sich neu, nur um sie in die Irre zu führen. Das Gefühl der Beobachtung kehrte zurück, verstärkt durch die ergebnislose Suche. Es war ein lauernder Blick, der sie von allen Seiten zu umgarnen schien, ein unsichtbarer Kreis, der sich um sie schloss.
„Es ist nutzlos“, knurrte Alniira innerlich, die Verzweiflung klammerte sich wie eine Eisklammer um ihr Herz. „Die Fährte ist ein Trugbild. Sie führt ins Nichts. Dieses Ding spielt mit mir. Es weiß, dass ich es jage, und es verspottet meine Bemühungen. Die Kälte des Waldes ist nur ein Spiegelbild meiner eigenen Hilflosigkeit, die sich in mir ausbreitet. Ich bin blind. Mein Wille ist stark, aber was nützt ein Wille ohne Erkenntnis? Ich kann nicht fassen, was sich mir entzieht. Ich kann nicht kontrollieren, was ich nicht definieren kann. Die Natur selbst ist hier ein Feind, der mich in den Wahnsinn treibt.“
Die Geräusche des Waldes mutierten. Das ferne Zirpen der Grillen klang nun wie ein leises, hämisches Kichern, das aus den Tiefen der Bäume zu kommen schien. Das Rascheln von Blättern verwandelte sich in das Flüstern unhörbarer Worte, die ihren Namen riefen, ihn ins Unendliche verzerrten, ihre eigene Sprache in ein makabres Echo verwandelten. Jeder Schatten schien sich zu verdichten, jede Ansammlung von Bäumen nahm groteske Formen an, drohten, sie zu verschlingen. Die Luft wurde dünner, schwer, wie von einer unsichtbaren Last erdrückt. Der Bergkamm der Britain Mine, der sich in der Ferne abzeichnete, war keine Beruhigung mehr; er war ein schallender Verstärker des Grauens, das Heulen, das von seinen Wänden zurückprallte, war nun ein vielstimmiger Chor des Entsetzens.
Plötzlich, ohne Vorwarnung, durchbrach etwas die Schwärze der Nacht mit der Wucht einer Explosion. Kein gewöhnlicher Schall, sondern eine physische Erschütterung der Luft selbst. Aus der undurchdringlichen Finsternis stürmte etwas auf sie zu, eine Masse aus Fell, zu schnell, zu gewaltig, um es auch nur im Ansatz zu beschreiben. Es war ein Bruchteil eines Bruchteils eines Bruchteils eines Momentes, ein dunkler Blitz, der ihre Wahrnehmung überforderte. Sie sah nur eine verschwommene Masse aus unförmigen Schatten und Haaren, die sich mit unmenschlicher Geschwindigkeit näherte.
Das Ding traf sie mit einer urtümlichen, unbegreiflichen Kraft, die sie von den Füßen riss. Ihr Körper wurde von der Wucht des Aufpralls durch die Luft geschleudert, landete hart im feuchten, kalten Moos. Ein Schmerz, schärfer als jede Klinge, durchzuckte sie, doch ihr Verstand reagierte instinktiv, noch bevor ihr Körper die volle Wucht des Aufpralls registrierte. Ihr Dolch, dessen Klinge so schwarz war wie die Nacht selbst, schnellte nach vorne, direkt in die Dunkelheit, eine Mauer der Verteidigung, die sich vor ihr aufbaute. Es war eine Geste, so lächerlich in ihrer scheinbaren Sinnlosigkeit, um ein solches Monstrum zu bedrohen, doch in ihrer Absolutheit spiegelte sich all ihre Entschlossenheit wider, sich mit jedem Atom ihres Willens zu verteidigen. Ihre Augen, weit aufgerissen, starrten in das Nichts über ihr, bereit, den nächsten Angriff zu empfangen.
Aus der Schwärze der Nacht, jener undurchdringlichen Decke, die selbst ihre Drow-Augen in die Irre führte, löste sich eine Gestalt. Sie war zu schnell für die menschliche Wahrnehmung, aber Alniiras geschärfte Sinne, die in den ewigen Schatten des Unterreichs geschult worden waren, erfassten ihre Form: ein Wolf. Gigantisch, mit Fell, das die Dunkelheit selbst zu absorbieren schien, und Augen, die in der Finsternis wie glühende Kohlen brannten.
Es war kein Angriff, wie Alniira ihn kannte. Kein Kampf um Leben und Tod, bei dem der Gegner sich offen zeigte. Es war ein
Spiel. Ein grausames, berechnendes Spiel, bei dem sie die Beute war, und das Tier ihr Jäger, der seine Überlegenheit genoss. Der Wolf stürmte aus dem Nichts, ein Schatten auf Schatten, traf sie mit seinem gewaltigen Körper – kein Biss, keine Krallen, nur die reine, schockierende
Wucht einer Kollision – und verschwand im selben Augenblick wieder, als hätte er nie existiert. Alniira spürte den feuchten Moosboden unter sich, den kalten Atem des Tieres, der sie streifte. Dann war nur noch die Stille.
„Ein Test“, knurrte Alniira innerlich, ihre Zähne knirschten. „Er testet mich. Er testet meine Entschlossenheit, meine Furcht. Er will nicht nur meinen Körper besiegen; er will meinen Geist brechen. Das ist kein Wolf, der nach Beute sucht. Das ist ein Jäger, der nach Erkenntnis strebt. Er will sehen, wie ich auf die Ohnmacht reagiere, auf die Unfähigkeit, seinen Angriff zu erwidern. Er ist wie die Ungewissheit im Wald, die sich nun materialisiert hat, um mich zu verspotten.“
Wieder kam der Wolf. Ein tiefes Knurren, das aus dem Nichts zu kommen schien, direkt neben ihrem Ohr. Dann ein Stoß, hart, präzise, in ihre Seite, der ihr den Atem raubte. Sie rollte, ihr Körper schmerzte, doch sie sah nichts. Das Tier war schon wieder verschwunden, ein Geist in der Finsternis. Alniira zuckte mit dem Dolch ins Leere, ihre Klinge schnitt nur die kalte Luft. Der Wolf spielte mit ihr, wie ein Kater mit einer Maus, die er gefangen hatte, aber noch nicht töten wollte.
„Ich muss mich erheben“, flüsterte Alniiras Geist, ein roher, unnachgiebiger Wille durchfuhr sie. „Ich bin keine Beute. Ich bin eine Drow. Ich bin eine Schöpferin. Ich bin mehr als diese primitive Kreatur. Ich werde mich nicht dem Boden unterwerfen. Ich werde nicht in dieser Dunkelheit verharren und auf den nächsten Schlag warten.“
Mit letzter Kraft, ihre Muskeln zitterten, doch ihr Wille peitschte sie voran, stemmte Alniira sich hoch. Jeder Zentimeter war ein Kampf, eine Demütigung. Sie taumelte, ihre Augen suchten die Schwärze nach einer festen Form, einem Punkt, auf den sie ihren Widerstand richten konnte. Ihre linke Hand drückte auf ihre Rippen, ein dumpfer Schmerz, der ihr erst jetzt, da der Schock nachließ, bewusst wurde. Doch sie stand. Schwankend, zitternd, aber sie stand.
Der Sieg währte nur einen Wimpernschlag. Bevor sie ihre Haltung festigen konnte, bevor ihr Dolch wieder eine effektive Abwehr bilden konnte, durchbrach das Ding erneut die Dunkelheit. Diesmal war der Angriff nicht nur ein Stoß, sondern eine
Lawine aus Fell und roher Gewalt, die sie aus dem Gleichgewicht riss. Sie wurde mit einer Wucht getroffen, die ihr das Gefühl gab, als würde ihr Körper in seine Einzelteile zerfallen. Die Welt drehte sich. Die Bäume verschwammen zu dunklen Schlieren. Ihr Kopf schlug hart auf. Sie landete wieder im feuchten Moos, ein leiser, ungewollter Laut entwich ihren Lippen.
Diesmal jedoch verschwand der Wolf nicht.
Alniira lag auf dem Rücken, ihr Atem rasselnd, der Geschmack von Erde und Blut in ihrem Mund. Ihre Augen, die einst in der Finsternis sehen konnten, waren hier nutzlos, gefangen in einer absoluten Schwärze, die jede Form verschluckte. Sie versuchte, ihren Dolch zu finden, ihre Hand tastete ins Leere. Verzweifelt suchte sie den Griff, den kalten Stahl, die letzte Verteidigung, die sie besaß. Doch ihre Finger fanden nichts als feuchtes Laub und weiches Moos. Der Dolch. Er musste ihr bei dem letzten Aufprall entglitten sein, irgendwo in der bodenlosen Dunkelheit verschluckt.
Ein gewaltiger Schatten beugte sich über sie. Eine massive Form, deren Umrisse sich nur als eine noch tiefere Schwärze in der Nacht abzeichneten. Der Atem des Wolfes, schwer und warm, strich über ihr Gesicht, roch nach nassem Fell und etwas Urtümlichem. Alniira spürte den Druck auf ihrer Brust, das Gewicht, das sie niederdrückte, die unsichtbare Präsenz, die sie fixierte. Sie war hilflos. Der Schmerz ihres Körpers, nun da der Adrenalinrausch wich, schoss wie glühende Lanzen durch ihre Gliedmaßen. Jede Rippe, jeder Muskel schien zu protestieren, doch die wahre Erkenntnis war kälter als jede Wunde.
„Ich werde sterben“, dachte Alniira, ein kalter, klarer Gedanke, der jede Furcht transzendierte. „Ich habe nichts mehr. Keine Waffe. Keine Verteidigung. Die Wellen der Angriffe haben mir die letzte Kraft genommen. Dies ist das Ende. Die Ilharess wird meinen Namen vergessen. Mein Wille zur Macht… er wird hier enden, in der Fremde, von einer Bestie besiegt, die ich nicht einmal sehen konnte. Ich habe versagt. Dies ist die ultimative Demütigung. Doch ich werde keinen Laut von mir geben. Keine Schwäche zeigen. Niemals.“
Sie schloss die Augen, ihr Atem flachte ab. Die Kälte des Waldes kroch in sie hinein, umarmte sie wie ein vertrauter Feind. Die absolute Ohnmacht war da, doch auch eine seltsame Akzeptanz. Sie würde keinen Kampf mehr führen. Der Wolf beugte sich weiter über sie, seine schwere Masse verdeckte jede mögliche Lichtquelle.
Das Ende war nahe.
Alniira lag auf dem Rücken, ihr Atem rasselnd, der Geschmack von Erde und Blut in ihrem Mund. Ihre Augen, die einst in der Finsternis sehen konnten, waren hier nutzlos, gefangen in einer absoluten Schwärze, die jede Form verschluckte. Der Dolch war fort, irgendwo in der bodenlosen Dunkelheit verschluckt. Ein gewaltiger Schatten beugte sich über sie, eine massive Form, deren Umrisse sich nur als eine noch tiefere Schwärze in der Nacht abzeichneten. Der Atem des Wolfes, schwer und warm, strich über ihr Gesicht, roch nach nassem Fell und etwas Urtümlichem. Alniira spürte den Druck auf ihrer Brust, das Gewicht, das sie niederdrückte, die unsichtbare Präsenz, die sie fixierte. Sie war hilflos. Der Schmerz ihres Körpers, nun da der Adrenalinrausch wich, schoss wie glühende Lanzen durch ihre Gliedmaßen. Jede Rippe, jeder Muskel schien zu protestieren, doch die wahre Erkenntnis war kälter als jede Wunde.
„Ich werde sterben“, dachte Alniira, ein kalter, klarer Gedanke, der jede Furcht transzendierte. „Ich habe nichts mehr. Keine Waffe. Keine Verteidigung. Die Wellen der Angriffe haben mir die letzte Kraft genommen. Dies ist das Ende. Die Ilharess wird meinen Namen vergessen. Mein Wille zur Macht… er wird hier enden, in der Fremde, von einer Bestie besiegt, die ich nicht einmal sehen konnte. Ich habe versagt. Dies ist die ultimative Demütigung. Doch ich werde keinen Laut von mir geben. Keine Schwäche zeigen. Niemals.“
Sie schloss die Augen, ihr Atem flachte ab. Die Kälte des Waldes kroch in sie hinein, umarmte sie wie ein vertrauter Feind. Die absolute Ohnmacht war da, doch auch eine seltsame Akzeptanz. Sie würde keinen Kampf mehr führen. Der Wolf beugte sich weiter über sie, seine schwere Masse verdeckte jede mögliche Lichtquelle. Das Ende war nahe.
Doch der Tod kam nicht. Nicht auf die erwartete Art.
Stattdessen spürte Alniira eine feuchte, warme Schnauze, die über ihre Wangen strich, dann über ihren Hals, ihre Schulter. Ein tiefes, knurrendes Schnüffeln, das nicht nach der Gier eines Raubtiers klang, das seine Beute identifiziert. Es war intensiver, suchend, fast... prüfend. Der Wolf hob den Kopf, ein leises Wimmern entwich seiner Kehle, ein Laut, der von tiefer Konzentration zeugte. Dann senkte er seinen Kopf wieder, seine feuchte Nase wanderte über ihre Narben, jene Zeugen ihres früheren Leidens, ihres Überlebens. Er verharrte an einer Stelle, direkt über ihrem Herzen, seine Schnauze presste leicht gegen ihre Brust, und Alniira spürte, wie eine unsichtbare Welle von Energie sie durchfuhr, ein fast schmerzhaftes Prickeln, das ihre Muskeln unwillkürlich zucken ließ.
Das Schnüffeln des Wolfes wurde langsamer, tiefer, eindringlicher. Eine leise Vibration, die von seiner Schnauze ausging, übertrug sich auf ihre Haut, drang tiefer, bis in ihre Knochen. Dann ein plötzliches, scharfes Einatmen des Tieres, ein Laut, der wie ein Erkennen klang. Die massive Form über ihr veränderte sich. Die muskulöse Anspannung in seinen Schultern wich einer fast unheimlichen Entspannung. Die bedrohliche Aggression, die seine Aura zuvor erfüllt hatte, löste sich auf, ersetzt durch eine seltsame, unmissverständliche
Gewissheit. Die Augen, die zuvor wie glühende Kohlen in der Dunkelheit gebrannt hatten, schienen nun einen anderen Glanz zu tragen, einen, den Alniira nicht zu deuten vermochte. Sie waren ruhiger, aber auch… fordernder.
„Er wird mich doch nicht töten?“, zuckte ein Hoffnungsschimmer durch Alniiras sonst so eisigen Verstand. „Das Spiel ist zu Ende. Er hat seine Macht demonstriert, meine Ohnmacht offengelegt. Nun wird er verschwinden. Mich in dieser Dunkelheit zurücklassen. Ich werde leben. Ich habe es überstanden. Diese Bestie… sie ist anders, als alle meine Erwartungen. Sie ist kein stumpfer Jäger. Sie ist ein Denker. Ich habe diesen Test bestanden. Die Ilharess würde meine Entschlossenheit anerkennen.“
Ein Gefühl der Erlösung, flüchtig und trügerisch, begann sich in Alniira auszubreiten. Die Schmerzen ihres Körpers schienen für einen Augenblick in den Hintergrund zu treten, überlagert von der fast greifbaren Gewissheit, überlebt zu haben. Der Wolf würde sich nun abwenden, sie in Ruhe lassen, ein Mahnmal für ihre Begegnung in dieser fremden, grausamen Nacht.
Doch in dem Moment, als sich die Maske der Aggression von dem Wolf zu lösen schien, in dem Augenblick, als Alniira ihren Geist auf die Erleichterung vorbereitete, geschah es. Ohne Vorwarnung. Ohne ein weiteres Knurren. Ohne den geringsten Hauch einer Regung, die seine Absicht verraten hätte. Die massive Schnauze senkte sich. Alniiras Augen, weit aufgerissen in der Dunkelheit, konnten nichts sehen. Nur das Gefühl.
Es war kein Stoß, keine Wucht. Es war ein
Biss. Kalt, präzise, und von einer plötzlichen Intensität, die ihr das Gefühl gab, als würde die Welt um sie herum zerbersten. Alniira war nicht darauf vorbereitet, nicht auf diesen Akt, der über alle Erwartungen hinausging. Zwei gewaltige Reißzähne drangen in ihre linke Schulter, bohrten sich tief durch ihre Haut, ihre Muskeln, ihre Rippen, ein Schmerz, der so absolut war, dass er die Welt in ein einziges, alles verschlingendes Weiß tauchte, auch wenn die Dunkelheit um sie herum undurchdringlich blieb. Sie spürte, wie das Gewebe ihrer Haut riss, wie die Zähne an ihren Sehnen zerrten, wie das warme, klebrige Blut aus der Wunde quoll und ihren Körper durchnässte. Ein lautes, trockenes Knacken, das durch ihren Schädel dröhnte, als etwas in ihrem Inneren nachgab. Die Luft entwich ihren Lungen in einem keuchenden Laut, den sie nicht kontrollieren konnte.
Dann ein plötzlicher Ruck. Die Welt drehte sich, wurde zu einem verschwommenen Wirbel aus Dunkelheit und Schmerz. Ihr Körper wurde von der Wucht des Bisses durch die Luft gewirbelt, traf hart auf einen Baumstamm und prallte zurück, um dann achtlos im feuchten Moos zu landen. Der Biss war nicht nur ein Akt der Gewalt; es war eine
Prägung. Eine tiefe, unwiderrufliche Veränderung, die sich mit dem Schmerz in ihre Seele brannte.
Die Schmerzen waren nun allumfassend, ein loderndes Inferno, das jeden Nerv in ihrem Körper zu verbrennen schien. Die Erkenntnis war brutal, klarer als jeder Kristall: Die Bestie hatte nicht mit ihr gespielt, um sie am Leben zu lassen. Sie hatte gespielt, um einen
neuen Zweck zu offenbaren. Der Wolf, dessen dunkle Form sich lautlos in der Nacht auflöste, hatte ihr mehr angetan als den Tod. Er hatte ihr ein Schicksal verliehen, das ihre Vorstellungskraft sprengte, das alle ihre Pläne, ihre Ambitionen, ihre Kontrolle über das eigene Leben in den Abgrund stürzte.
Alniira lag allein in der Stille des Waldes, das Blut sickerte in den Moosboden, der Geruch von nasser Erde und dem eigenen, warmen Blut füllte ihre Nasenlöcher. Der Schmerz war die einzige Realität, die ihr noch blieb. Was war geschehen? Was hatte der Wolf getan? Und welches neue Monster hatte er in ihr geweckt? Die Nacht war tief, und die Antworten schlummerten im Grauen ihrer neuen Existenz.
[size=100][b]Ein Schatten in der Flasche: Kapitel 1 Der Angriff[/b][/size]
Der Wald atmete. Ein feuchter, erdiger Atem, der nach Moder und unergründlichen Geheimnissen roch. Alniiras Hände, vom Zittern der vergangenen Stunden befreit, umklammerten fest den Griff ihres Dolches. Die Klinge, ein schwarzer Schatten in der umgebenden Schwärze, war nun nicht länger ein bloßer Trost, sondern ein verlängerter Wille. Das Heulen war verstummt, das Lachen verklungen. Was blieb, war die Gewissheit. Die Entdeckung der „Störungen“ im Laub – des umgeknickten Farns, des verdichteten Mooses, der präzisen Kerbe im Baumstamm – hatte den Wahnsinn nicht gebannt, aber ihn in eine greifbare Form gebracht. Sie war nicht verrückt geworden. Etwas war da. Etwas, das Spuren hinterließ, auch wenn es sich selbst zu verbergen wusste.
[quote]„Es ist da“, hallte Alniiras Geist, ein kalter Triumph mischte sich in ihren Adrenalinpegel. „Ich bin nicht allein. Die Angst war keine Hirngespinst, sondern eine Vorwarnung. Die [b]Aufgabe[/b], diese Spur zu verfolgen, gibt meinem Willen neue Nahrung. Sie lenkt mich ab von der allumfassenden Kälte, die nach meiner Seele griff. Die Unwissenheit ist das wahre Gift, nicht die bloße Gefahr. Und ich werde es nicht zulassen, dass die Furcht meine Sinne trübt. Ich werde dieses Ding finden. Ich werde es entlarven.“[/quote]
Ein Schritt nach dem anderen glitt Alniira durch das dichte Unterholz. Ihr Blick, obwohl an die Oberfläche angepasst, suchte nicht nach dem Offensichtlichen. Er scannte den Waldboden nach den kleinsten Abweichungen, den subtilsten Brüchen in der natürlichen Ordnung. Ein leicht verschobener Stein, ein kaum sichtbarer Kratzer an einer Wurzel, ein Grashalm, der unnatürlich geknickt war. Sie folgte einer Fährte aus Nicht-Existenz, einer Spur, die so vergänglich war wie ein Traum im Morgengrauen.
Doch die Jagd war zermürbend. Die Spuren schienen sich aufzulösen, ehe sie sie fassen konnte. Ein umgeknickter Farn führte zu einem Bereich von unberührtem Moos. Ein verdichtetes Laubfeld endete abrupt vor einem scheinbar undurchdringlichen Dickicht. Der Wald selbst schien sich gegen sie zu wenden, seine Pfade verschwanden und formten sich neu, nur um sie in die Irre zu führen. Das Gefühl der Beobachtung kehrte zurück, verstärkt durch die ergebnislose Suche. Es war ein lauernder Blick, der sie von allen Seiten zu umgarnen schien, ein unsichtbarer Kreis, der sich um sie schloss.
[quote]„Es ist nutzlos“, knurrte Alniira innerlich, die Verzweiflung klammerte sich wie eine Eisklammer um ihr Herz. „Die Fährte ist ein Trugbild. Sie führt ins Nichts. Dieses Ding spielt mit mir. Es weiß, dass ich es jage, und es verspottet meine Bemühungen. Die Kälte des Waldes ist nur ein Spiegelbild meiner eigenen Hilflosigkeit, die sich in mir ausbreitet. Ich bin blind. Mein Wille ist stark, aber was nützt ein Wille ohne [b]Erkenntnis[/b]? Ich kann nicht fassen, was sich mir entzieht. Ich kann nicht kontrollieren, was ich nicht definieren kann. Die Natur selbst ist hier ein Feind, der mich in den Wahnsinn treibt.“[/quote]
Die Geräusche des Waldes mutierten. Das ferne Zirpen der Grillen klang nun wie ein leises, hämisches Kichern, das aus den Tiefen der Bäume zu kommen schien. Das Rascheln von Blättern verwandelte sich in das Flüstern unhörbarer Worte, die ihren Namen riefen, ihn ins Unendliche verzerrten, ihre eigene Sprache in ein makabres Echo verwandelten. Jeder Schatten schien sich zu verdichten, jede Ansammlung von Bäumen nahm groteske Formen an, drohten, sie zu verschlingen. Die Luft wurde dünner, schwer, wie von einer unsichtbaren Last erdrückt. Der Bergkamm der Britain Mine, der sich in der Ferne abzeichnete, war keine Beruhigung mehr; er war ein schallender Verstärker des Grauens, das Heulen, das von seinen Wänden zurückprallte, war nun ein vielstimmiger Chor des Entsetzens.
Plötzlich, ohne Vorwarnung, durchbrach etwas die Schwärze der Nacht mit der Wucht einer Explosion. Kein gewöhnlicher Schall, sondern eine physische Erschütterung der Luft selbst. Aus der undurchdringlichen Finsternis stürmte etwas auf sie zu, eine Masse aus Fell, zu schnell, zu gewaltig, um es auch nur im Ansatz zu beschreiben. Es war ein Bruchteil eines Bruchteils eines Bruchteils eines Momentes, ein dunkler Blitz, der ihre Wahrnehmung überforderte. Sie sah nur eine verschwommene Masse aus unförmigen Schatten und Haaren, die sich mit unmenschlicher Geschwindigkeit näherte.
Das Ding traf sie mit einer urtümlichen, unbegreiflichen Kraft, die sie von den Füßen riss. Ihr Körper wurde von der Wucht des Aufpralls durch die Luft geschleudert, landete hart im feuchten, kalten Moos. Ein Schmerz, schärfer als jede Klinge, durchzuckte sie, doch ihr Verstand reagierte instinktiv, noch bevor ihr Körper die volle Wucht des Aufpralls registrierte. Ihr Dolch, dessen Klinge so schwarz war wie die Nacht selbst, schnellte nach vorne, direkt in die Dunkelheit, eine Mauer der Verteidigung, die sich vor ihr aufbaute. Es war eine Geste, so lächerlich in ihrer scheinbaren Sinnlosigkeit, um ein solches Monstrum zu bedrohen, doch in ihrer Absolutheit spiegelte sich all ihre Entschlossenheit wider, sich mit jedem Atom ihres Willens zu verteidigen. Ihre Augen, weit aufgerissen, starrten in das Nichts über ihr, bereit, den nächsten Angriff zu empfangen.
Aus der Schwärze der Nacht, jener undurchdringlichen Decke, die selbst ihre Drow-Augen in die Irre führte, löste sich eine Gestalt. Sie war zu schnell für die menschliche Wahrnehmung, aber Alniiras geschärfte Sinne, die in den ewigen Schatten des Unterreichs geschult worden waren, erfassten ihre Form: ein Wolf. Gigantisch, mit Fell, das die Dunkelheit selbst zu absorbieren schien, und Augen, die in der Finsternis wie glühende Kohlen brannten.
Es war kein Angriff, wie Alniira ihn kannte. Kein Kampf um Leben und Tod, bei dem der Gegner sich offen zeigte. Es war ein [b]Spiel[/b]. Ein grausames, berechnendes Spiel, bei dem sie die Beute war, und das Tier ihr Jäger, der seine Überlegenheit genoss. Der Wolf stürmte aus dem Nichts, ein Schatten auf Schatten, traf sie mit seinem gewaltigen Körper – kein Biss, keine Krallen, nur die reine, schockierende [b]Wucht[/b] einer Kollision – und verschwand im selben Augenblick wieder, als hätte er nie existiert. Alniira spürte den feuchten Moosboden unter sich, den kalten Atem des Tieres, der sie streifte. Dann war nur noch die Stille.
[quote]„Ein Test“, knurrte Alniira innerlich, ihre Zähne knirschten. „Er testet mich. Er testet meine Entschlossenheit, meine Furcht. Er will nicht nur meinen Körper besiegen; er will meinen Geist brechen. Das ist kein Wolf, der nach Beute sucht. Das ist ein Jäger, der nach Erkenntnis strebt. Er will sehen, wie ich auf die [b]Ohnmacht[/b] reagiere, auf die Unfähigkeit, seinen Angriff zu erwidern. Er ist wie die Ungewissheit im Wald, die sich nun materialisiert hat, um mich zu verspotten.“[/quote]
Wieder kam der Wolf. Ein tiefes Knurren, das aus dem Nichts zu kommen schien, direkt neben ihrem Ohr. Dann ein Stoß, hart, präzise, in ihre Seite, der ihr den Atem raubte. Sie rollte, ihr Körper schmerzte, doch sie sah nichts. Das Tier war schon wieder verschwunden, ein Geist in der Finsternis. Alniira zuckte mit dem Dolch ins Leere, ihre Klinge schnitt nur die kalte Luft. Der Wolf spielte mit ihr, wie ein Kater mit einer Maus, die er gefangen hatte, aber noch nicht töten wollte.
[quote]„Ich muss mich erheben“, flüsterte Alniiras Geist, ein roher, unnachgiebiger Wille durchfuhr sie. „Ich bin keine Beute. Ich bin eine Drow. Ich bin eine Schöpferin. Ich bin mehr als diese primitive Kreatur. Ich werde mich nicht dem Boden unterwerfen. Ich werde nicht in dieser Dunkelheit verharren und auf den nächsten Schlag warten.“[/quote]
Mit letzter Kraft, ihre Muskeln zitterten, doch ihr Wille peitschte sie voran, stemmte Alniira sich hoch. Jeder Zentimeter war ein Kampf, eine Demütigung. Sie taumelte, ihre Augen suchten die Schwärze nach einer festen Form, einem Punkt, auf den sie ihren Widerstand richten konnte. Ihre linke Hand drückte auf ihre Rippen, ein dumpfer Schmerz, der ihr erst jetzt, da der Schock nachließ, bewusst wurde. Doch sie stand. Schwankend, zitternd, aber sie stand.
Der Sieg währte nur einen Wimpernschlag. Bevor sie ihre Haltung festigen konnte, bevor ihr Dolch wieder eine effektive Abwehr bilden konnte, durchbrach das Ding erneut die Dunkelheit. Diesmal war der Angriff nicht nur ein Stoß, sondern eine [b]Lawine aus Fell und roher Gewalt[/b], die sie aus dem Gleichgewicht riss. Sie wurde mit einer Wucht getroffen, die ihr das Gefühl gab, als würde ihr Körper in seine Einzelteile zerfallen. Die Welt drehte sich. Die Bäume verschwammen zu dunklen Schlieren. Ihr Kopf schlug hart auf. Sie landete wieder im feuchten Moos, ein leiser, ungewollter Laut entwich ihren Lippen.
Diesmal jedoch verschwand der Wolf nicht.
Alniira lag auf dem Rücken, ihr Atem rasselnd, der Geschmack von Erde und Blut in ihrem Mund. Ihre Augen, die einst in der Finsternis sehen konnten, waren hier nutzlos, gefangen in einer absoluten Schwärze, die jede Form verschluckte. Sie versuchte, ihren Dolch zu finden, ihre Hand tastete ins Leere. Verzweifelt suchte sie den Griff, den kalten Stahl, die letzte Verteidigung, die sie besaß. Doch ihre Finger fanden nichts als feuchtes Laub und weiches Moos. Der Dolch. Er musste ihr bei dem letzten Aufprall entglitten sein, irgendwo in der bodenlosen Dunkelheit verschluckt.
Ein gewaltiger Schatten beugte sich über sie. Eine massive Form, deren Umrisse sich nur als eine noch tiefere Schwärze in der Nacht abzeichneten. Der Atem des Wolfes, schwer und warm, strich über ihr Gesicht, roch nach nassem Fell und etwas Urtümlichem. Alniira spürte den Druck auf ihrer Brust, das Gewicht, das sie niederdrückte, die unsichtbare Präsenz, die sie fixierte. Sie war hilflos. Der Schmerz ihres Körpers, nun da der Adrenalinrausch wich, schoss wie glühende Lanzen durch ihre Gliedmaßen. Jede Rippe, jeder Muskel schien zu protestieren, doch die wahre Erkenntnis war kälter als jede Wunde.
[quote]„Ich werde sterben“, dachte Alniira, ein kalter, klarer Gedanke, der jede Furcht transzendierte. „Ich habe nichts mehr. Keine Waffe. Keine Verteidigung. Die Wellen der Angriffe haben mir die letzte Kraft genommen. Dies ist das Ende. Die Ilharess wird meinen Namen vergessen. Mein Wille zur Macht… er wird hier enden, in der Fremde, von einer Bestie besiegt, die ich nicht einmal sehen konnte. Ich habe versagt. Dies ist die ultimative Demütigung. Doch ich werde keinen Laut von mir geben. Keine Schwäche zeigen. Niemals.“[/quote]
Sie schloss die Augen, ihr Atem flachte ab. Die Kälte des Waldes kroch in sie hinein, umarmte sie wie ein vertrauter Feind. Die absolute Ohnmacht war da, doch auch eine seltsame Akzeptanz. Sie würde keinen Kampf mehr führen. Der Wolf beugte sich weiter über sie, seine schwere Masse verdeckte jede mögliche Lichtquelle.
Das Ende war nahe.
Alniira lag auf dem Rücken, ihr Atem rasselnd, der Geschmack von Erde und Blut in ihrem Mund. Ihre Augen, die einst in der Finsternis sehen konnten, waren hier nutzlos, gefangen in einer absoluten Schwärze, die jede Form verschluckte. Der Dolch war fort, irgendwo in der bodenlosen Dunkelheit verschluckt. Ein gewaltiger Schatten beugte sich über sie, eine massive Form, deren Umrisse sich nur als eine noch tiefere Schwärze in der Nacht abzeichneten. Der Atem des Wolfes, schwer und warm, strich über ihr Gesicht, roch nach nassem Fell und etwas Urtümlichem. Alniira spürte den Druck auf ihrer Brust, das Gewicht, das sie niederdrückte, die unsichtbare Präsenz, die sie fixierte. Sie war hilflos. Der Schmerz ihres Körpers, nun da der Adrenalinrausch wich, schoss wie glühende Lanzen durch ihre Gliedmaßen. Jede Rippe, jeder Muskel schien zu protestieren, doch die wahre Erkenntnis war kälter als jede Wunde.
[quote]„Ich werde sterben“, dachte Alniira, ein kalter, klarer Gedanke, der jede Furcht transzendierte. „Ich habe nichts mehr. Keine Waffe. Keine Verteidigung. Die Wellen der Angriffe haben mir die letzte Kraft genommen. Dies ist das Ende. Die Ilharess wird meinen Namen vergessen. Mein Wille zur Macht… er wird hier enden, in der Fremde, von einer Bestie besiegt, die ich nicht einmal sehen konnte. Ich habe versagt. Dies ist die ultimative Demütigung. Doch ich werde keinen Laut von mir geben. Keine Schwäche zeigen. Niemals.“[/quote]
Sie schloss die Augen, ihr Atem flachte ab. Die Kälte des Waldes kroch in sie hinein, umarmte sie wie ein vertrauter Feind. Die absolute Ohnmacht war da, doch auch eine seltsame Akzeptanz. Sie würde keinen Kampf mehr führen. Der Wolf beugte sich weiter über sie, seine schwere Masse verdeckte jede mögliche Lichtquelle. Das Ende war nahe.
Doch der Tod kam nicht. Nicht auf die erwartete Art.
Stattdessen spürte Alniira eine feuchte, warme Schnauze, die über ihre Wangen strich, dann über ihren Hals, ihre Schulter. Ein tiefes, knurrendes Schnüffeln, das nicht nach der Gier eines Raubtiers klang, das seine Beute identifiziert. Es war intensiver, suchend, fast... prüfend. Der Wolf hob den Kopf, ein leises Wimmern entwich seiner Kehle, ein Laut, der von tiefer Konzentration zeugte. Dann senkte er seinen Kopf wieder, seine feuchte Nase wanderte über ihre Narben, jene Zeugen ihres früheren Leidens, ihres Überlebens. Er verharrte an einer Stelle, direkt über ihrem Herzen, seine Schnauze presste leicht gegen ihre Brust, und Alniira spürte, wie eine unsichtbare Welle von Energie sie durchfuhr, ein fast schmerzhaftes Prickeln, das ihre Muskeln unwillkürlich zucken ließ.
Das Schnüffeln des Wolfes wurde langsamer, tiefer, eindringlicher. Eine leise Vibration, die von seiner Schnauze ausging, übertrug sich auf ihre Haut, drang tiefer, bis in ihre Knochen. Dann ein plötzliches, scharfes Einatmen des Tieres, ein Laut, der wie ein Erkennen klang. Die massive Form über ihr veränderte sich. Die muskulöse Anspannung in seinen Schultern wich einer fast unheimlichen Entspannung. Die bedrohliche Aggression, die seine Aura zuvor erfüllt hatte, löste sich auf, ersetzt durch eine seltsame, unmissverständliche [b]Gewissheit[/b]. Die Augen, die zuvor wie glühende Kohlen in der Dunkelheit gebrannt hatten, schienen nun einen anderen Glanz zu tragen, einen, den Alniira nicht zu deuten vermochte. Sie waren ruhiger, aber auch… fordernder.
[quote]„Er wird mich doch nicht töten?“, zuckte ein Hoffnungsschimmer durch Alniiras sonst so eisigen Verstand. „Das Spiel ist zu Ende. Er hat seine Macht demonstriert, meine Ohnmacht offengelegt. Nun wird er verschwinden. Mich in dieser Dunkelheit zurücklassen. Ich werde leben. Ich habe es überstanden. Diese Bestie… sie ist anders, als alle meine Erwartungen. Sie ist kein stumpfer Jäger. Sie ist ein Denker. Ich habe diesen Test bestanden. Die Ilharess würde meine Entschlossenheit anerkennen.“[/quote]
Ein Gefühl der Erlösung, flüchtig und trügerisch, begann sich in Alniira auszubreiten. Die Schmerzen ihres Körpers schienen für einen Augenblick in den Hintergrund zu treten, überlagert von der fast greifbaren Gewissheit, überlebt zu haben. Der Wolf würde sich nun abwenden, sie in Ruhe lassen, ein Mahnmal für ihre Begegnung in dieser fremden, grausamen Nacht.
Doch in dem Moment, als sich die Maske der Aggression von dem Wolf zu lösen schien, in dem Augenblick, als Alniira ihren Geist auf die Erleichterung vorbereitete, geschah es. Ohne Vorwarnung. Ohne ein weiteres Knurren. Ohne den geringsten Hauch einer Regung, die seine Absicht verraten hätte. Die massive Schnauze senkte sich. Alniiras Augen, weit aufgerissen in der Dunkelheit, konnten nichts sehen. Nur das Gefühl.
Es war kein Stoß, keine Wucht. Es war ein [b]Biss[/b]. Kalt, präzise, und von einer plötzlichen Intensität, die ihr das Gefühl gab, als würde die Welt um sie herum zerbersten. Alniira war nicht darauf vorbereitet, nicht auf diesen Akt, der über alle Erwartungen hinausging. Zwei gewaltige Reißzähne drangen in ihre linke Schulter, bohrten sich tief durch ihre Haut, ihre Muskeln, ihre Rippen, ein Schmerz, der so absolut war, dass er die Welt in ein einziges, alles verschlingendes Weiß tauchte, auch wenn die Dunkelheit um sie herum undurchdringlich blieb. Sie spürte, wie das Gewebe ihrer Haut riss, wie die Zähne an ihren Sehnen zerrten, wie das warme, klebrige Blut aus der Wunde quoll und ihren Körper durchnässte. Ein lautes, trockenes Knacken, das durch ihren Schädel dröhnte, als etwas in ihrem Inneren nachgab. Die Luft entwich ihren Lungen in einem keuchenden Laut, den sie nicht kontrollieren konnte.
Dann ein plötzlicher Ruck. Die Welt drehte sich, wurde zu einem verschwommenen Wirbel aus Dunkelheit und Schmerz. Ihr Körper wurde von der Wucht des Bisses durch die Luft gewirbelt, traf hart auf einen Baumstamm und prallte zurück, um dann achtlos im feuchten Moos zu landen. Der Biss war nicht nur ein Akt der Gewalt; es war eine [b]Prägung[/b]. Eine tiefe, unwiderrufliche Veränderung, die sich mit dem Schmerz in ihre Seele brannte.
Die Schmerzen waren nun allumfassend, ein loderndes Inferno, das jeden Nerv in ihrem Körper zu verbrennen schien. Die Erkenntnis war brutal, klarer als jeder Kristall: Die Bestie hatte nicht mit ihr gespielt, um sie am Leben zu lassen. Sie hatte gespielt, um einen [b]neuen Zweck[/b] zu offenbaren. Der Wolf, dessen dunkle Form sich lautlos in der Nacht auflöste, hatte ihr mehr angetan als den Tod. Er hatte ihr ein Schicksal verliehen, das ihre Vorstellungskraft sprengte, das alle ihre Pläne, ihre Ambitionen, ihre Kontrolle über das eigene Leben in den Abgrund stürzte.
Alniira lag allein in der Stille des Waldes, das Blut sickerte in den Moosboden, der Geruch von nasser Erde und dem eigenen, warmen Blut füllte ihre Nasenlöcher. Der Schmerz war die einzige Realität, die ihr noch blieb. Was war geschehen? Was hatte der Wolf getan? Und welches neue Monster hatte er in ihr geweckt? Die Nacht war tief, und die Antworten schlummerten im Grauen ihrer neuen Existenz.