Ein Echo aus einer anderen Welt?

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gelöschter Charakter_580
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Ein Echo aus einer anderen Welt?

Beitrag von gelöschter Charakter_580 »

Sziedeyna wachte schweißgebadet auf. Erst nach ein paar Sekunden wurde ihr klar, dass sie nur geträumt hatte. Aber dieser Traum beschäftigte sie, weil er sich so real angefühlt hatte. Es kam ihr fast vor, als hätte sie bis vor kurzem ein anderes Leben gelebt und wäre dann durch ihr plötzliches Erwachen wieder in ihr gewohntes zurückgeholt worden. Aber es fühlte sich eher an, als hätte man sie unter Wasser gehalten und erst kurz vor dem Ersticken wieder herausgezogen. Ein Druck lastete auf ihr. Ihr Herz pochte. Es ließ sie nicht los. Das kannte sie so nicht. Sie kannte es durchaus, von einem Albtraum aufzuwachen und eine Weile zu brauchen, um die initiale Verwirrung und Aufregung abzuschütteln. Aber irgendetwas war diesmal anders.

Sie setzte sich aufrecht auf die Bettkante, atmete tief durch und rieb sich die Wangen. Danach schaute sie, noch immer in Gedanken versunken, in ihrem Zimmer umher – als suchte sie etwas, das aber gar nicht physisch in diesem Raum präsent war.
Es war so real!

Jetzt begann sie, in einem etwas wacheren Zustand, angestrengt in ihrer Erinnerung an den Traum zu kramen. Etwas fiel ihr auf, und sie fixierte für einen Moment mit den Augen einen imaginären Punkt im Raum. Sie schüttelte ungläubig den Kopf und stand dann auf.

Der Traum würde sie noch den restlichen Tag beschäftigen. Es vergingen ein paar Tage, bis es wieder passierte. Sie wachte erneut schweißgebadet auf und merkte sofort, was passiert war. Jetzt fiel ihr auch auf, dass sie das letzte Mal ebenfalls ein seltsames Gefühl im Magen verspürt hatte – so wie diesmal auch. Damals verspürte sie seltsamen Appetit auf Fleisch, briet sich eine besonders große Portion Speck mit Eiern. Aber erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie bereits vor dem Braten große Lust verspürt hatte, das Fleisch zu verzehren – ja, regelrecht zu verschlingen.

Oder war es das Fleisch?
War es nicht vielmehr der Saft darin?

Sie hatte das ignoriert, weil es ihr absurd vorkam – und sicherlich auch nicht gesund gewesen wäre. Aber jetzt war es wieder da, dieses Gefühl, diese Lust auf...

Sie hatte jedoch kein Fleisch mehr im Haus und musste zuerst den Markt besuchen. Da sie ansonsten eh nur noch etwas vertrocknetes Brot dahatte, beschloss sie, den Markt kurz darauf aufzusuchen.

Auf dem Marktplatz angekommen, schaute sie sich um. Da war ein Stand mit Fleisch- und Wurstwaren. Sie ging eiligen Schritts zum Stand und begutachtete das Warenangebot. Dort fiel ihr eine Wurst ins Auge, die sie früher immer ignoriert hatte, da sie sie nicht als besonders appetitlich empfunden hatte. Aber diesmal erschien es ihr, als würde diese rötlich-schwarze Wurst sie förmlich dazu aufrufen, sie zu essen.

Sie wies den Händler an, ihr drei dieser Würste einzupacken, die sie mit ein paar Münzen quittierte. Mit den Würsten in der Tasche machte sie sich direkt wieder auf den Weg nach Hause. Dort knallte sie die Würste auf den Tisch, schnitt die erste gierig an und biss direkt ab – fast wie ein Tier.

Sie hatte die halbe Wurst im Eiltempo heruntergeschlungen, da fiel ihr erst auf, was sie da eigentlich tat. Das ließ sie etwas über sich erschrecken.

Was mache ich hier eigentlich? dachte sie irritiert. Dieser seltsame Traum wieder...

Sie verfiel wieder ins Grübeln und Kramen. Dann schaute sie zu den Würsten. Die angeschnittene Wurst fixierte sie für einen Moment, hielt inne – als würde sie einen inneren Konflikt austragen, der nur für sie existierte. Dann schlang sie den Rest hinunter. Danach war ihr schlecht. Ihr Frühstück war also einfach eine ganze Blutwurst gewesen. Ihr kam das im Nachhinein absurd vor.

Sie war gleichzeitig seltsam erleichtert, dass sie noch zwei dieser Würste hatte. Sie kamen ihr wie kleine Schätze vor, die sie jetzt in den Keller brachte, damit sie nicht so schnell verdarben.

Es vergingen wieder ein paar Tage. Jeden Tag aß sie morgens eine Wurst und ging regelmäßig zu jenem Stand, um sich erneut einzudecken. Und wie es kommen musste, wachte sie wieder von diesem Traum auf, der sie anscheinend nicht loslassen wollte.

Aber sie war inzwischen mental vorbereitet und wollte den Traum – sobald sie wachen Verstands war – quasi wie eine Katze ihrer Beute auflauern und ihn zu packen kriegen. Sie spürte, dass dieser Traum irgendetwas von ihr wollte. Sie hatte früher nie mit wiederkehrenden Albträumen zu kämpfen gehabt. Sie wusste: Wenn man den gleichen Traum immer wieder träumt, dann wollte er einem etwas Wichtiges mitteilen.

Aber was?

Ihr Plan ging auf. Dieses „Packen des Traums“ hatte Erfolg. Sie konnte ihn jetzt besser greifen, und er verflüchtigte sich nicht so rapide wie zuvor.

In dem Traum fühlte sie sich wie sie selbst, nur anders. Im Traum – das fiel ihr jetzt auf – aß sie keine Würste, sondern... hatte ein unbändiges Verlangen nach... Blut. Aber sie trank es nicht. Und das war offenbar Teil der Problematik, die den Traum zu einem Albtraum machte. Sie schlussfolgerte, dass sich dieses Verlangen in ihrem Heißhunger auf Blutwurst äußerte. Zuerst war der Speck das Nächstbeste, was sie unmittelbar greifbar hatte. Der Fleischsaft war es eigentlich, den sie plötzlich so verlockend fand – aber sie entschied sich dann aus Vernunft fürs Braten. Und dann lockte sie dieses Gefühl auf den Markt, wo sie die Blutwürste entdeckte.

Sie merkte auch jetzt, wie ihre Gedanken – neben dem Traum – darum kreisten, in den Keller zu gehen und sich wieder eine Wurst zu holen. Ihre tägliche Dosis. Vorher fand sie keine Ruhe.

Sie bemerkte noch mehr, als sie darüber nachdachte, wie sie im Traum war. Sie war zwar sie, aber auch nicht. Oder eher: anders. Im Traum fühlte sie sich schwach und... ausgehungert. Sie belastete ein Gefühl der Verzweiflung, und sie bemerkte die Zerrissenheit zwischen etwas, das sie wollte – und sich gleichzeitig verbot. Ein inneres Verbot aus Überzeugung. Oder eher: aus einem verzweifelten Festhalten an etwas. Dieses Gefühl wurde irgendwann so unerträglich, dass sie davon aufwachte – und es in ihr nachhallte.

Sziedeyna fragte sich, ob sie vielleicht verrückt wurde. Sie führte sich ihre Besessenheit mit den Würsten vor Augen und wusste, wie absurd das eigentlich war.
Was war da mit mir los?
Was wollte mir dieser Traum sagen, der sich so real anfühlte?

Sie hatte Gerüchte aufgeschnappt über die jüngsten Ereignisse. Leute berichteten unter vorgehaltener Hand, dass mitunter seltsame Dinge passierten. Menschen änderten sich über Nacht. Vergaßen Dinge. Erinnern sich plötzlich an Dinge, die ihrem Umfeld gänzlich unbekannt waren. Einmal sogar hielt ein Mann eine fremde Frau für seine Ehefrau und musste von den Wachen abgeführt werden, weil sie Stein und Bein schwor, dass sie ihn nicht kannte.

Könnte so etwas auch mit mir passieren?

Diese Zeiten waren seltsam. Anfangs gab sie nichts auf dieses Gerede alter Waschweiber. Aber jetzt – da war sie sich nicht mehr so sicher. Diese Träume fühlten sich für sie nach mehr an als nur Träumen. Und dann war da ja noch dieser eigenartige Appetit auf Blutwurst.
Oder... war es eigentlich das Blut darin, was sie wirklich reizte?

Jetzt stellte sie sich bewusst diese Frage und dachte an Blut. Frisch, noch warm. Erst von Tieren. Dann von... Menschen.

Und da durchzuckte es sie. Blut... von Menschen. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen, und sie leckte sich die Lippen. Dabei tastete ihre Zunge auch über ihre Eckzähne, die aber keine Besonderheiten aufwiesen. Sie atmete tief durch. Irgendwas war da mit ihr los.

Und da machte es plötzlich Klick. Sie öffnete den Mund und machte ein total überraschter Gesicht – als hätte sie plötzlich eine Wahnsinnsidee.

Und ja, Wahnsinnsidee im doppelten Sinne. War das die Idee des Wahnsinns?

Ihr fiel nämlich ein, wie sie als Jugendliche einen Plan hatte, den sie in den letzten Jahren eher verdrängt hatte. Ihr Leben hatte sich stark gewandelt, und ihr altes Leben schien überhaupt keine Rolle mehr zu spielen. Aber jetzt war es wieder präsent. Damals hatte sie ihre Eltern ermordet, weil sie besessen davon war, unsterblich zu werden. Und damals träumte sie davon, den Vampirkuss zu empfangen. Aber sie fand keinen Vampir.

Obwohl... das stimmte nicht ganz. Da gab es ein Ereignis, das sie nicht ganz einordnen konnte. Aber danach passierte... nichts. Und dann passierten ganz andere Dinge, die ihr Leben komplett durcheinanderwirbelten. Danach war dieses Gefühl, das sie damals angetrieben hatte, irgendwie verflogen. Heute lebte sie ein eher normales, langweiliges Leben. Eigentlich viel zu langweilig. Sie schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch und kam so über die Runden. Ihr Leben fühlte sich leer und sinnlos an. Mit ihrer dunklen Vergangenheit hatte sie abgeschlossen. Dennoch war sie auch desillusioniert – und wusste eigentlich gar nicht, wofür sie lebte.

Und da stellte sie die These auf, dass der Traum vielleicht so etwas wie ein Blick in eine andere Wahrheit war – eine andere Welt, in der es sie auch gab, aber in der sich gewisse Dinge anders entwickelt hatten. So wie es aussah, war darin ihr Wunsch, den Vampirkuss zu empfangen, in Erfüllung gegangen. Aber glücklich hatte es sie offenbar überhaupt nicht gemacht. Wobei dieses Unglück anscheinend davon rührte, dass sie sich verweigerte, Blut zu trinken.

Warum nur? Warum trank ich nicht?
Und woran hielt ich dabei fest?

Jetzt verstand sie: Sie hielt an ihrer Menschlichkeit fest.
Ich war damals so leer und so dumm, dass ich mich dafür hergeben wollte, dachte sie zu sich.

Und jetzt stieg in ihr ein Gefühl von Mitleid hoch, das sie mit ihrem Traum-Ich fühlte.
Irgendwo da draußen... ist sie. Bin ich. Vielleicht. Und muss das durchmachen.

Mit leeren Augen nickte sie ein paar Mal gedankenverloren. Was sie gerade am meisten beschäftigte, war eine Erkenntnis:

Wenn da draußen die Menschen sich tatsächlich verändern, dann könnte das auch mit mir passieren.

Sie erinnerte sich an eine Erzählung, die sie vor einer Weile ein paar Gassen weiter aufgeschnappt hatte. Da war bei einem Mann plötzlich eine Narbe verschwunden, die er vor Jahren bekommen hatte.

Was also, wenn... ich vielleicht auch mehr zu dieser anderen Sziedeyna werde?
Und das vielleicht der wahre Grund für meinen seltsamen neuen Appetit ist?

Sie atmete erneut tief durch. Das machte ihr alles Unbehagen.

Und dann stattete sie dem Keller wieder einen Besuch ab...

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gelöschter Charakter_580
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Kapitel 2 – Erwachen

Beitrag von gelöschter Charakter_580 »

Und wieder wachte Sziedeyna plötzlich aus dem Schlaf auf. Die tägliche Routine mit den Blutwürsten am Morgen war inzwischen zur Gewohnheit geworden. Aber etwas war anders. Sie war weder schweißgebadet, noch war jener Traum präsent, der sie inzwischen regelmäßig aus dem Schlaf hochschrecken ließ. Sie hatte einfach irgendwann die Augen geöffnet – und war einfach ... wach. Keine Müdigkeit, kein Verlangen, noch im Bett zu verweilen. Aber etwas, das sie inzwischen gewohnt war, war weiterhin da. Nein, es war viel mehr. Der Appetit auf die Blutwürste schien sich gewandelt zu haben. In ihr war in etwa der gleiche Hunger, aber viel stärker. Wenn sie jedoch an die Würste dachte, befiel sie fast so etwas wie Ekel. Sie stellte sich andere Lebensmittel vor und empfand bei allen das Gleiche. Etwas stieß sie ab.

Dennoch, eine Sache, die sie essen konnte, näherte sich ihren Gedanken gerade wie eine Schlange. Oder eher: etwas, das sie trinken konnte. Blut. Das war das Einzige, das sie nicht abstieß. Und sie spürte den Hunger mit jeder Minute mehr. Sie fühlte sich ausgehungert und leer. Jetzt fiel ihr auf, dass das genau das Gefühl war, das sie aus ihrem Traum kannte. Dieser grenzenlose Hunger und das mit der Verweigerung verbundene Leiden.

Aber wie konnte das sein? Sie war doch gerade aufgewacht. Jetzt schaute sie an sich herab. Sie trug nicht das, was sie vor dem Schlafengehen angezogen hatte. Ihr beiger Schlafrock war jetzt weinrot – und wesentlich aufwändiger hergestellt. Und ihre Hände ... sie waren seltsam blass. Sie musterte den Rest von sich selbst – und vom Raum. Jetzt fiel ihr auch auf, dass ihr Zimmer anders aussah. Es war stockdunkel – und dennoch sah sie alles. Dann fuhr sie in unheilvoller Vorausahnung mit ihrer Zunge über ihre Eckzähne – und sie erschrak.

"Ich bin sie …", sprach sie verblüfft laut zu sich selbst.

Nachdem sie endlich begriffen hatte, was los war, spürte sie ihren Hunger wieder mehr. Es fühlte sich an, als wäre sie mit Bleigewichten beschwert. Ihre Gedanken waren gedämpft, eine innere Leere pochte in ihr, und ein Gefühl von Schwindel befiel sie periodisch.

"Jetzt bin ich sie." Sie schaute sich ungläubig um.

Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Der Moment überforderte sie. Noch ein paar Minuten saß sie da – und stand dann langsam auf. Die Fenster waren von innen mit lichtdichten, schweren Vorhängen zugezogen. Ohne großartig darüber nachzudenken, ging sie zu einem Fenster und zog den Vorhang etwas zur Seite. Das Licht des Tages traf sie ins Gesicht – und sofort bereute sie die Tat. Ein stechender Schmerz im Gesicht, verbunden mit einem leichten Zischen, ließ sie zurücktaumeln, wodurch der Vorhang wieder zurückfiel und das Licht wieder aussperrte.

Orientierungslos für einen Moment kam sie wieder zur Besinnung – und merkte erst jetzt die vollen Konsequenzen dessen, was mit ihr passiert war. Und der Hunger … dieser Hunger. Ihr Gesicht schmerzte weiterhin. Vorsichtig tastete sie es mit den Fingern ab und merkte, dass sich Blasen gebildet hatten und sich an einigen Stellen das Fleisch zeigte.

"Heilt das bei Vampiren nicht sofort wieder?", fragte sie sich irritiert und mit verzerrtem Gesichtsausdruck.

Ihre ganze Existenz wirkte auf sie wie eine einzige Last. Da kam ihr ein Gedanke: Vielleicht brauchte sie nur Blut. Nur Blut? Nur? In ihrem Traum hatte sich die andere Sziedeyna unter Schmerzen geweigert, welches zu trinken. Vielleicht sollte sie nicht denselben Fehler begehen – und es trotzdem tun. Aber wie ein kleiner Wurm bohrte sich der Gedanke in ihren Kopf, dass es bestimmt unendlich erleichternd wäre. Ob Blutwurst oder Blut ... nein, da war schon ein Unterschied.

Und woher wollte sie überhaupt Blut bekommen? Das verkaufte schließlich niemand als Getränk auf dem Marktplatz. Und dann hätte sie auch gar nicht rausgehen können, außer sie wollte auf dem Weg zu ihrem Ziel unter der Sonne verdampfen. Verdammt! Das war ein echtes Problem. Und bei dem Gedanken an das Blut eines Tieres kam ihr auch nicht ansatzweise derselbe Appetit auf wie beim Gedanken an Menschenblut.

"Menschenblut." Bei dem Gedanken stieg eine Wärme in ihr empor.

"Aber woher Menschenblut?" Und wie viel? Musste sie jemanden dafür töten? Das ... hätte Konsequenzen. Darüber hatte sie sich früher, als sie davon träumte, den Kuss zu empfangen, nie wirklich Gedanken gemacht. Sie hatte jetzt echt ein Problem – und musste eine Lösung finden. Durch den Traum hatte sie zu schätzen gelernt, dass sie dieses Schicksal verschont hatte, obwohl sie sich einmal so sehr danach gesehnt hatte. Und jetzt das.

Sie fragte sich, ob sie vielleicht mit etwas Glück morgen wieder als Mensch in ihrem gewohnten Bett aufwachen würde. Das war aktuell ihre einzige Hoffnung. Aber falls nicht, musste sie handeln. Ihre Gedanken begannen zu rasen. Und dann kam ihr die Idee, die ihr ohne den Nebel im Kopf eigentlich auch hätte viel schneller kommen können. Sie musste sich nur noch etwas gedulden. Und der Rest ... der würde sich schon ergeben.

So saß sie dann einige Stunden fast regungslos auf dem Boden – und sehnte den Sonnenuntergang herbei. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, aber dann war es endlich so weit. Erst wurde es langsam immer dunkler, während sich die Sonne stetig weiter senkte – und dann war sie verschwunden, dieser helle Ball, der ihr Verderben gewesen wäre. Nun blickte sie zum ersten Mal seit ihrer schweren Verbrennung wieder aus dem Fenster. Diesmal kein Schock – nur der Mond, der ihr wohlgesonnen zu sein schien.

Sie schlich langsam zur Haustür, neben der ein Mantel hing, in dem sie ihre Gestalt gut verbergen konnte – besonders in der Nacht. Sie zog ihn an und wollte die Tür öffnen. Allerdings war sie verschlossen. Nachvollziehbar – sollte doch sicher kein ungebetener Gast die bei Tage schlafende Vampirin wecken. Doch der Schlüssel steckte in der Tür, so war es leicht, sie zu öffnen.

Der erste Schritt nach draußen kam Sziedeyna unheimlich vor. Es war ihr Haus – und es war der Ort, an dem ihr Haus stand. Aber dennoch sahen einige Dinge anders aus. Nicht grundsätzlich – aber im Detail. Zum Beispiel fehlte dieser eine Stein nicht im Mauerwerk der Treppe. Sie schloss die Tür hinter sich und steckte den Schlüssel ein.

Nun musste sie nur noch – der Gedanke ging ihr nicht ganz leicht durch den Kopf – ein ... Opfer finden. Aber wie wollte sie das überhaupt anstellen? Von hinten anschleichen, bewusstlos schlagen und dann ... anbeißen und ... saugen? Sie wusste ja gar nicht, wie das geht. Und was, wenn ihr der Angriff nicht gelang und das Opfer Alarm schlug? Dieses Risiko war enorm. Vielleicht musste sie die Umstände möglichst zu ihren Gunsten wählen. Vielleicht eine einsame Seele, entfernt von der Stadt.

Und dann auch die Frage: Wie viel sollte sie überhaupt trinken? Und konnte sie das Opfer überhaupt am Leben lassen? So völlig allein auf sich gestellt fühlte sich Sziedeyna nun völlig überfordert. Sie wollte schließlich leben – und nicht für einen kurzen Höhenflug mit dem Leben bezahlen.

"Leben?", dachte sie, lebte sie überhaupt? Vampire waren doch Untote, das wusste sie eigentlich. Sie fühlte ihren Puls. Nichts. Dann eine Hand aufs Herz. Wieder nichts. Ja, sie musste tatsächlich tot sein. Beziehungsweise: untot. Sie wunderte sich ein wenig über die eher nüchterne Erkenntnis. Jetzt hatte sie eine Idee: Sie konnte vielleicht erst einmal nur prüfen, wie sie auf einen Passanten wirkte – in der Hoffnung, dass sie irgendetwas spürte, was ihr weiterhelfen konnte.

Sie musste nicht den Erstbesten anfallen wie ein tollwütiger Hund. Nein, eher vorsichtig umschleichen wie eine Raubkatze. Dieser Gedanke fühlte sich plötzlich ganz natürlich an. Erwachten da in ihr bereits gewisse Instinkte?

Also ging sie leise durch die Straßen, in der Hoffnung, dass Menschen ihren Weg kreuzten. Um diese Zeit war nicht viel los. Das war einerseits gut, andererseits auch schlecht – wenn das hieß, dass sie niemanden fand.

Doch dann geschah es. Erst das Geräusch von Schritten, dann ein schwacher Schatten, der hinter einer Ecke auftauchte. Sie konnte sehen, als ob es taghell wäre. Es war ein Mann mittleren Alters, der beim Gehen etwas schwankte. Wahrscheinlich auf dem Heimweg von einer Schänke. Sie ließ ihn zunächst an sich vorbeigehen. Als nichts passierte, rief sie ihm leise hinterher:

"Entschuldigt, gnädiger Herr."

Der Mann blieb stehen und drehte sich abrupt um. Sziedeyna fuhr fort:

"Ich bin fremd in der Stadt und habe mich verirrt. Könnt ihr mir den Weg erklären, wie ich zum Stadtzentrum finde?"

Ihre Augen fixierten dabei die seinen – und sie versuchte, irgendein Gefühl in diesen Blick zu legen. Da spürte sie etwas. Tatsächlich regte sich in ihr irgendeine Kraft. Der Mann setzte zunächst zu einer Antwort an, verstummte dann aber abrupt. Sziedeyna hatte ihn offenbar in eine Art Trance versetzt. Aber was nun? Was machte sie damit? Der Mann stand wie eine Statue vor ihr und rührte sich nicht.

Sziedeyna näherte sich ihm und versuchte dabei, den Fokus nicht zu verlieren. Sie spürte nur – dachte nicht mehr. Da stand sie direkt vor ihm, und er stand vor ihr wie eine reife Frucht an einem Baum, die sie nur pflücken musste. Sie wendete den Blick kurz ab, um zu sehen, was passierte. Der Mann verharrte in seiner Haltung. Das sah Sziedeyna als Zeichen, dass ihre Wirkung auf ihn nicht gleich verschwand, sobald sie ihm nicht mehr in die Augen schaute.

Aber sie wollte kein Risiko eingehen. Zuerst berührte sie den Mann vorsichtig. So, dass es nicht unbedingt verdächtig wirkte, falls er doch plötzlich aus seinem Zustand erwachen sollte. Nichts passierte. Nun tastete sie vorsichtig seinen Hals ab. Er reagierte nicht. Sie schaute zur Sicherheit noch einmal in seine Augen – mit diesem Gefühl. Jetzt war es so weit. Sie musste die Chance nutzen.

Sie ertastete die Halsschlagader, die warm und lebendig pulsierte. Da regte sich etwas in ihr. Diese Lust, diese Gier. Sie setzte zum Biss an – da hörte sie etwas. Schritte. Eine weitere Person, die sich näherte. Sie musste improvisieren. Die Person kam schnell näher – sie musste jeden Moment um die Ecke biegen. Sziedeyna hatte blitzschnell einen Einfall: Sie umarmte den erstarrten Mann eng und küsste ihn auf den Mund, in der Hoffnung, der Neuankömmling würde beide für ein Liebespaar halten.

Dieser Plan ging auf. Sie hörte nur ein leises Schmunzeln, als der Fremde an ihr vorüberging. Als er weit genug entfernt war und seine Schritte verhallten, versuchte sie es erneut. Sie suchte die Schlagader, leckte sich einmal über die Eckzähne, um ein Gefühl für sie zu bekommen – und setzte dann zum Biss an.

In ihr regten sich tausend Gefühle. Sie war plötzlich wie im Rausch. Sie öffnete den Mund weit, legte die Eckzähne an die Ader und biss zu. Sie hatte es geschafft – und spürte das warme Blut in ihren Mund sprudeln. Sie schluckte gierig jede Füllung herunter. Dabei fühlte sie sich fast wie bei einem Orgasmus. Es war einfach fantastisch. Sie trank, und trank, und trank. Sie konnte nicht aufhören. Es war einfach zu schön. Sie trank immer weiter – bis sie satt war. Richtig satt.

Da ließ sie von ihrem Opfer ab. Erst dann merkte sie, was passiert war. Der leblose, verblasste Körper sank zu Boden.

"Verdammt!", dachte sie, genau das sollte nicht passieren.

Was nun? Zum Glück war die Straße noch immer menschenleer. Einerseits noch immer auf eine gewisse Weise betrunken, andererseits alarmiert, entschied sie instinktiv, dass die Leiche verschwinden musste. Wenn jemand sie fand – blutleer und mit Bissverletzung am Hals –, dann würde man früher oder später nach einem Vampir suchen. Das konnte gefährlich für sie werden.

Als sie den erschlafften Leichnam packen wollte zum Transport, merkte sie, wie leicht er sich anfühlte. War er so leicht, weil ihm das Blut fehlte – oder war sie stärker als gewohnt? Vielleicht traf beides zu. Also schulterte sie den Mann ohne Probleme und trug ihn, immer vorsichtig spähend, ob jemand kam, langsam Richtung Stadtrand.

Da sie sich in der Stadt auskannte, fiel ihr ein guter Ort ein, um die Leiche verschwinden zu lassen. Dort, wo die Kanalisation aus der Stadt floss. Da würden Ratten und anderes Getier die Leiche so schnell so verunstalten, dass niemand mehr erraten würde, auf welche Weise er umgekommen war. Ein Mann würde ihn wahrscheinlich für einen Trunkenbold halten, der in seinem Rausch in die stinkende Brühe gefallen und dort umgekommen war. Ein Unfall also. Diese Perspektive erleichterte sie – und so setzte sie den Plan ohne weitere Zwischenfälle um.

Danach ging sie mit kleinen Umwegen nach Hause, ging die kleine Treppe hoch, zog den Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Tür, huschte hinein, schloss die Tür – und sank erstmal zu Boden.

Sie hatte es wirklich geschafft. Erstmal war sie satt. Richtig satt. Aber wie lange hielt das jetzt an? Und so konnte es nicht jedes Mal laufen. Es konnte nicht jedes Mal eine Leiche geben. Und jedes Mal konnte etwas passieren. Aber das war ein Problem für die zukünftige Sziedeyna. Jetzt wollte sie erstmal ihren kleinen Triumph sacken lassen.

Es war einfacher, als sie gedacht hatte. Auf die übernatürlichen Kräfte, die ein Opfer willenlos machten, hatte sie intuitiv Zugriff erlangt. Vielleicht lag es daran, dass ihr Körper – dieser Körper – schon Erfahrung mit derlei Vorgängen hatte und fast von selbst funktionierte.

In diesem Zustand der Entspannung fiel ihr auf, dass ihr Gesicht gar nicht mehr brannte. Sie tastete es mit den Fingern ab und bemerkte, dass es vollständig geheilt sein musste. Jetzt wurde ihr klar, warum das vorher nicht funktioniert hatte. Ihr fehlte die Energie in Form von Blut. Die Schwere, die sie zuvor wahrgenommen hatte, war auch verschwunden. So funktionierte das also. Sie sollte am besten nicht mehr in so einen ausgehungerten Zustand kommen, um es sich bei der Jagd nicht unnötig schwer zu machen.

Jetzt kam ihr auch plötzlich eine Frage in den Sinn. Wenn sie jetzt in der Haut ihres vampirischen Traum-Gegenstücks steckte, erging es diesem dann umgekehrt genauso? War die ausgehungerte Vampirin, die sich weigerte, Blut zu trinken, jetzt über das Wunder überrascht, von ihrem Fluch geheilt zu sein?

Fluch … ja, den hatte sie jetzt dafür. Und ja, sie hatte begriffen, dass es einer war – auch wenn sie es gerade nicht spürte, dank des vielen Bluts, das sie in sich trug. Sie musste sich immer wieder versorgen – und das brachte sie in Gefahr. Andernfalls erging es ihr wie ihrem Gegenstück – und das elendige Gefühl verfolgte sie seit den ersten Träumen irgendwann.

Aber warum weigerte sich ihr Gegenstück so vehement, zu trinken, während sie gerade ihre erste Mahlzeit zu sich genommen hatte? Irgendwas musste die beiden unterscheiden – nicht nur, wer von beiden Vampir war. Sziedeyna fühlte sich jetzt irgendwie schmutzig. Als hätte sie ein Tabu gebrochen – und dafür für immer etwas verloren.

Gleichzeitig wunderte sie sich darüber, wie leicht ihr das alles eben gefallen war. Sziedeyna lebte vielleicht ein einfaches Leben, aber ihr Verstand machte immer wieder mal kleine Höhenflüge. In ihr kam die Frage auf, ob dieser Tausch vielleicht etwas geradegerückt hatte. Vielleicht waren sie vorher vertauscht – und jetzt sind beide am richtigen Ort. Ihr fiel es offenbar leichter, sich dem Vampirismus hinzugeben, und ihr Gegenstück, das darunter litt, wurde von dieser Qual erlöst.

Aber war das hier wirklich ihre Welt? Und wie sollte es weitergehen?

Sie hatte gar nicht bemerkt, wie bereits wieder der Tag anbrach. Doch als sie das tat, legte sie sich erst mal schlafen. Ihr letzter Gedanke war, dass sie irgendwie froh war, keine Blutwürste mehr essen zu müssen. Doch ob ihr neues Schicksal wirklich besser war?

So verließ sie das Bewusstsein – mit einem leisen Schmunzeln.

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Kapitel 2 – Ein anderes Erwachen

Beitrag von gelöschter Charakter_580 »

Sziedeyna wachte auf. Sie ... wachte ... auf. Sie spürte, wie die Müdigkeit noch in ihren Gliedern steckte, und sie verspürte den Impuls, sich etwas zu recken und zu strecken. Ein Gähnen überkam sie. Das war ... neu. Oder alt. Je nachdem, wie man es betrachtet. Sie hatte nicht einfach von jetzt auf gleich die Augen geöffnet und war voll da, wie das zuletzt bei ihr stets der Fall gewesen war. Sie fühlte sich ... menschlich?

Zuerst fuhr ihre Zunge über die Zähne und ... fand keine Reißzähne vor. Sie fasste sich ans Handgelenk – und sie spürte ... einen Puls. Ihre Haut war rosiger. Und vor allem ... sie verspürte diesen Hunger nicht mehr. Sie konnte es kaum glauben, aber alles sprach dafür, dass sie wieder ein Mensch war. Ein Mensch! Ein ganz normaler Mensch ohne diesen elenden Hunger, den sie sich nicht zugestanden hatte und deswegen Höllenqualen gelitten hatte. Aber all das war jetzt weg. Sie fühlte sich ... friedlich.

Sie schaute sich im Raum um und bemerkte, dass es zwar ihr Raum zu sein schien, jedoch anders. Die schweren Vorhänge vor den Fenstern waren durch leichte ersetzt worden, die mehr Licht durchließen. Und jetzt wollte sie es wissen! Sie zog den Vorhang zur Seite, und die Sonne fiel in ihr Gesicht. Sie wollte zuerst instinktiv zurückschrecken, merkte aber sofort, dass ihr die Sonne nichts anhaben wollte. Sie war ... warm ... und freundlich. Sie war wirklich ein Mensch.

Das muss ein Wunder gewesen sein, dachte sie zu sich selbst. Ein Wunder, das einem das Leben kein zweites Mal schenkt.

Sie hatte diesen furchtbaren Fehler begangen. Sie war wie besessen davon gewesen, ein Vampir zu werden. Und als sie dies irgendwann endlich geschafft hatte, war es zu spät gewesen, um zu begreifen, was das eigentlich für sie bedeutete. Sie hatte sich dafür gehasst und sich am Ende geweigert, Blut zu trinken. Sie hatte unzählige Leben auf dem Gewissen. Sie bekam nach der Wandlung ihren Appetit nicht in den Griff, und anstatt ihr unsterbliches Leben zu genießen, war da nur Selbsthass und Verzweiflung. Aber jetzt hatte sie diese zweite Chance bekommen.

Ihre Gedanken hatten sich die letzten Wochen intensiv um ein Leben als Mensch gedreht. Sie hielt krampfhaft an der Vorstellung fest, wie ihr Leben als Mensch wäre, und flüchtete sich in diese Fantasie. Doch diese Fantasie war nun Wirklichkeit geworden. Wie und warum, das wusste sie nicht. Aber es war am Ende auch egal. Hauptsache war, dass sie wieder leben konnte. Wirklich leben.

Sie blickte zur Tür und sah einen Mantel daneben hängen. Das war nicht der Mantel, den sie kannte. Er war leichter, unscheinbarer. Ein Alltagsgegenstand zum Schutz vor Witterung. Sie fragte sich, wer vor ihr hier gewohnt haben mochte. Vieles war so ähnlich und auch ... vertraut. Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie kannte den Mantel eigentlich. Es war ihrer – vor der Wandlung. Nicht alles war exakt gleich, aber sie erkannte das Muster. Niemand anderes außer ihr oder einer Art Zwilling konnte hier gewohnt haben.

Hatte sie mit diesem Zwilling die Plätze getauscht? Vielleicht waren ihre intensiven Fantasien nicht bloß das, überkam sie ein Gedanke. Vielleicht steckte mehr dahinter. Das wäre nicht ganz unplausibel, dachte sie, in Anbetracht der aktuellen Ereignisse, von denen die Leute berichteten, denen sie des Nachts heimlich gelauscht hatte – nicht weil sie ihr Blut trinken wollte, sondern weil sie Gesellschaft suchte. Menschliche Gesellschaft, von der sie dennoch fundamental getrennt war. Als Vampirin kam sie Menschen entweder zu nah oder blieb von ihnen getrennt. Das war es, was sie neben dem quälenden Hunger am meisten leiden ließ. Neben dem körperlichen Hunger gesellte sich noch dieser emotionale Hunger dazu. Sie fühlte sich als das einsamste Wesen auf der Welt.

Aber jetzt war alles anders. Sie musterte ihre neue alte Garderobe und zog sich an. Das gab ihr ein Gefühl, fast wie in eine alte Haut zu schlüpfen. Doch fühlte sie sich anders als früher. Ein innerer Frieden war hinzugekommen, der ihr vor der Wandlung fehlte und der sie überhaupt erst dazu getrieben hatte, die Unsterblichkeit zu suchen.

Passend für den Tag gekleidet schritt sie zur Tür und öffnete sie langsam. Da öffnete sich vor ihren Augen eine ganze Welt. Eine bekannte und dennoch neue Welt. Sie trat vor die Tür und schloss sie behutsam hinter sich. Nun stand sie da, auf der kleinen Treppe, ging sie hinunter und drehte sich noch einmal um. Sie konnte es immer noch kaum fassen. Sie bemerkte, dass da ein kleiner Stein im Mauerwerk der Treppe fehlte.

Hmm, kleine Unterschiede, dachte sie. Es war nicht nur sie selbst, die sich verändert hatte, sondern auch ihre Welt. Aber nicht zu sehr, um sich nicht grundsätzlich unvertraut zu fühlen.

So ging sie los, die Sonne im Gesicht, ihrem neuen Leben entgegen.

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Re: Ein Echo aus einer anderen Welt?

Beitrag von gelöschter Charakter_580 »

Der Tag war warm und sonnig.
Sziedeynas erster Tag unter der Sonne seit rund einem Jahr. Nachdem sie vor die Tür ihres kleinen Hauses getreten war, fühlte sie eine Euphorie in sich aufsteigen, mit der sie längst nicht mehr gerechnet hatte. Die Hoffnungslosigkeit, die noch gestern jede Faser ihres Körpers chronisch durchzogen hatte, wich einer neuen Lebensbejahung – einer, die sie so überhaupt zum ersten Mal in ihrem Leben spürte.

Sie labte sich an der Wärme, die die Sonne auf ihr Gesicht und ihren Körper legte. Es fühlte sich fast an, als würde sie mit Energie aufgeladen. Sie war ganz im Moment.
Sie spürte den Wind sanft durch ihre Haare streichen, hörte den Vögeln beim Singen zu, beobachtete Bienen und Schmetterlinge – und liebte in diesem Augenblick einfach alles, was um sie herum geschah. Es waren banale Dinge. Aber es waren auch Dinge, die für ein Jahr lang völlig unerreichbar gewesen waren.

Sie hatte den Vampirfluch verloren. Oder besser gesagt: Sie war in einer anderen Welt aufgewacht, in einem anderen Körper, der dennoch ihrer war. Ein Wunder – unmöglich eigentlich. Kein Vampir wagte je, davon zu träumen. Und doch war es geschehen. Sie hatte alle Erinnerungen behalten. Sie war sie selbst. Wieder sie selbst.

Vor rund einem Jahr war es passiert. Da war ihr einst sehnlichster Wunsch in Erfüllung gegangen: Sie war von einem Vampir auserwählt worden, sein Schicksal zu teilen.
Doch bald hatte sie gemerkt, dass mit so einer Existenz mehr Schatten als Licht verbunden war. Ja, als Vampir war man unsterblich – das war ihr Wunsch gewesen. Aber er hatte einen Preis, den sie entweder nicht gekannt oder verdrängt hatte.

Anfangs war sie noch berauscht gewesen von ihrem neuen Leben und ihren ersten Jagderfolgen, doch irgendwann hatte sie erkannt, wie ihre Existenz sich nur noch ums Überleben drehte. Das Blut hatte sie abhängig gemacht. Dessen Beschaffung war stets mit Risiko verbunden gewesen, und der anfängliche Nervenkitzel war einer nüchternen Notwendigkeit gewichen.
Was hatte sie dadurch wirklich gewonnen? Ein ewiges Leben – ja. Aber wozu? Um ewig weiterzuleben als Schatten ihrer selbst, einsam, gehetzt, leer?

Sie war zur Jägerin geworden, doch hatte sich bald wie eine erbärmliche Kreatur gefühlt. Eine, die nur schmarotzte, auf Kosten anderer.
So viele Leben hatte sie bereits ausgelöscht. Die Abstände zwischen den Jagden hatten sich vergrößert, weil sich in ihr ein innerer Widerstand geregt hatte. Doch am Ende hatte immer der Hunger gesiegt. Irgendwann.
Dennoch hatte es jedes Mal länger gedauert. Und irgendwann hatte sie ganz aufgehört.
Sie war kraftlos geworden. Leer.
Verzweifelt.

Drei Monate hatte sie das Haus am Ende nicht mehr verlassen. Stattdessen hatte sie vom Menschsein geträumt. Sie hatte sich danach gesehnt. Sziedeyna hatte es fast als Ironie empfunden, dass sie sich nun erneut nach etwas Unerreichbarem verzehrte – und wieder unzufrieden war.
Sie hatte sich vorgestellt, wie es wäre, unter der Sonne zu verweilen, ohne in Asche zu zerfallen. Und sie hatte vergangene Erlebnisse aus der Zeit vor der Wandlung wieder und wieder Revue passieren lassen. Doch das hatte ihr nicht gutgetan. Es war, als hätte sie Salz in eine ohnehin schmerzende Wunde gestreut.

Aber irgendetwas – oder irgendwer – schien ihren Schmerz gesehen zu haben. Und ihr eine zweite Chance geben zu wollen.

Jetzt stand sie tatsächlich hier, unter der Sonne, und konnte eine neue Perspektive aufs Leben entwickeln.
Sie beging die ihr vertraute Stadt, doch sah alles mit neuen Augen.
Ab und an konnte sie sich ein euphorisches Schmunzeln nicht verkneifen, bei dem sich mancher Passant wohl fragte, was sie in dieser Banalität des Alltags so beglückte.

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gelöschter Charakter_580
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Kapitel 3 – das Pendel

Beitrag von gelöschter Charakter_580 »

Sziedeynas anfänglicher Rausch war inzwischen verflogen. Allmählich machte sich in ihr wieder der Hunger breit. Ihre Gedanken hatten sich für eine Weile nicht um Blut gedreht. Jetzt stellte sie sich wieder die Frage, wie sie an welches kommen konnte, möglichst ohne wieder eine Leiche entsorgen zu müssen. Sie seufzte. Ihr wurde in der Nüchternheit klar, was ihr Zustand in Zukunft für sie bedeutete. Unsterblichkeit. Aber zu welchem Preis?

Diese Gedanken nahmen sich jetzt mehr und mehr Raum in ihrem Kopf. Nachdem sowohl die völlige Aushungerung als auch der Rausch nach der Blutmahlzeit verflogen waren, reflektierte sie zum ersten Mal ihre Situation richtig. Gerade als Vampir erwacht war es der Hunger gewesen, der ihre Gedanken auf eine einzige Sache fokussiert hatte. Danach hatte der Rausch ihr jede Notwendigkeit genommen, über ihre Situation nachzudenken.

Alles hatte mit ihren Träumen angefangen, die immer mehr ihr Leben bestimmt hatten, und am Ende sah sie sich plötzlich in einer anderen Welt wieder und war zu dem Ebenbild aus ihrem Traum geworden. Niemand hatte sie gefragt, ob sie das auch wollte. Eigentlich hatte sie mit dem Wunsch, ein Vampir zu werden, längst abgeschlossen. Ihr wurde klar, dass das alles keine Dauerzustände sein konnten und sie sich immer wieder an diesem Punkt befinden würde, an dem ihr ihre Existenz vor Augen geführt wurde.

Diese Gedanken ließen sie in ein Loch fallen. Woraus sollte ihr Leben künftig bestehen? Sollte alles, wofür sie lebte, darin bestehen, sich die nächste Blutmahlzeit einzuverleiben – gegebenenfalls unter hohen Risiken? Sie fühlte sich wie eine Drogenabhängige in einem Moment der Klarheit. Bloß, dass sie keine Aussicht darauf hatte, von dieser Droge loszukommen, da sie notwendig für ihre Existenz war. Und so breitete sich in ihr ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Leere aus, das sie in den nächsten Tagen auch nicht verlor.

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Sziedeynas anfängliche Euphorie wich allmählich einer Gewöhnung an den Alltag. Die Bienen und Schmetterlinge oder die Wärme der Sonne nahm sie jetzt nicht mehr so wahr wie zuletzt noch an ihrem ersten Ausflug als Mensch. Sie brauchte Geld. Also musste sie arbeiten. Nur wusste sie überhaupt nicht, was ihr Gegenstück zuletzt gemacht hatte. Zu welchen Auftraggebern hatte sie Kontakt gehabt? Welche Aufträge waren noch offen? Es fiel ihr daher schwer, wieder in ihr altes Leben vor der Vampirwandlung zurückzufinden.

Sie klapperte Anschlagsbretter ab, aber es war kein Auftrag für sie dabei. Sie beschloss, ihren ehemaligen Auftraggebern einen Besuch abzustatten und sich dabei möglichst nicht anmerken zu lassen, dass sie sie eigentlich seit mindestens einem Jahr nicht mehr gesehen hatte. Einer hatte tatsächlich einen Auftrag für sie, den sie bereitwillig und voller Erleichterung annahm. Es war das Übliche: Irgendein Schwarzmagier benötigte wieder Reagenzien für seine Experimente. Sie hatte endlich den Fuß wieder in der Tür. Normalität schien einzukehren.

Eines Morgens jedoch wachte sie schweißgebadet auf. Ein Albtraum. Darin war sie wieder die Vampirin, die sie bis vor kurzem noch gewesen war. Träume waren offenbar ein Nebeneffekt ihrer zurückgewonnenen Menschlichkeit. Aber dieser Traum machte ihr Angst. Was, wenn es kein bloßer Traum war, sondern eine Erinnerung daran, dass sie vielleicht genauso unverrücks wieder zu dieser Kreatur werden konnte, wie sie sich plötzlich in der Haut eines Menschen wiedergefunden hatte? Was, wenn diese Rückverwandlung nicht endgültig war? Was, wenn sie wieder in diesen elenden Zustand zurückkehren musste, der für sie die reinste Qual gewesen war? Sie hoffte Gegenteiliges, aber bei diesem einen Traum blieb es nicht.

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Und dann passierte es. Genauso plötzlich wie das Mal zuvor. Sziedeyna wachte wie aus einem Traum auf und spürte sogleich, dass sie kein Vampir mehr war. Sie blickte sich um, und der veränderte Raum bestätigte ihr dies. Keine schweren Vorhänge. Ihr Schlafrock hatte wieder das sachte Beige statt dem intensiven Weinrot. Aber anstatt sich über die wundersame Wendung zu freuen, stieg Unbehagen in ihr auf.

Sie war skeptisch. Was sie zuletzt als endgültiges Schicksal begriffen hatte, war nun, durch den erneuten Wechsel, grundsätzlich infrage gestellt worden. So konnte es nicht weitergehen. Würde sie die nächste Nacht wieder Vampir sein? Sie musste dem, was mit ihr passierte, endlich auf den Grund gehen. Aber sie wusste nicht, wo sie überhaupt anfangen sollte. Die Geschehnisse schienen sich in einem viel größeren Rahmen abzuspielen, als für sie greifbar war.

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Und dann geschah es. Genauso plötzlich wie das Mal zuvor. Sziedeyna wachte nicht aus ihrem Traum auf, sondern war zu ihrem Traum geworden – der Vampirin. Was sie sofort merkte, da sie den Zustand inzwischen kannte und er in so barschem Kontrast zu ihrem menschlichen Lebendigfühlen stand, das sie zuletzt wieder wertzuschätzen gelernt hatte.

Sofort brach in ihr ein Gefühl von Ausweglosigkeit aus. Wie konnte ihr das Schicksal so einen Streich spielen? Als hatte es ihr grausam mit einem kleinen Appetithappen vor Augen führen wollen, was sie doch nicht mehr haben sollte. So fühlte es sich für sie an. Aber sie fragte sich nun auch, ob sie vielleicht morgen doch wieder als Mensch aufwachen würde. Diese Ungewissheit konnte sie nicht länger akzeptieren. Sie musste dem, was mit ihr geschah, endlich auf den Grund gehen. Selbst ihren Hunger schien dieses Gedankenkarussell vorübergehend zu überdecken.

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Es war wieder passiert. Sie hatte keinen Herzschlag mehr und spürte den Hunger nach Blut. Die Abstände zwischen den Wechseln schienen sich zu verringern. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als hätte sich etwas in ihrem Augenwinkel bewegt. Sie schaute hin. Da hing ihr Spiegel an der Wand. War es Einbildung? Da konnte doch nichts gewesen sein.

Sie stand trotzdem auf, stellte sich vor den Spiegel und schaute hinein. Da sah sie etwas!

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Es war erneut geschehen. Sie spürte ihr Herz pochen nach dem Aufwachen. Als Allererstes ging sie zum Spiegel an der Wand, um sich zu sehen. Es verlangte sie innerlich nach dieser eindeutigen Bestätigung. Da war aber nichts. Der Spiegel war... leer. Sie zweifelte an ihrem Verstand, wandte sich ab und rieb sich die Augen. Was war nur los?

Sie versuchte es nochmals. Und als sie diesmal in den Spiegel schaute, sah sie jemanden!

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Als sich beide erblickten, begriffen sie gleichzeitig: Es war nicht ihr eigenes Spiegelbild, das sie sahen – es war ihr Gegenstück. Vampirin und Mensch blickten einander wie erstarrt in die Augen, als könnten sie ihren Blicken nicht trauen. Ein Sog schien von der spiegelnden Fläche auszugehen, und beide verspürten wie in Trance den Drang, das Bild zu berühren.

Sie streckten eine Hand aus – langsam, fast zögerlich – und berührten gleichzeitig die Oberfläche.

Da vollzog sich etwas Unglaubliches.

Ein einziger, greller Lichtblitz – ein Knall, der kaum länger als ein Herzschlag andauerte – und beide Sziedeynas verschmolzen zu einer.

Weder vollständig Mensch, noch ganz Vampir – und doch beides irgendwie.

Damit stand das Pendel still. Ein kosmischer Ausgleich hatte stattgefunden.

OOC-Hinweis: Die Ereignisse in diesem Beitrag sind noch nicht offiziell passiert.

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gelöschter Charakter_580
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Kapitel 4 – Equilibrium

Beitrag von gelöschter Charakter_580 »

Sziedeyna fühlte sich von einer explosionsartigen Wucht getroffen, die sie zu Boden warf. Der Lichtblitz ließ sie kurzzeitig erblinden und der Knall ließ ein Fiepsen in ihren Ohren zurück. Sie brauchte eine Weile, um sich wieder zu berappeln. Sie saß auf dem Fußboden. Vor ihr lagen Glassplitter verteilt. Bei ihrem Versuch, wieder Orientierung zu gewinnen, hatte sie sich geschnitten, sodass etwas Blut an ihrer Hand herunterlief. Sie schaute zum Spiegel über der Kommode, der dort, wo er vor kurzem noch hing, nicht mehr war. Der Holzrahmen war zerfetzt und das Spiegelglas verteilte sich im ganzen Raum.

Noch immer wacklig auf den Beinen stand sie vorsichtig auf. Sie achtete darauf, sich nicht noch mehr an den Splittern zu schneiden. Einen hatte sie übersehen. Dieser stach ihr in den Fuß. Sie zog erschrocken den Fuß hoch und fluchte. Danach gelang es ihr, das Splitterlabyrinth erfolgreich zu verlassen. Sie zog sich ihre Pantoffeln an und holte den Besen aus der Ecke. Damit kehrte sie die Splitter erst einmal auf.

Danach erst beschäftigte sie sich mit ihrer Situation und sich selbst. Was war eben passiert? Da war sie im Spiegel. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Aber auch nicht sie. Es war nicht ihr Spiegelbild, was sie gesehen hatte, sondern eine Art Doppelgängerin. Eine von ihnen war Vampir, die andere Mensch. Und dann berührten sie sich an der Spiegelfläche und sie konnte sich nur noch an ein gleißend helles Licht und einen lauten Knall erinnern.

Jetzt wo sie darüber nachdachte, war ihr nicht mehr klar, wer sie dabei gewesen war und wer die andere Sziedeyna. War sie die Vampirin gewesen oder der Mensch? Lag es am sich zuvor beschleunigenden Wechsel zwischen den zwei Zuständen oder hatte es einen anderen Grund? Sie hatte irgendwie das Gefühl, dass das, was die letzten Wochen passiert war, nun ein Ende gefunden hatte. Als hätte alles auf diesen Moment zugesteuert.

Doch was war sie nun? Vampir oder Mensch? Im Spiegel konnte sie sich nun nicht mehr betrachten. Sie prüfte ihren Puls. Sie spürte etwas. Schwach aber vorhanden. Ungewöhnlich schwach. Ihre Hände und Arme hatten einen blassen Ton, dennoch nicht so blass, wie sie es bei sich als Vampirin in Erinnerung hatte. Aber auch nicht so rosig wie als Mensch. Das ließ sie grübeln. Konnte es sein? Konnte sie auf seltsame Weise beides sein? Mensch und Vampir?

Eine Probe aufs Exempel wusste sie noch: Sich dem Sonnenlicht aussetzen und schauen, was passiert. Sie blickte zu den Vorhängen vor dem Fenster. Es waren die normalen Vorhänge wie sie sie als Mensch kannte. Es kam nur wenig Licht hindurch, aber so viel, dass sie sehen konnte, dass draußen Tag war. Vorsichtig näherte sie sich ihnen und schob ihre rechte Hand zwischen Vorhang und Fensterscheibe, wo das Sonnenlicht hinschien. Es schien zu gehen... sie ließ die Hand im Licht verweilen, doch dann spürte sie doch etwas. Sie zog die Hand schnell zurück und begutachtete sie. Sie war ganz rot und fühlte sich wund an. Der Zustand verschlechterte sich im Nachhinein weiter. Es juckte und brannte. Quaddeln hatten sich inzwischen gebildet.

Es war nicht der totale Schock, mit der Sonne in Berührung zu kommen, wie das letzte Mal als Vampirin, als sie sich das Gesicht prompt schwer verbrannt hatte. Aber einfach in die Sonne gehen wie ein Mensch konnte sie so auch auf keinen Fall. Sie starb vielleicht nicht gleich, aber so in etwa stellte sie sich Folter vor. Jetzt war ihr endgültig klar, dass sie weder Fisch, noch Fleisch war. Irgendeine Chimäre aus Vampir und Mensch. Vielleicht war es das, was Knall und Blitz als Ergebnis der Berührung der beiden bewirkt hatten. Sie hatten beide Sziedeynas zu einer verschmolzen und damit auch ihre Eigenschaften, was sich einer Erklärung nach bisherigen Erkenntnissen der Wissenschaft komplett entziehen mochte.

Sie spürte nun, da sich alles etwas gesetzt hatte, auch leichten Hunger. Sowohl auf herkömmliche Nahrung wie auch auf... Blut. Beides war präsent, aber nicht mehr so vordergründig. Sie stellte sich Blut jetzt eher einfach lecker vor, wie einen Nachtisch. Sie hatte jetzt wohl viel an sich zu entdecken. Wie sie wirklich funktionierte und was sie wirklich brauchte. Wo nun ihre Stärken und Schwächen lagen. Und vor allem: Wo sie nun hingehörte.

Es war lange her, dass sie Speck mit Eiern gegessen hatte. Ihr häufigstes Frühstück vor diesen unglaublichen Ereignissen, die mit einem Traum begannen. Sie wartete bis zum späten Nachmittag und nutzte die Zeit für weitere Reflexion ihrer Situation. Zu dieser Zeit waren auf dem Marktplatz noch Händler, aber die Sonne stand nicht mehr so hoch am Himmel. Sie wollte schauen, ob sie wirklich bis zur Nacht warten musste, um das Haus sicher verlassen zu können, oder ob sie dies vielleicht auch etwas früher tun konnte. Sie begutachtete ihre Hand, die inzwischen fast vollständig geheilt war. Nur noch etwas Rötung war zu erkennen. Selbstregenerierung hatte sie also, bloß längst nicht so schnell und effektiv wie es bei ihr als vollständige Vampirin der Fall gewesen war.

Vorsichtig streckte sie nun wieder ihre Hand aus und hielt sie zwischen Vorhang und Fenster. Sie schien Recht zu behalten. Das Licht war nun nicht mehr intensiv genug, um ihr unmittelbar zu schaden. Zur Sicherheit entschied sie sich, den Mantel mit Kapuze anzuziehen, bevor sie rausging. Aber sie wollte bei diesem Gang zum Markt auch herausfinden, wo ihre Grenze lag. Auf dem Weg zum Markt zog sie daher immer wieder kurz die Kapuze nach hinten. Es schien ihr nicht zu schaden. Also war es wirklich vor allem die Mittagssonne, die für sie problematisch war.

Am Markt angekommen, erblickte sie sogleich den Händler, bei dem sie vor kurzem noch die Blutwürste gekauft hatte. Der Gedanke an die Würste war verlockend, aber sie entschied sich dennoch für den Speck und ein paar Eier. Die Interaktion mit dem Händler verlief ganz normal. Sie schien in der Stadt nicht weiter aufzufallen. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sie sich nicht mehr zerrissen. Als hätte die Welt nie vorgehabt, sie ganz auf die eine oder andere Seite fallen zu lassen.

Eines war ihr jedoch aufgefallen. Es war, als spürte sie etwas bei der Interaktion mit dem Händler. So als hatte sie diffus Gefühle wahrnehmen können. Als der Händler sie erblickte, erfasste sie der Hauch einer freudigen Stimmung, als hatte sie spüren können, dass der Händler sich über eine weitere Kundin gefreut hatte. Hatte sie hier auch eine besondere Fähigkeit, die zwar nicht so potent wie bei einem normalen Vampir war, jedoch über das, was ein Mensch wahrnehmen konnte, hinausging?

Sziedeyna fragte sich nun, ob sie nicht nur Emotionen spüren, sondern diese auch beeinflussen konnte. Sie sah einen kleinen Jungen auf einer Bank sitzen, der vermutlich auf jemanden wartete. Sie setzte sich daneben. Der Junge lächelte ihr zu und sie zurück. Vom Jungen ging ein Gefühl von kindlicher Unschuld aus. Jetzt begann ihr Experiment: Sie versuchte, dem Jungen über schiere Gedankenkraft Angst zu machen. Sein Blick veränderte sich. Sie spürte Unsicherheit in ihm aufsteigen und er schaute sie mit einem seltsamen Blick an. Danach fing er an zu weinen und lief davon. Sie hatte das nicht unbedingt gewollt, aber gerade war ihr nichts anderes eingefallen und er würde sich sicherlich bald davon erholt haben. Sie wusste jetzt jedenfalls, dass sie gewisse Kräfte besaß, wenn auch nicht auf dem Niveau ihres früheren Vampirdaseins.

Für sie stand jetzt fest: Sie schien eine schwächere Form eines Vampirs zu sein. Ihre Schwächen fielen dadurch geringer aus. Sie war nicht ganz so empfindlich gegenüber Sonnenlicht. Am späten Nachmittag konnte sie bereits der Sonne standhalten. Mittags jedoch war es ihr unmöglich, ohne Schutzmaßnahmen vor die Tür zu gehen. Ihre Stärken fielen ebenfalls geringer aus als bei einem Normalen Vampir. Sie konnte ihre Verletzungen regenerieren, aber viel langsamer. Sie konnte Emotionen diffus wahrnehmen und beeinflussen, aber sicher niemanden in Trance versetzen oder ihn gar ganz psychisch kontrollieren.

Auf eigenartige Weise fühlte sie sich jedoch jetzt irgendwie ganz. So als hätte die kosmische Ordnung immer schon danach gestrebt, dass sie so ist, wie sie nun ist. Nicht ganz Vampir, aber auch nicht mehr ganz Mensch.

So ging sie mit einem zufriedenen Gefühl nach Hause, lagerte den Speck und die Eier im Keller ein und briet sich endlich wieder ihren geliebten Speck mit Eiern. Das war nun ihr letzter Test: Vertrug sie das Essen? Ja, sie konnte es essen, aber irgendwie schmeckte es etwas fade. Etwas fehlte. War etwas mit dem Essen nicht in Ordnung? Nein, der Speck sah gut aus und roch normal. Die Eier waren ebenfalls frisch und so wie man es erwartet. Lag es an ihr? Vielleicht war es das Ergebnis der Fusion. Vampire aßen keine herkömmliche Nahrung mehr. Sie tranken ausschließlich Blut. Deswegen hatte sich ihr Geschmacksempfinden gegenüber herkömmlicher Nahrung möglicherweise abgeschwächt.

Blut... den Gedanken daran empfand Sziedeyna schon als schön. Aber sie war diesmal bestimmt nicht gierig genug, um Dummheiten dafür anzustellen. Sie wollte sich etwas überlegen, wie sie an Blut kommen konnte, ohne dass es für sie ein Risiko darstellte und wieder unschuldige Personen dafür sterben mussten. Bis dahin hielt sie es mit Speck und Eiern aus, auch wenn diese nicht mehr so schmeckten wie früher.

Ins Bett ging Sziedeyna von nun an am frühen Morgen, bevor die Sonne ihre Kraft entfalten würde. Sie schlief dann, und ja, sie schlief tatsächlich und hatte auch Träume, bis nachmittags und begann den Tag außer Haus am späten Nachmittag bis frühen Abend, sodass ihr die Sonne nicht mehr schadete.

OOC-Hinweis: Die Ereignisse in diesem Beitrag sind noch nicht offiziell passiert.

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