Im Schatten der Orchideen - eine Liebe in Minoc

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gelöschter Charakter_779
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Im Schatten der Orchideen - eine Liebe in Minoc

Beitrag von gelöschter Charakter_779 »

Der Einband des Buches ist ein handgemaltes Meisterwerk in satten Farben, leicht vergilbt vom vielen Lesen, mit kleinen Rissen an den Ecken. Im Zentrum steht die leidenschaftliche Szene auf einer nebligen Lichtung:

Eine junge Frau mit moosgrünem Kleid, losem Haar und aufgeschürften Händen kniet in einem Meer aus tiefschwarzen Orchideen, deren Blüten blutrote Tropfen träufeln. Hinter ihr, halb aus dem Nebel tretend, ein hochgewachsener Mann in dunklem Ledermantel – sein Blick durchdringend, sehnsüchtig, verletzlich.

Über ihnen liegt der matte Schimmer des Mondes, gebrochen durch das Geäst kahler Bäume. Am oberen Rand prangt in elegant geschwungenen Lettern der goldene Titel:
„Im Schatten der Orchideen – Eine Liebe in Minoc“
Darunter, in kleinerem Schriftzug, das Versprechen:
„Ein Roman voll Nebel, Schmerz – und unvergesslicher Leidenschaft“.

Der Rücken ist weinrot mit goldgeprägten Ranken. Auf der Rückseite: eine verwelkte Orchidee, in deren Mitte ein Tropfen Tinte – oder Blut?


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gelöschter Charakter_779
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Teil I – Nebel über der Lichtung

Beitrag von gelöschter Charakter_779 »

Minoc erwachte nur langsam an diesem Morgen. Die Hammerschläge in den Schmieden blieben aus, als würde selbst das Eisen den Atem anhalten. Nebel hing wie ein Schleier über den Dächern der Stadt, sickerte zwischen die Häuserreihen, kroch in Fensterrahmen und bedeckte die gepflasterten Wege wie ein vergessenes Gebet. Und während die Welt noch schlief, trat Miriane Solvair bereits durch das alte Eisentor ihres Elternhauses.

Sie trug einen schweren Wollumhang, grau wie die Morgendämmerung, und darunter ein einfaches Kleid aus moosgrünem Leinen, das sie längst zu schade für die Werkstatt geworden war. An ihrem Gürtel klirrte leise eine kleine Ledertasche mit einem Glasröhrchen, einem Federkiel und einem Notizbuch, das nach Tinte und Lavendel duftete.

Sie war nicht schön im Sinne der Gedichte, die man in der „Silbernen Nadel“ vortrug. Aber ihre Augen waren groß, von der Farbe nasser Erde, und wenn sie sprach, klang es wie das Rascheln von Buchseiten in einer warmen Ecke der Bibliothek.

„Sei vorsichtig, Kind“, hatte ihre Haushälterin noch geraunt, „es heißt, der Nebel nimmt Erinnerungen mit, wenn man zu tief hineingeht.“

Doch Miriane lächelte nur sanft. Ich will vergessen, was sie mir auferlegen wollen, dachte sie. Und finden, was sie nie geglaubt haben.

Es ging ihr nicht nur um Orchideen.
Es ging um Freiheit.

⊱⋅ ───────── ༻ Im Schatten der Orchideen ༺ ───────── ⋅⊰


Der Weg führte sie hinaus, vorbei an verlassenen Feldern und den stillgelegten alten Schienen, auf denen früher Lore um Lore Erz ins Tal gebracht hatte. Der Nebel legte sich um ihre Schritte, dämpfte den Klang der Welt, machte alles weich, vage, beinahe traumhaft. Vögel sangen nicht. Keine Glocke schlug. Nur das pochende Herz in ihrer Brust war noch real. Sie erinnerte sich an die Geschichten ihrer Großmutter: von schwarzen Orchideen, die nur in der Stille blühten. Von Blüten, die aus gebrochenen Herzen wuchsen, in Tränen getränkt. Ihre Lehrmeister an der Akademie hatten gelacht, als sie davon erzählte.

„Ein alchemistisches Märchen, Fräulein Solvair. Unfug. Die Liebe ist kein Katalysator.“

Aber sie wusste es besser.
Der Nebel lichtete sich kaum, als sie den ersten Buchenhain erreichte. Und dort – ein Umriss.
Ein Gebäude?

Nein, eine Hütte. Verfallen, fast verschluckt von der Zeit. Moos kroch über das Dach, Efeu rang mit den Fenstern. Die Tür stand nur angelehnt, knarrte leise im Wind, als würde sie atmen.
Miriane trat näher, mit zögerndem Schritt. Die Hütte war nicht auf ihren Karten verzeichnet. Und doch schien sie zu warten – auf sie.
Sie hob die Hand, um anzuklopfen.
Doch bevor ihre Finger das Holz berührten, flackerte etwas im Fenster. Eine Bewegung. Ein Schatten.
Und dann – eine Stimme hinter ihr.

„Ihr solltet nicht hier sein.“

Sie wirbelte herum. Und ihr Atem stockte.
Ein Mann. Groß. Breit gebaut. Mit einem langen, dunkelbraunen Mantel, der vom Nebel feucht glänzte. Die Kapuze war zurückgeschlagen, das Haar tiefschwarz, die Haut sonnenarm, und doch kräftig. Seine Wangen waren von Bartstoppeln gesäumt, doch es war sein Blick, der sie traf wie ein Dolch: hell, fast silbern. Und zugleich von einer Müdigkeit, als hätte er Jahrhunderte gesehen.
Miriane öffnete den Mund, doch ihre Stimme kam erst beim zweiten Versuch.

„Ich suche… Orchideen.“

Ein Hauch eines Lächelns zog über seine Züge.
„Dann sucht Ihr nicht nach Blumen. Sondern nach einer Wahrheit, die bluten lässt.“

Er wandte sich ab. Ohne ein weiteres Wort. Die Tür der Hütte schloss sich hinter ihm mit einem dumpfen, endgültigen Geräusch.
Miriane stand da, das Herz hämmernd in der Brust, die Finger um ihr Notizbuch gekrampft.
Und dann flüsterte sie – leise, nur für sich selbst:

„Wer bist du, Ravien…?“


⊱⋅ ───────── ༻ Im Schatten der Orchideen ༺ ───────── ⋅⊰
gelöschter Charakter_779
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Teil II – Die Hütte am Rand der Welt

Beitrag von gelöschter Charakter_779 »

Der Nebel war nicht nur dichter geworden – er war lebendig. Er schmiegte sich an Bäume wie nasse Seide, kroch in Stiefelränder, legte sich wie ein schweres Tuch über die Schultern. Die Welt wurde leise, seltsam gedämpft. Kein Vogel sang. Kein Zweig knackte. Nur das pochende Herz in Mirianes Brust begleitete sie.
Sie wagte keinen weiteren Schritt. Der Mann – Ravien, wie sie später lernen würde, dass er hieß – hatte sich mit kaum einem Laut wieder in die Hütte zurückgezogen. Die Tür war zugefallen, nicht hart, aber fest genug, dass es klang wie ein letzter Satz. Ein Abschied. Oder eine Warnung.
Und doch… sie stand noch immer dort.
Wie lange sie zögerte, wusste sie nicht. Vielleicht war es nur ein Augenblick. Vielleicht eine halbe Ewigkeit. Dann trat sie endlich näher. Ihre Finger glitten über das feuchte Holz des Türrahmens, rau und von Zeit gezeichnet. Sie lauschte. Nichts. Kein Schritt, kein Räuspern, kein Leben.

Und dennoch war da diese unausgesprochene Gewissheit: Er war dort. Und er wusste, dass sie noch hier stand.
Sie hob die Hand. Klopfte.

Einmal.
Zweimal.
Stille.

Dann öffnete sich die Tür – nicht mit einem Ruck, sondern langsam, als würde das Holz selbst sich umentscheiden. Vor ihr lag ein schmaler Raum, nur notdürftig möbliert. Ein kleiner Ofen, dessen Feuer längst erloschen war. Ein Stuhl, roh gezimmert. Ein Tisch mit einer Schale voller getrockneter Beeren. Und an der hinteren Wand ein Bücherregal, aus dem Moos wuchs, als hätte selbst das Wissen das Atmen verlernt.
Ravien stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster. Der Nebel dahinter wirkte wie eine bewegte Leinwand, ein stiller Sturm aus Weiß. Seine Silhouette war kantig, die Haltung aufrecht, aber angespannt – als wappne er sich gegen etwas Unsichtbares.

„Ich wollte nicht stören“, sagte Miriane, leiser, als sie beabsichtigt hatte.

Er drehte sich nicht um.
„Und doch seid Ihr hier.“

Sie trat über die Schwelle. Eine Schwelle, so kam es ihr vor, zwischen Welten.

„Ihr habt von Wahrheit gesprochen, die bluten lässt“, sagte sie. „Was meintet Ihr?“

Nun wandte er sich ihr zu. Langsam. In seinem Gesicht lag nichts Feindliches – aber auch nichts Einladendes. Es war das Gesicht eines Mannes, der zu viel gesehen, zu viel verloren hatte, als dass Vertrauen noch leichtfiele.

„Die schwarzen Orchideen“, sagte er, „sind nicht einfach Pflanzen. Sie wachsen dort, wo etwas gebrochen wurde. Ein Schwur. Ein Herz. Oder eine Hoffnung.“

Er trat an das Regal. Holte ein altes, vergilbtes Buch hervor. Reichte es ihr. Sie nahm es mit zitternden Fingern. Zwischen getrockneten Blättern fand sie Zeichnungen – Blüten mit dunklen, samtigen Kelchen, in deren Mitte Tropfen wie Blutperlen hingen.

„Diese… sind nicht bekannt“, flüsterte sie. „Nicht einmal in den Archiven von Moonglow.“

„Natürlich nicht. Solche Dinge stehen nicht in Büchern. Sie überleben nur in den Erinnerungen derer, die sie gesehen – oder verursacht – haben.“

„Habt Ihr… eine solche Blume gesehen?“

Er antwortete nicht sofort. Seine Hand strich über das Fensterbrett, fuhr eine schmale Kerbe nach, fast zärtlich.

„Ich habe… eine blühen sehen. Dort, wo ich hätte töten sollen – und es nicht tat.“

Ihre Augen weiteten sich. „Ihr… wart ein Auftragsmörder?“
Sein Blick traf sie. Hart. Klar.
„Ich war jemand, der glaubte, dass Pflicht mehr wiegt als Schuld. Bis ich begriff, dass Liebe schwerer ist als beides.“

Er wandte sich wieder ab.
„Geht.“

Aber sie ging nicht. Stattdessen trat sie näher, stellte das Buch auf den Tisch, legte die Hand auf den Einband.

„Wenn ich Euch erzähle, dass ich nicht wegen der Blumen hier bin – sondern weil ich nicht mehr weiß, was ich glauben darf… würdet Ihr dann hören?“

Stille.
Dann, ganz leise:

„Vielleicht.“
gelöschter Charakter_779
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Teil III – Die Worte der Alten

Beitrag von gelöschter Charakter_779 »

Minoc lag still unter einer dichten Wolkendecke, als Miriane zurückkehrte. Die Straßen waren nass vom Frühnebel, die Rinnen voller schmutzigem Tauwasser. Aus den Schmieden drang kaum noch das gewohnte rhythmische Hämmern, als würde selbst das Eisen an diesem Tag schweigen.

Sie schloss sich in das Dachzimmer des Solvair-Anwesens ein, rollte die nassen Stiefel von den Füßen und rieb sich die Hände, um das Gefühl des Nebels abzuschütteln – vergebens. Ihre Gedanken kreisten um Ravien. Um seine Worte. Um den Blick, der mehr sagte als ein ganzes Buch. Und um die Orchideen…

Nein – um das, was sie wirklich suchte.
Freiheit? Liebe? Wahrheit?
Sie wusste es nicht mehr. Doch sie wusste: Es begann nicht mit ihm. Es begann viel früher.

Am nächsten Morgen stieg sie in den östlichen Flügel des Hauses hinab, wo man das alte Arbeitszimmer ihrer Großmutter abgeschlossen hatte, seit diese vor zehn Jahren gestorben war. Niemand wagte sich hinein. Nicht wegen Geistern oder Flüchen – sondern aus Ehrfurcht.
Denn Maralda Solvair war keine gewöhnliche Frau gewesen.

Sie war die erste gewesen, die mit dem Königshof von Britain über Pflanzenhandel gesprochen hatte. Die erste, die in einem Brief an Lord Blackthorn vom „Gedächtnis der Blumen“ geschrieben hatte – und dafür ausgelacht worden war.
Und sie war die letzte, die je etwas über die blutende Orchidee gesprochen hatte.

Der Raum war kühl und roch nach altem Pergament, Lavendelöl und längst vergessenen Tränen. Staub lag wie Schnee auf dem Schreibtisch. Doch das Tagebuch – das eine Buch, das ihre Großmutter nie hatte aus den Augen gelassen – lag da, offen, als hätte sie es gerade erst gelesen.

Mit zitternden Fingern blätterte Miriane darin. Die Schrift war fein, aber gehetzt. Gedanken, Ideen, Beobachtungen. Und mittendrin – ein gepresstes Blütenblatt. Samtschwarz. Mit einem winzigen, getrockneten Tropfen von etwas, das aussah wie Blut.
Auf der gegenüberliegenden Seite stand nur ein einziger Satz:

„Er küsste mich – und starb nie. Doch er lebt auch nicht.“

Darunter: eine Zeichnung. Eine Hütte. Im Nebel. Und daneben – ein Gesicht. Unvollständig. Aber mit Augen, die sie kannte.

Ravien?

Am Abend begab sie sich in die Taverne „Zur Winde“, wo die alten Barden Lieder sangen, die niemand mehr glauben wollte. Sie bestellte heißen Apfelwein und setzte sich in eine dunkle Ecke, um nicht erkannt zu werden. Die Gäste waren müde vom Tagwerk. Die Stimmung war ruhig.

Dann erklang die Laute. Sanft. Unaufdringlich.

Ein alter Sänger mit vernarbtem Gesicht und einer Stimme wie aus vergilbtem Pergament stimmte an:
„Er war ein Schattenmann,
Der tötete nicht, wo’s befohlen war.
Für eine Frau – mit einem Namen wie Licht –
Ließ er die Klinge sinken.
Und ward verdammt vom Nebel selbst.
Nie zu lieben. Nie zu sterben.“
Der Wirt lachte. „Schon wieder die Nebellüge? Niemand glaubt das.“
Doch Miriane glaubte es.
Sie verließ die Taverne, das Herz klopfend, den Kopf voll Bilder. Und draußen, zwischen den Gassen von Minoc, in einer Mauerspalte über der alten Apotheke, sah sie sie:

Eine einzelne, tiefschwarze Orchidee.
Kein Regen hatte sie genährt. Keine Sonne geküsst.
Und doch – sie blühte. Und weinte. Eine rote Träne.

Zurück in ihrem Zimmer lag sie lange wach.

Wer bist du, Ravien Tareth?
Was hast du verloren?
Und was, in aller Götter Namen, bin ich gerade dabei zu finden?

Draußen zog der Nebel erneut über Minoc.
Und in ihr begann etwas zu blühen, das keine Wissenschaft je erklären würde.
gelöschter Charakter_779
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Teil IV – Der Ball von Minoc

Beitrag von gelöschter Charakter_779 »

Ein eisiger Wind fegte durch die Straßen, als der Ball des Barons begann.

Über der Stadt hingen dunkle Wolken, schwer und reglos, als hielten sie den Atem an. Die Laternen warfen flackernde Schatten über den gepflasterten Vorhof des Herrenhauses, das sich wie eine Festung über Minoc erhob – aus kaltem Stein gebaut, mit bleigefassten Fenstern und Türmen, die eher Wachtposten als Zierde waren. Und doch, an diesem Abend, glänzte alles in Gold und Glimmer: Der Ball des Barons Leovic war stets das Ereignis des Winters. Und heute war es mehr als das. Heute sollte Miriane Solvair dem Baron offiziell versprochen werden.

Sie trug ein Kleid aus grauem Taft, der sich bei Bewegung wie Nebel um ihre Beine schmiegte. Ihre Haare hatte man kunstvoll geflochten, mit kleinen Silbernadeln durchzogen. Auf den ersten Blick sah sie aus wie jede andere Tochter eines einflussreichen Hauses.

Aber in ihren Augen loderte Rebellion.

„Du siehst hinreißend aus“, sagte ihr Vater mit einem stolzen Lächeln.
„Wie deine Mutter“, murmelte er und zupfte eine unsichtbare Falte an ihrem Ärmel glatt.

Miriane nickte nur.

Sie fühlte sich nicht hinreißend. Sie fühlte sich gefangen – wie eine seltene Pflanze in einem Glashaus, gezwungen zu blühen, weil es erwartet wurde. Ravien war in ihren Gedanken wie der Duft eines wilden Waldes in einem Raum voller Parfüm.

Der Saal war übervoll. Musik schwebte durch die Luft, Violinen und Lauten in geschultem Zusammenspiel. Bedienstete reichten Wein und kandierte Früchte. Und überall Gesichter: wichtig, schmeichelnd, urteilend.

Baron Leovic war leicht zu erkennen. Groß, grauhaarig, mit einem Bart wie gestutztes Zunderholz und Augen, die eher Maße nahmen als Menschen betrachteten. Er lächelte, als sie auf ihn zutrat – ein Lächeln wie ein Siegel auf einem Vertrag.

„Miriane“, sagte er und beugte sich über ihre Hand, die er zu lange hielt. „Heute wird Minoc eine neue Zukunft gewinnen.“

„Heute verliert es vielleicht eine Seele“, entgegnete sie leise.

Er lachte. „Du bist witzig.“

Sie war nicht witzig. Sie war wütend.
Der Tanz begann. Männer und Frauen drehten sich in kunstvollen Bögen, ein einziges Rauschen von Seide und Politur. Miriane ließ sich führen. Von Leovic. Von der Musik. Von der Pflicht.
Doch plötzlich—ein Hauch.

Ein Hauch von Nebel, der durch ein geöffnetes Fenster schlich. Und für einen winzigen Moment – war da ein Schatten. Draußen. Zwischen den Bäumen des Gartens. Breit gebaut. Dunkler Mantel. Eine Bewegung. Ein Blick.
Ravien.

Ihr Herz schlug wie ein Schmiedehammer.
Sie wandte sich abrupt von ihrem Tanzpartner ab.

„Verzeiht, Baron“, sagte sie laut genug, dass alle es hören konnten. „Ich habe heute gelernt, dass es besser ist, allein zu tanzen – als mit einem Mann, der nur den Schatten eines Lebens will.“

Ein kollektives Keuchen ging durch den Saal.

„Du wagst es?“ Leovic trat näher, seine Stimme scharf. „Du bist versprochen. Dein Wort ist gegeben.“

„Und mein Herz ist nicht käuflich.“

Sie trat zurück. Ihr Blick glitt über die versammelte Gesellschaft.
„Ihr könnt mich aufhalten. Aber ich bin nicht mehr das, was ihr aus mir machen wolltet.“

Dann drehte sie sich um und ging. Nicht hastig, nicht flüchtend – sondern mit einer Würde, die ihr niemand hatte beibringen können.
Sie lief. Durch den Garten. Durch die Nacht. Der Nebel war wie ein Schleier, der sich ihr öffnete.
Und da war er.

Ravien. In der Dunkelheit. Mit einem Gesicht, das sich nicht zu freuen traute.

„Was tust du hier?“, fragte er rau.

„Ich laufe nicht mehr davon“, sagte sie. „Nicht vor dir. Nicht vor mir.“

Er wollte etwas sagen, doch sie trat näher. Nah genug, dass er ihren Atem spüren konnte.

„Wenn du wirklich verflucht bist – dann will ich dich trotzdem. Und wenn ich dabei blühe wie eine dieser Blumen – dann soll die Welt es sehen.“

Er sagte nichts.
Er küsste sie.
gelöschter Charakter_779
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Teil V – Der Sturz in die Tiefe

Beitrag von gelöschter Charakter_779 »

Es war Nacht, als sie Minoc verließen.
Nicht heimlichm sondern offen.

Wie ein stiller Aufstand. Niemand wagte sie aufzuhalten. Selbst die Wächter am Tor blickten nur stumm zu Boden, als Miriane an ihnen vorüberging, ihre Schuhe staubbedeckt, ihre Lippen kühn, ihre Hand in der seinen.
Ravien sprach kaum. Er ging mit dem Blick eines Mannes, der wusste, was er zu verlieren hatte. Und Miriane – sie ließ alles zurück. Ihre Kammer voller Bücher. Das Pergament mit den botanischen Studien. Den goldenen Armreif ihrer Mutter.
Aber sie nahm etwas mit, das nie einem Menschen gehört hatte: Hoffnung.
Der Weg führte sie zu einer alten Mine, lange stillgelegt, halb eingestürzt, von Efeu überwuchert. Ravien wollte sie meiden.

„Hier endet nichts gut“, sagte er.

„Und wenn hier etwas beginnt?“, entgegnete sie.

Sie stieg als Erste über die alten Bohlen. Der Nebel folgte ihnen. Der Eingang war wie ein Rachen, aus dem feuchte Luft strömte – der Atem vergangener Leben. Drinnen war es kühler, die Welt dumpf und fremd. Ihre Schritte hallten zwischen den Wänden wie Fragen ohne Antwort.

„Was suchst du hier, Miriane?“ Seine Stimme war leise.

„Beweise, dass du real bist. Dass ich das nicht nur träume.“

Ravien schwieg. Und das Schweigen war schwer wie Stein.
Sie gelangten zu einem alten Förderschacht. Die Seilwinde rostete still vor sich hin, das Holz war von Pilzen gezeichnet. Unten: nur Dunkelheit.

„Bleib hier“, sagte er.

„Nein.“
Ihre Stimme zitterte – aber sie wich nicht zurück.
Dann hörten sie es. Stimmen. Schritte.
Und eine Stimme, kalt wie die Nordküste:
„Durchsucht alles. Sie ist hier irgendwo.“

Leovic.
Er hatte nicht aufgegeben.
Panik zuckte durch sie wie Blitze. Ravien zog sie in eine Spalte. Doch es war zu spät. Einer der Söldner hatte sie gesehen. Ein Ruf. Hufgetrappel auf Stein. Schwerter wurden gezogen.
Ravien packte Miriane bei der Hand.

„Lauf!“

Sie rannten. Der Boden war glitschig, alte Bretter knackten unter den Füßen. Links von ihnen ein Abgrund – der alte Förderschacht, kaum gesichert. Nur noch ein Schritt – dann ein Splittern. Miriane spürte, wie der Boden unter ihr nachgab. Ihr Fuß rutschte ab. Ein Ruck, ein Schrei – sie stürzte.
Der Fall schien ewig zu dauern.
Ein schwarzes, schreiendes Nichts.

Dann: Dunkelheit. Schmerz.
Als sie erwachte, war alles kalt. Ihre Seite pochte. Irgendwo tropfte Wasser. Eine Fledermaus kreischte in der Ferne.

„Miriane?“

Seine Stimme. Nah. Verzweifelt.

„Hier“, hauchte sie.

Er kam zu ihr. Seine Hände zitterten, als er sie berührte.
„Bist du…?“

„Noch ganz“, flüsterte sie. „Nur… ein wenig zerknittert.“

Sie lachte schwach. Er nicht.
Er hob sie auf. Trug sie. Schritt für Schritt. Den alten Stollen hinauf. Durch Geröll, durch Schlamm, durch Dunkelheit. Nie hielt er an. Nie klagte er. Er sprach kein Wort – aber seine Arme um sie sagten alles.
Oben erwartete sie niemand mehr.

Leovic hatte sie verloren. Diesmal für immer.

Sie lag bei ihm an der Lichtung, inmitten von Nebel und Wurzeln, auf einer Decke, die nach Ruß roch.

„Warum hast du mich gesucht?“, fragte er.

Sie antwortete nicht sofort. Dann:

„Weil du mich findest.“

Er sah sie an, lange.

Dann nahm er ihre Hand.

Und sie ließ ihn.
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Teil VI – Die Orchideenlichtung

Beitrag von gelöschter Charakter_779 »

Der Nebel war zurückgekehrt – dicker als je zuvor.
Er lag über dem Boden wie ein Teppich aus vergessenen Träumen, hüllte die Welt in Schweigen und Silber. Kein Laut war zu hören außer dem Knistern des kleinen Feuers, das Ravien zwischen zwei Steinen entzündet hatte. Die Lichtung, von der Miriane so oft gelesen und geträumt hatte, lag nun vor ihr wie ein heiliger Ort: alt, unberührt, verwunschen.

Hier, so hieß es in den Geschichten ihrer Großmutter, blühten die schwarzen Orchideen nur, wenn ein Herz bereit war, alles zu verlieren – und trotzdem zu lieben.
Sie saßen nebeneinander. Nicht ganz berührend. Doch so nah, dass selbst der Wind sich zwischen ihnen zu fürchten schien.

„Hier hat es begonnen“, sagte Ravien leise. „Mein Fluch. Mein… Schweigen.“

Er blickte nicht zu ihr. Seine Augen ruhten auf einem unscheinbaren Fleck Erde, aus dem kaum sichtbar eine einzelne, geschlossene Knospe ragte. Schwarz wie Tinte. Noch schlafend.

„Ich hätte jemanden töten sollen. Im Auftrag. Für Gold. Für Pflicht. Doch sie war jung. Ihre Stimme… sie lachte, wie Licht durch Blätter klingt. Ich ließ sie leben. Und in derselben Nacht… verfluchte mich eine Frau, die mich liebte. Eine Hexe, deren Herz ich zerschlagen hatte.“

„Und du glaubtest, du hättest keine Liebe mehr verdient?“, flüsterte Miriane.

„Ich hatte sie verloren, Miriane.“

„Dann nimm meine.“

Er sah sie an – zum ersten Mal an diesem Morgen richtig. Und sie erkannte, dass in seinem Blick keine Kälte mehr lag. Nur Angst. Und Sehnsucht.

„Wenn du das tust“, sagte er heiser, „verlierst du vielleicht alles. Deinen Namen. Deine Heimat. Deinen Schutz.“

„Ich verliere nur, was mich an Ketten hält.“

Sie stand auf. Barfuß trat sie in die Mitte der Lichtung, kniete sich nieder, legte beide Hände auf die feuchte Erde.

„Du hast mich gerufen, Ravien. Nicht mit Worten. Mit deinem Schweigen. Deiner Einsamkeit. Deiner Sehnsucht.“

Sie schloss die Augen.

„Wenn Liebe wirklich mehr ist als ein Wort – dann soll sie dich befreien.“

Der Wind erhob sich. Ein Rauschen ging durch die Bäume. Der Nebel wirbelte auf, tanzte wie silberne Geister über das Gras. Und dann – eine Bewegung.

Die Knospe öffnete sich. Langsam. Schwer.
Und mitten aus dem Kelch der schwarzen Blüte trat eine rote Träne hervor.
Nicht aus Wasser. Nicht aus Harz. Sondern aus Erinnerung. Und Versprechen.

Ravien taumelte zurück. Seine Brust hob sich schwer.
„Ich… ich kann atmen… Ich kann… spüren.“

Er fiel auf die Knie. Seine Hände zitterten. Aus den Augen liefen Tränen – klar, nicht dunkel. Kein Fluch mehr. Keine Bürde.

Nur er.

Sie fanden sich in der Mitte der Lichtung. Kein Wort war nötig. Ihr Kuss war kein Märchen – er war die Antwort auf einen Schmerz, der zu lange gewartet hatte. Die Orchideen blühten nun in Dutzenden. Die Luft roch nach nassem Moos, Rauch und einem Hauch Ewigkeit.
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