Aus Stahl geformter Trotz

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Lyr'sa Teb'inyon
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Aus Stahl geformter Trotz

Beitrag von Lyr'sa Teb'inyon »

Es war dunkel in ihrem Quartier, selbst für Elashinner Verhältnisse. Kein Lichtstrahl fiel durch die Spalten der steinernen Tür, keine magische Glut aus den Wandleuchten, die sonst das kalte Dämmerleuchten spendeten. Nur das Nachglimmen des inneren Schmerzes schien ihren Körper zu erhellen – pochend, schwer, unerbittlich.
Lyr’sa wachte langsam auf, wie aus einem Rausch, in dem sich Wirklichkeit und Alptraum ineinander verzogen hatten. Ihr Kopf war bleischwer, der Schädel pochte dumpf gegen ihre Gedanken. Die Zunge klebte trocken am Gaumen. Ihr Magen war leer, aber nicht ruhig – eher wie ein verletztes Tier, das zitternd in der Ecke kauerte.
Sie versuchte, sich aufzurichten, tastete mit fahrigen Fingern nach der Lehne ihres Feldbetts, stieß gegen etwas Kaltes – Metall vielleicht, eine Schale, die noch vom Vortag übrig war. Ihr Gleichgewicht war instabil, ihre Beine gaben nach. Es dauerte mehrere Atemzüge, ehe sie sich überhaupt aufsetzen konnte.

Jeder Muskel fühlte sich an wie wund. Jede Erinnerung wie ein glühender Dorn im Fleisch. Sie konnte sich nur bruchstückhaft erinnern: das Licht in Wind, der dumpfe Schlag gegen ihr Gesicht, der bittere Geschmack des Trunks, das Lachen, ihr Fall. Und Tath’raens Stimme, irgendwo zwischen Gleichgültigkeit und Planung, als wäre sie nur eine Spielfigur, eine bewegliche Ressource.
Sie musste raus. Etwas essen. Frische Luft – oder wenigstens etwas anderes als diese abgestandene Feuchtigkeit, die den Raum erfüllte wie der Dunst über einem Abfallbrunnen.

Sie tastete sich zur Tür, schleppte sich durch die dunklen Gänge des Qu’ellar. Ihre Schritte waren unsicher, das Gehen tat weh, aber sie ging – nicht, weil sie wollte, sondern weil sie es musste. Die Bewegung hielt sie aufrecht. Noch.
Kurz vor der Abzweigung zur Küche – bei Maya, der Köchin – wurde sie angehalten.
Xurina. Natürlich.

Lyr’sa hatte sie fast übersehen, aber Xurina trat gezielt aus dem Schatten, die Arme verschränkt, der Blick kühl.

„Du torkelst. Du bist wieder betrunken“

Lyr’sa versuchte, gerade zu stehen, doch ihre Knie widersprachen.

„Ich... hatte einen Auftrag... eine schwere Nacht... in Wind...“, murmelte sie.

„Ich habe gehört, du hast dich wieder einmal blamiert. Betrunken. Schwach. In Wind. Wie passend.“

Lyr’sa sagte nichts. Ihre Hände ballten sich.
Xurina trat näher, musterte sie von oben bis unten.
„Weißt du eigentlich, wie viele sich schämen, dich zu kennen? Oder... wie viele einfach nur hoffen, dass du bald stirbst, damit du keine Schande mehr bist?“

Der Schlag kam plötzlich. Hart. Von links. Xurinas Handfläche traf Lyr’sas Wange, nicht mit wilder Kraft, sondern mit präziser Verachtung. Lyr’sa stolperte, fiel vornüber, schlug mit dem Kinn auf den Boden. Sie blieb liegen.

„Steh auf“, sagte Xurina kalt. „Oder kriech – aber bleib mir nicht im Weg.“

Dann ging sie. Ohne sich umzudrehen. Lyr’sa richtete sich langsam auf. Es brannte. Alles brannte.
Aber nicht nur der Schmerz. Auch etwas anderes. Etwas, das lange geschlafen hatte.
Sie stand auf. Zitternd. Nahm sich bei Maya ein Stück Fladen, etwas Kaltes aus dem Kessel. Sagte kein Wort. Nicht einmal danke. Und kehrte in ihr Quartier zurück.

Auf dem Weg hörte sie Stimmen. Leises Lachen. Hohes Kichern.
Sie blieb stehen. Lauschte.
In einem Seitengang, halb im Schatten, standen Sarkul und Maldrak.

„Hast du gesehen, wie sie gezuckt hat, als der Zwerg sie an den Haaren packte?“
„Wie ein geangelter Fisch.“
„Ich hab fast Mitleid gehabt. Fast.“

Sie lachten wieder.
Lyr’sa blieb reglos. Sie sah sie nicht direkt, wollte nicht gesehen werden. Aber sie hörte. Jedes Wort. Jedes Lachen. Jeden Atemzug ihrer Verachtung.
Sie ging weiter, langsam, Schritt für Schritt.
In ihrem Zimmer setzte sie sich auf das Bett, das Essen unangetastet auf dem Tisch. Sie starrte ins Leere, aber ihr Geist war wach. Aufgewühlt.
Wie ein Netz voller Windstöße.

Rache.
Sie wollte nicht weinen.
Sie wollte nicht schreien.
Sie wollte zurückschlagen.

Nicht sofort. Nicht blind. Aber präzise.

Sie dachte an ihre Werkzeuge. An die Legierungen. An Gifte. An Fälschungen. An kleine Sabotagen, die wie Zufälle aussahen.
Sie dachte daran, wer zuerst leiden sollte. Wer zuletzt.

Sie dachte an Tath’raen.
Und daran, wie ruhig er geschlafen hatte, nachdem er sie wie einen Bauern geopfert hatte.
Aber noch war es nicht Zeit.

Sie war noch immer nicht ganz bei sich. Der Alkohol - oder das Wahrheitsserum - saß ihr tief in den Knochen, in den Gedanken, im Magen – als habe er sich eingenistet und weigere sich, sie loszulassen. Doch sie hatte keine Wahl: Der Schmelzraum wartete. Der Dienst. Ihre Pflicht gegenüber dem Qu’ellar.

Die Hitze war unerbittlich, trocknete ihren Hals aus, ließ den Kreislauf taumeln. Doch sie arbeitete. Nicht schnell, nicht elegant, aber mit eisernem Willen. Jeder Handgriff war geübt, jeder Temperaturwert stimmte, das geschmolzene Metall floss in gleichmäßigen Strömen in die vorbereiteten Formen. Es war, als hätte ihr Zorn ihr Klarheit verschafft – keine echte Nüchternheit, aber funktionierende Kontrolle.
Alniira trat ein. Allein. Ihr Blick wanderte über die Werkzeuge, über die Öfen, über Lyr’sa – und blieb einen Moment länger hängen als nötig.
Ein kurzes Nicken. Ein kaum sichtbares Lächeln.
„Gut gemacht“, sagte sie leise, fast tonlos.

Lyr’sa sah nicht auf, antwortete nicht. Aber sie hatte es gehört. Und sie hatte es gespürt.
Dann öffnete sich die Tür erneut – Schritte, Stimmen. Andere traten ein.
Alniiras Haltung veränderte sich sofort. Ihre Miene wurde schärfer, die Stimme härter.

„Lyr’sa! Was ist das für ein Winkelmaß? Willst du das Metall beleidigen?“

Lyr’sa sagte nichts. Doch sie verstand. Und sie vergaß nicht.
Der Tag verging in glühender Hitze, in stummem Groll, in sehniger Geduld.

Am Abend lag Lyr’sa in ihrem Bett. Wach. Die Decke bis zur Brust gezogen, den Dolch in der Hand, verborgen unter dem Kissen.
Sie wartete. Und dann kam er.

Tath’raen.

Er betrat den Raum ohne Hast, legte seine Sachen ab, warf ihr nicht mehr als einen flüchtigen Blick zu.
Dann legte er sich auf sein Bett, halb entkleidet, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, als wäre nichts gewesen.

Er schloss die Augen. Lyr’sa beobachtete ihn.

Minuten vergingen, lautlos, zäh, wie erstickte Atemzüge unter Wasser, und während draußen irgendwo das Qu’ellar schlief, zählte Lyr’sa ihre eigenen – einen nach dem anderen, mechanisch, als würde ihr Körper das Einzige sein, das sie noch unter Kontrolle hatte.

Dann stand sie auf.

Langsam, aber entschlossen, jede Bewegung war still, kalkuliert, getragen von einer kalten Klarheit, die sich anfühlte wie Stahl. Der Dolch lag in ihrer Hand, matt glänzend im fahlen Licht der Raumfackel.

Sie bewegte sich wie ein Schatten, leichtfüßig, lautlos, wie eine Erinnerung an ein besseres Selbst, das sie längst begraben hatte. Schritt für Schritt trat sie näher, trat zu dem Bett, wo Tath’raen lag, reglos, scheinbar schlafend – der Rücken ruhig, die Atmung flach, das Gesicht halb verborgen im Halbdunkel.

Sie hob den Arm.

Der Dolch in ihrer Hand zitterte kein bisschen. Ihre Finger umfassten ihn fest, der Griff war vertraut wie all seine gebrochenen Versprechen. Sie hielt ihn eine Sekunde zu lang, als müsste sie sich selbst beweisen, dass sie es konnte – und dann stach sie zu, mit einem einzigen, schnellen, geraden Stoß, direkt dorthin, wo eben noch sein Hals gelegen hatte.

Doch es war kein Fleisch, das sie traf. Nur Stoff. Das Kissen gab nach, dumpf, schwer, leblos.
Tath’raen war nicht mehr dort.

Noch ehe sie den Irrtum ganz begriffen hatte, geschah es – eine Bewegung, schnell, kontrolliert wie eine Klinge im Dunkeln. Er hatte sich seitlich abgerollt, war bereits in Bewegung, als sie realisierte, dass er wach gewesen war – oder nie geschlafen hatte. Er packte sie, riss sie mit sich, sein Gewicht prallte gegen ihres, der Dolch flog klirrend zur Seite, metallisch hallend, bevor er irgendwo zwischen Schatten und Stein verschwand.

Sie landete hart, keuchend, erst auf ihm, dann wieder unter ihm, ein wildes Gerangel, das mehr war als bloß ein Kampf – es war all das, was nie gesagt worden war, was sich angestaut hatte, was jetzt in Körpern sprach, weil Worte längst nicht mehr reichten. Ein Schlag traf seine Schulter, dumpf, gezielt, aus instinktiver Wut. Ein Tritt traf ihre Hüfte, schmerzhaft, aber nicht lähmend.

Sie fauchte, die Lippen aufgerissen, das Gesicht verzerrt von einem Ausdruck, der zwischen Hass, Panik und Trotz schwankte. Ihre Finger krallten sich an ihm fest, kratzten, schlugen, rissen – als wolle sie ihn zerteilen, aufbrechen, zerlegen. Sie war bereit, alles zu verteidigen, was sie noch hatte – auch wenn es nur Wut war und die Erinnerung an Stolz. Mit Zähnen, mit Fingernägeln, mit dem letzten Rest von Stolz, der in ihr glomm.

Dann bekam sie ihn zu fassen – packte ihn am Nacken, zog ihn mit einem wilden, ruckenden Riss herunter, bis er dicht über ihr war, und versuchte, ihn zu fixieren. Ihre Beine schlangen sich um seine Hüfte, fest, verbissen, und ihre Arme pressten sich gegen seine Kehle, nicht zitternd, sondern zielstrebig, voller Absicht, voller Kraft.

Tath’raen japste, sein Körper zuckte kurz auf, sein Griff an ihren Schultern lockerte sich, und für einen flüchtigen Moment war sie im Vorteil. Ihre Technik war nicht elegant, aber sie war effektiv – und sie hatte Wut, rohe, glühende, gelebte Wut.

„Ich bring dich um!“, keuchte sie, ihre Stimme zerfetzt von Anstrengung, von bitterer Ernsthaftigkeit, die kein Schauspiel war.

Doch er war nicht besiegt. Noch nicht.
Mit einem Ruck, einem gut gesetzten Hebel, drehte er sich – ein Bein über sie, das Gewicht verlagert, sein Gleichgewicht zurückerobert. Sie keuchte, als ihr Rücken gegen die Wand stieß, der Griff sich löste, ihr Körper kurzzeitig erschlaffte, nicht aus Schwäche, sondern weil die Luft kurz nicht mehr reichte.

Dann war er auf ihr.

Seine Hände griffen nach ihren Handgelenken, verdrehten sie mit der Ruhe eines geübten Kämpfers so, dass sie keine Hebelwirkung mehr hatte, keine Bewegungsspielräume. Die Schultern auf den Boden gedrückt, ihre Beine blockiert, lag sie unter ihm – festgehalten, eingeklemmt, eingekreist.
Sein Atem ging schwer, stoßweise. Ihrer auch. Zwei Körper, erschöpft, dampfend, aufgeladen.

Sie zitterte. Nicht aus Angst – die hatte sie längst abgeschüttelt.
Es war Raserei. Zorn, der keinen Weg mehr fand. Scham, die keinen Fluch mehr hatte. Und darunter etwas anderes. Etwas, das nicht benannt werden wollte.

Tath’raen sah ihr ins Gesicht.
Sein Blick war ruhig, prüfend, nicht mitleidig, nicht überlegen.
Als wäre er fasziniert – oder einfach ehrlich interessiert.

„Gut gemacht“, sagte er rau, seine Stimme kaum mehr als ein gehauchtes Lob, und ehe sie verstehen konnte, was genau er meinte, beugte er sich herunter – nicht hastig, nicht gewaltsam, sondern mit der Selbstverständlichkeit eines Raubtiers, das keine Erlaubnis braucht, um zu nehmen, was es will.

Seine Lippen trafen ihre, fest, bestimmt, ein Druck, der weder zärtlich noch hart war – einfach da, wie eine Mauer aus Fleisch und Wille. Lyr’sa zuckte, überrascht vom plötzlichen Kontakt, von der Hitze seines Atems, von der Fremdheit dieses Moments, der sich anfühlte wie Diebstahl und Offenbarung zugleich.

Er hielt sie fest, ließ ihr keinen Raum zum Entkommen, doch es war keine rohe Gewalt. Es war eine Umklammerung, wie sie ein Netz bietet: eng, durchdacht, unausweichlich. Sein Körper presste sie gegen die kalte Steinwand, sein Gewicht schwer, nicht schmerzhaft, aber fordernd. Sie spürte die Härte seiner Muskeln, das Zittern seines Atems, der nicht weniger gehetzt war als ihrer.

Seine Hände fanden ihren Weg unter den Saum ihres Obergewands, nicht fordernd, nicht forschend, sondern wie tastend, wie aus einer Vertrautheit heraus, die es eigentlich nicht geben durfte. Finger, die über ihre Taille strichen, ihren Rücken, über die Stelle, an der sie kurz zuvor noch geschlagen worden war. Und sie – sie hätte sich wehren können. Vielleicht. Aber ihre Arme waren noch immer von seinem Griff kontrolliert, ihre Schultern gegen die Wand gedrückt, und selbst wenn sie es gekonnt hätte – sie tat es nicht.

Ihr Herz raste. Ihre Gedanken kreisten. Es war falsch. Es war verachtenswert. Er war der Grund für Wind, für Durgul, für die Erniedrigung. Er hatte sie geführt wie ein Stück Erz durch die Esse, ohne sie zu fragen, ohne Rücksicht.
Und jetzt küsste er sie, als wäre sie Teil seiner Schmiede.
Und sie ließ es zu.

Nicht aus Schwäche. Nicht aus Verlangen.
Sondern weil ihr Kopf zu laut war und ihr Körper zu leise.

Sie fühlte sich betäubt – nicht mehr vom Alkohol, sondern von seiner Nähe.
Ein Teil in ihr schrie, dass sie ihn stoßen sollte.
Ein anderer, dunklerer Teil aber... wollte den Druck seiner Lippen länger spüren.
Wollte das Gefühl, dass da jemand war, der nicht wegsah, sondern festhielt.

Ihr Blick verschwamm, nicht durch Tränen, sondern durch Überforderung.
Sie hasste ihn.
Aber sie spürte ihn.

Und sie spürte sich selbst – lebendig. Wütend. Wärme durchströmt.
So lange hatte sie sich leer gefühlt, verachtet, benutzt. Jetzt war sie – da.
Gefangen, ja. Aber da.

Er hob den Kopf nicht sofort.
Sein Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt, der Atem teilte dieselbe Luft, seine Stirn berührte beinahe ihre.
Ein Lächeln zuckte in seinem Blick. Nicht spöttisch. Nicht überlegen.
Eher wie: Du kämpfst noch – aber nicht gegen mich.

Sie wollte etwas sagen, ein Fluch, ein Hauch, ein Befehl vielleicht – doch ihre Lippen fanden keine Worte.
Und er küsste sie erneut, leiser diesmal, wie eine Wiederholung, nicht als Frage, sondern als Erinnerung.
Und sie antwortete nicht mit Worten. Nur mit Stille. Und mit einem kaum merklichen, ungewollten Nachgeben.

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Hintergrund hierzu die folgenden Storylines

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Tath'raen
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Re: Aus Stahl geformter Trotz

Beitrag von Tath'raen »

Sie hatte etwas vor. Er wusste es. Schon beim Betreten des Raumes war es spürbar – diese angespannte Stille, das zu gleichmäßige Atmen, die Erwartung, die in der Luft hing wie vergifteter Dunst. Tath’raen ließ sich nichts anmerken. Er legte seine Waffen ab, löste die Stiefel, musterte sie nur kurz – wie man ein Tier prüft, das zum ersten Mal Zähne zeigt – und legte sich dann auf sein Bett, halb entkleidet, die Augen geschlossen, die Arme hinter dem Kopf. Keine Provokation, keine Schwäche. Nur Geduld.
Er spürte sie, lange bevor sie sich bewegte. Der Raum veränderte sich, als sie aufstand. Etwas wurde schwerer, fokussierter, wie vor einem Gewitter. Sie bewegte sich gut. Kein Laut. Kein Zögern. Wie eine, die sich selbst neu gefunden hat. Er zwang sich zur Regungslosigkeit, obwohl sein Körper längst bereit war. Der Stoß kam schnell. Direkt, fest, ohne Zögern – und ins Leere. Er war längst nicht mehr dort. Der Dolch fuhr ins Kissen, dumpf, wirkungslos. Er hatte sich seitlich abgerollt, war in Bewegung, noch bevor der Stich kam.
Der Kampf war roh, aber ehrlich. Ihre Wut war keine Pose, sie war Kern. Sie schlug, trat, kratzte – wie eine Drow, endlich. Kein Gezeter, kein Klagen. Nur Wille. Er parierte, konterte, kontrollierte. Doch sie überraschte ihn. Ihre Kraft war real. Ihr Griff, ihr Blick, ihre Stimme – alles an ihr war plötzlich wach, ungezähmt, echt. Als sie ihn an der Kehle packte, die Beine um seine Hüfte schlang und keuchte: „Ich bring dich um!“, da spürte er mehr als Schmerz. Er spürte Stolz. Weil sie endlich verstand, was es heißt, eine von ihnen zu sein. Er löste den Griff, drehte sie, nutzte sein Gewicht, seinen Vorteil, seine Technik. Sie prallte gegen die Wand, keuchte, erschlaffte kurz. Dann war sie gefangen. Unter ihm. Fixiert. Ihre Handgelenke in seinem Griff, der Körper blockiert, der Atem schnell. Sie zitterte. Nicht vor Angst. Vor aufgestautem Zorn. Guter Zorn. Reiner Zorn. Einer, der brauchbar war.
Er sah sie an. Lange. Kein Mitleid, kein Triumph. Nur Interesse. Faszination. Anerkennung. Dann sagte er ruhig: „Gut gemacht.“ Und ehe sie reagieren konnte, küsste er sie. Nicht sanft. Nicht hart. Nur unausweichlich. Sein Atem vermischte sich mit ihrem, die Hitze zwischen ihnen war dicht und scharf wie ein frisch geschmiedetes Messer. Sie zuckte, aber wich nicht aus. Ihre Lippen blieben, wo sie waren. Ihre Augen suchten nicht mehr nach einem Ausweg, sondern nach Halt. Der zweite Kuss war leiser, kürzer, aber kein Versprechen. Dann ließ er sie los, langsam, kontrolliert, als würde er ein Messer in die Scheide zurückführen. Er stand auf, richtete sich, nahm sich die Zeit, seine Kleidung zu ordnen. Sie sah ihn an, ihr Blick war ungeordnet, aber nicht gebrochen. Das war gut. Das war richtig.
„Ich gehe jetzt“, sagte er leise. Eine Pause, sein Blick auf ihr. „Nicht, weil du mich angegriffen hast. Das rechne ich dir hoch an.“ Er drehte sich um, ging zur Tür. „Ich brauche Zeit, mir eine Strafe auszudenken. Nicht für den Versuch. Sondern für deinen Misserfolg.“ Ein kaum sichtbares Lächeln zuckte in seinem Gesicht, ehe er verschwand.

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Tath'raen
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Re: Aus Stahl geformter Trotz

Beitrag von Tath'raen »

Tath’raen wusste, dass er sie hätte melden können. Ein Wort – leise gesprochen, wie im Vorbeigehen, ganz beiläufig in der Waffenkammer oder in der Nähe der Latrinen – und sie wäre verschwunden. Nicht weil er wichtig war, sondern weil sie ein Nichts war. In der Welt der Drow war es nicht das Privileg, das einem Macht gab, sondern die Gelegenheit, und Tath’raen war klug genug, um den Moment zu erkennen, in dem eine Gelegenheit mehr wert war als ein Befehl. Doch stattdessen schwieg er. Nicht aus Gnade. Sondern weil er verstand, dass manche Strafen nicht mit Blut, sondern mit Zeit verhängt werden mussten – und dass nicht jedes Urteil laut gesprochen werden musste, um zu wirken. Er hatte lange wach gelegen nach dieser Nacht. Nicht vor Schmerz, nicht aus Angst – sondern um zu denken. Sie hatte ihn töten wollen. Nicht nur als Symbol, nicht als Geste. Der Dolch hatte gezielt, der Blick war entschlossen gewesen, aber sie war gescheitert. Nicht weil sie gezögert hatte, sondern weil er schneller gewesen war. Das war der Kern. Nicht der Angriff war das Problem. Es war das Versagen. Also entschied er sich für eine Strafe, jedoch keine sichtbare; keine direkte. Nur eine leise, stetige Erinnerung: dass sie zu spät gewesen war. Dass er es wusste. Und dass er wartete. Auf nichts. Oder auf etwas. Das war nicht klar. Und das war der Punkt.
Seitdem veränderte sich nichts und doch alles. Wenn er durch die Korridore des Quellar schritt, in denen der feuchte Stein roch wie verfaulte Eidechsenhäute und der Schweiß der Wachmannschaften, wenn er sich zur Waffenausgabe meldete, sich von der Schreiberin in die Liste der Nachtpatrouillen eintragen ließ – dann geschah es beiläufig. Er begegnete ihr. Nie mehr als zwei, drei Worte. Ein kurzer Blick. Und dann dieses Lächeln. Nicht breit. Nicht künstlich. Nur ein Hauch, ein Andeuten von Wissen – wie ein Dolch, der nicht gezogen wird, aber dessen Gewicht man spürt, wenn er am Gürtel eines anderen hängt. Er sprach sie nicht darauf an. Nicht einmal mit einem Seitenhieb. Stattdessen grüßte er sie fast höflich. Nannte sie beim Namen, wenn andere in der Nähe waren. Und während sie nickte, nicht lachte, aber die Lippen bewegte, sah er es in ihren Schultern: Sie wartete. Auf den Tag, an dem es losging. Auf das Gespräch. Auf die Anschuldigung. Auf die offene Hand. Auf den Befehl, ihre Sachen zu packen. Auf das Messer.
Also wartete er und ließ sie mitwarten. Und jedes Mal, wenn sie aneinander vorbeigingen, ließ er dieses eine, kleine Lächeln da – wie eine Tür, die jederzeit aufspringen könnte. Doch er tat nichts. Und genau das war die Strafe.
Lyr'sa Teb'inyon
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Er war schneller - Das Gewicht des Lächelns

Beitrag von Lyr'sa Teb'inyon »

Lyr’sa konnte die Nächte kaum noch voneinander unterscheiden. Zwischen dem rhythmischen Hämmern in der Werkstatt, dem scharfen Scharren von Stahl auf Stein und den flüchtigen Gesprächen mit Befehlshabern, die sie nur beachteten, wenn etwas funktionierte – oder versagte –, hatte sich eine neue Unruhe in ihre Gedanken geschlichen. Sie waren kein Feuer mehr. Kein wütendes Lodern, das alles zu Asche verbrannte. Es war kälter, langsamer, tiefer. Wie glühender Stahl, unter Wasser getaucht – immer noch gefährlich, aber stumm. Und immer dann, wenn sie dachte, sie könne wieder atmen, war er da.

Tath’raen. Sein Schatten zog durch die Gänge, wie ein Raubtier, das keinen Hunger mehr hatte, aber den Jagdtrieb nie ganz verlor. Er sah sie nicht – er ließ sie sich gesehen fühlen. Immer nur ein Blick, ein kurzes Nicken, dieses kaum wahrnehmbare Lächeln. Kein Spott. Kein Mitleid. Nur die Erinnerung: Ich weiß. Und ich war schneller.

In der Nacht ihres Kampfes war ihre Haut noch heiß gewesen, ihre Gedanken ein Rausch aus Scham, Lust, Ohnmacht. Sie hatte gezittert. Nicht aus Angst. Aus Wut. Und irgendwo, ganz tief in ihr, auch aus Verlangen. Seine Stärke war ihr nicht fremd gewesen. Aber diese Art von Macht – dieses Wissen um Kontrolle, um Überlegenheit, dieses leise, selbstverständliche Besiegen – hatte sie nicht erwartet. Nicht so.

Seit dem Vorfall in Ihrem Zimmer war nichts geschehen. Kein Alarm. Keine Strafe. Kein Befehl, sie zu binden oder auszupeitschen. Er hatte sie gesehen – und geschwiegen. Und genau das war schlimmer als jede Rüge. Es war ein Spiel aus Schatten und Andeutungen, das nur einer gewinnen konnte. Und er hatte die Regeln bestimmt.

Sie begegneten sich. Immer wieder. Im Qu’ellar. Bei den Waffen. In der Halle, wenn neue Befehle verlesen wurden. Und jedes Mal war es gleich. Ein Nicken. Ein Lächeln. Ein Blick. Und dann: Schweigen. Nicht das höfliche, distanzierte Schweigen, das Respekt markierte. Nein – das persönliche, intime Schweigen, das sagt: Ich erinnere mich an deinen Fehler. Und ich genieße, dass du dich erinnerst.

Lyr’sa hasste es. Sie hasste ihn. Sie hasste sich. Für ihren Zorn. Für ihre Schwäche. Für ihre Reaktion. Und vor allem: für ihre Sehnsucht. Denn tief in ihr war da etwas, das wollte, dass er es wieder tat. Sie wollte, dass er sie wieder festhielt. Wieder küsste. Wieder zeigte, dass sie ihm unterlag. Nicht, weil sie Schwäche suchte. Sondern weil sie Beweise wollte. Dass sie ihm nicht gleichgültig war. Dass es ein Spiel war. Und kein Urteil.

Doch er schwieg. Und sie wartete. Auf den Moment, an dem er handeln würde. Auf das Urteil. Auf das Ende. Auf den Befehl. Aber es kam nichts. Nur der Alltag, der sich wie ein Schleier über sie legte. Nur die Pflicht, die sie in den Kampf rief. Denn das Haus rüstete sich zum Krieg. Gegen die Elfen aus Yew. Und Lyr’sa war Teil davon.

Sie wusste, was man von ihr erwartete. Neue Klingen. Reparaturen. Prototypen. Effizienz. Und keine Fehler. Alles Dinge, die sie beherrschte – wenn sie sich konzentrierte. Doch in letzter Zeit war ihre Hand zittriger geworden. Der Griff unsicher. Der Blick zu oft in der Vergangenheit. Tath’raen war überall. Nicht in Worten. Nicht in Taten. Aber in der Luft. In den Schatten. In dem Geräusch seiner Stiefel auf dem Steinboden. In dem leisen Knistern, wenn er an ihr vorbeiging.

Sie versuchte, ihn zu ignorieren. Sprach mit niemandem darüber. Nicht einmal mit Xurina, die ohnehin nur Spott übrig gehabt hätte. Doch sie spürte, wie es in ihr gärte. Die Scham. Die Wut. Die Lust. Der Hass. Alles mischte sich zu einem Gefühl, das keinen Namen hatte. Etwas Altes. Etwas Drowisches. Etwas, das nach Blut verlangte.

Also plante sie erneut. Nicht wie beim ersten Mal. Nicht im Affekt. Sondern wie eine Jabbress, die wusste, dass nur ein sauberer Schnitt Ehre bringen konnte. Sie beobachtete ihn. Lernte seine Wege. Seine Gewohnheiten. Seine Pausen. Seine Schwächen – falls er welche hatte. Doch je mehr sie ihn studierte, desto weniger wurde sie sicher. War er wirklich nachlässig? Oder war alles Teil des Spiels?

Er sprach weiterhin kein Wort darüber. Doch manchmal – ganz selten – kam er näher als nötig. Beugte sich über ihre Schulter, als sie an einer Waffe arbeitete. Murmelte ein Lob, so leise, dass sie zweifelte, ob sie es gehört hatte. Und wenn sie dann aufsah, war da wieder dieses Lächeln. Wie ein Messer, das blitzt, aber nicht fällt.

Lyr’sa träumte schlecht. Nächte, in denen sie fiel. In denen er sie auffing. Nächte, in denen er sie küsste – und ihr danach das Herz aus der Brust riss. Und sie wachte auf, schweißnass, verwirrt, voller Schuld und voller Sehnsucht. Sie wollte frei sein von ihm. Doch seine Abwesenheit wäre nur eine andere Form der Folter.

Und während sie weiter ihre Arbeit tat, während sie neue Legierungen schmolz, während sie die Rüstungen der Krieger verstärkte, spürte sie, wie sich in ihr ein Plan formte. Kein Dolch diesmal. Kein Überfall. Sondern etwas Klügeres. Tiefgreifender. Vielleicht eine Sabotage. Vielleicht ein Verrat. Vielleicht ein letzter Versuch, ihm zu zeigen, dass sie mehr war als sein Schatten.

Doch jedes Mal, wenn sie glaubte, bereit zu sein, trat er in ihr Blickfeld. Und alles stürzte ein. Nur ein Wort. Nur ein Lächeln. Nur eine Geste – und sie war wieder verloren. Und während sie sich selbst verfluchte, wusste sie: Er genoss es. Nicht sadistisch. Nicht offen. Aber mit dieser stillen, unerbittlichen Geduld, die nur jene hatten, die schon oft über Leichen gegangen waren.

Sie hatte ihn töten wollen. Und war gescheitert. Doch das wahre Scheitern war nicht das Verpassen des Moments – sondern das Verlorensein in der Folge. Und während draußen die Klingen geschärft wurden, während der Krieg gegen die Elfen näher rückte, spürte sie: Es gab einen anderen Krieg. Einen, der in ihr tobte. Und er war weitaus gefährlicher.

Denn dieser Krieg hatte kein Schlachtfeld. Keine Banner. Keine Befehle. Nur zwei Kämpfer. Und ein Lächeln. Ein Lächeln, das sie zerschneiden wollte – und das doch tiefer schnitt als jede Klinge.
Lyr'sa Teb'inyon
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Ein Satz im Schatten

Beitrag von Lyr'sa Teb'inyon »

Die Hitze in der Schmiede war wie immer unerbittlich, sie lag schwer in der Luft wie eine zweite Haut. Lyr’sa stand gebückt über ihrem Amboss, die Stirn feucht, die Haut schimmernd vom Schweiß, der über ihre Schläfen rann und sich in den Kragen ihrer Tunika fraß. Ihre Arme bewegten sich mechanisch, präzise, ohne Zögern – jeder Schlag mit dem Hammer ein Botschaft aus Disziplin, Trotz und dem stummen Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Funken sprühten bei jedem Auftreffen auf das glühende Metall, ein feuriger Regen, der sich in der Dunkelheit der Werkstatt verlor und von den Wänden verschluckt wurde wie alle Geräusche, die nicht mehr wichtig waren.

Es war spät, später als gewöhnlich, die meisten Diener des Qu’ellars waren längst in ihre Quartiere zurückgekehrt, und nur die beständigen Schläge aus Lyr’sas Schmiede durchbrachen noch das Schweigen, das sich langsam über das Haus gelegt hatte. Sie arbeitete seit Stunden, war versunken in den gleichmäßigen Rhythmus ihrer Bewegung, wie ein Glied im Getriebe eines größeren Willens – und gerade darin lag ihre Ruhe. Die Hitze betäubte, die Arbeit lenkte ab, und das Metall unter ihren Händen war wenigstens ehrlich zu ihr.

Ehrlichkeit war etwas seltenes unter Drow. Lüge, Verrat, Betrug waren an der Tagesordnung. Doch nicht in Eisen, nicht in Stahl. Gelb wie Stroh musste das Eisen sein wenn es geschmiedet werden wollte, nicht rot, nicht weißglühend. Eisen sprach mit ihr und verriet ihr wie es geformt werden wollte, ob es weich genug war, um zu folgen, oder stur genug, um zu brechen. Es log nicht, es spielte keine Spielchen. Es flackerte nicht wie ein Blick oder wog jedes Wort gegen ein anderes ab. Es war da, roh, ehrlich, unerbittlich.

Lyr’sa hatte gelernt, ihm zuzuhören – mit den Augen, mit den Händen, mit dem Gefühl für die Temperatur in der Luft, dem Klang des Hammers, dem Atem der Glut. Das Metall hatte keine Absichten, keine Maske, keine Absprache mit einer Intrige. Es war Wahrheit in ihrer reinsten, brennendsten Form.

Und deshalb war es das Einzige, dem sie noch vertraute.

Sie bemerkte ihn nicht sofort. Vielleicht, weil sie es nicht wollte. Vielleicht, weil er es nicht wollte.

Tath’raen stand im Türrahmen, einen Fuß kaum sichtbar im Schatten, den Kopf leicht geneigt, wie jemand, der nicht nur sieht, sondern prüft, analysiert, wägt. Er sprach kein Wort, machte kein Geräusch, und obwohl seine Anwesenheit jeden anderen Raum erfüllt hätte, hatte er sich in diesem Moment so gestellt, dass selbst das Licht der Schmiede ihn nicht ganz erreichte. Ein Kunststück, das er beherrschte wie ein Spiel – eines, das er so oft geübt hatte, dass es beinahe zur Kunst wurde. Er stand einfach da, sah zu, wie sie schlug, wie sie feilte, wie sie das glühende Werkstück mit der Zange hob und in das Öl tauchte, das zischte und aufdampfte wie eine sterbende Schlange. Ihre Gesichtszüge waren konzentriert, angespannt, aber ruhig, so wie man sie selten sah, wenn niemand sie beobachtete.

Er wartete, beobachtete sie über eine ganze Serie von Handgriffen hinweg, und es hätte ein kurzer, stiller Triumph für ihn sein können, dass sie ihn nicht bemerkte – oder dass sie es sich nicht erlaubte, ihn zu bemerken. Erst als sie einen Moment innehielt, um sich über die Stirn zu wischen und ein Tuch an den Nacken zu legen, brach er das Schweigen.

„Ich hätte dir nicht...“, begann er, und seine Stimme war leiser als der Klang des abkühlenden Eisens, „...nicht so viele Schatten zumuten sollen.“

Der Satz war nicht laut, nicht spöttisch, nicht von der Art, wie man ihn von ihm erwartet hätte. Er war nicht einmal vollständig – ein Halbsatz, ein Bruch, eine Geste mehr als eine Erklärung. Und doch war er klar.

Lyr’sa erstarrte. Nicht vollständig, nicht auffällig – aber ihr linker Arm verharrte mitten in der Bewegung, der Hammer blieb in der Luft stehen, der Blick auf das Werkstück gerichtet, ohne es noch zu sehen. Sie sagte nichts. Nicht sofort.

Sie drehte sich auch nicht um. Als hätte sie Angst, dass er dann nicht mehr da wäre.

Und sie hatte recht.

Denn als sie schließlich, nach einem Atemzug zu lang, den Kopf leicht wandte, nur einen Hauch zur Seite, war die Tür leer. Kein Geräusch war zu hören, kein Schritt, kein Hauch. Nur wieder das Flackern der Esse und das Knacken des abkühlenden Stahls.

Er war gegangen. So, wie er gekommen war. Wie ein Schatten, der sich nicht vertreiben lässt, sondern einfach verschwindet, sobald man sich ihm zuwendet.

Lyr’sa stand noch einen Moment da, die Stirn feucht, der Blick leer. Sie fühlte, wie sich etwas in ihrer Brust bewegte – kein Schmerz, kein Zorn, auch kein Trost. Nur diese leise, bohrende Verwirrung, wie ein Knoten, der plötzlich anders gespannt war. Nicht gelöst – nur anders.

Warum hatte er das gesagt?
Warum gerade jetzt?

Die Antwort kam nicht. Kam nie. Und sie wusste: sie war auch nicht für jetzt gedacht gewesen. Sondern für später. Für irgendwann. Für einen dieser stillen Momente, in denen man sich nicht wehren kann gegen das, was gesagt wurde, weil es zu spät ist. Sie wandte sich wieder ihrem Werkstück zu, setzte den Hammer an, aber der Schlag war nicht mehr ganz so sicher, nicht mehr ganz so gleichmäßig. Ihre Gedanken drifteten, wie Rauch in einem offenen Kamin, schwer und süß und irgendwie gefährlich.

Tath’raen hatte gesprochen.

Und das war viel schlimmer, als wenn er einfach nur geschwiegen hätte.
Lyr'sa Teb'inyon
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Ein kleiner Satz mit Gewicht

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Die Taverne war ruhig an diesem Abend, in dem schwerer Nebel wie träge Gedanken durch die Gassen von Moonglow zog. Baretis Taverne, war ein Ort des Austauschs, des Getuschels – und in dieser Stunde lag über ihm eine Ruhe, wie sie alten Gemäuern zu eigen ist: voller Wärme, voller Geschichten und Lachen.

Lyr’sa saß in ihrer gewohnten Ecke, leicht zur Wand hin abgewandt, die Beine unter sich verschränkt, den Rücken ein wenig schief, wie es ihrer Gewohnheit entsprach, wenn sie las. Zwischen ihren Händen lag ein gebundenes Buch, schon leicht abgegriffen an den Kanten, mit einem Einband aus weinrotem Leder, das von fein geprägten Orchideen durchzogen war – das Zeichen der verborgenen Sehnsucht. Im Schatten der Orchideen – Eine Liebe in Minoc lautete der Titel, und während das Feuer im Kamin flackerte und Gespräche in den hinteren Tischen leiser wurden, lag über Lyr’sas Gesicht ein Ausdruck, den man bei ihr selten sah: milde Verträumtheit. Ihre Lippen bewegten sich kaum merklich mit, wenn sie einen Satz mitdachte, und manchmal glitt ihr Blick von den Seiten fort, als müsse sie sich vergewissern, dass die Welt um sie herum noch dieselbe war.

Sie war nicht auf der Flucht, nicht im Dienst, nicht unter Beobachtung. Sie hatte sich fort geschlichen, wie so oft.Und vielleicht war genau das der Grund, warum ihr Gesicht in diesem Moment weich war, nicht gezeichnet von Zorn oder Angst oder Trotz – sondern einfach nur offen, wie das Herz einer Figur in einem Roman, die noch nicht wusste, ob das, was sie fühlte, sich gegen sie wenden würde.

Als sich die Tür öffnete, war es kein Windhauch, der sie aus ihrer Welt riss, sondern das Gewicht eines Blickes, das sich wie ein Schatten über ihre Schulter legte. Tath’raen trat ein, in der Art, wie er es immer tat – mit einem Lächeln, das keiner sah, und einer Absicht, die er nicht erklärte. Er ließ den Blick schweifen, als sei er nur zufällig hier, aber seine Füße trugen ihn zielsicher zu ihr, und seine Stimme – ruhig, fest, beinahe leise – sprach kein Wort des Zorns, nur eine Aufforderung, die keine war. „Komm. Es ist Zeit.“
Lyr’sa blickte auf, die Finger noch auf dem Buch, und in ihrem Gesicht stand für einen Moment nichts als Stille. Keine Angst. Keine Wut. Nur eine fragile Ahnung, dass etwas zerbrechen würde, wenn sie jetzt aufstünde – etwas, das sie gerade erst zu fassen begonnen hatte.

Bevor sie antworten konnte, trat Lirael an ihre Seite. Die Waldelfe, deren Tonfall warm aber auch durchdacht war, legte die Hand leicht auf Lyr’sas Schulter, nicht besitzergreifend, sondern wie eine Erinnerung an Wahl. „Sie muss nicht gehen“, sagte sie, ohne ihn anzusehen. Bareti, hinter dem Tresen, legte ein Tuch zur Seite und trat nach vorn, mit einem Blick, der zwar freundlich blieb, aber keinen Zweifel ließ. „Heute nicht. Nicht so.“

Tath’raens Blick glitt von einer zur anderen, kein Muskel in seinem Gesicht bewegte sich merklich, doch in seiner Haltung lag ein unhörbarer Widerstand, der wie eine leise gespannte Saite durch den Raum vibrierte.

Dann meldete sich eine Stimme, heller, spöttischer – Melion, der Barde, der an einem Tisch in der Ecke saß und offenbar die Szene bereits als Stoff für sein nächstes Lied betrachtete. Er erhob sich mit einem Grinsen, schob sich in den Raum, und sang halblaut, aber deutlich genug: „Die Maid mit dem Buch, der Krieger mit Drang – doch heute bestimmt sie, wie lang.“ Einige Lacher mischten sich unter die Stille, aber niemand wagte es, zu laut zu werden. Selbst der Humor war hier vorsichtig, in diesem Moment, in dem etwas in der Luft lag, das mehr war als eine Laune.
Tath’raen schwieg. Doch es war ein anderes Schweigen als sonst. Nicht überlegen. Nicht abschätzig. Vielleicht ein wenig überrascht. Vielleicht auch etwas, das man nicht benennen konnte.
Und dann geschah etwas, das alle kurz verstummen ließ.

Und zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, ließ Tath’raen ihr die Wahl – ohne Druck, ohne Drohung, nur mit einem stummen Einverständnis, das fast wie Respekt wirkte.
Lyr’sa atmete ein. Und hob den Kopf. Sie sah ihn an, sah sie alle an, und dann blickte sie auf ihr Buch. Die Seite, die vor ihr lag, zeigte den Moment, in dem die Heldin Minoc verließ, obwohl ihr Herz dort geblieben war. Lyr’sa strich mit einem Finger über den Rand der Seite, klappte das Buch nicht zu, sondern legte nur den Daumen sanft hinein.
„Ich bleibe“, sagte sie, nicht laut, aber deutlich.

Es war kein Aufbegehren, kein Trotz, keine heroische Geste. Es war eine Entscheidung. Und sie gehörte ihr.
Tath’raen sah sie lange an, dann neigte er leicht den Kopf – ob aus Anerkennung, Belustigung oder einfach, weil es keine andere Antwort gab, war unklar. Dann drehte er sich um und verließ die Taverne ohne ein weiteres Wort.

Lyr’sa atmete aus. Ihre Finger glitten zurück zwischen die Seiten. Und während draußen Schritte verklangen und der Raum sich langsam wieder mit Stimmen füllte, las sie weiter. Nicht, weil sie fliehen wollte. Sondern weil sie geblieben war.
Diesmal nicht, weil sie es musste.
Sondern weil sie es wollte.
Lyr'sa Teb'inyon
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Xas, malla Yathrin

Beitrag von Lyr'sa Teb'inyon »

Die Schatten des Qu’ellar lagen schwer auf dem großen Stufenabsatz vor dem Haupteingang. Ein Ort, an dem Macht ebenso zur Schau gestellt wurde wie Unterwerfung – und beides war an diesem Tag deutlich spürbar. Einige Drow knieten dort, mit gesenktem Blick, die Hände verschränkt, während Xael’vyra, die neue Yathrin des Hauses Ky’Alur, langsam an ihnen vorbeischritt. Ihre Bewegungen waren geschmeidig, fast gemessen, doch in jedem Schritt lag ein stilles Urteil, in jeder Geste der Anspruch auf uneingeschränkten Gehorsam. Es war, als wolle sie dem Stein selbst befehlen, sich zu beugen.

Lyr’sa hatte gehofft, unbemerkt vorbeischlüpfen zu können. Sie trug noch den groben Gürtel mit Werkzeugen, unter der Haut klebte Schweiß und Erzstaub, und in ihren Haaren glitzerte der feine Ruß der Schmiede. Sie war auf dem Weg zur Mine, wie so oft, mit dem Kopf voller Aufgaben, die wichtiger schienen als der höfische Wahnsinn vor dem Haus. Doch kaum hatte sie den ersten Schritt über die Stufen gesetzt, fiel der Blick der Yathrin auf sie – scharf, kalt, wie ein Dolch, der ins Fleisch will, nur um zu prüfen, wie tief er gehen kann, bevor jemand zuckt.

„Du!“, sagte Xael’vyra, ohne den Namen zu nennen – sie musste es nicht. Ihre Stimme hallte kurz in der steinernen Halle. „Bleib stehen.“

„Ich?“, fragte Lyr’sa, ehe sie sich selbst dafür innerlich ohrfeigte. Sie senkte rasch den Blick, presste die Lippen zusammen. „Xas, malla Yathrin.“

„Natürlich du“, sagte Xael’vyra spitz. „Gibt es hier noch jemanden, der derart... unansehnlich auftritt?“

Xurina stieß ein nasales Geräusch aus, etwas zwischen Hohn und Abscheu. „Sie hat Ruß im Haar, malla Yathrin. Ich schwöre es. Es glänzt schwarz, aber nicht auf die gute Art.“

Lyr’sa stockte, senkte augenblicklich den Blick. „Xas, malla Yathrin“, sagte sie leise, und ihre Finger schlossen sich fester um den Griff ihrer Werkzeugtasche, als könne er ihr Halt geben.

Die Yathrin schritt langsam auf sie zu. Neben ihr hob Xurina die schmalen Brauen, eine Spur von Abscheu auf den Lippen, die so tief ging, dass es wirkte, als müsse sie sich zurückhalten, nicht einfach die Luft anzuhalten, um den Geruch nicht zu schmecken.

„Seht euch das an“, sagte Xael’vyra mit einem Hauch Belustigung, der gefährlicher war als Zorn. „Der Kragen ist nicht einmal richtig geschlossen. Und was ist das da an deiner Schläfe – Asche? Schmieröl?“

Xurina schnaubte. „Ihr Gürtel hängt schief. Und sie riecht, malla Yathrin. Ich musste beinah die Luft anhalten.“

„Ein schiefer Gürtel“, wiederholte Xael’vyra langsam, als sei dies ein Verbrechen. „Und trotzdem wagt sie es, durch diese Tür zu treten. In diesem Zustand.“

Sie trat einen halben Schritt näher, ihre Augen auf Lyr’sas Gesicht gerichtet. „Du hast Staub unter den Nägeln. Deine Wangen glänzen – ist das Schweiß? Oder bettelst du um Aufmerksamkeit?“

„Xas, malla Yathrin“, murmelte Lyr’sa.

„Hörst du das?“, fragte Xael’vyra spöttisch, ohne sich wirklich an jemanden zu wenden. „Dieses Winseln. So sprechen Kreaturen, die vergessen haben, dass sie eine Zunge haben, um sich zu verteidigen.“

„Oder um sie sich abzubeißen, wenn es der Göttin gefällt“, warf Xurina trocken ein.

„Xas, malla Yathrin“, wiederholte Lyr’sa und wagte es nicht, aufzublicken.

„So sieht also aus, wer sich im Haus der Ky’Alur nützlich machen will?“ Xael’vyra umrundete sie nun, langsam, wie eine Spinne, die prüft, wo das Netz zuerst reißen wird. „Schau dich an. Kein Stolz. Keine Reinheit. Du bist eine Beleidigung.“

Lyr’sa stand still. Ihre Lippen zitterten leicht, doch sie sagte nichts weiter. Alles, was sie sagen konnte, hätte nur noch mehr Anlass zur Demütigung gegeben.

Tath’raen war da. Er hatte bisher geschwiegen, stand etwas abseits, wie ein Schatten, der seine Zeit abwartete. Doch nun trat er vor, sein Blick auf die Yathrin gerichtet, ruhig und kontrolliert, wie immer. „Malla Yathrin“, begann er mit ruhiger Stimme, „vielleicht wäre es klug, sie aus eurem Blickfeld zu entfernen. Sie beschmutzt euch mit ihrer bloßen Anwesenheit.“

Ein leises Lächeln stahl sich auf Xael’vyras Lippen. „Ja. Tut das. Sie soll gewaschen werden. Jetzt. Und gründlich.“

Tath’raen neigte leicht den Kopf. „Xas, malla Yathrin.“ Dann trat er an Lyr’sa heran, packte sie ohne Vorwarnung am Arm – fest genug, dass sie vor Schmerz kurz die Luft anhielt. Sein Griff war kein Spiel. Er führte sie wortlos weg, durch die Hallen, hinab in die unteren Kammern des Hauses, dorthin, wo die Luft schwerer war und die Stille tiefer. Keine Blicke, keine Spottreden. Nur der dumpfe Hall ihrer Schritte und das schrille Brennen in Lyr’sas Oberarm, wo seine Finger sich wie eiserne Klammern festgekrallt hatten.

Erst in einem der niedrigen, kargen Kellerräume ließ er sie los. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss, ein dumpfer Ton, der wie ein Aufatmen klang. Tath’raen ging wortlos zu einer kleinen Truhe, öffnete sie, entnahm ein gefaltetes Tuch und einen groben Lappen, goss kaltes Wasser aus einem Krug in einen Eimer und stellte beides vor Lyr’sa ab.

„Wasch dich“, sagte er. Seine Stimme war nun leiser, beinahe beiläufig – aber nicht spöttisch.

Lyr’sa hob den Blick ein Stück, überrascht. Sie hatte Schlimmeres erwartet. Doch Tath’raen trat zurück, verschränkte die Arme und musterte sie. Dann – kaum merklich – zuckte ein winziges, beinahe ehrliches Lächeln über seine Züge. Es war nicht höhnisch. Vielleicht war es sogar… aufmunternd. Ein Blick, der sagte: Du lebst noch. Also nutz es. Und dann drehte er sich um, verließ den Raum und ließ Lyr’sa mit dem Eimer, dem Lappen und der bitteren Mischung aus Staub, Scham und Erleichterung allein.

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Lyr'sa Teb'inyon
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Der Griff, der blieb

Beitrag von Lyr'sa Teb'inyon »

Die Schmiede war erfüllt vom dumpfen Takt des Hammers auf Metall, vom leisen Zischen erkaltender Klingen im Wasserbottich und dem stetigen Flackern des Feuers, das über die rauen Wände tanzte. Lyr’sa stand am Amboss, Schweißperlen auf der Stirn, den Griff des Hammers fest in der Hand. Ihre Bewegungen waren konzentriert, rhythmisch, mechanisch – als wollte sie sich in der Arbeit verlieren, bis nichts mehr blieb außer Hitze, Stahl und Form. Der Klang des Metalls half, die Worte der Yathrin zu verdrängen, das stechende Gefühl im Arm von Tath’raens Griff – und vor allem den schneidenden Blick von Xurina.

Ein leiser Schatten fiel über ihre Schulter, kaum hörbare Schritte. Sie erstarrte, bevor sie bewusst begriff, dass jemand hinter ihr stand. Eine Sekunde später fühlte sie seinen Atem an ihrem Nacken – warm, fordernd, zu nah, um ein Zufall zu sein. Dann legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Schwer. Besitztum oder Schutz? Sie wusste es nicht sofort.

Langsam, fast zögerlich, ließ sie den Hammer sinken, legte das heiße Metall beiseite und drehte sich mit leichtem Nachdruck um. Da stand er – Tath’raen. Ruhig, kontrolliert wie immer, doch sein Blick war aufgeladen mit etwas, das sie nicht deuten konnte. Nicht sofort. Es war kein Mitleid. Kein Bedauern. Es war – Hunger. Wach, greifbar, und nicht nur in seinen Augen. Auch in der Art, wie er sie musterte, als hätte er sich diese Nähe lange verkniffen.

„Ich dachte, du wärst längst wieder im Hof“, murmelte sie und senkte instinktiv den Blick, doch diesmal war es nicht aus Angst.

„Ich hatte noch etwas offen mit dir“, sagte er leise. Seine Stimme war rau, fast flüsternd, und sie spürte sie mehr, als sie sie hörte.

Lyr’sa zögerte. Ihre Hände zitterten kaum merklich. „Danke... vorhin. Ohne dich hätte sie—“
„Ich weiß“, unterbrach er sie ruhig. Dann trat er einen halben Schritt näher.

Sein Blick fiel auf ihr Gesicht, dann auf ihren Hals, der sich unter dem glimmenden Licht des Feuers leicht hob und senkte. Ihre Haut glänzte noch vom Schweiß der Arbeit, ihr Haar war zerzaust, ihre Augen voller Fragen, aber keine davon sprach sie aus. Ihre Lippen öffneten sich ein wenig, ein unmerklicher Laut vielleicht – ein Hauch, kein Wort.

Als er sich vorbeugte, war es nicht überstürzt. Es war entschieden. Seine Stirn berührte beinahe ihre, ehe er sie küsste – fest, unnachgiebig, als wolle er ein Versprechen einfordern, das nie ausgesprochen worden war. Sie wich einen Schritt zurück, überrascht, doch er folgte ihr, drängte sie mit dem Körper gegen die kühle Wand aus schwarzem Basalt, die ihren Rücken hart umfing. Ihr Atem stockte, doch sie stieß ihn nicht zurück.

„Tath’raen...“, flüsterte sie, mehr als Name denn als Einwand.

Er nahm ihre Hand, führte sie zur Wand, drückte sie sanft, aber mit Nachdruck dagegen. Seine andere Hand glitt über ihren Rücken, suchte Halt an ihrer Taille, verweilte dort, als wollte er prüfen, ob sie noch zögerte.

Sie tat es – aber nicht ernsthaft.

„Du willst weglaufen?“, fragte er mit einem Anflug von Spott.

Lyr’sa sah ihn aus halb geschlossenen Lidern an, die Wangen leicht gerötet. „Vielleicht.“

Sein Blick verengte sich, dann hob er ihre Hand, drehte ihren Arm leicht, hielt ihn, als wäre er nur ein weiterer Mechanismus, den man beherrschen müsse. Doch sein Griff war nie grausam, nur entschieden. Ihre andere Hand krallte sich in sein Gewand, unbewusst, als wolle sie etwas festhalten, das zu schnell kam, zu fordernd, zu intensiv – und doch längst überfällig war. Er küsste sie erneut, diesmal länger, tiefer, mit jener Mischung aus Beherrschung und Verlangen, die sie schwanken ließ. Seine Lippen fanden ihren Hals, ihre Wange, und sie schloss die Augen. Die Wand im Rücken, seine Hand auf ihrem Arm, seine Hitze so nah – es war mehr, als sie erwartet hatte. Mehr, als sie geglaubt hatte, er ihr je geben würde.

„Ich hasse dich dafür“, murmelte sie schließlich heiser, ohne jede Überzeugung.

„Dann hasse mich leise“, entgegnete er, und sein Kuss versiegelte die Worte.

Was danach geschah, war unausweichlich – ein Tanz aus Nähe, Dominanz und stummem Einverständnis, das nur zwei Wesen kannten, die tief genug gefallen waren, um einander zu erkennen. Nicht als Licht, sondern als Schatten.

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Die Schmiede war still geworden.

Nur das träge Knacken des Feuers erinnerte daran, dass die Zeit nicht stehen geblieben war. Lyr’sa lehnte noch immer an der Wand, der kalte Stein in ihrem Rücken ein seltsamer Kontrast zur Hitze, die noch in ihren Gliedern pulsierte. Ihr Atem ging flach, fast unmerklich. Ihre Hände ruhten an ihrer Seite, doch die Finger zitterten leicht – nicht aus Angst, sondern weil etwas in ihr vibrierte, das sich nicht benennen ließ.

Tath’raen war fort. Wortlos gegangen, wie ein Schatten, der keinen Platz im Licht sucht und sie hatte ihn nicht aufgehalten.
In der Luft hing noch immer sein Geruch. Auf ihren Lippen brannte sein letzter Kuss, in ihrer Schulter ein dunkler Nachklang seines Griffs. Ihre Kleidung war wieder glattgezogen, der Gürtel saß fest, das Haar notdürftig in Ordnung gebracht. Äußerlich war alles, wie es sein sollte.

Aber innerlich?

Lyr’sa atmete tief durch und zwang sich zur Ordnung. Ein Krug Wasser, ein raues Tuch, ein kalter Schluck, um den pochenden Puls zu beruhigen. Die Hitze des Ambosses schien mit der ihren zu verschmelzen – Arbeit und Begehren, beide fordernd, beide gefährlich. Sie fühlte sich leer und erfüllt zugleich. Beschmutzt? Nein. Geküsst. Gesehen. Begehrt. Sie wusste, dass sie sich nicht verteidigt hatte. Dass sie es auch nicht gewollt hatte.

„Verdammter Narr…“, murmelte sie leise, nicht sicher, ob sie ihn meinte – oder sich selbst.

Ein metallisches Klirren hallte leise von der Tür. Sie fuhr herum – nichts. Nur ein Schatten im Flur, der sich zu bewegen schien. Oder bildete sie sich das ein? Ein leises Flüstern in ihrem Hinterkopf – zu leise für Worte, zu deutlich, um Zufall zu sein. War da jemand gewesen?

Die Wände des Hauses Ky’Alur hatten Ohren. Immer. Vielleicht Xurina. Vielleicht ein anderer. Vielleicht nur der Stein selbst, der schwieg, aber nie vergaß. Wenn jemand gesehen hatte, was geschehen war – wenn es sich herumsprach... Ein Frösteln kroch ihr über den Nacken. Und doch: Sie würde nichts bereuen. Nicht jetzt. Nicht heute. Nicht, wenn er sie so berührt hatte, als wäre sie mehr als nur eine Handwerkerin mit schiefem Gürtel und rußigem Haar. Nicht, wenn sie zum ersten Mal das Gefühl gehabt hatte, nicht allein in dieser höllischen Tiefe zu sein.
Sie hob den Hammer wieder auf. Ihre Finger schlossen sich fester um den Griff.

„Wenn sie reden wollen“, sagte sie leise zu sich selbst, „dann sollen sie es tun.“

Sie würde härter arbeiten. Besser. Länger. Und wenn Xael’vyra wieder vor ihr stand, mit spitzen Worten und messerscharfem Lächeln, dann würde sie sich erinnern. An das Feuer. An den Griff. An den Kuss. Und daran, dass auch Schatten wärmen können, wenn man sie nah genug an sich heranlässt.

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Xael'vyra Ky'Alur
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Re: Aus Stahl geformter Trotz

Beitrag von Xael'vyra Ky'Alur »

Der Makel im Stein
Die Stufen des Qu’ellar trugen an diesem Tag ein Gewicht, das nicht vom Stein kam. Xael’vyra spürte es in jeder Bewegung – den unsichtbaren Druck der Blicke, die in den Schatten lauerten, das zähe Knistern der unausgesprochenen Erwartungen. Seit ihrer Ankunft in Elashinn hatte sie gelernt, dass hier niemand offen prüfte, sondern immer aus dem Halbdunkel heraus. Die Hallen waren voll von Augen, die warteten, dass sie strauchelte. Manche aus Neid, andere aus Loyalität gegenüber jenen, die ihr nicht wohlgesinnt waren.

Am stärksten jedoch brannte der Blick der Veldriss Xurina in ihrem Rücken. Sie konnte ihn fast spüren – scharf, tastend, wie eine Klinge, die prüfte, wo sie am besten eindringen konnte. Xurina war zu höflich, um den Zweifel laut auszusprechen, aber Xael’vyra war nicht naiv. Jede Bewegung, jedes Wort der Veldriss war abgewogen, als gälte es, die junge Yathrin zu messen… und die Frage zu beantworten, ob sie ihr Amt verdiente.

Natürlich tat sie das. Lloth selbst hatte sie auserwählt. Das war keine Floskel, keine politische Lüge – es war Wahrheit, in Blut und Opfer besiegelt. Xael’vyra trug die Gewissheit wie ein unsichtbares Mal auf der Haut. Früher oder später würde der Zorn der Spinnenkönigin all jene treffen, die zweifelten. Er würde sie im Netz verstricken, ihre Seelen ausbluten lassen, bis nur noch Treue oder Staub blieb.

Doch bis dieser Tag kam, galt es, ihren Platz zu festigen. Die Ausbildung unter der Ilharess würde bald beginnen, und mit ihr die nächste Prüfung. Bis dahin musste sie zeigen, dass sie nicht nur den Namen einer Yathrin trug, sondern die Macht, ihn durchzusetzen. Einschüchterung war kein Makel, sondern Pflicht. Wer führen wollte, musste dafür sorgen, dass niemand vergaß, warum er gehorchte.

Es war daher fast eine Gabe Lloths, dass an diesem Tag dieses… Wesen… ihren Weg kreuzte. Lyr’sa Teb’inyon. Die Schmiedin, die es wagte, in den Hallen des Qu’ellar umherzugehen, als gehöre sie dazu. Schweiß im Gesicht, Ruß in den Haaren, der Geruch von Metall und Feuer an der Haut. Die Arbeiten, die sie verrichtete, waren die niedersten unter den niederen – Aufgaben, die man Rothe oder namenlosen Wanre überließ. Und doch erlaubte man ihr, hier zu atmen, als sei sie Teil der Familie.

Für Xael’vyra war das mehr als nur ein Affront. Es war ein Zeichen der Nachlässigkeit. Ein Beweis, dass die Ilharess nicht mit der Strenge handelte, die Lloth verlangte. Dass sie Schwäche duldete, wo Härte geboten war.

Heute jedoch konnte sie aus dieser Schwäche Stärke ziehen. Vor den Stufen, im Blickfeld der knienden Drow und der schweigenden Wachen, bot sich die Gelegenheit, nicht nur Lyr’sa zu erniedrigen, sondern allen zu zeigen, wie eine Yathrin handelt. Die Schmiedin war ein Makel im Stein – und Xael’vyra würde diesen Makel sichtbar machen.

Sie sprach den Befehl knapp, ohne den Namen zu nennen. Jeder Ton war durchzogen von stiller Geringschätzung, jeder Blick ein Stich. Es war nicht nötig, die Stimme zu heben – die Macht lag im Maß, nicht in der Lautstärke. Mit jedem Schritt umkreiste sie die Schmiedin, maß sie wie ein Opfer, das noch nicht begriffen hatte, dass es längst geopfert wurde. Xurina stand nahe genug, dass Xael’vyra ihr die Zustimmung im Blick lesen konnte – ein schmaler, kalter Funken von Spott, der ihr gefiel.

Vielleicht sollte sie tatsächlich ihre Peitsche künftig stets bei sich tragen. Dieses Vieh kreuzte ihren Weg zu oft. War verdächtig oft allein auf der Oberwelt unterwegs. „In der Mine“, hieß es. Als ob sie wüsste, was dort wirklich geschah. Es würde ihr ein leichtes sein, das herauszufinden – und wenn sich dabei ein Anlass ergab, sie im Namen Lloths zu bestrafen, umso besser.

Heute jedoch genügte es, den Stolz der Schmiedin vor aller Augen zu brechen. Die Erniedrigung war spürbar, nicht nur im Körper, sondern im Blick, den sie zu Boden zwang. Xael’vyra sog diesen Moment ein wie den Duft von Blut in einer stillen Halle.

Erst als Tath’raen sich näherte, kühl und sachlich, unterbrach er die Szene. Er erinnerte sie an ihre Rolle, daran, dass auch das Beenden einer Demütigung Teil der Kontrolle war. Sie ließ es zu – nicht aus Nachsicht, sondern weil sie wusste, dass ein Raubtier die Beute manchmal ziehen lässt, um sie später erneut zu jagen.

Unter der Maske des Gehorsams
(OOC Info: Nimmt auch auf die Ereignisse in folgendem Post Bezug: viewtopic.php?p=1546#p1546)

Zwei Tage waren vergangen, seit sie die Schmiedin zuletzt gesehen hatte. Zwei Tage, in denen die Hallen des Qu’ellar frei gewesen waren von dem Anblick, der ihr wie ein Fleck auf poliertem Obsidian vorkam. Xael’vyra hätte sich mit dieser Ruhe zufrieden geben können, doch anstatt Frieden brachte sie nur ein nagendes Fragen mit sich. Eine Frage, die in ihrem Geist wie ein schleichendes Gift wirkte: Warum duldet die Ilharess dieses Geschöpf?

Es war nicht das erste Mal, dass sie diesen Gedanken hatte. Lyr’sa Teb’inyon war nicht einfach nur ein Werkzeugträger, nicht nur eine Arbeiterin an der Esse – sie war eine Blöße im Gefüge des Hauses. Jeder, der sie sah, musste sich fragen, wie eine solche Gestalt in diesen Hallen bestehen durfte. Der Geruch von Metall und Kohle, die rußgeschwärzte Haut, die schmutzigen Hände – und doch bewegte sie sich hier, als habe sie einen Platz im Netz.

Viel zu oft hatte Xael’vyra vernommen, dass diese Schmiedin ohne Aufsicht auf die Oberfläche ging. Allein. Stundenlang, manchmal Tage. Als ob es keinen Unterschied machte, wer dort sah, was sie tat oder hörte, was sie sagte. Selbst ihr, die neu in diese Rolle getreten war, war nach kürzester Zeit klar, dass Lyr’sa nicht nur kein repräsentatives Bild für das Qu’ellar abgab – sie war eine Einladung für Zweifel.

Und Zweifel, das wusste Xael’vyra, war wie ein Riss im Faden: Er begann unsichtbar, kaum zu spüren, und wenn er wuchs, war das ganze Netz in Gefahr.

Man erzählte, die Schmiedin spreche manchmal zu offen, als wüsste sie nicht, wann Worte wie Waffen wirken konnten – und wann sie besser verborgen blieben. Es war ein Gerücht, das sie nicht leichtfertig abtat, nicht nachdem sie die unausgesprochene Zustimmung in Xurinas Blick gesehen hatte. Vor zwei Tagen hatte sie diesen winzigen Funken von Missfallen bemerkt – nicht gegen sie, sondern gegen Lyr’sa. Und das sagte ihr mehr, als Worte es je könnten: Sie war nicht die Einzige, die dieses Stück Kohle aus dem Nest schneiden wollte.
Andere Geschichten hatten ihren Weg zu ihr gefunden, getragen auf den Stimmen derer, die hofften, sich durch ihre Nähe Vorteile zu sichern. Dass Lyr’sa in Tavernen gesehen wurde. Dass sie mit Menschen sprach. Mit Darthiiri. Dass sie an Orten saß, wo kein Mitglied eines Qu’ellar je allein gesehen werden sollte. Wahr oder nicht – es spielte keine Rolle. In Elashinn reichte der Schein, um das Gift wirken zu lassen.

Je länger Xael’vyra darüber nachdachte, desto klarer wurde der Weg. Dies war nicht nur eine Gelegenheit, dies war eine strategische Waffe. Wenn sie es schaffte, diese unwürdige Kreatur bloßzustellen, würde sie nicht nur den Makel entfernen – sie würde zeigen, dass Jhea’kryna selbst nicht mehr imstande war, den Faden zu straffen. Dass die Ilharess Schwäche duldete. Dass sie nicht mehr in Lloths Sinne handelte.

Der Plan formte sich in ihrem Geist wie ein kunstvoller Knoten. Sie würde Augen auf die Oberfläche setzen. Unauffällige, willige Helfer – jene, die das Staubgrau der Straßen in den Blicken trugen und gelernt hatten, zu beobachten, ohne gesehen zu werden. Wenn Lyr’sa auftauchte, würden sie melden. Und Xael’vyra würde warten, genau im richtigen Moment.

Dieser Moment kam schneller, als sie erwartet hatte. Gegen Abend stürmte ein eiliger Läufer durch die Hallen, Schweiß auf der Stirn, den Blick gesenkt. „Von Nordosten kommend,“ berichtete er hastig, „Lyr’sa… allein. Sie wird bald hier sein.“

Ein kurzes Nicken war seine Entlassung. Xael’vyra begab sich an den Eingang. Nicht wie jemand, der wartete – sondern wie jemand, der urteilte. Zwei Sargtlinen standen zu ihrer Rechten und Linken, schweigend, wie ein scharfes Paar Klingen, das nur auf ein Zeichen wartete. Sie wählte den Schatten einer der breiten Pfeiler, von wo aus sie sowohl den Torbogen als auch den Weg davor im Blick hatte.

Und dann kam sie.

Die Szene entfaltete sich wie ein Ritual, dessen Ausgang sie längst kannte. Die Fragen, scharf wie Dornen. Das Schweigen der Schmiedin, das sie wie Schwäche roch. Die wiederholten Demütigungen, Wort für Wort gesetzt, bis der Blick zu Boden fiel. Die Spannung in der Luft, das stille Beben, wenn ein Opfer ahnt, dass der Schlag kommt.

Und dann – dieser eine Satz, der alles veränderte:
„Es wurde mir untersagt. Ich darf nicht darüber sprechen.“

Es war, als hätte sich ein Faden im Netz gespannt, den sie bisher nicht gesehen hatte. Diese Worte hatten Gewicht. Nicht wegen der Stimme, die sie sprach, sondern wegen des Schattens, der hinter ihnen stand. Jemand hatte dieser Kreatur einen Auftrag gegeben. Jemand hatte es gewagt, zwischen sie – die Yathrin, Tochter der Ilharess – und eine Wahrheit zu treten.

Der Schlag, den sie austeilte, war Reflex. Die Peitschenhiebe, Befehl und Botschaft zugleich. Aber als Lyr’sa in den Kerker geführt wurde, blieb Xael’vyra zurück – mit dem Satz in den Gedanken und einem Zorn, der nicht verrauchte.

Sie ging auf und ab, jeder Schritt ein Puls, jeder Puls ein Gedanke. Wer war es, der sich über sie stellte? Wer wagte es, so zu handeln, ohne ihr Gesicht zu zeigen? Und vor allem – was war so wichtig, dass man dafür dieses Geschöpf brauchte?

Ein Lächeln schlich sich über ihre Lippen, kalt und schmal. Es war kein Ausdruck von Freude, sondern von Vorahnung. Die Antwort würde kommen. Sie würde den Faden finden, an dem dieses Spiel hing – und ihn so lange ziehen, bis das ganze Netz bebte.
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