Bedrohung für Yew

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gelöschter Charakter_525
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Registriert: 07 Mai 2025, 09:48

Bedrohung für Yew

Beitrag von gelöschter Charakter_525 »

Stille vor dem Sturm
Es war einer dieser Abende, an denen die Luft in der Taverne schwer hing – nicht vom Rauch des Herdfeuers oder den Düften des Eintopfs, sondern vom unausgesprochenen Unmut, der in den Gesichtern der Gäste lauerte. Lirael stand wie so oft hinter dem Tresen, die Ärmel hochgekrempelt, der Blick wachsam, doch innerlich längst müde. Der Klang von Krügen, die auf Holz trafen, das stete Murmeln, Lachen, gelegentliche Streit – all das gehörte zum Alltag. Doch dieser Abend zog sich zäher als gewöhnlich. Sie mochte diese Arbeit nicht. Nicht die klebrigen Tische, nicht das ewige Kommen und Gehen, nicht die Mühsal, sich zwischen schiefen Blicken und plumpen Kommentaren hindurchzulavieren. Es war Bareti zuliebe, dass sie blieb – Bareti, die sie mit offenen Armen aufgenommen hatte, als kaum jemand sie eines Blickes würdigte. Aber heute fragte sich Lirael, wie lange sie diese Rolle noch würde spielen können.

Der Tag war lang gewesen, der Abend anstrengend, und gerade als sie glaubte, zumindest für einen Moment verschnaufen zu können, trat sie ein: eine Frau mit zu viel Stolz im Gang und zu wenig Zurückhaltung auf der Zunge. Blond, blass, mit hochmütigem Blick – der Name von Wolfenreich klang adelig, und die Art, wie sie ihn sprach, ließ keinen Zweifel daran, dass sie ihn für wichtig hielt. Lirael hätte sie ignoriert, wie sie viele Ignorante ignorierte – doch die Dame provozierte, spitzte die Lippen, zog Blicke auf sich, ließ sich weder bitten noch bremsen. Lirael blieb ruhig. Ruhiger jedenfalls, als es ihre Hände verrieten – ein Krug krachte ein wenig zu hart auf die Theke, als die Stimme der Fremden durch den Schankraum hallte. Ein Teil in ihr spürte Abneigung, ein anderer – Müdigkeit. Und so maß sie die Frau mit festen Worten, nicht um zu verletzen, sondern um der Taverne wenigstens ein Mindestmaß an Frieden zu sichern. Irgendwann verschwand die von Wolfenreich wieder, schleuderte noch ein paar halbverhüllte Beleidigungen hinter sich – und ließ ein unangenehmes Schweigen zurück.

Inmitten dieser aufgeladenen Stille erschien Lyr’sa. Die kleine Dunkelelfe mit den großen Augen, die sich inzwischen beinahe wie ein Möbelstück hierher verirrte – oft zur falschen Zeit, oft mit den falschen Worten. Und doch empfand Lirael eine eigenartige Wärme für sie. Vielleicht war es Mitleid, vielleicht etwas anderes – Lyr’sa hatte etwas Zerbrechliches an sich, etwas Ungeschütztes.
Sie setzte sich an den Tresen, bestellte ein Glas Wasser – natürlich –, und fing bald an zu reden. Von einem Buch, das sie vergessen hatte. Von einem Mann, der ihre Gedanken nicht erwiderte. Von Plänen, die in Skizzen mündeten und einem Wunsch nach einer neuen Armbrust. Es war kindlich, wirr, irgendwie rührend. Lirael hörte ihr zu, so wie sie ihr immer zuhörte. Nicht, weil sie musste. Sondern weil da irgendwo, hinter all dem Lärm, eine Stimme sprach, die nach Aufmerksamkeit verlangte.

Der Abend verstrich. Lirael schenkte Met aus, spülte Krüge, hörte Gesprächsfetzen und versuchte, sich das Unbehagen aus der Brust zu atmen. Noch ahnte sie nicht, dass es nicht die fremde Adelige war, die sie in dieser Nacht wachhalten würde – sondern ein Satz, der ihr bald darauf eiskalt den Rücken hinablaufen sollte.
Doch noch war es ruhig. Noch war es nur ein Abend wie viele andere.

Die Stille vor dem Sturm.

Die Offenbarung
Es war ein Satz, beiläufig fast, wie aus einem Gespräch gefallen: „Ich weiß, wo er ist.“

Lirael hatte gefragt, wie es Lyr’sa ging – mehr aus Gewohnheit als aus echtem Interesse. Und doch... irgendetwas in ihrer Stimme hatte sie erneut berührt. Die Antwort kam rasch, fast zu rasch, wie auswendig gelernt. That’raen. Der Name hing schwer in der Luft, begleitet von einem Funken, der in Lyr’sas Augen aufflackerte. Er war da. Und er putzte seine Waffen.
Lirael runzelte die Stirn. That’raen – der schweigsame Krieger mit dem ausweichenden Blick und der Präsenz eines Gewitters. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte sie gespürt, dass dieser Mann nichts Gutes bedeutete – für niemanden. Dass Lyr’sa sich von ihm blenden ließ, grämte sie. Nicht aus Eifersucht, nicht einmal aus Sorge um deren Stolz. Sondern weil es wehtat, zu sehen, wie jemand bereit war, sich selbst zu verleugnen, nur um bemerkt zu werden.

„Warum suchst du nicht hier Schutz?“, hatte sie gefragt. Die Antwort war ein Schulterzucken gewesen. Worte wie Nebel. Lirael vergrub die Ungeduld, die in ihr aufstieg, und hörte weiter zu.
Lyr’sa sprach, und wie so oft waren ihre Worte ein Tanz zwischen Naivität und tiefer Ahnung. Während sie noch von That’raen redete, wechselte sie das Thema – fast unmerklich – und begann, über Waffen zu sprechen. Von Armbrüsten, von neuen Mechanismen, von etwas Leichtem, Schnellem. Von Papier, das sie brauche, um Skizzen zu machen.
Lirael horchte auf. Es war nicht ungewöhnlich, dass Lyr’sa sich mit Mechanik beschäftigte. Doch diesmal lag ein anderer Klang in ihrer Stimme – schneller, drängender, als würde sie sich selbst vormachen, sie spreche nur über ein Projekt. Doch zwischen den Zeilen lauerte etwas anderes.

„Die Krieger bereiten sich vor“, hatte sie gesagt – beiläufig, fast gleichgültig.

Ein leises Frösteln kroch Lirael den Rücken hinab.

Bereiten wofür? – Die Frage blieb unausgesprochen, hing aber in der Luft wie ein dunkler Schatten.
Lyr’sa wich aus, redete sich heraus, lachte schrill, wechselte das Thema, suchte nach Papier. Doch als Lirael näher trat, mit fester Stimme und klarem Blick, bröckelte die Fassade. Zögerlich zuerst. Dann immer deutlicher.

„Du solltest die nächsten Tage nicht nach Yew gehen.“
Es war dieser eine Satz, der alles veränderte.

Lirael hielt inne. Ihre Hand, eben noch nach einem Krug ausgestreckt, verharrte in der Bewegung. Ihr Blick bohrte sich in Lyr’sa, die nun mit gesenktem Kopf vor ihr saß – fahrig, unsicher, bleich.
„Warum nicht?“ – Kein Ärger lag in ihrer Stimme, sondern eine plötzliche Kälte. Sorge.
Lyr’sa wand sich. Dann sprach sie.
„Etwas kommt. Etwas... Ungewöhnliches.“
Und dann, nach einem Moment, der sich wie eine Ewigkeit dehnte:
„Alle entführten Bauern... sind tot.“
Die Worte trafen Lirael wie ein Keulenschlag.

„Die Ilharess... sie hat ihnen die Herzen herausgeschnitten. Ich war im Tempel, als es geschah.“

Für einen Moment war nur Stille. Kein Klirren, kein Flüstern, kein Atmen.
Nur die Bilder in Liraels Kopf. Herzen. Katakomben. Körper, gewaschen zur Strafe.
Eine grausame Zeremonie – und das leise, erschrockene Geständnis einer Zeugin, die nicht wusste, wo sie stehen sollte.
Liraels Finger krampften sich um den Rand der Theke.
Der Schock malte sich nicht nur in ihrer Miene – er durchzog ihre Haltung, ihr Schweigen, das Zittern ihrer Schultern. Und doch begann sich in ihr etwas zu regen. Nicht bloß Abscheu. Nicht nur Fassungslosigkeit. Sondern etwas Tieferes – etwas, das wie glühende Kohle unter einer Schicht Asche schlummerte.
Noch war es nicht greifbar. Noch fehlte ihr der Mut, das Gesagte wirklich zu begreifen.

Aber der Sturm, vor dem die Stille sie gewarnt hatte – er war längst da.

Und dann war da die Erinnerung.
Es war nicht das erste Mal, dass Lirael das Gewicht der Vergangenheit spürte. Doch jetzt, da Lyr’sas Worte wie Gift in ihr nachwirkten, brach die Erinnerung über sie herein wie eine Welle.
Damals war es Rianon gewesen, der die Spur zuerst aufgenommen hatte – aufmerksam, wachsam wie immer. Zusammen mit Ya’ranel hatten sie sich aufgemacht, um das Verschwinden der Bauern zu untersuchen. Lirael war an ihrer Seite gewesen – zurückhaltend vielleicht, aber entschlossen. Es war ihnen gelungen, einer Gruppe Dunkelelfen bis an den Rand der Wildnis zu folgen. In einem Moment voller Mut und Entschlossenheit hatten sie einige der Gefangenen befreit – traumatisierte Seelen, die kaum in der Lage gewesen waren, ihre Geschichte zu erzählen.

Doch so viel war schnell klar geworden: Diese wenigen waren nur ein Bruchteil. Die meisten waren weiter verschleppt worden. Tiefer, weiter – nach Elashinn.

Und so war der Entschluss gereift. Rianon und sie hatten es wagen wollen. Hatten sich vorgenommen, sich heimlich in das Schattenreich zu schleichen, um wenigstens einen Versuch zu wagen, die anderen zu retten. Ya’ranel hatte ihnen Mut gemacht, ihnen den Rücken gestärkt, bereit zu helfen, wo er konnte. Es war ein zarter Moment der Hoffnung gewesen – kurz, flackernd, aber aufrichtig.
Doch dann war Aetherium von Finsterrode erschienen. Mit ruhiger Stimme und schwerem Blick hatte er ihnen von der wachsenden Gefahr erzählt, vom größeren Spiel, das im Verborgenen lief. Dass ein falscher Schritt mehr zerstören könnte, als sie retten würden. Dass sie nicht bereit wären – nicht jetzt.

Und sie hatten gezögert.
Lirael hatte gezögert.

Sie hatten die Idee verworfen. Den Mut verschluckt. Sich überreden lassen von Worten, die klangen wie Weisheit – und sich nun anfühlten wie Gift.
Jetzt, da sie wusste, was wirklich geschehen war – dass die Bauern tot waren, dass ihnen die Herzen herausgerissen wurden – konnte sie es kaum ertragen. Sie hatten nicht einmal versucht, sie zu retten.

Und das würde sie sich nie verzeihen.

Entscheidung im Zwielicht
Die Tür war längst geschlossen. Doch Lyr’sas Worte hallten noch immer nach – wie ein Echo, das nicht verstummen wollte. Lirael stand einen Moment lang reglos im Schankraum, den Blick leer, die Lippen schmal. Ihre Finger ruhten auf der Kante des Tresens, doch sie spürte das Holz nicht. Der Schock hatte sie fest im Griff, ein kalter Dorn im Innersten.
Dann trat sie hinaus. Draußen war es still. Der Wind hatte sich gelegt, und das Mondlicht legte blasse Streifen über den Hof. Nur Rianon war da – in die Hocke gegangen neben seinem Krokodil, die Finger sanft in dessen Schuppen. Er wirkte friedlich, fast kindlich in seiner Zuneigung, im Kontrast zur Wucht, die Lirael in sich trug.
Als er aufblickte und sie sah, wich das Lächeln aus seinem Gesicht.

„Lirael?“ Seine Stimme war leise, warm – aber voller Sorge.

Sie schwankte. Ihre Beine fühlten sich fremd an, und im nächsten Augenblick war sie in seinen Armen. Ihr Kopf an seine Brust gelehnt, der Atem kurz, abgerissen. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch: „Die Bauern... Rianon... sie sind tot.“
Er erstarrte. Nur seine Hände bewegten sich, hielten sie, stützten sie, während seine Gedanken rasten.
„Tot?“ Das Wort zerbrach ihm beinahe auf der Zunge. Seine Augen suchten ihre, als könnte er darin eine andere Wahrheit finden – irgendetwas, das Lyr’sa sich nur eingebildet hatte. Aber da war nichts als Gewissheit. Und Schmerz.
„Sie hat ihnen... die Herzen herausgeschnitten“, sagte Lirael schließlich, und der Satz brannte auf ihrer Zunge wie Salz in einer offenen Wunde.
Rianon ließ sich mit ihr zu Boden sinken, kniete sich vor sie, die Stirn an ihre gelehnt, die Arme fest um sie geschlossen. Eine einzelne Träne glitt über seine Wange, still, fast beschämt. Und sie ließ sich halten. Für einen Moment war es nur das: zwei Körper, erschüttert, von der gleichen Schuld durchzogen.
„Wir hätten sie retten sollen“, flüsterte er. Lirael schloss die Augen und nickte.

Ya’ranel. Die Spur. Die geflüsterten Pläne. Der Moment, in dem Hoffnung noch lebendig gewesen war. Und dann – Aetherium. Die Worte, die so klug geklungen hatten. So überlegt. So fern von dem, was nun Wirklichkeit geworden war. Sie hatten sich bremsen lassen. Abwarten, hatte er gesagt. Und jetzt waren die Herzen dieser Menschen kalt.

„Wir haben nichts getan“, flüsterte sie. Rianon sah sie an. Und obwohl seine Augen feucht waren, war da auch etwas anderes in ihnen – etwas Festes, Brennendes. „Wenn Gefahr über Yew kommt, dann dürfen wir jetzt nicht erneut wegsehen.“
Lirael hob den Kopf. Ihre Stimme zitterte, doch in ihr formte sich etwas Neues. Kein Trotz, keine Reue – sondern Klarheit.
Sie dachte an den Wald. An die hohen Bäume von Yew, an die Luft zwischen den Wurzeln, an die Stimmen des Gleichgewichts, die sie einst gehört hatte. An die Verbindung, die mehr war als Erinnerung.

„Was, wenn etwas Schreckliches geschieht?“
Ihre Stimme war ein Hauch.
„Was, wenn dir etwas zustößt?“
Rianon hob die Hand, berührte sanft ihre Wange, fuhr mit dem Daumen über eine getrocknete Tränenspur.
„Dann ist es das wert“, sagte er.
„Was wären wir ohne den Yew?“
Und in diesem Moment fiel die Entscheidung.
Nicht aus Zorn. Nicht aus Schuld.
Sondern aus Liebe – und aus Pflicht.

Lirael atmete tief ein. Ihre Stimme kam brüchig – dann fester, wie gespanntes Holz, wie ein gezogener Bogen:
„Ja. Wir müssen Yew retten.“

Rianon lächelte. Ein stilles, erschöpftes Lächeln, voller Wärme und Stolz. Er zog sie näher an sich, barg ihr Gesicht an seiner Schulter, ließ sie ankommen in diesem Versprechen.
Für einen Moment waren all die Schrecken vergessen, eingehüllt in Nähe, in Vertrauen.

Dann standen sie auf - Gemeinsam.
Die Dunkelheit war nicht verschwunden – aber sie waren nicht mehr allein.
Der Zwielicht war gefallen und ihre Entscheidung stand.
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