Das Haus der Gemeinschaft der Flamme war bis auf ihn selbst verwaist und heruntergekommen. Das Äußere spiegelte treffend das Innere seines Besitzers wider. Die Portraits seiner Familie, seiner Freunde an der Wand starrten grimm auf ihn herab. Es war schon so lange her, dass sie alle fort waren. Nein, nicht nur fort, sie waren gestorben. Sprich es ruhig aus, Kaimond. Zurückgeblieben war nur er selbst und an manchem Tage wünschte er sich, er hätte sein Leben ebenso gelassen. Er schaute in die Augen der Herzogin, dann in Auriels, Estrellas und schließlich in Erondors ehernen Blick. Die Bilder waren gut getroffen, dennoch waren sie nur Beschreibungen seinerseits entsprungen. Auf jedem der Bilder stimmte mindestens eine Sache nicht. Den Augen der Herzogin fehlte etwas Unbestimmtes, Auriels Kinn war nicht, wie es sein sollte, Estrellas Mundpartie war vollkommen falsch und Erondors Wangen waren zu wenig von schneidenden Kanten durchzogen. Kaimond wollte die übrigen Bilder nicht einmal ansehen. Er vermied es mit ihnen Zwiesprache zu halten, wie er es häufig tat dieser Tage. Die Ereignisse des vorherigen Tages streiften seine Gedanken und begannen sich rückwärts abzuspulen entgegen der üblichen chronologischen Reihenfolge:
Die Zähne einer anderen Sphäre schlugen sich in seinen Geist und zerrten ihn raubtierhaft hinweg. Sein Herz schlug plötzlich dröhnend bis in seine Ohren hinauf, während er paradoxerweise den Atem anhielt. Wie Nadelstiche waren rote Sterne in ein pechschwarzes Firmament getrieben worden. Seine Füße, Knöchel, Waden und Schienbeine standen tief in einem See aus roter Flüssigkeit. Kaimond hob kurz die Füße und die Flüssigkeit perlte zäh an seinen Beinen herab mit einem metallischen Geruch, der fein in die Nase waberte. Sein Geist fühlte sich fiebrig an, als zarte, feurige Zungen an dem Himmel leckten, weiter und weiter, bis er lichterloh in Flammen stand. Der Anblick war atemberaubend und erschreckend zugleich, aber es war ihm zunächst nicht möglich die Augen lange abzuwenden. Zwei Präsenzen drängten sich in das Bild in der Dualität von feuriger Körperhaftigkeit und rauchartigem Schemen. Erst jetzt wurde er gewahr, dass auch die beiden Frauen mit ihm in diese Sphären gespült worden waren. Ein Flattern des Seins, gleich einem losen Segel, und vor ihm war wieder nur die verwitterte Innenwand des Hauses der Gemeinschaft der Flamme und die Überreste dessen, was einst eine Person gewesen war.
Eine Welle tangierte die Scherbenkinder, eine andere setzte etwas viel Größeres in Gang, das Kaimond nicht verstand und das sich wie ein bockiges Kind nicht von der Stelle seines Geistes rühren wollte. Mehrere Wellen waren durch den Äther gedrungen, wie ein Klatschen, das zunächst näherkam und dann in die Weiten des Seins weggespült wurde, als ein (Un-)Leben verging.
Die Gedanken streckten sich und glitten wieder etwas zurück.
Asche, nur Asche nichts sonst, blieb von dieser Frau übrig, die vermutlich auch eine Vampirin war. Aber wer konnte dies schon mit vollkommener Sicherheit wissen? Es war nicht das erste Mal, dass er mit derlei Wesen zu tun hatte. Er blickte auf seine Hand in der eben noch ein Dolch gelegen hatte, den er in den Leib dieser Frau getrieben hatte. Er war fort. Das war wenig überraschend, schließlich war es auch kein gewöhnlicher Dolch. Er hatte diese Energie gespürt, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Sein gesamter Körper war erfüllt gewesen von Wärme und einem Zittern. Nicht in seinen Händen, sondern in seinem Herzen, als hätte man eine sehr dünne Stimmgabel angestoßen, die alles zum Klingen brachte.
Abermals wehten die Gedanken rückwärts.
Bevor er den Körper der Vampirin mit der spitzen Klinge durchstieß, trafen sich zwei Augenpaare. Mattes Blau floss in schiefernes Grau mit einer grimmen Gewissheit, dass nun etwas enden würde. Seine Finger hatten sich mit einer Spur von Zärtlichkeit an die Wange der Frau gelegt. Es war Mitleid oder gar Mitgefühl, das in ihm aufkeimte. Ihre Augen waren weder mordlüstern, noch berechnend, sondern von einer Bitterkeit durchzogen, die ihm nicht fremd war. Eine Vielzahl von Fragen stieg in seinem Geist auf: Was hatte sie wohl an diesen Punkt gebracht? Wer oder was hatte das Unleben in ihr geweckt? Wer war sie, bevor das Unleben sie gepackt hatte? Ihr Name wäre ebenfalls von Interesse gewesen.
Er hatte von dem Dolch gehört, Goraths Heimstatt, der nur ein Flüstern in den Erzählungen der Gläubigen, insbesondere der ehrenwerten Paladine, war. Der Dolch hatte sich irisierend aus dem Nichts manifestiert und lag plötzlich in seiner Hand – ohne dass es dafür eine rechte Begründung gab. Sein eigenes Leben war viel zu nichtig, als dass dieser seinetwegen hier war. Die Reaktion der Vampirinnen folgte jedoch auf dem Fuße. Ein Biss wurde gelöst, die kräftigen Arme, die ihn umschlungenen hatten, ließen ihn fahren und schnell wurde Distanz zu ihm aufgebaut. Ein Zögern hatte ihn für einen flüchtigen Moment lang erfasst, bevor die gemischten Stimmen der Portraits ihn antrieben „Kaimond!“ drang es aus den Portraitkehlen, aufrüttelnd und mahnend in tiefer bis hoher Stimmfarbe.
Seine Finger hatten das graue Kleid der barfüßigen Frau gegriffen. Ein letzter, kläglicher Versuch des Aufbäumens. Er spürte, wie das Leben aus ihm wich, als die vermeintlich Jüngere der beiden Frauen, jene mit den roten Haaren, ihn zu Boden riss. Er spürte ihre Zähne, die sich in seinen in den Hals gruben und sein Blut mit gierigen Zügen kosteten. Mit diesem Gefühl verband er Schmerz und schlussendlich eine Ruhe, die fast schon gespenstisch war.
Er hatte der Barfüßigen eine tiefe Wunde in den Leib geschlagen und spürte, wie die Knochen unter seinen Händen knirschend barsten. Dieses Gefühl in Hand und Schulter, wenn das Schwert durch Fleisch und Knochen getrieben wurde, war immer ein Grausames. Die Rothaarige hatte ihn zum Handeln gezwungen, hatte, ihm das Schwert an die Kehle gehalten, ihm eine Wunde am Hals zugefügt und nur mit mehr Glück als Verstand, konnte er dem entgehen.
Oh wie falsch hatte er gelegen, als er noch dachte die Frauen seien simple Räuberinnen! Das laienhafte Spiel der Frau in Nöten war allzu durchschaubar. Seine Gardistensinne hatten sich geregt, geschärft durch die vielen Jahre im Dienste Melans und Lamarits. Er hatte gehofft, dass sie verschwinden würden, als klar wurde, dass in diesem Haus nichts zu holen war. Aber Vampire benötigen nur ein Diebesgut.
Ruhigen Fußes kam er aus der Heilerstatt von Skara Brae. Ein Leben war just verloren gegangen und seine Gedanken war noch bei dem Verstorbenen. Die Schritte zum Haus der Gemeinschaft der Flamme waren nicht weit und obgleich er müde war, bemerkte er, als er an der Schwelle stand, die beiden Frauen: Die eine war rothaarig und wohl gekleidet, die andere braunhaarig, barfuß und in einem grauen Kleid. Ein etwas seltsames Gespann.
Sein Geist sprang zurück ins Hier und Jetzt:
Was war aus der rothaarigen Frau geworden? Sie war geflohen, zweifelsohne. Sie war gefährlich, ebenso zweifelsohne. Sie hatte etwas Verzweifeltes an sich gehabt, mehr noch als zweifelsohne. Verbindungen bestehen eben selbst im Unleben. Dort war Zuneigung, sicherlich sogar. Was von ihr bleiben würde, war ihr tierhaftes Grollen, das noch immer in seinem Geist widerhallte und sein Herz schneller schlagen ließ.
Ein Leben war ein Leben und er hatte eines genommen. Es war nicht das erste Mal, dass er dies getan hatte. Manchmal ging es schnell, manchmal war es ein Kampf, der sich zog. Mal war es blutig, mal war es sanft. Er hatte Kehlen geöffnet und Herzen durchstoßen, alles im Namen des Reiches oder des Glaubens an das Gute, das Licht und den Herrn, häufig zum Schutze von Menschen, bisweilen von jenen, die ihm lieb und teuer waren. Ein paar wenige Gesichter blieben und besuchten ihn hin und wieder in Träumen am Tage oder in der Nacht: Gabe, Elarion und nun diese Frau. Sie würde ihn für eine Weile verfolgen, vielleicht sogar länger. Die Frauen hätten vermutlich weitere Menschen attackiert und somit hatte er etwas Gutes für die Gemeinschaft getan. Warum spürte er trotzdem diese Schuld? Ein Seufzen, tief und resignierend, quälte sich aus seiner Kehle herauf. Erondor hätte niemals gezweifelt.
Er ging zurück in sein Zimmer ganz am Ende des Hauses, in die kleine Kemenate, die wie alle Räume im Haus frei war. Seine Finger glitten liebevoll über das verhangene Bild. Dann fiel das Tuch und zum Vorschein kam das Gesicht einer hellhaarigen Frau. Dereinst war sie auch eine Vampirin gewesen. Sie hatte ihn immer vor anderen ihrer Art gewarnt. Vielleicht machte genau das alles so kompliziert.
Er zog das Tuch wieder über das Bildnis. Eine weitere wehe Erinnerung an alte Zeiten.
Die Nacht hatte jäh eingesetzt, und nur ein paar Möwen steuerten ihren Ruf zu den Geräuschen der Nacht bei.
Die zwei Vampirinnen erreichten Skara Brae und die Rothaarige sagte zu der barfußigen Braunhaarigen: „Der da, Ancanagar?“
Die Vernichtung einer Vampirin - Blaugraue Flüsse in der Mündung der blutigen See
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