Ein Zittern ging durch ihre Lungen, ein Riss durch ihr Gedächtnis. Sie musste sich wandeln - oder der Wandel würde sie verschlingen. In diesem Wissen begann die Erzählung jener Nacht, die später im Volksmund „Die Große Nacht“ genannt werden wird und unter Magiekundigen, hinter zugezogenen Vorhängen, nur „Die Qual“.
Der Sternenhimmel lag wie hinter einem Vorhang verborgen — Wolken, endlos geschichtet, ließen die Sterne nur in schmalen, flackernden Atemzügen hindurchsehen. Dann erschien es: erst fein wie ein verlorenes Sandkorn, kaum mehr als ein Irrlicht hinter dem Wolkenvorhang. Ein rot-violetter kalter Schimmer, der wuchs, sich in sich selbst wand, als suche es die richtige Ausrichtung.
Das Leuchten wurde zum Wirbel. Es war nicht hell, nicht warm, nur falsch — ein trügerischer Schimmer, der an das erste Grau des Morgens erinnerte. Hähne krähten auf der Insel Moonglow, als begänne der Tag - doch es war kein Morgen.
Mit dem Wirbel kam das Brechen. Das astrale Gewebe - jenes unsichtbare Spinnennetz, das die Sphären bindet, Willen leitet und die heimliche Ordnung in den Dingen hält - zersprang wie Glas. Kein Klang den Ohren hören, aber ein Lärm, den Seelen nicht vergessen.
Die, die die Gabe kannten, fühlten es zuerst: Ein Pochen in den tiefsten Falten der Gefühle, wie der Tritt in die Magengegend. Andere krümmten sich, als zöge sich der Schädel zur Faust zusammen, nur um plötzlich aufzureißen, als stünde er kurz vor dem Bersten. Manche fielen lautlos nieder, die Hände an den Schläfen; andere schrien, weil der Schmerz keinen Mund brauchte, um durch sie zu sprechen.
Doch die Nacht schrie nicht nur in den Gildenhallen, Städte, Akademien und Türmen. Überall auf Moonglow erwachten die Tiere in falschem Morgenlicht. Hunde heulten, Pferde traten gegen Ställe, Fische warfen sich im Strom des Flusses wie in trockenem Sand. Und wer auch nur im Traum je mit dem arkanen Gewebe verbunden war - der Blinde mit seinem Flüstern, die Kräuterfrau, die nachts mit dem Wind sprach, der Novize, der im Schlaf Namen murmelte - alle erkannten, dass etwas verloren ging, noch bevor sie wussten, was.
Als der rot-violette Wirbel zur größten Anordnung am Nachthimmel anwuchs, riss die Welt nicht entzwei - sie vergaß. Ein Augenblick lang war da eine Leere, blank wie ungeborener Schnee. Es gab nur noch ein Geräusch, das den Augenblick beherrschte.
Ein Pfeifen, ein Brodeln - eine Mischung vieler Laute, die der Stern beim Durchtrennen der Wolkendecke von sich gab. Begleitet wurde es von einem dumpfen „WUMMS“ das die überlagernden Luftschichten auseinanderzwäng, so als stürzten alle Riesen und Zyklopen der Schattenwelt zugleich. Die Welt erzitterte, ein Beben, spürbar selbst in der Luft.
Der gleißende Stern stürzte mit rascher Geschwindigkeit auf die Insel Moonglow zu. Durch die Kräfte, die auf ihn einwirkten, spaltete sich ein Stück - klein im Vergleich zur wahren Größe des Körpers, die sich aus der Distanz nur erahnen ließ, ab. Der für das ungeschulte Auge rot-violette Feuerball teilte sich in zwei, einen kleineren Splitter und einen Kern, der kaum an Masse verlor. Der Splitter löste sich, trieb ab aber der Kern hielt stur seinen Kurs, wie ein Zwerg, der keinem Kunden mehr Nachlass gewährt - genervt vielleicht, aber das Gold nie aus den Augen verlierend. Als wäre alles längst beschlossen und dem Schicksal keine Wahl geblieben.
Für die, die es sahen, verlor der Splitter an Bedeutung, denn die Hauptmasse kam näher. Das Arkane Gewebe, welches alle Ebenen der Schattenwelt in seiner Gänze durchwirkt hatte, war durch die mitgeführte Energie längst zerfetzt, zersplittert - was jedes Wesen, ob empfänglich für die Gabe oder nicht, spürte. Allen blieb ein Schmerz, unterschiedlich tief, doch unausweichlich. Etwas Vertrautes verging, sei es das Gewebe - und mit ihm die Magie, oder die stille Gewissheit, dass die Sonne den nächsten Tag einläuten würde. Dieser Stern läutete nur eines ein: ein Ende.
Der Stern schlug auf Moonglow ein, mit einer Wucht, die selbst die ersten Sterne in den Schatten stellte, als wären sie nur ungeliebte Kinder gewesen. Ausgeworfene Erde, zerschmetterte Bäume und zahllose Splitter verdunkelten Sicht, Luft und Himmel. Der Ort lag unter Staub und leichten, flüchtigen Stoffen, die lange in der Luft schwebten, ehe sie zur Erde sanken.
Die erste Auswirkung des Sterns war die Zerrüttung des arkanen Gewebes. die zweite, untrennbar damit verbunden, die vielgestaltigen Schmerzen der Magiebegabten. Als drittes folgte das Erlöschen des Potentials. Der Strom der Existenzen zueinander und untereinander dünnte sich aus, kein „natürlicher“ Ausgleich hielt das Gleichgewicht mehr. Mit dem Gewebe schwand der Ausgleich selbst. Was an Fäden noch verblieb, ließ sich nur kurze Zeit nutzen — dann versiegte es, wie Sandkörner, die eine Welle lautlos vom Strand hinwegzieht. Wer auch versuchte von seiner magischen Kraft zu schöpfen, fand eine nacheilende Leere. Das den Magiekundigen verbliebene Mana konnte noch genutzt werden, doch einmal freigesetzt versickerte es wie ein Tropfen Wasser im Wüstensand - in der Erkenntnis, dass kein Wasser mehr nachläuft und alle Oasen trockenliegen würden.
Wie ein Strom aus Lava erst vernichtet und erstickt, so gebiert er später neues Leben, das ohne ihn nie entstanden wäre. Mag also dieser Stern - dieses Ereignis, das die Welt aus den Fugen hebt - eine belebende Wirkung für die Schattenwelt haben, oder ist es nur der Beginn des Endes?
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