Semestervorbereitung

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Nonair
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Registriert: 02 Sep 2025, 21:51

Semestervorbereitung

Beitrag von Nonair »

Nonair verbrachte die letzten Tage vor Beginn des Semesters fast vollständig in den stillen Hallen der Bibliothek, deren hohe Fenster das Licht über den Steinboden trugen. Zwischen Regalen, die älter waren als die meisten Lehrmeister der Akademie, versank er in den Abhandlungen über die Worte der Macht, die sein erstes Studienjahr prägen würden. Je tiefer er in die Materie eintauchte, desto deutlicher spürte er, wie weit sich das Feld vor ihm erstreckte, und wie wenig er im Grunde darüber wusste. Die alten Gelehrten schrieben mit einer Strenge, die keinen Raum für Zweifel zuließ, und doch schien in jeder Zeile ein ungesprochener Hinweis verborgen, dass wahre Beherrschung erst jenen offenbart wurde, die bereit waren, mehr zu suchen, als der Lehrplan versprach.
Während er im Schatten eines Regals stand und die Finger über Buchrücken gleiten ließ, blieb er vor einem Band stehen, dessen violetter Einband ohnehin schon auffällig genug gewesen wäre, der aber durch die spielerischen Goldrunen darauf gleich doppelt fremd wirkte. Er zog das Buch hervor, blätterte darin und fand zu seinem Erstaunen nicht die scherzhafte Abhandlung, die er erwartet hatte, sondern eine in sich stimmige Theorie über die Macht der Stimme, die sich mit jeder Silbe, die man sang, verändern konnte. Der Autor behauptete, die Worte der Macht entfalteten eine andere Kraft, wenn man sie nicht sprach, sondern formte wie Melodien, die sich der Magie leichter öffneten als der reine Klang der Sprache. Je länger Nonair las, desto deutlicher vernahm er in seinem Inneren ein wachsendes Echo der Neugier, das ihn schließlich dazu brachte, das Buch satt in den Arm zu nehmen. Die Theorie verlangte nach einem Ort, an dem man den Klang erproben konnte, und ein solcher Ort lag hinter jenen Türen, die nur mit einem Schlüssel zugänglich waren, dem Musikzimmer. Nonair wusste, dass die Magister ihm nie den Schlüssel zum Musikzimmer geben würden, aber der Dekan würde es vielleicht tun; er erschien ihm immer wesentlich freundlicher als die Magister.
Der Gedanke an Dekan Löwenstein ließ ihn unwillkürlich langsamer gehen, als er den Treppenabgang zum südlichen Flügel hinunterstieg. In den Gängen dieses Trakts lag die Stille schwer, ein steter Begleiter des Mannes, der früher für seine ruhige Gelehrsamkeit bekannt gewesen war. Seit seiner Gefangenschaft durch die Drow trug er die Spuren einer Zeit, über die niemand sprechen wollte, doch die jeder sah. Seine Bewegungen wirkten unsicher, als lausche er ständig auf etwas, das sich jenseits des Sichtbaren befand. Die Narben in seinem Gesicht bildeten ein Netz, das sich unter dem Licht der Öllampen zu verändern schien. Dennoch hatte sich an der Güte des Mannes nichts geändert, und vielleicht war es gerade diese Güte, die ihm nun wie ein Schleier aus Verletzlichkeit anhing. Zumindest empfand Nonair dies so.
Als Nonair an die Tür des Dekans klopfte, hörte er ein rätselhaftes Rascheln, dann die brüchige Stimme des Dekans, die ihn hineinbat. Das Büro wirkte wie die Kammer eines Mannes, der versuchte, Ordnung in ein Leben zurückzubringen, das ihm abhandengekommen war. Papiere lagen ungestapelt auf dem Schreibtisch, der Geruch von Kräutern lag in der Luft, als könne er Unheil fernhalten. Löwenstein blickte zu ihm auf. Seine Augen wirkten trüb und doch wach, als würden sie mehr sehen als jene, die im Besitz unversehrter Sinne waren. Nach einem kurzen Gespräche fragte Nonair nach dem Schlüssel zum Musikzimmer. Ohne viele Worte suchte Dekan Löwenstein in einer Schublade, fand einen Messingschlüssel und hielt ihn Nonair entgegen. Seine Stimme klang heiser, doch freundlich, als er sagte, dass Forschergeist ein guter Weggefährte der Jugend sei, auch wenn der Pfad, den man ihm wies, nicht immer geradlinig verlief. Etwas an seiner Art rührte Nonair, denn während der Dekan sprach, glaubte er in dessen Blick ein kaum wahrnehmbares Flackern zu erkennen, das an jene Zeit erinnerte, die ihm genommen worden war.
Nachdem er sich bedankt hatte, wandte Nonair sich dem langen Gang zu, der zu dem Musikzimmer und entlang Räumen der Magister führte. Keiner der Männer und Frauen dort hatte damals zugunsten des Dekans gesprochen, als die Drow ihn verschleppten, und manche hatten sogar Zustimmung geäußert, als wäre es die gerechte Strafe eines Mannes gewesen, der ihnen im Weg stand. In der Stille dieses Ganges, der mit den schweren Türen der Lehrmeister gesäumt war, glaubte Nonair etwas von jener Kälte zu spüren, die diese Haltung hervorgebracht hatte. Er ging schneller, um den Schatten jener Gedanken zu entkommen.
Schließlich erreichte er das Musikzimmer, dessen Tür mit einem Messingschild versehen war, das im Zwielicht der Lampen matt glänzte. Er steckte den Schlüssel ins Schloss und atmete tief ein, während in ihm die Vorfreude auf das Experiment wuchs, das ihn hierhergeführt hatte. Dann drehte er den Schlüssel im Schloss, und der Klang des Mechanismus klackte leise in dem stillen Gang wider.
Der Raum begrüßte Nonair mit dem Duft gealterten Holzes, der von den Resonanzböden der Instrumente aufstieg und von der kühlen, staubfreien Luft getragen wurde, die hier seit Generationen gepflegt wurde. Das Cembalo stand am Fenster, dessen Scheiben das blasse Licht der Dämmerung einfingen und flächig über den Boden verteilten. Die verzierten Saiten des Instruments schienen ihn aufzufordern, die Tür hinter sich zu schließen und die Gedanken der letzten Stunden abzustreifen. Er legte das Buch auf den Rand des Notenpultes, schlug die entsprechende Seite auf und fuhr mit dem Finger über die Passage, in der der Autor behauptete, die Worte der Macht würden sich öffnen, wenn man sie in eine gesungene Form brachte, die nicht nur den Klang, sondern auch das Herz berührte.
Er setzte sich auf die hölzerne Bank, hob den Deckel des Cembalos und schlug vorsichtig einen Ton an; zu hoch. Dann suchte er weiter, bis er eine entspannte Höhe fand, die er singen konnte. Seine ersten Atemzüge wirkten schwach, doch schon nach wenigen Versuchen fand er einen Rhythmus, der sich wie eine Welle in der Brust ausbreitete und den Ton mittrug. Das Singen übte eine seltsame Wirkung auf ihn aus, denn er spürte, wie die Anspannung seiner letzten Tage sich löste, während die Stimme im Raum widerhallte und kleine Schwingungen an den Wänden entlangliefen. Auch wenn Nonair kein wirklicher Sänger war. Lediglich in Hafentavernen hatte er einst sein Gesangsorgan gestärkt. Die Töne hier verbanden sich zu einer Folge, die nicht schön war, aber ... andächtig, und mit jedem erneuten Versuch gewann seine Stimme an Klarheit, als bereite sie sich auf die eigentliche Aufgabe vor.
Nach einer Weile fühlte er sich bereit, das Wort der Macht zu formen, das er sich ausgesucht hatte, wenn man die Grenzen der Theorie erproben wollte. Er hatte lange überlegt, welches Wort der Macht er wählen sollte, doch die meisten schienen zu gefährlich oder zu bedeutungsschwer für einen unerfahrenen Schüler. „Tym“, murmelte er leise, während er suchend über die Tasten strich. Tym, also Zeit, erschien ihm als ein Begriff, der in den Abhandlungen stets fern von Zauberformeln blieb, und da niemand ihm je eine Anwendung genannt hatte, hoffte er, diese Unbekanntheit könne ihm zumindest den Raum für ein Experiment eröffnen.
Er schlug den Ton an, der ihm als Grundlage diente, horchte auf das feine Vibrieren und setzte mit einem Atemzug an. Das Wort floss über seine Lippen, erst zaghaft, dann mit mehr Vertrauen. Er wiederholte es und wechselte den Ton, suchte nach einer Verbindung, die den Klang zu etwas Größerem führen würde. Doch die Stunden vergingen, ohne dass sich ein spürbarer Unterschied ergab. Immer wieder lauschte er nach innen, suchte nach einem Aufflackern der Kraftquelle, die die Lehrer mit so viel Gewissheit beschrieben hatten, doch er fand nur das vertraute Gefühl, das er seit Kindertagen kannte: die praktische, fast nüchterne Verbindung, die jede gesprochene Silbe der Macht begleitete, ohne den weiten Raum der Magie zu öffnen.
Lange blieb er auf der Bank sitzen, die Schultern leicht gesenkt, während er die Hände im Schoß faltete oder dem Cembalos lauschte. Er fühlte sich, als hätte er die Stimme gegen eine unsichtbare Wand erhoben, die weder nachgab noch erklang. Schließlich senkte er den Deckel des Instruments und blickte ein letztes Mal auf die Seite, die ihm so viel Hoffnung gegeben hatte. Der Gedanke, dass er sich vielleicht geirrt hatte, legte sich schwer auf sein Herz, und er fragte sich, ob die Methoden des Buches tatsächlich nur Träumereien eines Mannes waren, der nie den Zugang zur Magie gefunden hatte.
Er blies die Kerze aus, die er angezündet hatte, als die Dämmerung zu fortgeschritten war, nahm das Buch an sich und verließ den Raum. Mit jedem Schritt auf dem Flur entfernte er sich weiter von der Hoffnung, die ihn hierhergeführt hatte, und bemerkte nicht, wie im Schatten des Instruments ein zarter Keim seine ersten Blätter streckte. Ein winziger Halm hatte sich während seines Gesanges geöffnet und sich zu einer kleinen Blume geformt, die ihre Blütenblätter wie eine Antwort an das Licht erhob und still im zurückgebliebenen Klang nachhallte.
OOC: Die in dieser Geschichte erwähnte Entführung des Dekans schließt an jene Story an (viewtopic.php?t=333), die sich während des Testbetriebes im Mai 2025 aus dem Ingame-RP zur Gründung der AAM ergeben hatte.