Der erste Tag begann unspektakulär – und genau das gefiel Shezar.
Keine Fanfaren, keine Reden auf dem Marktplatz. Nur ein Schreiber, zwei Wachen an der Tür und ein Stapel versiegelter Schreiben auf einem Schreibtisch, der jetzt offiziell ihm gehörte.
Das Büro des Statthalters befand sich im Erdgeschoss des Rathauses, während über ihm Schreiber, Boten und der Besprechungsraum untergebracht waren. Der Raum selbst war größer als sein Büro im Kontor, doch man sah ihm an, dass er lange Zeit nur verwaltet, nicht geführt worden war: Staub in den Ecken, Aktenstapel ohne erkennbare Ordnung, ein System, das mehr aus Gewohnheit als aus Struktur bestand. Ein schwerer Schreibtisch aus dunklem Holz dominierte den Raum, davor ein breites Fenster mit Blick auf den Platz vor dem Rathaus. An der Wand stand ein überfülltes Regal mit ungeordneten Schriftrollen und Büchern, und der Teppich darunter war so abgenutzt, dass man seine ursprüngliche Farbe kaum noch erahnen konnte.
Er trat ans Fenster, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und ließ den Blick über Britain schweifen. Händler, Gardisten, einige Flüchtlinge, Bauern mit Karren; alles wirkte, als liefe es irgendwie – aber ohne erkennbare Hand, die es ordnete. Genau dort lag sein Arbeitsfeld.
Der Schreiber trat unsicher heran, legte die ersten Dokumente vor ihm ab – Eingaben der Bürger, Berichte der Garde, Schreiben anderer Städte, ein Stapel unerledigter Anträge mit dem Staub der letzten Wochen darauf. Shezar setzte sich, nahm sich das oberste Schriftstück und begann zu lesen, ohne Eile, aber ohne Zeit zu verlieren. Er arbeitete von oben nach unten, strich mit der Feder Anmerkungen an den Rand: „Ablehnen“, „Prüfen“, „Verschieben“, „Sofort“.
Schon in der ersten Stunde traf er drei Entscheidungen, die man spüren würde:
Ein veralteter Erlass zur Marktordnung wurde vorläufig außer Kraft gesetzt und zur Überarbeitung vermerkt.
Ein Schreiben an den Hauptmann der Garde zur Lage der Truppen bekam die höchste Priorität.
Und ein Gesuch aus dem Armenviertel – bisher unbearbeitet – wurde mit einem schlichten „Termin anberaumen“ versehen.
Er ließ einen Boten holen, um die ersten mündlichen Berichte entgegenzunehmen: Garde, Versorgung, Flüchtlingslager, Hafen. Er sprach wenig, hörte viel, stellte präzise Fragen: „Wer ist verantwortlich?“, „Seit wann?“, „Wer profitiert davon?“, „Wem schadet es?“. Namen wanderten in sein Gedächtnis, manche mit einem inneren Häkchen versehen – interessant, beobachtungswürdig, ersetzbar.
Zwischendurch ließ er die Möbel rücken: Der Schreibtisch wurde näher ans Fenster gestellt, die Regale in eine Ordnung gebracht, die zu seiner Arbeitsweise passte – Verwaltung nach Bereichen, nicht nach Jahren. Alte, nutzlose Dekoration – verstaubte Wappen, bedeutungslose Andenken – wanderten in eine Ecke. An ihre Stelle kamen Karten: Britain, das Umland, Handelswege, Zugangsstraßen, kritische Punkte.
Einmal am Tag ließ er sich die Namen derjenigen geben, die vorstellig gewesen waren – auch jener, die abgewiesen wurden. Nicht, weil er jeden persönlich kennen musste, sondern weil er wissen wollte, wer in dieser Stadt gelernt hatte, zur Tür des Statthalters zu gehen – und wer nicht.
Am Nachmittag nahm er sich Zeit für das, was viele für Nebensache halten, was für ihn aber der Kern war: Strukturen. Er ließ sich die bisherigen Abläufe im Stadthaus erklären – wer was wohin trägt, wer unterschreibt, wer bremst, wer weiterleitet, wer verschleppt. Er stellte keine Vorwürfe, machte keine Szene. Er nickte nur, merkte sich Gesichter und Wege. Das Aufräumen würde später kommen.
Als die Sonne bereits tief stand, saß er noch immer am Schreibtisch, das Licht einer einzelne Lampe über den Papieren. Auf einer Ecke des Tisches lag eine frische Karte von Britain, auf die er mit ruhiger Hand kleine, unscheinbare Zeichen gesetzt hatte: hier ein Kontrollpunkt, dort ein Sammelplatz, dort ein Name mit einem Fragezeichen dahinter.
Es war kein Tag, an dem etwas Spektakuläres geschah.
Es war ein Tag, an dem die Stadt zum ersten Mal seit langer Zeit einen Statthalter hatte, der nicht nur im Amt saß – sondern anfing, es auszufüllen.
Der erste Tag im Amt [Statthalter Britain]
- Shezar
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