Sonnenlicht drang durch den leicht geöffneten Spalt von Heidis Auge, welches sie rasch zukniff. Die paar Sonnenstrahlen strömten durch die nicht perfekt zugezogenen Gardinen des ansonsten makellosen und dekadenten Zimmers. Spät war sie ins Bett gegangen, und eilig hatte sie die exotischen Gardinen aus den südlichen Inseln in ihrer gewohnt ruppigen Art zusammengezerrt.
Heidi zwang sich zu einem zufriedenen Lächeln, wohlbedacht, ihre Wut heute im Keim zu ersticken. Bewusst gab sie innerer Fülle Raum, sie war ja nur ein kleiner Teil von etwas Großem, redete sie sich zu.
Beobachten, nicht eingreifen, wollte sie. Beobachten führt zu Achtsamkeit.
Heidi stand auf, öffnete die Gardinen weit und blickte über die Straßen Düsterhafens. Ein Bettler torkelte nahe dem Anwesen über das Kopfsteinpflaster. Sie runzelte die Stirn. Der Bettler peilte schnurstracks eine Tränke der Kanäle an und übergab sich lauthals. Heidi hätte nicht erwartet, dass der menschliche Magen so viel Flüssigkeit und Nahrung fassen könnte. Sie runzelte die Stirn, zuckte dann aber mit den Achseln.
Leises Gemurmel und Schritte drangen aus dem Flur an Heidis Ohr, Stimmen der zahlreichen Diener, die dem Adelshaus von Wolfenreich jeden Wunsch und noch mehr von den Lippen lasen. Ein dumpfer Aufschlag war vor ihrer Tür zu hören. Also schritt sie rasch zur Tür und stieß sie mit einem Fußtritt auf. Eine Dienerin lag vor ihrer Tür, ein Dolch steckte in ihrer Stirn. Leuemunds Fuß ruhte auf ihrem Hals.
"Einen Löffel hat sie gestohlen! Feinstes Silber!", rief Leuemund mit hochrotem Kopf. Sein Fuß ruhte auf dem dünnen Hals der toten Dienerin.
"Wer zur Hölle kümmert sich um einen verfickten Löffel, Leuemund?" Heidis Hände verkrampften sich ineinander, sie atmete tief aus.
"Heidi, halt dich da raus, du Göre. Das ist kein einfacher Löffel. Es ist feinstes Tafelsilber. Vielleicht sogar zeremoniell nutzbar!"
"Wo zur Hölle lebe ich hier eigentlich?", rief Heidi außer sich. Ihre Sicht färbte sich rot, die Zeit verlangsamte sich, ihre Hände ballten sich zu Fäusten, und ein ferner, fremdartiger Klang mischte sich in ihr Ohr.
Heidi sprach mit äußerster Mühe: "Leuemund. Geh."
"Gassenweib! Nie bist du anwesend, um uns zu helfen, und jetzt machst du dich auch noch für diese Made stark? Wir brauchen eine Intervention für..."
Knirsch.
Der Schlag von Heidis Faust traf Leuemund an der Kinnlade und warf ihn mit taumelnden Schritten zu Boden.
"Abschaum!" Keuchte Heidi durch den roten Schleier, der sie umgab.
Sie hockte sich nieder und legte zwei Finger vor Leudemunds Lippen und spürte, wie er noch atmete.
Nun hatte sie keine Wahl. Leuemund würde sie anschwärzen, und da sie sowieso schon zwischen den Stühlen saß, würde niemand ihrem Wort trauen. Sie hastete in ihr Gemach und raffte hastig ihren Vorrat an Gold, ein paar Tage Reiseproviant und tücherne Hüllen zur Verkleidung in einen Ledersack.
Tränen rannen über ihre Wangen, schon wieder hatte sie ihre Wut vereinnahmt. Nicht sie hatte das Gefühl, sondern das Gefühl hatte sie. Sie sehnte sich nach nichts mehr als Stille und Leere. Und sie wusste, es gab nur einen Ort, wo sie diese finden würde: im Verborgenen der Wildnis.
Zwischen den Stühlen [Düsterhafen]
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Heidi von Wolfenreich
- Beiträge: 4
- Registriert: 28 Jun 2025, 15:57
Zwischen den Stühlen [Düsterhafen]
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Auron De'Raynos
- Beiträge: 12
- Registriert: 13 Mai 2025, 22:02
Re: Zwischen den Stühlen [Düsterhafen]
Auron übte tief im finsteren Wald von Düsterhafen jene Künste, die Itock ihn gelehrt hatte lautlose Schritte, den Tanz von Luft und Schatten. Der Morgen war jung; feuchte Kälte hing zwischen den knorrigen Bäumen, und nur das Wispern des Windes begleitete seine Bewegungen.
Gerade als Auron einen Pfeil auf die Sehne seines Bogens legte, erblickte er zwischen Farn und Nebelschwaden eine Gestalt. Eine junge Frau schritt dort entlang, als sei sie selbst ein Teil der Stille des Waldes. Auron stockte der Atem – nicht vor Furcht, sondern vor Erstaunen. Denn sobald das fahle Licht des frühen Tages ihr Antlitz berührte, erkannte er sie ohne den geringsten Zweifel:
Heidi vom Hause Wolfenreich.
Eine Edeldame und gewiss eine, die es wert war, beschützt zu werden. Doch was trieb eine Frau ihres Standes allein in diesen Wald? Auron wusste es nicht. Aber er erkannte die Gefahr. Dieser Wald barg nicht nur scheue Tiere und verirrt wandernde Seelen, sondern auch Augen, die im Dunkel lauerten und auf Unachtsamkeit hofften.
Ehrfürchtig, doch entschlossen, löste Auron die Finger von der Sehne und legte die Hand an seinen Bogen. Wie ein Schatten glitt er zwischen den Stämmen dahin und folgte ihr, jeden Schritt mit Bedacht setzend, sodass kein Zweig unter seinen Stiefeln verräterisch brach.
In diesem Augenblick fasste er einen Entschluss, so stumm wie der Pfad, den er beschritt:
Er würde Heidi beschützen, zu erst ohne dass sie in hörte oder seinen Schatten sah.
Gerade als Auron einen Pfeil auf die Sehne seines Bogens legte, erblickte er zwischen Farn und Nebelschwaden eine Gestalt. Eine junge Frau schritt dort entlang, als sei sie selbst ein Teil der Stille des Waldes. Auron stockte der Atem – nicht vor Furcht, sondern vor Erstaunen. Denn sobald das fahle Licht des frühen Tages ihr Antlitz berührte, erkannte er sie ohne den geringsten Zweifel:
Heidi vom Hause Wolfenreich.
Eine Edeldame und gewiss eine, die es wert war, beschützt zu werden. Doch was trieb eine Frau ihres Standes allein in diesen Wald? Auron wusste es nicht. Aber er erkannte die Gefahr. Dieser Wald barg nicht nur scheue Tiere und verirrt wandernde Seelen, sondern auch Augen, die im Dunkel lauerten und auf Unachtsamkeit hofften.
Ehrfürchtig, doch entschlossen, löste Auron die Finger von der Sehne und legte die Hand an seinen Bogen. Wie ein Schatten glitt er zwischen den Stämmen dahin und folgte ihr, jeden Schritt mit Bedacht setzend, sodass kein Zweig unter seinen Stiefeln verräterisch brach.
In diesem Augenblick fasste er einen Entschluss, so stumm wie der Pfad, den er beschritt:
Er würde Heidi beschützen, zu erst ohne dass sie in hörte oder seinen Schatten sah.