Lorettas Herz klopfte immer noch hastig, als sie sich in das Sofa im Eingangsbereich ihres Anwesens, der Villa Auenstein, fallen ließ. Dunkelelfen! In Britain! Sie konnte es immer noch nicht fassen. Ungläubig starrte sie an die Decke und löste beiläufig den kostbaren Silberarmreif von ihrem Handgelenk, sowie den restlichen Schmuck, den sie zur Audienz der Königin getragen hatte. Der Armreif verfehlte dabei knapp die Kante der Sitzfläche und fiel klirrend auf die Fliesen. Sie zuckte zusammen. Ihr Nervensystem war noch immer in heller Aufregung.
Mord! Der Sohn der Gräfin zu Düsterhafen war tot! Sie hatte es mitangesehen, wie die Dunkelelfen sich plötzlich in Bewegung gesetzt und die Bühne betreten hatten. Irgendein Handgemenge. Loretta schüttelte ungläubig den Kopf und ließ sich tiefer sacken, während sie ihre Schuhe auszog. Britain hatte sie immer als sicheren Hafen gesehen, der derlei Schrecken auf Abstand hielt, aber was war da heute nur los gewesen? Wieso hatte man diese Bestien überhaupt in der Stadt geduldet, geschweige denn zur Audienz gelassen? Loretta verstand die Welt nicht mehr.
Ihr wurde schwindelig. Den Schmuck sowie ihre Schuhe an Ort und Stelle liegen lassend ging sie nach oben auf ihr Zimmer, ihrem heiligen Rückzugsort. Der Duft von Lavendel sollte sie etwas beruhigen. Dort wechselte sie aus dem prächtigen Kleid, das sie zur Audienz getragen hatte, in ihr bequemes Hauskleid, und zündete etwas Lavendel in der Duftschale auf dem Kamin an. Daraufhin ließ sie sich erschöpft auf ihr Bett plumpsen. Der weiche Stoff nahm ihr Gewicht dankbar entgegen und Loretta rollte sich zusammen. Immer wieder schüttelte sie den Kopf und atmete schwer aus. Sie ließ das Geschehene Revue passieren.
Kaum war sie am Tor zur königlichen Burg, dem Einlass zur Audienz, angekommen, da war auf einmal dieses Portal erschienen und kurz darauf war sie von Dunkelelfen umstellt gewesen. Sie war erstarrt vor Schreck. Ausgerechnet Dunkelelfen. Als einer von ihnen sie giftig angefaucht hatte, dass sie verschwinden sollte, hatte sie es automatisch getan. Nur weg von diesen... Kreaturen, wenn sich die Gelegenheit bot. Schnell in die Sicherheit der Burg. Aber diese Monster kamen hinterher. Sie waren hineingelassen worden. Loretta hatte sich möglichst weit weg von ihnen und in die Nähe der Wachen gestellt, die Dunkelelfen nie aus dem Blick lassend. Manchmal hatten sie ihr einen bösen Blick zugeworfen, diese Teufel. Sie hatte von Anfang an kein gutes Gefühl gehabt. Wie auch. Es waren Dunkelelfen, Muttermörder. Und zu Mördern waren sie an diesem Abend wenig überraschend auch wieder geworden.
Wieso? Wieso hat man überhaupt? Lorettas Gedanken drehten sich in einem Strudel. Und diese fehlenden Manieren aller anwesenden Gäste. Behandelte man so eine Königin? Nein, sicher nicht. Niemand hatte sich angemessen verneigt, außer Loretta zu Beginn der Audienz, und niemand hatte die Königin korrekt angesprochen. Hätten sie nicht alle sofort in den Kerker dafür kommen müssen? Aber die Königin und der restliche anwesende Adel auf dem Podium hatten keinen Befehl gegeben. Die Dunkelelfen hatten jeglichen Respekt vermissen lassen, das Podium einfach betreten und Leuemund, den Sohn der Gräfin zu Düsterhafen, mit einem Blitzschlag zu Boden gestreckt. Für jegliche Hilfe war es zu spät gewesen. Aber auch dann kein Befehl an die Wachen. Die unzähligen Armbrustschützen hatten still verharrt. Loretta hatte sich dann hinter einer Wache versteckt, aber sicher hatte sie sich nicht gefühlt. Kurz darauf waren die Dunkelelfen wieder verschwunden, die restlichen Gäste waren seltsam anteilslos am Geschehen gewesen und waren ihr eh nicht geheuer vorgekommen. Ziemlich finster hatten manche gewirkt.
So hatte Loretta auch etwas später eher zögerlich auf die Aufforderung der obersten Wache reagiert, die Audienz zu räumen. Erst als die anderen Gäste sich in Bewegung gesetzt hatten, war sie den begleitenden Wachen gefolgt. Als sie dann das Tor zur Stadt hatte passieren sollen, hatte sie erneut gezögert. Überall hatten noch Gäste gestanden und als die oberste Wache sie gebeten hatte, nun auch das Gelände zu verlassen, hatte sie sie höflich gebeten, dass eine Wache sie zu ihrem Anwesen zurückbegleitete. Ihrem Wunsch wurde Folge geleistet und so war sie kurz darauf wohlbehalten wieder in der Villa Auenstein angekommen.
Was für ein Schreck! Das alles wirkte auf sie wie ein Traum. Was war nur mit dieser Welt passiert? Konnte sie überhaupt noch das Haus verlassen, ohne Angst? Ihr rannen ein paar Tränen die Wangen hinab, als sie begriff, wie verloren sie sich fühlte. Nicht erst seit heute, aber das Geschehene führte ihr das nun unweigerlich vor Augen, was sie bisher eher zu verdrängen versucht hatte.
Der Duft des Lavendels schaffte es aber langsam, sie in den Schlaf zu wiegen, und so blieb sie auf dem Bett in ihrer zusammengerollten Haltung liegen wie ein erschöpftes Kätzchen.
Audienz in Angst
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Audienz in Angst
Zuletzt geändert von Loretta von Auenstein am 08 Dez 2025, 15:50, insgesamt 1-mal geändert.
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Brief an den Hauptmann der königlichen Wache
Am Morgen nach der königlichen Audienz ging es Loretta zwar schon wieder etwas besser, aber ein tiefes Unbehagen lag noch immer auf ihrer Brust. Als sie die Eingangstür aufgehen hörte, eilte sie die Treppe hinab und fiel Bertha, ihrer in die Jahre gekommenen Haushälterin, in die Arme.
„Bertha, oh Bertha!“, rief sie.
„Was ist denn, mein Kind?“, fragte Bertha mit sorgenvoller Miene.
„Oh, du glaubst nicht, was gestern im Palast vorgefallen ist!“, antwortete Loretta, noch immer außer Atem.
„Im Palast? Bei der königlichen Audienz ihrer Majestät?“, hakte Bertha interessiert nach.
„Ja, Dunkelelfen sind aufgetaucht …“ – Berthas Miene verfinsterte sich abrupt, wohlwissend um die Rolle der Dunkelelfen in Lorettas Kindheit – „… und haben den Sohn der Gräfin zu Düsterhafen ermordet!“, schloss Loretta den Satz ab.
Bertha weitete die Augen und schaute Loretta mit offenem Mund an. Eine Weile standen sie einfach nur so da und sahen einander an. Tränen traten in Lorettas Augen, während sie Bertha fester umarmte und beide sich eine Zeit lang schweigend hielten. Irgendwann lösten sie sich voneinander und atmeten beinahe zeitgleich tief durch.
Danach setzten sie sich an den Tisch in der Küche, und Loretta fand nun die Kraft, Bertha die gestrigen Ereignisse in vollem Umfang zu schildern.
„Ich habe Angst“, sagte sie schließlich leise und ein wenig zittrig.
Bertha entgegnete energisch: „Wir lassen eine Wache vor dem Anwesen abstellen. Ich werde mich umgehend an das Schreiben dazu machen!“
Loretta wischte sich eine Träne aus dem Gesicht, und ein kaum merkliches Lächeln zeichnete sich auf ihren Zügen ab – ein stiller Ausdruck von Dankbarkeit.
„Danke, Bertha. Was würde ich nur ohne dich machen?“
Für einen Sekundenbruchteil lag ein sehr besorgter Ausdruck auf Berthas Gesicht, doch sie unterdrückte ihn sofort, zwang sich zu einem Lächeln und griff nach Lorettas Hand, um ihr Zuversicht zu vermitteln. Kurz darauf ging Loretta wieder hinauf in ihr Zimmer und überließ es Bertha, den Brief an die königliche Wache zu verfassen.
Daraufhin griff Bertha nach ihrem Schreibzeug und verfasste folgende Zeilen:
„Bertha, oh Bertha!“, rief sie.
„Was ist denn, mein Kind?“, fragte Bertha mit sorgenvoller Miene.
„Oh, du glaubst nicht, was gestern im Palast vorgefallen ist!“, antwortete Loretta, noch immer außer Atem.
„Im Palast? Bei der königlichen Audienz ihrer Majestät?“, hakte Bertha interessiert nach.
„Ja, Dunkelelfen sind aufgetaucht …“ – Berthas Miene verfinsterte sich abrupt, wohlwissend um die Rolle der Dunkelelfen in Lorettas Kindheit – „… und haben den Sohn der Gräfin zu Düsterhafen ermordet!“, schloss Loretta den Satz ab.
Bertha weitete die Augen und schaute Loretta mit offenem Mund an. Eine Weile standen sie einfach nur so da und sahen einander an. Tränen traten in Lorettas Augen, während sie Bertha fester umarmte und beide sich eine Zeit lang schweigend hielten. Irgendwann lösten sie sich voneinander und atmeten beinahe zeitgleich tief durch.
Danach setzten sie sich an den Tisch in der Küche, und Loretta fand nun die Kraft, Bertha die gestrigen Ereignisse in vollem Umfang zu schildern.
„Ich habe Angst“, sagte sie schließlich leise und ein wenig zittrig.
Bertha entgegnete energisch: „Wir lassen eine Wache vor dem Anwesen abstellen. Ich werde mich umgehend an das Schreiben dazu machen!“
Loretta wischte sich eine Träne aus dem Gesicht, und ein kaum merkliches Lächeln zeichnete sich auf ihren Zügen ab – ein stiller Ausdruck von Dankbarkeit.
„Danke, Bertha. Was würde ich nur ohne dich machen?“
Für einen Sekundenbruchteil lag ein sehr besorgter Ausdruck auf Berthas Gesicht, doch sie unterdrückte ihn sofort, zwang sich zu einem Lächeln und griff nach Lorettas Hand, um ihr Zuversicht zu vermitteln. Kurz darauf ging Loretta wieder hinauf in ihr Zimmer und überließ es Bertha, den Brief an die königliche Wache zu verfassen.
Daraufhin griff Bertha nach ihrem Schreibzeug und verfasste folgende Zeilen:
Nachdem das Schreiben fertiggestellt war, brachte Bertha den Brief zu Loretta, die den Inhalt bestätigte und ihn mit dem Auenstein-Siegelring verschloss. Anschließend machte sich Bertha umgehend auf, den Brief zuzustellen.An den
Hauptmann der königlichen Wache
zu Britain
Hochverehrter Herr Hauptmann,
in aufrichtiger Ergebenheit gegenüber der Krone und im Namen meiner Dienstherrin, ihrer Gnaden, der Junkerin Loretta von Auenstein, erlaube ich mir, mich mit einer dringenden Bitte an Euch zu wenden.
Meine Herrin wohnte der gestrigen Audienz ihrer Majestät in der königlichen Burg bei und wurde dort unmittelbare Zeugin des abscheulichen Vorfalls, bei dem der Sohn der hochwohlgeborenen Gräfin zu Düsterhafen durch einen magischen Blitzschlag sein Leben ließ. Die Täter waren Dunkelelfen, die – nach ihrem Erscheinen vor den Toren der Burg und dem Ablegen ihrer Waffen – wie andere Gäste zur Audienz zugelassen worden waren.
Seit jenen Ereignissen ist meine Herrin zutiefst erschüttert und in Sorge um ihre eigene Sicherheit wie auch um die Ruhe ihres Hauses. Wenn selbst jene, die in den Hallen des Palastes als Gäste geduldet werden, zu solcher Gewalttat fähig sind, was mag dann erst außerhalb der unmittelbaren Obhut ihrer Majestät möglich sein?
Eurer wackeren Wache sei an dieser Stelle von Herzen gedankt, dass sie meine Herrin am gestrigen Abend wohlbehalten von der Burg bis zu ihrer im Adelsviertel Britains gelegenen Villa Auenstein geleitet hat. In Anbetracht der geschilderten Ereignisse bitte ich jedoch ehrerbietig darum, vor genanntem Anwesen bis auf Weiteres eine Wache der Krone zu postieren, insbesondere in den Abend- und Nachtstunden, auf dass die treuen Untertanen ihrer Majestät sich in diesen unruhigen Zeiten des Schutzes der Krone gewiss sein dürfen.
Etwaige Weisungen Eurerseits wird meine Herrin in allen Stücken gerne befolgen.
Mögen die Götter Euch und Eure Männer behüten und das Königreich vor weiterem Unheil bewahren.
In tiefem Respekt
Bertha Bindrich
Haushälterin im Dienste
ihrer Gnaden, der Junkerin
Loretta von Auenstein