Kapitel I – Der Schatten des Ursprungs
Nathanael wurde inmitten einer sturmumtosten Nacht geboren, während Trinsic im prasselnden Regen versank. Diese Stadt, einst nur als neutraler Umschlagplatz für Waren und Treffpunkt für Händler bekannt, war von einem mächtigen Fluss durchzogen, der sich wie eine Lebensader durch die Hafenanlagen schlängelte. Trinsic war zu dieser Zeit keine Hochburg der Magie – eher ein Ort, an dem man durch geschickte Worte und kluge Verträge mehr erreichte als durch Zauber. Die Bürger mieden eher das Übernatürliche, hielten sich an das Sichtbare und Greifbare – Magie war etwas für Fremde und Spinner.
Elira, Nathanaels Mutter, war eine der wenigen, die sich dennoch mit der verborgenen Kraft der Natur verbunden fühlte. Sie praktizierte im Verborgenen Bluts- und Pflanzenmagie – selten, effektiv, verboten. Ihr Heim lag nahe der südlichen Werften, abseits des Treibens, versteckt hinter einer windschiefen Mauer aus rissigem Backstein. Von Nathanaels Vater sprach sie nie. In ihren Augen lag bei jeder Erwähnung seines Namens – wenn er überhaupt fiel – eine Mischung aus Schmerz und Angst. Er war ein Rätsel, ein Schatten, der über ihrer Familie lag – in alten Kisten fanden sich keine Briefe, kein Abbild, kein Hinweis auf seine Herkunft. Als Kind spürte Nathanael, dass seine Mutter ihn vor mehr beschützte als nur vor Armut.
Als Nathanael sieben Jahre alt war, verschwand Elira spurlos. Eines Morgens war sie einfach fort. Keine zerbrochene Vase, kein zerwühltes Bett, kein Tropfen Blut. Nur eine leere Teetasse auf dem Tisch und ein schwacher Geruch von Eisen in der Luft.Die Nachbarn flüsterten von Geistern, andere von Schulden bei dunklen Mächten. Aber keiner wusste es genau. Für Nathanael bedeutete es, dass seine Welt zerfiel.
Mit sieben Jahren lebte er auf der Straße. Ohne Eltern, ohne Freunde und ohne Schutz schlug sich Nathanael durch. Er hauste in Kellern, stahl von Marktständen und lernte früh, dass Freundlichkeit eine Währung war, die man sich nicht leisten konnte. Doch während andere Kinder aufgaben, brannte in ihm ein Feuer – und mit ihm etwas anderes: Magie. Anfangs zeigte sie sich nur in Träumen. Er sah Flammen tanzen, Schatten sprechen. Manchmal flackerten Laternen, wenn er vorbeiging. Andere Male spürte er eine kalte Hand auf seinem Rücken, obwohl niemand da war.
Es dauerte nicht lange, bis er verstand: Er war kein gewöhnlicher Junge. Und sein Weg war keiner, den man mit Reinheit beschritt.
Die Docks, das Marktviertel und die dunklen Gassen wurden sein Zuhause. Er wurde zum Meister der Täuschung, lernte das Überleben wie andere das Alphabet. Doch tief in ihm nagte die Sehnsucht: nach Wahrheit, nach seiner Mutter – nach sich selbst.
Und mit dieser Sehnsucht wuchs etwas in ihm. Etwas Mächtiges.
Die Geschichte eines Fremden
Die Geschichte eines Fremden
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Re: Die Geschichte eines Fremden
Kapitel II – Magie auf den Straßen
Mit etwa zehn Jahren begann Nathanael, seine Gabe bewusst einzusetzen. Es waren keine spektakulären Feuerbälle oder fliegende Bücher – vielmehr kleine, gefährlich präzise Tricks: Eine Münze, die sich scheinbar vermehrte, ein Schatten, der das Gesicht eines Verfolgers verdeckte. Er wurde zum Illusionisten der Straße, ein Gaukler, der mit Worten und Wundern spielte. Die Leute lachten, staunten – und zahlten.
Aber Nathanael hatte größere Ziele. Seine Magie war nicht nur ein Mittel zum Zweck – sie war ein Schlüssel. Ein Schlüssel zu Geheimnissen, die tief unter der Oberfläche von Trinsic verborgen lagen. In alten Lagerhäusern malte er Zeichen mit Kreide, testete Worte in vergessenen Sprachen, entzündete Kerzen, die keine Flammen warfen. Er spürte, dass es mehr gab – mehr als das, was die Stadt glaubte, mehr als das, was man ihm sagte.
Dann traf er sie.
Bareti war wie aus einer anderen Welt: Ihre Haut schimmerte im Licht der Nachmittagssonne, als sie durch den Markt schritt. Sie trug ein Gewand aus schillerndem Türkis, das wie flüssiges Licht an ihr herunterfloss. Ihre Haare – türkis wie tiefes Gletscherwasser – schwangen bei jeder Bewegung. Und ihre Augen… Sie waren nicht einfach türkis. Sie waren ein Fenster in eine andere Realität.
Als Nathanael gerade einem Kaufmann eine illusionäre Statue andrehen wollte, trat Bareti dazwischen. Die Menschen um sie herum verstummten. Eine Ruhe legte sich über den Platz, als würde die Zeit für einen Moment den Atem anhalten.
„Warum vergeudest du dein Talent mit Lügen?“ fragte sie.
Nathanael war überrumpelt. Nicht nur, weil er entdeckt worden war, sondern weil sie nicht mit Zorn sprach. Ihre Stimme war ruhig, fast freundlich – wie der Klang von Regen auf einem Dach. Sie stellte sich als Bareti vor, eine junge Magierin, die die alten Pfade der Runen studierte. Doch mehr als das: Sie hatte ihn beobachtet. Sie hatte gesehen, was er tat, was er konnte – und was er zu verdrängen versuchte.
Sie war noch keine Bürgermeisterin, doch sie plante Großes.
Die Runenbibliothek – ihr Lebenswerk – war noch ein Gedanke, ein Konzept. Aber sie hatte begonnen, ihr Wissen zu sammeln, Schriftrollen zu beschaffen, erste Unterstützer in der Stadt zu überzeugen. Trinsic begann sich langsam zu verändern, und Bareti war der Wind, der durch die alten Segel fegte.
Bareti nahm ihn nicht sofort mit. Sie stellte Fragen, hörte zu, sprach in Andeutungen. Erst Tage später, nach einem Gespräch über den Tod, das Leben und das, was dazwischen liegt, brachte sie ihn zu sich. Dort, verborgen zwischen Pergamenten und uralten Schriften, fand Nathanael etwas, das er nie gekannt hatte: einen Ort der Stille. Und jemanden, der ihn verstand.
Bareti nahm Nathanael unter ihre Fittiche, lehrte ihn, seine Kräfte zu fokussieren. Er kopierte alte Texte, lernte tote Sprachen, übersetzte zerfallene Inschriften. Und als Bareti ihre Vision in die Tat umsetzte, war er von Anfang an dabei – nicht nur als Schüler, sondern als Verwalter der später erbauten Runenbibliothek.
Sie wies ihm in dieser ein kleines Zimmer im Obergeschoss zu, ließ ihn Kopien seltener Folianten anfertigen und Aufgaben erledigen. Doch bald schon vertraute sie ihm mehr an. Und während Nathanael auf den offiziellen Wegen lernte, wie man Runen las, schrieb und aktivierte, richtete er sich im Keller einen geheimen Raum ein – fern von neugierigen Blicken. Dort forschte er – nicht an Illusionen oder bloßer Kraft, sondern an dem, was jenseits lag: dem Tod. Er wollte seine Mutter finden. Antworten. Und wenn der Tod der Schlüssel war, dann würde er ihn selbst wenden.
Und dort begann seine eigentliche Reise – in die Dunkelheit.
Mit etwa zehn Jahren begann Nathanael, seine Gabe bewusst einzusetzen. Es waren keine spektakulären Feuerbälle oder fliegende Bücher – vielmehr kleine, gefährlich präzise Tricks: Eine Münze, die sich scheinbar vermehrte, ein Schatten, der das Gesicht eines Verfolgers verdeckte. Er wurde zum Illusionisten der Straße, ein Gaukler, der mit Worten und Wundern spielte. Die Leute lachten, staunten – und zahlten.
Aber Nathanael hatte größere Ziele. Seine Magie war nicht nur ein Mittel zum Zweck – sie war ein Schlüssel. Ein Schlüssel zu Geheimnissen, die tief unter der Oberfläche von Trinsic verborgen lagen. In alten Lagerhäusern malte er Zeichen mit Kreide, testete Worte in vergessenen Sprachen, entzündete Kerzen, die keine Flammen warfen. Er spürte, dass es mehr gab – mehr als das, was die Stadt glaubte, mehr als das, was man ihm sagte.
Dann traf er sie.
Bareti war wie aus einer anderen Welt: Ihre Haut schimmerte im Licht der Nachmittagssonne, als sie durch den Markt schritt. Sie trug ein Gewand aus schillerndem Türkis, das wie flüssiges Licht an ihr herunterfloss. Ihre Haare – türkis wie tiefes Gletscherwasser – schwangen bei jeder Bewegung. Und ihre Augen… Sie waren nicht einfach türkis. Sie waren ein Fenster in eine andere Realität.
Als Nathanael gerade einem Kaufmann eine illusionäre Statue andrehen wollte, trat Bareti dazwischen. Die Menschen um sie herum verstummten. Eine Ruhe legte sich über den Platz, als würde die Zeit für einen Moment den Atem anhalten.
„Warum vergeudest du dein Talent mit Lügen?“ fragte sie.
Nathanael war überrumpelt. Nicht nur, weil er entdeckt worden war, sondern weil sie nicht mit Zorn sprach. Ihre Stimme war ruhig, fast freundlich – wie der Klang von Regen auf einem Dach. Sie stellte sich als Bareti vor, eine junge Magierin, die die alten Pfade der Runen studierte. Doch mehr als das: Sie hatte ihn beobachtet. Sie hatte gesehen, was er tat, was er konnte – und was er zu verdrängen versuchte.
Sie war noch keine Bürgermeisterin, doch sie plante Großes.
Die Runenbibliothek – ihr Lebenswerk – war noch ein Gedanke, ein Konzept. Aber sie hatte begonnen, ihr Wissen zu sammeln, Schriftrollen zu beschaffen, erste Unterstützer in der Stadt zu überzeugen. Trinsic begann sich langsam zu verändern, und Bareti war der Wind, der durch die alten Segel fegte.
Bareti nahm ihn nicht sofort mit. Sie stellte Fragen, hörte zu, sprach in Andeutungen. Erst Tage später, nach einem Gespräch über den Tod, das Leben und das, was dazwischen liegt, brachte sie ihn zu sich. Dort, verborgen zwischen Pergamenten und uralten Schriften, fand Nathanael etwas, das er nie gekannt hatte: einen Ort der Stille. Und jemanden, der ihn verstand.
Bareti nahm Nathanael unter ihre Fittiche, lehrte ihn, seine Kräfte zu fokussieren. Er kopierte alte Texte, lernte tote Sprachen, übersetzte zerfallene Inschriften. Und als Bareti ihre Vision in die Tat umsetzte, war er von Anfang an dabei – nicht nur als Schüler, sondern als Verwalter der später erbauten Runenbibliothek.
Sie wies ihm in dieser ein kleines Zimmer im Obergeschoss zu, ließ ihn Kopien seltener Folianten anfertigen und Aufgaben erledigen. Doch bald schon vertraute sie ihm mehr an. Und während Nathanael auf den offiziellen Wegen lernte, wie man Runen las, schrieb und aktivierte, richtete er sich im Keller einen geheimen Raum ein – fern von neugierigen Blicken. Dort forschte er – nicht an Illusionen oder bloßer Kraft, sondern an dem, was jenseits lag: dem Tod. Er wollte seine Mutter finden. Antworten. Und wenn der Tod der Schlüssel war, dann würde er ihn selbst wenden.
Und dort begann seine eigentliche Reise – in die Dunkelheit.
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Re: Die Geschichte eines Fremden
Kapitel III – Das verborgene Wissen
Der Keller der Runenbibliothek war ein Ort, den kaum jemand betrat – selbst nicht Bareti. Es war ein stiller Raum mit alten Steinwänden, durchzogen von Rissen, durch die kalte Feuchtigkeit aus dem Fundament kroch. Hier lagerte kein offizielles Wissen. Hier gab es keine Kataloge, keine Leseplätze. Nur Stille, Dunkelheit – und Geheimnisse.
Nathanael hatte sich diesen Ort in den ersten Monaten nach der Errichtung der Bibliothek zu eigen gemacht.
Während Bareti in den oberen Etagen eine Oase des Lernens und der Offenheit erschuf, verwandelte er den Untergrund in ein Labor der Schatten. Er sammelte verbotene Texte, kaufte für zu viel Geld fragwürdige Manuskripte von Schiffskapitänen, ließ sich aus dem fernen Osten Knochenfragmente und Asche schicken, die angeblich von den Hütern der Leerenbrücke stammten – Wesen, die zwischen Leben und Tod wandelten.
Er begann mit einfachen Ritualen: ein kleines Opfer, ein Tropfen Blut, ein Tierknochen, der sich seltsam warm anfühlte, wenn er die richtigen Worte sprach. Nichts, das ihn zufriedenstellte. Doch er lernte. Jeden Tag, jede Nacht. In seiner Seele brannte ein loderndes Verlangen: zu verstehen, wie der Schleier zwischen den Welten zerrissen werden konnte – um jenen zu finden, der ihn erschaffen hatte. Und um jenen zu finden, der ihn hintergangen hatte.
Denn je mehr Nathanael über den Tod lernte, desto klarer wurde ihm:
Seine Mutter war nicht einfach verschwunden. Sie war getötet worden.
Von etwas, das mehr war als nur menschliche Gewalt. Und sein Vater? Kein Name, keine Spur – aber zu viele Widersprüche in alten Briefen, in den Schatten der Vergangenheit. Er war kein gewöhnlicher Mann gewesen. Vielleicht war er nie ein Mensch.
Mit jedem neuen Ritual veränderte sich Nathanael. Nicht äußerlich – noch nicht –, sondern innerlich. Seine Seele wurde härter, klarer, zielgerichteter. Magie war kein Werkzeug mehr – sie war ein Versprechen. Ein Weg. Ein Fluch, den er willentlich umarmte.
Und in seinem Versteck, umgeben von verstaubten Knochen, trocknendem Blut und uralten Runen, begann er mit den ersten echten Versuchen, mit den Toten zu sprechen. Er experimentierte mit verbotenen Texten, alten Ritualen und der Kunst des Übergangs – Nekromantie. Zuerst waren es einfache Rituale: Kommunikation mit Geistern, das Lesen von Restenergien.
Doch es ging weiter. Tiefer. Dunkler.
Er war überzeugt: Nur der Tod selbst kannte die Wahrheit über seine Eltern.
Als Bareti plötzlich verschwand – ohne Nachricht, ohne Spur – zerbrach etwas in Nathanael.
Jahrelang suchte er sie, bereiste Trümmerorte, durchquerte Ruinen, Archive, Fragmente verlorener Zeit.
Doch nichts...
Der Keller der Runenbibliothek war ein Ort, den kaum jemand betrat – selbst nicht Bareti. Es war ein stiller Raum mit alten Steinwänden, durchzogen von Rissen, durch die kalte Feuchtigkeit aus dem Fundament kroch. Hier lagerte kein offizielles Wissen. Hier gab es keine Kataloge, keine Leseplätze. Nur Stille, Dunkelheit – und Geheimnisse.
Nathanael hatte sich diesen Ort in den ersten Monaten nach der Errichtung der Bibliothek zu eigen gemacht.
Während Bareti in den oberen Etagen eine Oase des Lernens und der Offenheit erschuf, verwandelte er den Untergrund in ein Labor der Schatten. Er sammelte verbotene Texte, kaufte für zu viel Geld fragwürdige Manuskripte von Schiffskapitänen, ließ sich aus dem fernen Osten Knochenfragmente und Asche schicken, die angeblich von den Hütern der Leerenbrücke stammten – Wesen, die zwischen Leben und Tod wandelten.
Er begann mit einfachen Ritualen: ein kleines Opfer, ein Tropfen Blut, ein Tierknochen, der sich seltsam warm anfühlte, wenn er die richtigen Worte sprach. Nichts, das ihn zufriedenstellte. Doch er lernte. Jeden Tag, jede Nacht. In seiner Seele brannte ein loderndes Verlangen: zu verstehen, wie der Schleier zwischen den Welten zerrissen werden konnte – um jenen zu finden, der ihn erschaffen hatte. Und um jenen zu finden, der ihn hintergangen hatte.
Denn je mehr Nathanael über den Tod lernte, desto klarer wurde ihm:
Seine Mutter war nicht einfach verschwunden. Sie war getötet worden.
Von etwas, das mehr war als nur menschliche Gewalt. Und sein Vater? Kein Name, keine Spur – aber zu viele Widersprüche in alten Briefen, in den Schatten der Vergangenheit. Er war kein gewöhnlicher Mann gewesen. Vielleicht war er nie ein Mensch.
Mit jedem neuen Ritual veränderte sich Nathanael. Nicht äußerlich – noch nicht –, sondern innerlich. Seine Seele wurde härter, klarer, zielgerichteter. Magie war kein Werkzeug mehr – sie war ein Versprechen. Ein Weg. Ein Fluch, den er willentlich umarmte.
Und in seinem Versteck, umgeben von verstaubten Knochen, trocknendem Blut und uralten Runen, begann er mit den ersten echten Versuchen, mit den Toten zu sprechen. Er experimentierte mit verbotenen Texten, alten Ritualen und der Kunst des Übergangs – Nekromantie. Zuerst waren es einfache Rituale: Kommunikation mit Geistern, das Lesen von Restenergien.
Doch es ging weiter. Tiefer. Dunkler.
Er war überzeugt: Nur der Tod selbst kannte die Wahrheit über seine Eltern.
Als Bareti plötzlich verschwand – ohne Nachricht, ohne Spur – zerbrach etwas in Nathanael.
Jahrelang suchte er sie, bereiste Trümmerorte, durchquerte Ruinen, Archive, Fragmente verlorener Zeit.
Doch nichts...
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Re: Die Geschichte eines Fremden
Kapitel IV – Der Preis des Lichts in der Dunkelheit
Nach Baretis Verschwinden veränderte sich Nathanael auf eine Weise, die nur der beobachtete, der seine Stille kannte. Keine Träne, kein Schrei – nur ein leerer Blick in den Raum, in dem ihre Stimme zuletzt verklungen war. Es war, als habe man ihm das Herz aus der Brust gerissen und vergessen ihn noch zu töten. In der ersten Zeit weigerte er sich, die Wahrheit zu akzeptieren. Er suchte in allen Ecken Trinsics, ja seiner ihm bekannten Welt nach ihr – in Markthallen, in geheimen Portalen, auf den Kanälen des Flusses, der die Stadt durchzog. Selbst die verlassensten Hütten Nahe der Guhlsümpfe durchkämmte er, mit einer unheilvollen Ruhe, die fast gefährlich wirkte.
Er übernahm die Verantwortung für ihr Anwesen. Pflegte es. Bewahrte es, wie man einen heiligen Ort pflegt. In der Runenbibliothek war er nun alleiniger Verwalter, Lehrer, Forscher, Wächter. Doch der Raum, den einst ihr Lachen füllte, hallte nur noch wider von flüsternder Magie und dem Kratzen von Federkiel auf Pergament.
Was niemand wusste – und was er niemals zugeben würde – war, wie sehr er sie vermisste. Wie tief das Loch war, das sie in seinem Leben hinterlassen hatte. Umso mehr stürzte er sich in seine Studien, seine Rituale, seine Mission. Er wollte der Stadt dienen, wollte ihr helfen, so wie Bareti es getan hatte. Doch seine Wege waren andere.
Als Seuchen durch die Lande zogen und dunkle Wolken Krankheit über Hafenviertel und Armenhäuser brachten, war es Nathanael, der Tränke braute und Symptome linderte. Als die Ärzte aufgaben, war er es, der in der Nacht bei den Sterbenden saß, ihnen Schattenrunen auf die Stirn zeichnete, damit ihre Seelen sanft übergehen konnten. Manche nannten es schwarze Magie – doch den Familien, deren Kinder überlebten, war es gleich.
Er versuchte, den Tod zu verstehen, ihn zu sprechen, ihn zu hören. Er meditierte über Totenasche, ließ Knochen singen, ließ Runen auf seine Haut brennen.
Seine Experimente wurden grausam, weil seine Ziele edel waren.
Er öffnete Leiber, sehnte sich nach Antworten. In alten Katakomben der Stadt errichtete er Altare, rief die Geister vergangener Zeitalter, fragte nach ihr und nach Elira, seiner Mutter – doch nichts antwortete. Kein Flüstern. Keine Vision. Nichts als Schweigen.
Und mit der Zeit begann sein Körper zu zerbrechen. Schlaflosigkeit nagte an ihm. Die Krankheiten, die er bei anderen heilte, fanden einen Weg in ihn hinein. Seine Haut wurde bleich, sein Husten trocken und kalt wie Friedhofsnebel. Er hinkte – sein Bein geschwächt durch ein Ritual, bei dem er dem Tod zu nahe kam. Sein linkes Auge verlor an Farbe. Ein Finger starb ihm ab, schwarz und gefühllos.
Verzweiflung ließ ihn zu einem letzten Mittel greifen. Aus seinen Forschungen schuf er ein Relikt – ein Amulett, in Form eines kleinen, dunklen Totenschädels, in den er Runen eingravierte, so fein wie Spinnenseide. In einem letzten, blutigen Ritual verwurzelte er darin seine Lebenskraft. Ein Teil seiner Seele. Das Relikt würde ihn jung halten – solange es an seiner Brust ruhte, würde die Zeit ihn verschonen. Doch nahm er es ab, wurde er gebrechlich, ein alter Mann, gezeichnet vom Preis seiner Obsession.
Er tat es nicht aus Eitelkeit. Nicht aus Stolz. Sondern aus einem einzigen Grund: um weiterzusuchen. Um nicht aufzugeben.
Er war der Letzte, der noch glaubte, dass seine Mutter gefunden werden konnte – im Reich der Toten, in den Schatten hinter dem Schleier. Und solange Bareti nicht zurückgekehrt war, konnte er sich auch nicht erlauben, zu sterben. Er durfte ihr Werk nicht verlieren. Er durfte nicht allein untergehen.
Und er blieb allein. Aus Überzeugung. Aus Angst. Er hatte sich immer selbst aus den Gassen Trinsics gezogen, sich selbst aus dem Schmerz geschmiedet. Hilfe war Schwäche. Nähe war Verlust.
Doch was er nicht wusste:
Dass sein größter Fehler nicht in der Dunkelheit lauerte, sondern im Licht, das er nie zuließ.
Nach Baretis Verschwinden veränderte sich Nathanael auf eine Weise, die nur der beobachtete, der seine Stille kannte. Keine Träne, kein Schrei – nur ein leerer Blick in den Raum, in dem ihre Stimme zuletzt verklungen war. Es war, als habe man ihm das Herz aus der Brust gerissen und vergessen ihn noch zu töten. In der ersten Zeit weigerte er sich, die Wahrheit zu akzeptieren. Er suchte in allen Ecken Trinsics, ja seiner ihm bekannten Welt nach ihr – in Markthallen, in geheimen Portalen, auf den Kanälen des Flusses, der die Stadt durchzog. Selbst die verlassensten Hütten Nahe der Guhlsümpfe durchkämmte er, mit einer unheilvollen Ruhe, die fast gefährlich wirkte.
Er übernahm die Verantwortung für ihr Anwesen. Pflegte es. Bewahrte es, wie man einen heiligen Ort pflegt. In der Runenbibliothek war er nun alleiniger Verwalter, Lehrer, Forscher, Wächter. Doch der Raum, den einst ihr Lachen füllte, hallte nur noch wider von flüsternder Magie und dem Kratzen von Federkiel auf Pergament.
Was niemand wusste – und was er niemals zugeben würde – war, wie sehr er sie vermisste. Wie tief das Loch war, das sie in seinem Leben hinterlassen hatte. Umso mehr stürzte er sich in seine Studien, seine Rituale, seine Mission. Er wollte der Stadt dienen, wollte ihr helfen, so wie Bareti es getan hatte. Doch seine Wege waren andere.
Als Seuchen durch die Lande zogen und dunkle Wolken Krankheit über Hafenviertel und Armenhäuser brachten, war es Nathanael, der Tränke braute und Symptome linderte. Als die Ärzte aufgaben, war er es, der in der Nacht bei den Sterbenden saß, ihnen Schattenrunen auf die Stirn zeichnete, damit ihre Seelen sanft übergehen konnten. Manche nannten es schwarze Magie – doch den Familien, deren Kinder überlebten, war es gleich.
Er versuchte, den Tod zu verstehen, ihn zu sprechen, ihn zu hören. Er meditierte über Totenasche, ließ Knochen singen, ließ Runen auf seine Haut brennen.
Seine Experimente wurden grausam, weil seine Ziele edel waren.
Er öffnete Leiber, sehnte sich nach Antworten. In alten Katakomben der Stadt errichtete er Altare, rief die Geister vergangener Zeitalter, fragte nach ihr und nach Elira, seiner Mutter – doch nichts antwortete. Kein Flüstern. Keine Vision. Nichts als Schweigen.
Und mit der Zeit begann sein Körper zu zerbrechen. Schlaflosigkeit nagte an ihm. Die Krankheiten, die er bei anderen heilte, fanden einen Weg in ihn hinein. Seine Haut wurde bleich, sein Husten trocken und kalt wie Friedhofsnebel. Er hinkte – sein Bein geschwächt durch ein Ritual, bei dem er dem Tod zu nahe kam. Sein linkes Auge verlor an Farbe. Ein Finger starb ihm ab, schwarz und gefühllos.
Verzweiflung ließ ihn zu einem letzten Mittel greifen. Aus seinen Forschungen schuf er ein Relikt – ein Amulett, in Form eines kleinen, dunklen Totenschädels, in den er Runen eingravierte, so fein wie Spinnenseide. In einem letzten, blutigen Ritual verwurzelte er darin seine Lebenskraft. Ein Teil seiner Seele. Das Relikt würde ihn jung halten – solange es an seiner Brust ruhte, würde die Zeit ihn verschonen. Doch nahm er es ab, wurde er gebrechlich, ein alter Mann, gezeichnet vom Preis seiner Obsession.
Er tat es nicht aus Eitelkeit. Nicht aus Stolz. Sondern aus einem einzigen Grund: um weiterzusuchen. Um nicht aufzugeben.
Er war der Letzte, der noch glaubte, dass seine Mutter gefunden werden konnte – im Reich der Toten, in den Schatten hinter dem Schleier. Und solange Bareti nicht zurückgekehrt war, konnte er sich auch nicht erlauben, zu sterben. Er durfte ihr Werk nicht verlieren. Er durfte nicht allein untergehen.
Und er blieb allein. Aus Überzeugung. Aus Angst. Er hatte sich immer selbst aus den Gassen Trinsics gezogen, sich selbst aus dem Schmerz geschmiedet. Hilfe war Schwäche. Nähe war Verlust.
Doch was er nicht wusste:
Dass sein größter Fehler nicht in der Dunkelheit lauerte, sondern im Licht, das er nie zuließ.
Re: Die Geschichte eines Fremden
Kapitel V – Zwischen den Welten
Jahrzehnte waren vergangen, und das Schweigen blieb. In all der Zeit hatte Nathanael nicht aufgehört, nach Bareti zu suchen. Sie war die zweite Frau, die plötzlich aus seinem Leben verschwand. Und er verstand es nicht. Sein Verstand wollte es nicht verstehen, nein, er konnte es nicht - war er verflucht?
Obwohl ihr Haus leer stand, ihre Spuren verblasst, hielt er an der Hoffnung fest, dass sie ihn nicht einfach verlassen hatte. In den alten, stillen Hallen der Runenbibliothek schrieb er ihr Briefe – hunderte davon, auf altem Pergament, mit Runen durchwirkt, in geheimen Sprachen verfasst. Er versiegelte sie mit Blut und Hoffnung, sprach die Namen alter Götter, schnitt sich Fingerkuppen auf und ließ die Magie in die Worte fließen.
Er versuchte alles: Schattenportale, Traumreisen, Runenzirkel. Manchmal glaubte er, einen Hauch ihrer Präsenz zu spüren – einen Windhauch mit dem Duft von Lavendel und Eisen, den Klang ihrer Stimme in der Stille zwischen den Regentropfen. Doch nichts brachte sie zurück. Keine Antwort kam. Kein Flüstern. Nur Leere.
Nathanael glaubte, es liege an seiner Unvollkommenheit. Er war kein ausgebildeter Nekromant. Alles, was er wusste, hatte er sich selbst beigebracht – aus zerrissenen Pergamenten, verrußten Folien, den Erinnerungen toter Zungen. Er sprach mit Verstorbenen, ja. Ihre Seelen erschienen ihm – flüchtig, zerbrechlich. Aber niemals lange genug. Niemals seine Mutter. Niemals Bareti.
Er hatte ein gewaltiges Wissen angesammelt, aber es war brüchig wie dünnes Glas. Kein systematisch erlerntes Wissen, sondern zusammengeraubte Fragmente. Kein Schutz, keine Sicherheitsformeln. Nur gefährliche Rituale, bei denen der Tod selbst mit anwesend war. Und doch – er wollte weitergehen. Er musste.
Die Erinnerung an seine Mutter ließ ihn nicht los. Wenigstens sie wollte er wiederhaben. Wenn auch nur kurz, für einen Augenblick. Sie sehen, sie umarmen - wenn auch nur im Geiste. Wissen was passiert war. Vielleicht würde ihm auch das dabei helfen, sich bewusst zu machen, dass Bareti wohl für immer verschollen bleiben würde. Ihre Macht hatte er nicht, kannte er nicht. Nur würde die Magierin zurückkehren, wenn Sie könnte. Dessen war er sich sicher. Nicht aber seine Mutter.
Schließlich fand er in einer zerfallenen Gruft am Rande eines Moorwaldes ein Ritual, das versprach, Seelen nicht nur zu rufen, sondern sie zurückzubringen – vollständig. Es war keine Formel eines nekromantischen Ordens, sondern das Werk eines Wahnsinnigen. Blutrune auf verbrannter Haut, Seelenstein, Totenschädel, zwei Tropfen Erinnerungsblut – so stand es geschrieben. Und ein Name, der im Moment des Risses ins Diesseits gebrannt werden musste: Der Name dessen, den man zurückholen wollte.
Der Tag kam. Er bereitete alles vor. Der Boden der alten Bibliothekskatakomben bebte vor Magie. Ein Sog aus Dunkelheit und Licht öffnete sich. Seine Stimme zitterte. Doch als der Moment kam, als der Name gesprochen werden musste, geschah es:
Er sprach "Bareti".
Unbewusst. Aus Verlangen. Aus Liebe. Aus Sehnsucht.
Die Runen flackerten, dann brachen sie. Die Welt riss unter seinen Füßen auf. Kein Schrei, kein Schmerz – nur die absolute Auflösung. Das Ritual explodierte in Licht und Schatten, zerrte an seiner Seele, zerschmetterte Raum und Zeit.
Und dann: Stille.
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Als Nathanael erwachte, lag er nackt in einer Seitengasse. Die Gebäude sahen vertraut aus. Der Fluss roch wie früher. Trinsic. Und doch nicht. Die Runenbibliothek war verschwunden. Das Anwesen leer. Niemand kannte ihn. Kein Bürger sprach seinen Namen. Kein Schüler erinnerte sich an den Bibliothekar mit dem hinkenden Bein. Keine Statue ehrte Bareti. In dieser Version der Welt hatten weder sie noch er je existiert.
Verwirrt und gebrochen irrte er durch Straßen, die ihm bekannt und fremd zugleich waren. Nicht nur wunderten sich die Leute in diesen über den fremden, hinkenden Mann, anfangs nur mit einem fetzen Stoff bekleidet... Die Magie, die in Trinsic einst durch Runen und Bücher lebte, war hier nur ein Gerücht. Die Gilden existierten nicht. Die Stadt war anders, nicht ganz aber Trinsic war nun eine stark befestigte Stadt, bekannt als Heimat der Paladine und Zentrum für Ehre, Disziplin und ritterliche Tugenden. Es war die Stadt, die sich nun damit zierte ein Bollwerk gegen das Böse zu sein.
Monate vergingen.
Er suchte, forschte, fragte. Er wirkte wieder Rituale, diesmal schwächer. Erinnerungslücken - vieles wusste er nicht mehr. Vieles konnte er nicht mehr. Ein Schatten seiner selbst. Der Preis seines Fehlers zehrte an ihm. Sein Husten war schlimmer geworden. Sein Bein war steif, jeder Schritt schmerzte. Nur das Amulett, das alte Totenschädelrelikt an seiner Brust, hielt ihn jung. Er spürte es, wenn er es auch nur kurz abnahm – sein Körper wurde binnen Sekunden alt, grau, brüchig. Ein Sarg ohne Deckel.
Und dann: Eine Nachricht. Ein Händler, mit dem er einst über Ritualtinte gehandelt hatte, erzählte ihm von einer Tavernenwirtin auf der Insel Moonglow – eine Frau mit türkisfarbenen Augen, einer seltsamen Aura und einem merkwürdig vertrauten Lächeln. Eine, die manchmal von Dingen sprach, die „nicht mehr sein“ dürften.
Die Insel Moonglow. Abseits seiner Heimat.
Er reiste dorthin – auf klapprigen Kähnen, durch stürmische See. Es dauerte Wochen. Der letzte Teil der Reise war wie ein Fiebertraum: Visionen von Runen, flackernde Schatten, Stimmen aus der Tiefe. Er war krank, wahnsinnig, gebrochen. Und jung. Immer noch jung. Der Schein des Amuletts war seine letzte Maske.
Und schließlich stand er vor der Taverne.
Vor einer hölzernen Tür, aus der Lachen klang. Er klopfte mit seinem Gehstock an die Tür. Ein Zwerg öffnete ihm. Nichts sagend aber mit einer freundlichen, einladenden Geste. Er trat ein. Die Taverne war warm, voller Stimmen, lebendig. Er aber – er war ein Relikt. Ein Fremder aus einer toten Zeit. Als er in die Taverne trat, stand er mit eingefallenem Blick da, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, bebend, vom Wind gezeichnet, das Totenschädel-Amulett unter der Robe pulsierend. Er wusste, dass sie ihn nicht sofort erkennen würde. Vielleicht nie. Vielleicht war er auch nur ein Schatten für sie – ein Geist aus einer anderen Realität. Aber er hatte sie gefunden. Endlich.
Nur fiel Sie ihm auch bei flüchtigen Blickkontakt nicht direkt um die Arme, schien ihn nicht zu kennen. Sie war auch nicht älter geworden. Nein, ganz und gar nicht - eher jünger.
Sie müsste ihn doch ansehen, wie er sie ansah.
Er war hier nur ein weiterer Fremder. Ein Fremder unter vielen Fremden in der Taverne.
Ein einziger Gedanke überkam ihm. War sie es wirklich? War das hier die Realität - oder sein Unterbewusstsein, dass ihm in seinem letzten Atemzug des Rituals zeigen wollte, was er sehen sollte?
Er setzte sich in eine dunkle, einsame Ecke der Taverne und zündete sich seine Pfeife an - der Rauch tanzte über die Kerze an seinem Tisch und hüllte ihn in tanzende, blickdichte Rauchschwaden. Er wollte sie sehen aber sie sollte ihn nicht sehen. Noch nicht. War sie es wirklich, die Frau die einst seine Lehrerin war und die er einst kannte, nach der er sich sehnte - oder nur eine Frau aus eben dieser Realität - die ihn nie gekannt hat?
Es sollten Tage und viele Besuche vergehen, bevor er sie ansprach.
Jahrzehnte waren vergangen, und das Schweigen blieb. In all der Zeit hatte Nathanael nicht aufgehört, nach Bareti zu suchen. Sie war die zweite Frau, die plötzlich aus seinem Leben verschwand. Und er verstand es nicht. Sein Verstand wollte es nicht verstehen, nein, er konnte es nicht - war er verflucht?
Obwohl ihr Haus leer stand, ihre Spuren verblasst, hielt er an der Hoffnung fest, dass sie ihn nicht einfach verlassen hatte. In den alten, stillen Hallen der Runenbibliothek schrieb er ihr Briefe – hunderte davon, auf altem Pergament, mit Runen durchwirkt, in geheimen Sprachen verfasst. Er versiegelte sie mit Blut und Hoffnung, sprach die Namen alter Götter, schnitt sich Fingerkuppen auf und ließ die Magie in die Worte fließen.
Er versuchte alles: Schattenportale, Traumreisen, Runenzirkel. Manchmal glaubte er, einen Hauch ihrer Präsenz zu spüren – einen Windhauch mit dem Duft von Lavendel und Eisen, den Klang ihrer Stimme in der Stille zwischen den Regentropfen. Doch nichts brachte sie zurück. Keine Antwort kam. Kein Flüstern. Nur Leere.
Nathanael glaubte, es liege an seiner Unvollkommenheit. Er war kein ausgebildeter Nekromant. Alles, was er wusste, hatte er sich selbst beigebracht – aus zerrissenen Pergamenten, verrußten Folien, den Erinnerungen toter Zungen. Er sprach mit Verstorbenen, ja. Ihre Seelen erschienen ihm – flüchtig, zerbrechlich. Aber niemals lange genug. Niemals seine Mutter. Niemals Bareti.
Er hatte ein gewaltiges Wissen angesammelt, aber es war brüchig wie dünnes Glas. Kein systematisch erlerntes Wissen, sondern zusammengeraubte Fragmente. Kein Schutz, keine Sicherheitsformeln. Nur gefährliche Rituale, bei denen der Tod selbst mit anwesend war. Und doch – er wollte weitergehen. Er musste.
Die Erinnerung an seine Mutter ließ ihn nicht los. Wenigstens sie wollte er wiederhaben. Wenn auch nur kurz, für einen Augenblick. Sie sehen, sie umarmen - wenn auch nur im Geiste. Wissen was passiert war. Vielleicht würde ihm auch das dabei helfen, sich bewusst zu machen, dass Bareti wohl für immer verschollen bleiben würde. Ihre Macht hatte er nicht, kannte er nicht. Nur würde die Magierin zurückkehren, wenn Sie könnte. Dessen war er sich sicher. Nicht aber seine Mutter.
Schließlich fand er in einer zerfallenen Gruft am Rande eines Moorwaldes ein Ritual, das versprach, Seelen nicht nur zu rufen, sondern sie zurückzubringen – vollständig. Es war keine Formel eines nekromantischen Ordens, sondern das Werk eines Wahnsinnigen. Blutrune auf verbrannter Haut, Seelenstein, Totenschädel, zwei Tropfen Erinnerungsblut – so stand es geschrieben. Und ein Name, der im Moment des Risses ins Diesseits gebrannt werden musste: Der Name dessen, den man zurückholen wollte.
Der Tag kam. Er bereitete alles vor. Der Boden der alten Bibliothekskatakomben bebte vor Magie. Ein Sog aus Dunkelheit und Licht öffnete sich. Seine Stimme zitterte. Doch als der Moment kam, als der Name gesprochen werden musste, geschah es:
Er sprach "Bareti".
Unbewusst. Aus Verlangen. Aus Liebe. Aus Sehnsucht.
Die Runen flackerten, dann brachen sie. Die Welt riss unter seinen Füßen auf. Kein Schrei, kein Schmerz – nur die absolute Auflösung. Das Ritual explodierte in Licht und Schatten, zerrte an seiner Seele, zerschmetterte Raum und Zeit.
Und dann: Stille.
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Als Nathanael erwachte, lag er nackt in einer Seitengasse. Die Gebäude sahen vertraut aus. Der Fluss roch wie früher. Trinsic. Und doch nicht. Die Runenbibliothek war verschwunden. Das Anwesen leer. Niemand kannte ihn. Kein Bürger sprach seinen Namen. Kein Schüler erinnerte sich an den Bibliothekar mit dem hinkenden Bein. Keine Statue ehrte Bareti. In dieser Version der Welt hatten weder sie noch er je existiert.
Verwirrt und gebrochen irrte er durch Straßen, die ihm bekannt und fremd zugleich waren. Nicht nur wunderten sich die Leute in diesen über den fremden, hinkenden Mann, anfangs nur mit einem fetzen Stoff bekleidet... Die Magie, die in Trinsic einst durch Runen und Bücher lebte, war hier nur ein Gerücht. Die Gilden existierten nicht. Die Stadt war anders, nicht ganz aber Trinsic war nun eine stark befestigte Stadt, bekannt als Heimat der Paladine und Zentrum für Ehre, Disziplin und ritterliche Tugenden. Es war die Stadt, die sich nun damit zierte ein Bollwerk gegen das Böse zu sein.
Monate vergingen.
Er suchte, forschte, fragte. Er wirkte wieder Rituale, diesmal schwächer. Erinnerungslücken - vieles wusste er nicht mehr. Vieles konnte er nicht mehr. Ein Schatten seiner selbst. Der Preis seines Fehlers zehrte an ihm. Sein Husten war schlimmer geworden. Sein Bein war steif, jeder Schritt schmerzte. Nur das Amulett, das alte Totenschädelrelikt an seiner Brust, hielt ihn jung. Er spürte es, wenn er es auch nur kurz abnahm – sein Körper wurde binnen Sekunden alt, grau, brüchig. Ein Sarg ohne Deckel.
Und dann: Eine Nachricht. Ein Händler, mit dem er einst über Ritualtinte gehandelt hatte, erzählte ihm von einer Tavernenwirtin auf der Insel Moonglow – eine Frau mit türkisfarbenen Augen, einer seltsamen Aura und einem merkwürdig vertrauten Lächeln. Eine, die manchmal von Dingen sprach, die „nicht mehr sein“ dürften.
Die Insel Moonglow. Abseits seiner Heimat.
Er reiste dorthin – auf klapprigen Kähnen, durch stürmische See. Es dauerte Wochen. Der letzte Teil der Reise war wie ein Fiebertraum: Visionen von Runen, flackernde Schatten, Stimmen aus der Tiefe. Er war krank, wahnsinnig, gebrochen. Und jung. Immer noch jung. Der Schein des Amuletts war seine letzte Maske.
Und schließlich stand er vor der Taverne.
Vor einer hölzernen Tür, aus der Lachen klang. Er klopfte mit seinem Gehstock an die Tür. Ein Zwerg öffnete ihm. Nichts sagend aber mit einer freundlichen, einladenden Geste. Er trat ein. Die Taverne war warm, voller Stimmen, lebendig. Er aber – er war ein Relikt. Ein Fremder aus einer toten Zeit. Als er in die Taverne trat, stand er mit eingefallenem Blick da, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, bebend, vom Wind gezeichnet, das Totenschädel-Amulett unter der Robe pulsierend. Er wusste, dass sie ihn nicht sofort erkennen würde. Vielleicht nie. Vielleicht war er auch nur ein Schatten für sie – ein Geist aus einer anderen Realität. Aber er hatte sie gefunden. Endlich.
Nur fiel Sie ihm auch bei flüchtigen Blickkontakt nicht direkt um die Arme, schien ihn nicht zu kennen. Sie war auch nicht älter geworden. Nein, ganz und gar nicht - eher jünger.
Sie müsste ihn doch ansehen, wie er sie ansah.
Er war hier nur ein weiterer Fremder. Ein Fremder unter vielen Fremden in der Taverne.
Ein einziger Gedanke überkam ihm. War sie es wirklich? War das hier die Realität - oder sein Unterbewusstsein, dass ihm in seinem letzten Atemzug des Rituals zeigen wollte, was er sehen sollte?
Er setzte sich in eine dunkle, einsame Ecke der Taverne und zündete sich seine Pfeife an - der Rauch tanzte über die Kerze an seinem Tisch und hüllte ihn in tanzende, blickdichte Rauchschwaden. Er wollte sie sehen aber sie sollte ihn nicht sehen. Noch nicht. War sie es wirklich, die Frau die einst seine Lehrerin war und die er einst kannte, nach der er sich sehnte - oder nur eine Frau aus eben dieser Realität - die ihn nie gekannt hat?
Es sollten Tage und viele Besuche vergehen, bevor er sie ansprach.
Re: Die Geschichte eines Fremden
- Dieses Kapitel bildet den Anschluss an diese Erzählung zur Taverne -
Kapitel VI „Asche zu Asche“
Die Nacht war noch jung, doch in Nathanaels Gedanken hatte sich längst Dunkelheit ausgebreitet. Die Sitzung in der Taverne, das feierlich überreichte Siegel, die wiedergewonnene Lizenz, das Lächeln auf Baretis Gesicht – all das hatte einen feinen, bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Nicht wegen ihres Erfolgs. Sondern weil der Preis für diesen Sieg noch unbezahlt war. Und Nathanael wusste, dass es ihm oblag, die Rechnung zu begleichen.
Sein Weg führte ihn entlang des nördlichen Hangs von Moonglow, durch jenen Teil der Insel, der längst nicht mehr auf Karten auftauchte. Hier befand sich kein Licht, kein Pflaster, nur Schlamm, rußgeschwärzte Mauern und Ratten, die selbst vor dem Anblick eines Mannes mit leeren Augen und schwarzem Umhang nicht zurückwichen. Hier lebte Merevan Halbrecht.
Der Name hallte in Nathanaels Gedanken nach wie ein Fluch. Nicht nur, weil er wusste, was dieser Mann getan hatte. Sondern auch, weil Halbrechts Motive so niederschmetternd banal waren. Kein dunkler Kult, keine höhere Wahrheit, kein geheimer Eid. Nur Gier. Besitzdenken. Altes Blut, das seine Ansprüche mit Feuer und Stahl einzufordern glaubte.
Sein Haus war eine Kaschemme. Die Fassade war brüchig, die Fenster mit Brettern vernagelt, doch aus dem Kamin stieg schwacher Rauch auf. Nathanael klopfte nicht.
Niemand, der sich sicher fühlte, verbarrikadierte sich in seinem eigenen Heim. Und niemand, der wusste, was kam, versuchte zu entkommen.
Der Flur roch nach Moder, Eisen und billigem Branntwein. Merevan saß am Tisch, halb im Schatten, das Haar fettig, das Gesicht von tiefen Falten durchzogen, die mehr von innerem Zerfall als vom Alter zeugten. Seine linke Hand hielt ein Glas, die rechte einen Dolch, den er kaum merklich drehte – aus Gewohnheit, nicht aus Drohung.
„Ich hatte mit dir gerechnet“, sagte er ohne aufzublicken.
„Dann weißt du also, warum ich hier bin“, entgegnete Nathanael.
Ein kurzes, trockenes Lachen. „Wegen der kleinen Magierin? Wegen dem Haufen idealistischer Spinner in ihrem Gasthaus? Pff... Ich bin nicht der Mann, der das Feuer gelegt hat. Ich habe nur zugelassen, dass es brennt!“
Nathanael trat näher. „Du hast bezahlt. Organisiert. Angetrieben. Also ja, doch. Du hast das Feuer gelegt.“
„Wie es mein Vater getan hätte. Wie man es tun muss, wenn man seinen Anspruch verteidigen will. Diese Taverne war nie ihre. Nie eure. Der Goldene Krug war unser Erbe.“
„Und was hat dein Vater getan, als er ihn verlor?“
Halbrecht verzog das Gesicht. „Gefressen hat es ihn. Die Schande. Die Verdrängung durch diesen Rat und dann kam dieses Weib. Aber du verstehst das nicht – du bist kein Sohn. Du bist ein Werkzeug. Bar... Bareti und ihre Bande... Sie glauben, sie könnten mit ein paar Liedern und warmem Eintopf ein Erbe auslöschen.“
„Du irrst dich“, sagte Nathanael leise. „Ich bin kein Werkzeug und erst recht kein Narr. Wirke ich auf dich wie ein Narr?“
Ohne auf eine Antwort abzuwarten setzte er sich ihm gegenüber. Die Kerze auf dem Tisch flackerte kurz. Das Gespräch war keine Verhandlung. Es war ein Ritus. Und Nathanael war gekommen, um zu richten.
„Wer waren deine Verbündeten? - Wer will IHR Schaden?“, fragte er, während der Gehstock in Richtung Halbrechts Kinn wanderte.
Halbrecht schwieg.
Nathanael streckte die Hand aus. Der Schatten der Flamme wurde kleiner, das Licht wurde schwächer. Halbrecht wich zurück. „Du denkst, ich fürchte den Tod? Ich habe ihn studiert, Junge. Ich habe Verträge mit Dingen geschlossen, die du nicht einmal benennen kannst.“
„Dann verstehst du, dass ich dich nicht töten werde. Nicht sofort.“
Der Raum fror. Die Luft wurde schwer. Aus dem Nichts kroch ein dunkler Schleier an die Wände, zog sich über die Decke wie Schimmel. Halbrecht keuchte. „Nein…“
„Du sprichst nicht aber deine Seele wird sprechen.“, sagte Nathanael.
Er begann zu murmeln. Worte, die nicht zu dieser Welt gehörten, alte Silben in einer Sprache, die man einst auf Gräbern ritzte, nicht in Büchern schrieb. Halbrechts Körper zuckte. Die Schatten zogen sich zu einem Kreis, eine schwarze Rune glomm auf dem Tisch, und aus seinem Mund lösten sich Rauchfetzen – Erinnerungen, Fragmente, Szenen.
„Bezahlt über einen Mittelsmann“, flüsterte Halbrechts Stimme, obwohl seine Lippen still blieben. „Ein Mann namens Hagrobald. Kontakt zu den Brüdern der Kohle. Fluchtpunkt: Westhafen.“
Die Stimme war hohl, verzehrt.
„Und der Brand?“, fragte Nathanael weiter.
„Geplant als Ablenkung. Das Ziel war nicht nur die Zerstörung. Es war Einschüchterung. Ein Zeichen für die Ratsversammlung. Dass man sich nicht einfach neue Bündnisse erschleicht.“
Die Schatten verdichteten sich.
„Du bist ein Narr, wenn du denkst, du änderst etwas“, spuckte Halbrecht nun mit eigener Stimme. „Töte mich. Du wirst sehen, dass nichts sich ändert. Ein anderer wird mich ersetzen.“
Nathanael erhob sich langsam. In seiner Hand erschien ein kleiner, dunkler Kristall. Die Rune auf dem Tisch verlosch. Der Raum wurde wieder hell – doch die Kälte wich nicht.
„Du hast recht. Du wirst nicht das Ende sein. Aber du wirst das Zeichen.“
Er flüsterte den letzten Vers. Ein Windstoß fuhr durch den Raum, als hätte jemand ein Fenster zur Unterwelt geöffnet. Halbrechts Körper versteifte sich. Dann fiel er, der Dolch entglitt seiner Hand, das Glas zerbrach lautlos auf dem Boden. Kein Blut. Nur das Geräusch von Asche, die sich verteilte.
Nathanael sammelte den Kristall ein, nun leicht schimmernd. Ein letzter Teil von Halbrecht, gebunden. Nicht als Warnung. Sondern als Pfand.
Er verließ das Gebäude ohne Eile. Niemand hielt ihn auf.
Die Rückkehr zur Taverne erfolgte im Morgengrauen. Nebel hing über den Feldern, und die Rußspuren vom Angriff waren noch nicht ganz verwischt. Doch das Hauptgebäude stand. Und es lebte. Nicoletta organisierte die Zimmerverteilung für freiwillige Helfer. Ulaf kochte Suppe über dem Außenherd. Lirael war nirgends zu sehen – vermutlich auf einem Ast über ihnen.
Bareti hatte ihn gesehen. Nathanael wusste es. Doch sie sagte nichts.
Er warf einen flüchtigen Blick in ihre Richtung, ehe er sich in Bewegung setzte. Keine Worte. Nur Präsenz. Er trat an das schwarze Brett der Taverne, wo Aushänge für Hilfsgesuche, Ankündigungen und Regelwerke hingen. Dann befestigte er, ohne es zu kommentieren, ein unscheinbares Pergament: „Schutzpatron gesucht – gefunden.“
Doch er unterschrieb nicht.
In den folgenden Tagen hielt er sich in der Nähe der Taverne auf. Nicht offen, nicht auffällig. Er beobachtete. Horchte. Zwei Reisende, die sich nachts zu verdächtigen Gesprächen trafen – verschwanden nach einem letzten Gespräch mit einem alten Mann im Umhang. Eine Lieferung mit vergiftetem Wein – aufgehalten, ausgetauscht, ohne dass jemand wusste, wie. Nathanael war nicht Teil des Alltags. Aber er war Teil des Ortes.
Als Lirael ihn einmal entdeckte – auf einem Ast über ihr –, sagte sie nur: „Vorsicht, dass du nicht wieder fällst.“
Er grinste. Im wissen daran, dass er die Rolle, die er spielen musste, gut verkaufte.
Bareti fragte nicht. Noch nicht. Aber in ihrer Körpersprache, in den Blicken, lag ein leises Verständnis. Eine Ahnung davon, dass sie nicht allein war – auch wenn sie nicht wusste, wie tief der Schatten war, der sie nun schützte.
Nathanael hatte seinen Platz gefunden.
Nicht als Retter.
Sondern als das, was nötig war.
Kapitel VI „Asche zu Asche“
Die Nacht war noch jung, doch in Nathanaels Gedanken hatte sich längst Dunkelheit ausgebreitet. Die Sitzung in der Taverne, das feierlich überreichte Siegel, die wiedergewonnene Lizenz, das Lächeln auf Baretis Gesicht – all das hatte einen feinen, bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Nicht wegen ihres Erfolgs. Sondern weil der Preis für diesen Sieg noch unbezahlt war. Und Nathanael wusste, dass es ihm oblag, die Rechnung zu begleichen.
Sein Weg führte ihn entlang des nördlichen Hangs von Moonglow, durch jenen Teil der Insel, der längst nicht mehr auf Karten auftauchte. Hier befand sich kein Licht, kein Pflaster, nur Schlamm, rußgeschwärzte Mauern und Ratten, die selbst vor dem Anblick eines Mannes mit leeren Augen und schwarzem Umhang nicht zurückwichen. Hier lebte Merevan Halbrecht.
Der Name hallte in Nathanaels Gedanken nach wie ein Fluch. Nicht nur, weil er wusste, was dieser Mann getan hatte. Sondern auch, weil Halbrechts Motive so niederschmetternd banal waren. Kein dunkler Kult, keine höhere Wahrheit, kein geheimer Eid. Nur Gier. Besitzdenken. Altes Blut, das seine Ansprüche mit Feuer und Stahl einzufordern glaubte.
Sein Haus war eine Kaschemme. Die Fassade war brüchig, die Fenster mit Brettern vernagelt, doch aus dem Kamin stieg schwacher Rauch auf. Nathanael klopfte nicht.
Niemand, der sich sicher fühlte, verbarrikadierte sich in seinem eigenen Heim. Und niemand, der wusste, was kam, versuchte zu entkommen.
Der Flur roch nach Moder, Eisen und billigem Branntwein. Merevan saß am Tisch, halb im Schatten, das Haar fettig, das Gesicht von tiefen Falten durchzogen, die mehr von innerem Zerfall als vom Alter zeugten. Seine linke Hand hielt ein Glas, die rechte einen Dolch, den er kaum merklich drehte – aus Gewohnheit, nicht aus Drohung.
„Ich hatte mit dir gerechnet“, sagte er ohne aufzublicken.
„Dann weißt du also, warum ich hier bin“, entgegnete Nathanael.
Ein kurzes, trockenes Lachen. „Wegen der kleinen Magierin? Wegen dem Haufen idealistischer Spinner in ihrem Gasthaus? Pff... Ich bin nicht der Mann, der das Feuer gelegt hat. Ich habe nur zugelassen, dass es brennt!“
Nathanael trat näher. „Du hast bezahlt. Organisiert. Angetrieben. Also ja, doch. Du hast das Feuer gelegt.“
„Wie es mein Vater getan hätte. Wie man es tun muss, wenn man seinen Anspruch verteidigen will. Diese Taverne war nie ihre. Nie eure. Der Goldene Krug war unser Erbe.“
„Und was hat dein Vater getan, als er ihn verlor?“
Halbrecht verzog das Gesicht. „Gefressen hat es ihn. Die Schande. Die Verdrängung durch diesen Rat und dann kam dieses Weib. Aber du verstehst das nicht – du bist kein Sohn. Du bist ein Werkzeug. Bar... Bareti und ihre Bande... Sie glauben, sie könnten mit ein paar Liedern und warmem Eintopf ein Erbe auslöschen.“
„Du irrst dich“, sagte Nathanael leise. „Ich bin kein Werkzeug und erst recht kein Narr. Wirke ich auf dich wie ein Narr?“
Ohne auf eine Antwort abzuwarten setzte er sich ihm gegenüber. Die Kerze auf dem Tisch flackerte kurz. Das Gespräch war keine Verhandlung. Es war ein Ritus. Und Nathanael war gekommen, um zu richten.
„Wer waren deine Verbündeten? - Wer will IHR Schaden?“, fragte er, während der Gehstock in Richtung Halbrechts Kinn wanderte.
Halbrecht schwieg.
Nathanael streckte die Hand aus. Der Schatten der Flamme wurde kleiner, das Licht wurde schwächer. Halbrecht wich zurück. „Du denkst, ich fürchte den Tod? Ich habe ihn studiert, Junge. Ich habe Verträge mit Dingen geschlossen, die du nicht einmal benennen kannst.“
„Dann verstehst du, dass ich dich nicht töten werde. Nicht sofort.“
Der Raum fror. Die Luft wurde schwer. Aus dem Nichts kroch ein dunkler Schleier an die Wände, zog sich über die Decke wie Schimmel. Halbrecht keuchte. „Nein…“
„Du sprichst nicht aber deine Seele wird sprechen.“, sagte Nathanael.
Er begann zu murmeln. Worte, die nicht zu dieser Welt gehörten, alte Silben in einer Sprache, die man einst auf Gräbern ritzte, nicht in Büchern schrieb. Halbrechts Körper zuckte. Die Schatten zogen sich zu einem Kreis, eine schwarze Rune glomm auf dem Tisch, und aus seinem Mund lösten sich Rauchfetzen – Erinnerungen, Fragmente, Szenen.
„Bezahlt über einen Mittelsmann“, flüsterte Halbrechts Stimme, obwohl seine Lippen still blieben. „Ein Mann namens Hagrobald. Kontakt zu den Brüdern der Kohle. Fluchtpunkt: Westhafen.“
Die Stimme war hohl, verzehrt.
„Und der Brand?“, fragte Nathanael weiter.
„Geplant als Ablenkung. Das Ziel war nicht nur die Zerstörung. Es war Einschüchterung. Ein Zeichen für die Ratsversammlung. Dass man sich nicht einfach neue Bündnisse erschleicht.“
Die Schatten verdichteten sich.
„Du bist ein Narr, wenn du denkst, du änderst etwas“, spuckte Halbrecht nun mit eigener Stimme. „Töte mich. Du wirst sehen, dass nichts sich ändert. Ein anderer wird mich ersetzen.“
Nathanael erhob sich langsam. In seiner Hand erschien ein kleiner, dunkler Kristall. Die Rune auf dem Tisch verlosch. Der Raum wurde wieder hell – doch die Kälte wich nicht.
„Du hast recht. Du wirst nicht das Ende sein. Aber du wirst das Zeichen.“
Er flüsterte den letzten Vers. Ein Windstoß fuhr durch den Raum, als hätte jemand ein Fenster zur Unterwelt geöffnet. Halbrechts Körper versteifte sich. Dann fiel er, der Dolch entglitt seiner Hand, das Glas zerbrach lautlos auf dem Boden. Kein Blut. Nur das Geräusch von Asche, die sich verteilte.
Nathanael sammelte den Kristall ein, nun leicht schimmernd. Ein letzter Teil von Halbrecht, gebunden. Nicht als Warnung. Sondern als Pfand.
Er verließ das Gebäude ohne Eile. Niemand hielt ihn auf.
Die Rückkehr zur Taverne erfolgte im Morgengrauen. Nebel hing über den Feldern, und die Rußspuren vom Angriff waren noch nicht ganz verwischt. Doch das Hauptgebäude stand. Und es lebte. Nicoletta organisierte die Zimmerverteilung für freiwillige Helfer. Ulaf kochte Suppe über dem Außenherd. Lirael war nirgends zu sehen – vermutlich auf einem Ast über ihnen.
Bareti hatte ihn gesehen. Nathanael wusste es. Doch sie sagte nichts.
Er warf einen flüchtigen Blick in ihre Richtung, ehe er sich in Bewegung setzte. Keine Worte. Nur Präsenz. Er trat an das schwarze Brett der Taverne, wo Aushänge für Hilfsgesuche, Ankündigungen und Regelwerke hingen. Dann befestigte er, ohne es zu kommentieren, ein unscheinbares Pergament: „Schutzpatron gesucht – gefunden.“
Doch er unterschrieb nicht.
In den folgenden Tagen hielt er sich in der Nähe der Taverne auf. Nicht offen, nicht auffällig. Er beobachtete. Horchte. Zwei Reisende, die sich nachts zu verdächtigen Gesprächen trafen – verschwanden nach einem letzten Gespräch mit einem alten Mann im Umhang. Eine Lieferung mit vergiftetem Wein – aufgehalten, ausgetauscht, ohne dass jemand wusste, wie. Nathanael war nicht Teil des Alltags. Aber er war Teil des Ortes.
Als Lirael ihn einmal entdeckte – auf einem Ast über ihr –, sagte sie nur: „Vorsicht, dass du nicht wieder fällst.“
Er grinste. Im wissen daran, dass er die Rolle, die er spielen musste, gut verkaufte.
Bareti fragte nicht. Noch nicht. Aber in ihrer Körpersprache, in den Blicken, lag ein leises Verständnis. Eine Ahnung davon, dass sie nicht allein war – auch wenn sie nicht wusste, wie tief der Schatten war, der sie nun schützte.
Nathanael hatte seinen Platz gefunden.
Nicht als Retter.
Sondern als das, was nötig war.
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