Es war einer dieser Tage, an denen die Sonne sich nicht entscheiden konnte, ob sie durchbrechen oder lieber mit dem Nebel tanzen wollte. In der kleinen Werkstatt neben der Taverne knisterte das Feuer im Ofen, ein paar türkis gefärbte Stoffbeutel lagen über einer Lehne, noch nicht ganz trocken. Ich hatte gerade den letzten Faden vernäht, als die Tür sich leise öffnete.
„Hallo? Ist jemand ... da?“
Die Stimme war vorsichtig, fast zögerlich. Ich lauschte kurz, dann rief ich über die Schultern hinweg: „Willkommen, die Tür ist immer offen! Ich bin gleich bei euch!“
Ein paar Minuten später stand ich mit farbbeklecksten Fingern hinter dem Tresen. Die junge Frau mit der Spitzhacke hatte bereits Platz genommen. Zu zierlich für eine Mine, dachte ich – doch der Staub auf ihrer Kleidung und der Blick in ihren Augen erzählten eine andere Geschichte.
„Habt ihr noch von dem Wein?“ fragte sie.
Ich wusste nicht, welchen genau sie meinte – aber ich nickte dennoch. Und schenkte ein.
Das Gespräch war wie eine kleine Wanderung – mal über vertraute Pfade, mal zwischen Fragen, die lange keinen Besucher mehr gehabt hatten. Sie sprach von Minoc, von den dunklen Elfen, die wieder Menschen entführten. Ich hörte zu. Erzählte von meinem alten Leben – Magierzirkel, Akademien, Forschungen. Von der Entscheidung, all das zurückzulassen. Von der Taverne als neuem Zuhause.
„Und das hier erfüllt euch?“ fragte sie irgendwann.
Ich sah auf meine Hände, dann auf das Glas Most vor mir. „Ja. Es reicht mir. Und manchmal reicht das.“
Sie lachte leise, als sie die Farbe an meinen Fingern bemerkte. Ich erklärte ihr die Beutel – die kleinen Helfer für Reisende, gefüllt mit Nützlichem. „Man zahlt hier nicht mit Gold“, sagte ich, „sondern mit Geschichten.“ „Dann habe ich wohl schon bezahlt“, murmelte sie mit einem angedeuteten Lächeln.
Als sie ging, war ihre Bewegung vorsichtig. Vielleicht schmerzten die Beine, vielleicht die Gedanken.
Ich winkte ihr nach. Und wünschte ihr leise, dass die Last in ihrem Beutel leichter war als jene, die sie mit sich trug.
Der Nebel hing schwer über Moonglow, zwischen den Bäumen und den wenigen Häusern, die sich an die Taverne schmiegten. Ein unentschlossener Tag hier oben an der Oberfläche, so anders als die ewige Dämmerung von Elashin.
Ich zog den Kragen meiner einfachen, staubbedeckten Robe höher – die Spuren der Arbeit in der Mine waren unübersehbar und Teil meiner sorgfältig gewählten Tarnung. Die Spitzhacke stemmte ich fester auf die Schulter. Sie war ein wichtiges Requisit. »Ein Werkzeug, das sagt: 'Ich bin harmlos, nur eine Arbeiterin'. Niemand vermutet eine Magierin, geschweige denn... eine Wanre der Drow darunter. Und das ist gut so. Sehr gut sogar.« Die Mine selbst hasste ich, diese stumpfe, erdige Plackerei. Aber die Rolle der Minenarbeiterin? Die fühlte sich seltsam sicher an, ein Schild gegen neugierige Blicke in dieser fremden Welt von Moonglow.
Eine kleine Taverne, etwas abseits, geführt von jemandem, der zuhörte. Informationen waren der Grund, warum ich hier war. Befehl der Ilharess. Augen und Ohren offenhalten, alles aufschnappen, was nützlich sein könnte.
Die Tür, deren Alter schwer zu schätzen war, schwang dank frisch geölter Angeln fast lautlos auf, als ich sie vorsichtig aufstieß. »Gepflegt«, dachte ich erneut, dieser erste Eindruck bleibt auch beim erneuten Besuch.
Ein warmer Geruch nach Holzrauch, Kräutern und einem Hauch von Farbpigmenten – ungewöhnlich für eine einfache Schänke – schlug mir entgegen. Ein Feuer knisterte heimelig.
„Hallo? Ist jemand ... da?“, fragte ich leise, meine Stimme belegter als beabsichtigt. Die Stille danach dehnte sich. »Vielleicht war es doch keine gute Idee.«
Dann eine ruhige Stimme von irgendwo dahinter: „Willkommen, die Tür ist immer offen! Ich bin gleich bei euch!“
Erleichterung. Oder war es Misstrauen? Schwer zu sagen. Ich trat ein und schloss die Tür hinter mir. Ein paar Minuten später erschien die Wirtin. Ihre Finger waren mit Farbspritzern übersät, aber ihre Augen waren klar und freundlich. Zu freundlich? Sie wies auf einen Stuhl am Tresen. Ich ließ mich nieder, die Spitzhacke lehnte ich griffbereit an die Wand. »Immer wachsam bleiben, Arencia. Freundlichkeit kann eine Waffe sein, vergiss das nicht.« Aber die Wärme des Ofens kroch mir langsam unter die Robe, eine Wärme, die nichts mit Feuer zu tun hatte.
„Gebt mir doch bitte den gleichen Wein wie letztes Mal“, sagte ich automatisch, meine Gedanken noch bei der Notwendigkeit, unauffällig zu wirken.
Die Wirtin hielt inne und sah mich mit einem leichten Stirnrunzeln an, das aber schnell einer neutralen Freundlichkeit wich. „Einen Moment... welchen Wein meint Ihr denn genau? Oder möchtet Ihr vielleicht etwas Bestimmtes probieren?“
»Gleichen Wein wie letztes Mal? Was rede ich da?«, fuhr es mir durch den Kopf, und ich musterte sie erneut. »Bei DIESER Wirtin war ich ja noch gar nicht! Das war doch die andere gestern – oder vorgestern? – die mit dem geschäftigen Wesen... Nicoletta, oder so ähnlich.
Diese hier kann ja gar nicht wissen, was ich meine. Verdammt, zu viel Routine, zu wenig Aufmerksamkeit! Ein Fehler, der mich verraten könnte.« Ich räusperte mich und versuchte, den Fauxpas schnell zu überspielen. „Oh, entschuldigt. Langer Tag in der Mine, der Staub sitzt wohl auch im Kopf. Ich meinte... einen einfachen Roten, wenn Ihr habt.“ »Gut pariert? Hoffentlich. Bloß keine Schwäche zeigen.«
Sie nickte ohne weitere Fragen und füllte einen einfaches Glass mit rotem Wein. »Sie ist ruhig. Nimmt es einfach hin. Entweder ist sie gutmütig, naiv oder... sehr gut darin, nichts zu zeigen. Ich muss vorsichtiger sein.«
Das Gespräch begann zögerlich. Ich ließ ein paar Brocken fallen – Minoc, die Angst vor den Drow, die wieder Menschen verschleppen. Beobachtete ihre Reaktion genau. »Zeig mir, was du weißt, unbekannte Wirtin. Zeig mir, auf welcher Seite du stehst. Bist du eine Informationsquelle für die Ilharess oder nur eine weitere unwissende Oberflächenbewohnerin in diesem Moonglow?« Sie hörte einfach nur zu, ihr Blick ruhig.
Dann erzählte sie. Von ihrem früheren Leben. Magierzirkel, Akademien. Forschung. »Eine Magierin? Sie auch? Hier?«, wiederholte sich der Gedanke in meinem Kopf. »Sie hat all das... aufgegeben? Freiwillig? Für... das hier? Für diesen einfachen Ort?«
Die Vorstellung war so fremd, so unbegreiflich aus der Perspektive von Elashin, wo Macht und Wissen alles sind, wo niemand etwas freiwillig aufgibt, das ihm einen Vorteil verschafft. Sie sprach von dieser Taverne, diesem einfachen Leben als neuem Zuhause.
Die Frage rutschte mir fast unwillkürlich heraus: „Und das hier erfüllt euch?“
Sie sah auf ihre farbbefleckten Hände, dann auf ihren Becher. Ein kleines Lächeln. „Ja. Es reicht mir. Und manchmal reicht das.“
»Es reicht ihr?«, dachte ich verwirrt. »Diese... Genügsamkeit. Ist das die Stärke der Menschen? Oder ihre Schwäche? In Elashin würde man ausgelacht werden für eine solche Einstellung. Man würde als Zielscheibe betrachtet.«
Doch etwas in ihrer Stimme, eine tiefe Ruhe, irritierte mich. Berührte mich fast. »Gefährlich, Arencia. Solche Gefühle sind gefährlich. Sie trüben das Urteilsvermögen. Du bist hier, um zu beobachten, nicht um... berührt zu werden.
Besonders nicht von jemandem, den du nicht einschätzen kannst, die nicht einmal die Wirtin ist, für die du sie gehalten hast.«
Mein Blick fiel auf ihre Finger, die Farbe darauf war ein seltsamer Kontrast zu ihrer ruhigen Art. Die Stille dehnte sich kurz. »Genug geplaudert. Je länger ich hier bleibe, desto größer die Gefahr, einen Fehler zu machen oder etwas preiszugeben. Die Wärme ist trügerisch.«
Als ich aufstand, fühlten sich meine Beine steif an. Von der Arbeit in der Mine? Oder von der Anspannung, die Lüge aufrechtzuerhalten, während ein Teil von mir diese seltsame Wärme aufsaugte? Ich nickte ihr zum Abschied zu, griff meine Spitzhacke und entkorkte einen Reisetrank.
Sie winkte mir nach. Ich spürte ihren Blick im Rücken.
»Informationen habe ich kaum bekommen«, stellte ich fest, als ich mich entfernte. »Nur Banalitäten über das Leben hier. Und einen dummen Fehler bei der Bestellung gemacht.
Aber ich habe etwas anderes gefunden. Etwas... Kompliziertes. Eine unerwartete Variable in Form dieser ruhigen Frau, die nicht Nicoletta war.« Ich zog die Kapuze meiner Robe tiefer ins Gesicht. Die Tarnung war gut, die Rolle der Minenarbeiterin funktionierte. Aber der Mensch darunter, die Wanre der Drow, die Spionin... sie war ins Wanken geraten. Nur für einen Moment. Aber dieser Moment in dieser Taverne in Moonglow war genug, um zu wissen, dass dieser Ort gefährlicher war, als er aussah.
Nicht wegen offensichtlicher Bedrohungen, sondern wegen dieser seltsamen, entwaffnenden Freundlichkeit, die wie ein Gift meine sorgfältig errichteten Mauern zu untergraben drohte.
Der Nebel von Moonglow schluckte die Taverne hinter mir, als ich mich auf den kaum erkennbaren Pfad Richtung Minoc machte, zu dem kargen Lager, das mir als Unterschlupf diente. Die Kühle des Abends begann sich durch meine staubige Robe zu fressen, aber es war nicht die äußere Kälte, die mich frösteln ließ. »Teleportation«, dachte ich kurz. »Ein kurzer Griff in das arkanen Gewebe, eine kleine Manipulation der Fäden, und ich wäre augenblicklich dort. Sicher und schnell.« Doch ich verwarf den Gedanken. Heute nicht. Heute brauchte ich den langsamen, rhythmischen Tritt meiner eigenen Füße auf dem unebenen Boden. Ich musste nachdenken.
Es war die unerwartete Wärme in der Taverne gewesen, nicht nur die des Feuers, sondern die jener ruhigen Wirtin mit den farbbefleckten Fingern, die mich so aus dem Konzept gebracht hatte. Eine einfache, menschliche Güte, die in meiner von drowischer Kälte und Misstrauen geprägten Welt so selten war wie Sonnenlicht in Elashin. »Warum lässt mich das nicht los? Es war nur eine Begegnung, eine von vielen, die ich im Auftrag der Ilharess habe, um Informationen zu sammeln. Und doch...«
Meine Erfahrungen mit Menschen waren begrenzt und meist von Zweckmäßigkeit oder Gefahr geprägt. Die Dunkelelfen waren mein Alltag, ihre Grausamkeit und ihre komplexen Machtspiele die Luft, die ich atmete. Natürlich, da waren Alsaron und die Familie Fernol gewesen, damals, während meines kläglichen Fluchtversuchs. Ein kurzer, trügerischer Hauch von Normalität, von einer anderen Art zu leben, bevor die Realität mich wieder eingeholt hatte.
»Noch einmal fliehen?« Der Gedanke zuckte wie ein verbotener Funke durch meinen Verstand. »Wohin? Die Arme der Ilharess sind lang, ihre Spinnen überall. Die Gefahr wäre unkalkulierbar. Und doch... dieser kurze Moment der... Leichtigkeit? In der Taverne? Ist es das, was die Menschen Freiheit nennen?« Es war ein zermürbendes Hin und Her in meinem Kopf, ein Für und Wider ohne klare Antwort. So lief ich, fast planlos, den sich vor mir durch die Dämmerung schlängelnden Weg entlang, meine Füße schwer, mein Geist noch schwerer.
Die Bäume wurden dichter, die Schatten tiefer. Plötzlich erstarrte ich. Etwas oder jemand stand auf dem Pfad vor mir. Eine Gestalt, so seltsam und unpassend für diesen Ort, dass mir ein Schauer über den Rücken lief, der nichts mit der Abendkühle zu tun hatte. Vollständig verhüllt war sie, von Kopf bis Fuß, aber nicht in einer gewöhnlichen Robe. Der Stoff fiel schlaff und fahl herab, mehr Leichentuch als Kleidung.
Meine Reaktion war instinktiv, einprogrammiert durch Jahre des Überlebenstrainings in einer feindseligen Welt. »Gefahr!« Mit einem schnellen, mentalen Befehl aktivierte ich alle mir bekannten Schutzzauber, spürte, wie das arkanen Gewebe um mich herum vibrierte und sich zu unsichtbaren Barrieren formte. Meine Hand zuckte zu dem Dolch, den ich stets verborgen trug. Ich war bereit zum Kampf.
„Wer oder was seid Ihr?“, zischte ich, meine Stimme fester, als ich mich fühlte. Ich erwartete einen Angriff, eine unheilvolle Enthüllung, irgendetwas Abscheuliches.
Stattdessen... Stille. Dann eine Stimme, trocken wie raschelndes Laub, aber seltsam resonierend, als käme sie von überall und nirgends zugleich. „Ein Wanderer. Wie Ihr.“
Eine Unterhaltung. Mit diesem... Ding. Es war in jeder Hinsicht surreal. Die fahle Gestalt, die unnatürliche Stimme, die unheimliche Ruhe, die von ihr ausging. »Träume ich das? Ist das eine weitere Prüfung der Ilharess? Oder bin ich dem Wahnsinn verfallen nach all den Jahren unter den Drow?«
„Ihr seht nicht aus wie ein gewöhnlicher Wanderer“, erwiderte ich, meine Abwehrhaltung keinen Deut lockernd.
Ein Geräusch, das ein trockenes Lachen hätte sein können. „Das Äußere ist vergänglich. Eine Hülle. Ich bin... befreit davon.“ Die Gestalt machte eine kaum wahrnehmbare Bewegung. „Manche würden mich einen Untoten nennen. Einen Diener des großen Kreislaufs, vielleicht des Lichlords, vielleicht eines anderen, der die Fäden des Unlebens spinnt. Namen sind Schall und Rauch.“
»Ein Untoter«, dachte ich, und die magischen Schilde um mich pulsierten stärker. »Ein Diener eines Lichlords. Das bedeutet Tod, Zerstörung, Seelenraub.« Doch er griff nicht an. Er stand einfach nur da, eine Statue des Unheils.
Das Gespräch, das sich entspann, war auf eine bizarre Weise vertraut und doch unendlich distanziert. Er sprach von seiner Existenz, davon, eine Seele zu sein, die auf unerklärliche Weise in diesem untoten Körper gefangen – oder vielleicht auch befreit – war. Er erklärte nicht wirklich, wie es geschehen war, seine Worte waren vage, voller Metaphern über Ströme und Übergänge.
„Ich bin frei“, sagte die Stimme schließlich, und ein Hauch von etwas, das wie triumphale Überzeugung klang, schwang darin mit. „Die ultimative Freiheit. Keine Bedürfnisse des Fleisches, keine Furcht vor dem Tod, denn er ist bereits mein ständiger Begleiter. Nur reines Sein.“
»Freiheit?« Dieser Begriff, ausgesprochen von einer Kreatur, die für mich die Essenz der Unfreiheit und des Schreckens darstellte, wirkte wie ein Hohn. Und doch... etwas in der monotonen Sicherheit seiner Stimme ließ mich zögern.
Die Unterhaltung dauerte noch sehr lange an, während die Dunkelheit vollständig hereinbrach und nur noch der fahle Schein der Monde durch das Blätterdach drang und die in ein Leichentuch gehüllte Gestalt vor mir in ein gespenstisches Licht tauchte. Jedes Wort, das gewechselt wurde, zog mich tiefer in eine Realität, von der ich nicht wusste, ob sie wahr war oder nur ein Produkt meines überstrapazierten Verstandes und der seltsamen Magie dieses Ortes...