Die Nacht neigte sich dem Ende zu, und der Vampir schritt zu den hohen Fenstern. Kurz ließ er das Mondlicht auf sein blasses Gesicht fallen. Seine Haut war milchweiß und farblos. Ein leichtes, seidenes Schattenhemd schmiegte sich an seine Muskeln. Dann schloss er die dicken Vorhänge, die jedes Tageslicht abhalten würden. Unnatürlich leise streckte er sich und ging dann zu seinem Regal, um ein kleines Büchlein hervorzunehmen. "Nur Ein Wort" hatte er es betitelt. Ein Wort pro Nacht.
Warum nur ein Wort?
Zumeist bleibt eine Erklärung aus, ohne zu wissen, wohin es geht.
Aber es ist eine Skizze eines mystischen Geheimnisses.
Ein geheimnisvolles Einschließen, eine Einladung, an Impulsen dranzubleiben, die bedeutsam sind.
"Verlangsamen"
Nur ein Wort
-
- Beiträge: 3
- Registriert: 07 Mai 2025, 09:45
- Kontaktdaten:
-
- Beiträge: 2
- Registriert: 07 Mai 2025, 09:47
- Kontaktdaten:
Nur der Versuch eines Wortes
Nathan Calresh hat mir ein leeres Buch geschenkt, mit der Aufforderung, ein Wort pro Seite und Nacht niederzuschreiben. Entschuldige, Nathan, das ist mir nicht möglich. Stattdessen werde ich diese unerträgliche Leere füllen, um dann dieses einzige Wort aus den entstandenen Zeilen zu destillieren. Wenn dies dadurch wie ein gewöhnliches Tagebuch, nur mit einem kleinen, bergeschweren Zusatz wirken sollte: So sei es.
Nun denn:
Mir ist nicht wohl. Kein Zustand, der in meinem Falle erwähnenswert ist? Ja und Nein. Der Geschmack ist schal geworden. In Gedichten, die bald eine Dekade alt sein werden, trinke ich das Leid dieser Welt, ernähre mich von ihrer Trauer – aber der Geschmack ist schal geworden. Einsamkeit. Mein Exil als Hüterin meiner wenigen Erinnerungen in diesem Grabesturm wiegt so schwer. Schwer genug, dass ich mich aus meiner Ruine wieder in die Menschenwelt gewagt habe. Oh, das Leben, Trank und Gestank, laut und septisch. Und so warm. Habe ich tatsächlich meine Abscheu davor vermisst? Oder scheut mich mein Vermissen? Welch ein schlechter Witz.
Und die Seite füllt sich bereits und ich habe gerade erst begonnen. Komm' auf den Punkt, dummes Kind. Mir ist nicht wohl, aus myriaden Gründen. Da draußen gibt es mehr an Leben als ich mich erinnere. Was sagt mir schon der schüchterne Raub von schlafenden Wanderern über den Trubel und das Sein der Welt? Es gibt noch fern verwandte, genauso verlorene Seelen ohne tatsächliche Seele. Woher sonst hätte ich dieses Buch?
Achja, wichtig noch: Unruhe, Sorge. Veränderung. Es sind meine Sterne! Mein Herz sehnt sich nach einem Bruch, einem Beben, das diese schreckliche Spannung auslöscht. Daher mein Wort, bevor die Seite zu Ende ist; Anscheinend das Ding, wonach ich mich sehne, was ich jetzt, in diesem Augenblick erkenne:
Umbruch.
Ancanagar legte die Feder zur Seite, begutachtete ihre spontanen Worte, verfolgte mit den Augen die immer kleiner und enger werdende Schrift, fand einen Tropfen Vergnügen im Sumpf aus Hunger, Sorge, Einsamkeit und schob dann das kleine Buch von sich.
Sie hatte Nathan an einem Ort getroffen, der voll schlechter Erinnerungen war. Sie selbst hatte sich auf die Anklagebank gesetzt, auf der sie vor so vielen Jahren Yerabeth sah, als sie selbst noch kaum ein Jahr ohne Sonne zugebracht hatte. Sie verstand damals nicht, warum es diesen schweren Bruch in der zugegebenermaßen losen Gemeinschaft gab. Selbst heute noch erschien ihr diese Häuserpolitik völlig unsinnig. Sie waren ohnehin so wenige, so einsam, warum also noch mehr Verlorenheit beschwören?
Die Bank war hart, unbequem, alt. Sie mochte sie nicht. Und dann hatte sie Nathan gefunden, fremdartig, unheimlich, verwandt. Wie seltsam, hier an diesem schrecklichen Keller so etwas wie eine Friedensahnung zu finden. Hoffnung wäre zu weit gegriffen. Mal sehen, was sie aus dem Tagebuch machen würde. Aber die Gletschergeschwindigkeit, die ihr der ältere Vampir vorgegeben hatte, war nicht nach ihrem Geschmack. Was würde so ein Takt für eine Geschichte bedeuten? Eintausend Worte, eintausend Tage. Drei Jahre für ein kleines Kapitel? Das wären mehr als zehn Bücher. Für eine ganze Erzählung würde ihr Zuhause keinen Platz haben.
Vielleicht würde sie darauf zurückkommen, wenn die Zeit alles andere geschliffen hatte und sie die Äonen irgendwie überwinden wollte. Einen gewissen Reiz fand sie durchaus in der Vorstellung – das Gewicht eines ganzen Tages, zusammengepresst in ein, zwei, drei, vielleicht vier Silben. Wie schwer mochte dann das vollendete Werk sein? Profund. Sie schmeckte bereits die Unruhe, die ein zwingendes 'und' in eine der endlosen Nächte in ferner Zukunft unter fremden Sternen streute.
-
- Beiträge: 3
- Registriert: 07 Mai 2025, 09:45
- Kontaktdaten:
Urgewalten
Der Vampir schritt langsam durch den peitschenden Regen über das Kopfsteinpflaster. Tropfen sprangen in wildem Muster von links nach rechts, schräg und überall. Die Kapuze hatte er tief über sein Gesicht gezogen, um seine blasse Haut im Mondlicht zu verbergen. Er fuhr mit der Hand durch sein durchnässtes, schwarzes Haar, und schritt dann in den Steinkeller, den nur Vampire betreten.
Rasch wanderte sein Blick umher und fiel auf die Anklagebank, auf der sie so bereitwillig gesessen hatte. Ancanagar war nicht hier. Spontan, und genau hier hatte er sie gesehen, war ihr begegnet, und sie hatten sich niedergelassen und miteinander gesprochen. In jenem Keller, den nur Vampire betreten. Kurz tanzte sie vor seinem geistigen Auge: zerbrechlich, umhüllt mit zahllosen, dunklen Vernarbungen. Maßlos begabt und seltsam offen. Eigenartig vertraut.
Die Jugend einer Vampirin sollte gefüllt sein mit den besten und den schlimmsten Erinnerungen. Die Macht zu wählen, die Gabe der Vampire. Wählen aus unzähligen Mengen an Menschen und mit ihnen zu tun, was immer sie auch wollte. Ewiges Vergnügen. Ewige Trauer.
„Koste es“, hatte er ihr empfohlen. „Es ist unsere Gabe.“ Wurde ihr diese Jugend genommen? Was war sein Teil daran gewesen? Immerhin nahm sie das Buch an. Erleichterung. Und ein Wort hatte er von ihr empfangen: „Umbruch“. Ihre Stimme, er war gewiss.
Der Vampir setzte sich an jenen Tisch, an dem sie gesessen hatten, bat Fenton um ein Glas halbwegs frisches Blut und nahm sein eigenes Büchlein hervor, mit dem Titel "Nur ein Wort".
Umbruch bedeutet, nicht an dem zu hängen, was angebliche, trügerische Sicherheit garantiert. Es bedeutet, umzubrechen, auszubrechen und sich hervorzuwagen. Sich selbst loszulassen für das Sein. Ihm gefiel das Wort, auch wenn es scheinbar aus Trauer geboren war.
Nathan trank mehr von dem Blut und spürte, wie Klarheit sich an ihn schmiegte. Seine Gedanken wanderten zu den tanzenden Regentropfen und wuchsen zu einem Ozean.
Wie oft war er gekentert? Zu oft, um noch am untoten Leben zu sein.
Gegen den Wind segeln. Mit dem Wind segeln. Links, rechts, schräg, und dennoch den Kurs halten und die Reise beleben. Sich fallen lassen in die Tiefe und Weite.
Die physikalischen Kräfte nutzen. Doch auch Segelschiffe kommen vom Kurs ab, er wusste es zu gut. Kräfte nutzen, die da sind. Gewisse Kräfte, die immer da sind und zur Verfügung stehen. Kräfte der Schöpfung.
Wie oft war er gekentert und kroch empor mit nacktem Leib und untotem Leben. Der Vampir schüttelte den Kopf, es überstieg sein Verständnis.
Das Schiff versuchen zu halten in den Urgewalten, denn er durfte selbst wählen.
Kurs worauf? Zum tiefsten Sehnen.
Nathan nahm eine Feder, ließ Ancanagar's Bild kurz vor seinem Auge tanzen und schrieb mit Blut:
Balance
Rasch wanderte sein Blick umher und fiel auf die Anklagebank, auf der sie so bereitwillig gesessen hatte. Ancanagar war nicht hier. Spontan, und genau hier hatte er sie gesehen, war ihr begegnet, und sie hatten sich niedergelassen und miteinander gesprochen. In jenem Keller, den nur Vampire betreten. Kurz tanzte sie vor seinem geistigen Auge: zerbrechlich, umhüllt mit zahllosen, dunklen Vernarbungen. Maßlos begabt und seltsam offen. Eigenartig vertraut.
Die Jugend einer Vampirin sollte gefüllt sein mit den besten und den schlimmsten Erinnerungen. Die Macht zu wählen, die Gabe der Vampire. Wählen aus unzähligen Mengen an Menschen und mit ihnen zu tun, was immer sie auch wollte. Ewiges Vergnügen. Ewige Trauer.
„Koste es“, hatte er ihr empfohlen. „Es ist unsere Gabe.“ Wurde ihr diese Jugend genommen? Was war sein Teil daran gewesen? Immerhin nahm sie das Buch an. Erleichterung. Und ein Wort hatte er von ihr empfangen: „Umbruch“. Ihre Stimme, er war gewiss.
Der Vampir setzte sich an jenen Tisch, an dem sie gesessen hatten, bat Fenton um ein Glas halbwegs frisches Blut und nahm sein eigenes Büchlein hervor, mit dem Titel "Nur ein Wort".
Umbruch bedeutet, nicht an dem zu hängen, was angebliche, trügerische Sicherheit garantiert. Es bedeutet, umzubrechen, auszubrechen und sich hervorzuwagen. Sich selbst loszulassen für das Sein. Ihm gefiel das Wort, auch wenn es scheinbar aus Trauer geboren war.
Nathan trank mehr von dem Blut und spürte, wie Klarheit sich an ihn schmiegte. Seine Gedanken wanderten zu den tanzenden Regentropfen und wuchsen zu einem Ozean.
Wie oft war er gekentert? Zu oft, um noch am untoten Leben zu sein.
Gegen den Wind segeln. Mit dem Wind segeln. Links, rechts, schräg, und dennoch den Kurs halten und die Reise beleben. Sich fallen lassen in die Tiefe und Weite.
Die physikalischen Kräfte nutzen. Doch auch Segelschiffe kommen vom Kurs ab, er wusste es zu gut. Kräfte nutzen, die da sind. Gewisse Kräfte, die immer da sind und zur Verfügung stehen. Kräfte der Schöpfung.
Wie oft war er gekentert und kroch empor mit nacktem Leib und untotem Leben. Der Vampir schüttelte den Kopf, es überstieg sein Verständnis.
Das Schiff versuchen zu halten in den Urgewalten, denn er durfte selbst wählen.
Kurs worauf? Zum tiefsten Sehnen.
Nathan nahm eine Feder, ließ Ancanagar's Bild kurz vor seinem Auge tanzen und schrieb mit Blut:
Balance
Wer ist online?
Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 0 Gäste