Pl?ne, Pfeifenrauch & ein Platz zum Bleiben ? oder: Wie ich einen Hof teilte, bevor ich ihn verstand
Verfasst: 15 Mai 2025, 00:55
Episode IX
?Pl?ne, Pfeifenrauch & ein Platz zum Bleiben ? oder: Wie ich einen Hof teilte, bevor ich ihn verstand?
Erz?hlt von Bareti, Wirtin auf leisen Pfaden, aber mit offenen T?ren
Der Morgen war k?hl, feucht, und trug den Geschmack von Erde in sich. Ich verlie? die Taverne, noch ehe die Sonne die Nebel aus den B?umen vertrieben hatte, und machte mich auf den Weg zum Hain. Der Pfad f?hrte mich zwischen alten Eichen hindurch, deren moosbedeckte St?mme wie stumme W?chter wirkten. Tautropfen glitzerten auf Farnen, und an manchen Stellen kr?uselte sich der Nebel so dicht, dass selbst die Vogelstimmen ged?mpft klangen. In der Ferne schlug ein Specht gegen morsches Holz ? ein gleichm??iger Klang inmitten der Stille.
Ich schritt langsam, lie? meine Finger ?ber das raue Holz eines umgest?rzten Stammes gleiten, roch den Duft von Pilzen und feuchtem Laub. Der Hain war nie einfach nur ein Ort gewesen ? er war Erinnerung, Mahnung, manchmal Trost. Heute war er alles zugleich.
Ich verharrte einen Moment und schloss die Augen. Gedanken wirbelten wie Laub im Wind. So vieles war ungesagt, unausgesprochen ? in mir und um mich. Doch es war keine Flucht ? nicht diesmal. Nur der Versuch, Klarheit zu finden. Und vielleicht ein neues Spiel zu er?ffnen.
Lirael erschien wenige Augenblicke, nachdem ich den Steinkreis betreten hatte. An ihrem linken Handgelenk glomm schwach ein t?rkisfarbener Kristall ? eingelassen in ein schmales Armband aus Silberdraht. Ich hatte sie zuvor dar?ber gerufen, ?ber unsere abgestimmten Kommunikationskristalle, ein stummes Signal, das wir teilten. Ihr Blick war offen, neugierig, wie jemand, der mehr Fragen als Antworten mitbringt. Sie trat langsam ?ber das feuchte Gras, sah sich kurz um, als wolle sie sp?ren, ob etwas in der Luft lag, das nicht ausgesprochen war.
?Ich habe mir gedacht, dass du nicht einfach so rufst.?
Ich nickte, lie? mir einen Moment, ehe ich sprach. Dann reichte ich ihr ein kleines, gefaltetes Pergament ? ohne Siegel, aber mit Bedacht formuliert.
?Ich brauche Informationen. ?ber Junker Hagrobald von Erlengrund. Seine Bewegungen, seine Verb?ndeten, seine Wege. Nichts Offenes. Nur ein Bild.?
Lirael hob eine Augenbraue, nahm das Pergament entgegen und verstaute es wortlos. Dann sah sie mich lange an. Ihr Blick war nicht tadelnd, sondern wachsam ? wie der einer Sp?rnase, die den ersten Faden einer Spur aufnimmt.
?Also bist du es, die nun Fragen stellt ? mit mehr Nachdruck als sonst.?
Ich antwortete nicht. Der Hain war still, und die Worte zu laut. Der Wind strich durch die Zweige ?ber uns, als wollten sie unsere Gedanken forttragen. In der Ferne erklang das Rufen eines Eichelh?hers ? laut, fast st?rend. Doch auch das geh?rte dazu: St?rung, Bewegung, Wandel.
Als ich zur?ckkehrte, durchquerte ich den alten verwilderten Garten, der wie ein stiller Zwischenraum zwischen Hain und Taverne lag. Der Pfad war kaum mehr als eine Ahnung im Gras, durchzogen von Brennnesseln und Wildkr?utern, die sich unbeirrt ihren Platz zur?ckgeholt hatten. Die Ranken eines Brombeerstrauchs hatten sich in einen rostigen Eimer geschlungen, der wie vergessen am Wegesrand stand.
Kaum zeichnete sich die Silhouette der Taverne zwischen den B?umen ab, bemerkte ich ihn: ein Junge, vielleicht vierzehn Sommer alt, mit dunklem Haar und einem eifrigen, fast verzweifelten Ausdruck. Er kniete im Hof, umgeben von Holzst?cken, einem Beutel Werkzeug und einem grobem Leinen neben sich. Ein windschiefer Hocker stand neben ihm ? selbst gebaut, wie mir auffiel. Noch roh, aber funktional. Ein St?ck Brett diente ihm als Messlatte, grob eingeschnittene Ma?e entlang der Kante.
Er fuhr erschrocken hoch, als ich n?herkam.
?Verzeiht, Lady!?, rief er hastig, noch bevor ich etwas sagen konnte. ?Ich? ich dachte, das hier w?re verlassen. Ich hab niemandem schaden wollen.?
Er stand auf, klopfte sich verlegen den Staub von der Hose und fuhr sich mit dem Handr?cken ?ber die Nase, an der noch ein feiner Span klebte. Seine Stimme zitterte, aber nicht nur vor ?berraschung ? da war M?digkeit, vielleicht auch Hunger. ?Ich wollte nur? was bauen. Nur ausprobieren. Ich? ich hab nirgends einen Platz gefunden, wo ich nicht gleich verjagt wurde.?
Er sah sich um, als w?rde er jetzt den besten Fluchtweg suchen, doch seine H?nde blieben an der kleinen Werkbank, die er aus zwei Holzbalken improvisiert hatte. ?Es war einfach so still hier. Als ob keiner mehr kommt. Und ich dachte? wenn ich leise bin? dann st?re ich vielleicht niemanden.?
Seine Stimme war br?chig, die H?nde schmutzig vom Holzstaub. Die Augen suchten meinen Blick, ohne ihn wirklich zu halten. Irgendetwas an seiner Haltung erinnerte mich an jemanden, den ich l?ngst vergessen glaubte ? oder vielleicht an mich selbst, vor all den Jahren. Nicht mehr Kind, noch nicht wirklich jemand.
Ich schwieg einen Moment, dann atmete ich tief durch. Meine Finger glitten ?ber die rauen Fasern des alten Torpfostens neben mir, an dem seit Jahren kein Tor mehr hing. Ein Ort wie dieser zieht die an, die schweigend um eine zweite Chance bitten. Und vielleicht braucht es mehr Mut, sich irgendwo niederzulassen, als weiterzuziehen. Ich sah den Jungen an und sp?rte, dass dies kein Zufall war. Vielleicht hatte der Ort ihn gerufen ? oder das, was aus ihm werden sollte.
Wir redeten eine Weile. Seine Eltern hatten ihn einem Schreiner anvertraut, bei einem Schreiner, der weit drau?en lebte, hinter einem Fluss und einem H?gel, wie der Junge es beschrieb. Er hatte dort nicht nur gearbeitet, sondern auch gewohnt ? in einer kleinen Kammer ?ber der Werkstatt, zusammen mit dem Geruch von Harz und Holzstaub. Dann, eines Tages, war sein Meister nicht mehr zur?ckgekehrt. Kein Brief, keine Nachricht, kein Abschied.
Seitdem zog der Junge umher, schlief unter Vord?chern, a?, was sich finden lie?, und suchte nach einem Ort, um zu ?ben, zu lernen, einfach? zu bleiben. Er glaubte, niemandem zur Last zu fallen. Die Werkzeuge, die er trug, waren gut gepflegt ? wahrscheinlich sein einziger Besitz von Wert.
Ich erkundigte mich nach seinem Namen ? doch er wich aus. ?Ist nicht so wichtig?, murmelte er. Vielleicht war es Scham, vielleicht Vorsicht. Vielleicht wollte er einfach nicht schon wieder irgendwo nur einen Namen hinterlassen.
Als er schlie?lich aufstand, um sich zu verabschieden, hielt ich ihn zur?ck. Ich deutete zum alten Fasslager, dessen T?r halb aus den Angeln hing, daneben eine zerbrochene Kiste und ein rostiger Rechen.
?Das dort wird gerade nicht gebraucht. Wenn du es dir herrichtest, kannst du es Werkstatt nennen.?
Seine Augen wurden gro?. Dann nickte er, wortlos, aber mit einem Ausdruck, der mehr sagte als alles, was er bisher ge?u?ert hatte. Noch am selben Abend h?rte ich H?mmern. Kein Rhythmus, nur der Klang von Hoffnung in Arbeit verwandelt.
Sp?ter, als die Taverne in warmes Licht getaucht war und das Stimmengewirr wie eine vertraute Decke ?ber den Raum gelegt wurde, stand ich am Tresen neben Nicoletta. Es roch nach gebratenen Zwiebeln, frischem Brot und einem Hauch von s??em Teig, den jemand zu nah am Feuer vergessen hatte. Der Herd knisterte leise, und auf den Tischen gl?nzten vereinzelt Tropfen von versch?ttetem Met.
Nicoletta hatte gerade ein Tablett geleert und balancierte mit der freien Hand zwei Kr?ge. Ich erz?hlte ihr von dem Jungen, seinem Plan, seiner Suche. Von der M?digkeit in seinen Augen und dem feinen Span auf seiner Nase. Sie h?rte zu, lie? ihre Arbeit f?r einen Moment ruhen, st?tzte sich auf den Tresen und sch?ttelte dann schmunzelnd den Kopf.
?Wir sammeln sie wirklich, was??
Ich zuckte leicht mit den Schultern, l?chelte. ?Vielleicht. Oder wir geben nur zur?ck, was man uns einst gew?hrte.? Ich musste nicht fragen, was sie meinte ? war sie selbst doch eine dieser gesammelten Seelen.
Sie lachte leise, stellte einen Krug auf den Tresen und begann, die Gl?ser zu sortieren. Ich blieb noch einen Moment stehen, h?rte dem Stimmengewirr zu. Geschichten, Lachen, das Klirren von Besteck ? es war kein gro?er Ort, aber er lebte. Und manchmal gen?gt das.
Mein Blick schweifte durch den Schankraum und blieb an einem Gast in der hintersten Ecke h?ngen. Ein Mann, kaum erkennbar im Halbschatten. Der Mantel wirkte vertraut, die Haltung ebenso. Er hatte sich kaum bewegt, trank nichts, redete mit niemandem ? rauchte nur seine Pfeife mit einer Ruhe, die beinahe aufgesetzt wirkte. Doch etwas an ihm flackerte an der Schwelle meiner Erinnerung.
Ein Bild schob sich in mein Bewusstsein ? verschwommen, fl?chtig. Eine Stimme aus der Vergangenheit, ein Abend voller Kerzenlicht und Diskussionen. Der Klang eines Namens, nicht laut, aber eindringlich. Ein Kreis aus Stimmen, eine Entscheidung, ein Versprechen?
Dann war es wieder fort, wie ein Traum, den man fast behalten h?tte. Ich wandte mich ab ? doch der Gedanke blieb zur?ck, wie ein Faden, der sich in der Weberei meines Tages verfangen hatte.
Der Rauch seiner Pfeife stieg in kleinen, geduldigen Spiralen zur Decke. Er war nicht bei?end, nicht s?? ? eher erdig, mit einem Hauch von trockenem Moos und etwas Bitterem, das ich nicht benennen konnte. Ein Teil von mir wollte sich abwenden, doch ich konnte nicht. Nicht ganz. So wie man bei einer Melodie verweilt, deren Ursprung man nicht kennt, aber die trotzdem etwas in einem zum Schwingen bringt.
Ich beobachtete, wie er einmal langsam zog, dann mit knapper Geste den Pfeifenkopf leerte und mit langsamer Sorgfalt frischen Tabak nachstopfte. Kein ?berfl?ssiger Handgriff, kein Z?gern ? nur ruhige, einge?bte Bewegungen. Die Art, wie er das Feuer entz?ndete ? mit Bedacht, fast and?chtig ?, erinnerte mich an jemanden, dessen Anwesenheit einst selbstverst?ndlich gewesen war. An jemanden, der selten sprach ? und wenn, dann nur, wenn es wirklich etwas zu sagen gab.
Nicoletta bemerkte meinen Blick und folgte ihm. Doch sie sagte nichts. Vielleicht, weil sie wusste, dass manche Fragen nicht im Jetzt gestellt werden. Vielleicht, weil auch sie etwas sp?rte.
Am Ende jenes Tages vermerkte ich nur einen Satz in meinem Notizbuch:
?Pl?ne, Pfeifenrauch & ein Platz zum Bleiben ? oder: Wie ich einen Hof teilte, bevor ich ihn verstand?
Erz?hlt von Bareti, Wirtin auf leisen Pfaden, aber mit offenen T?ren
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Der Morgen war k?hl, feucht, und trug den Geschmack von Erde in sich. Ich verlie? die Taverne, noch ehe die Sonne die Nebel aus den B?umen vertrieben hatte, und machte mich auf den Weg zum Hain. Der Pfad f?hrte mich zwischen alten Eichen hindurch, deren moosbedeckte St?mme wie stumme W?chter wirkten. Tautropfen glitzerten auf Farnen, und an manchen Stellen kr?uselte sich der Nebel so dicht, dass selbst die Vogelstimmen ged?mpft klangen. In der Ferne schlug ein Specht gegen morsches Holz ? ein gleichm??iger Klang inmitten der Stille.
Ich schritt langsam, lie? meine Finger ?ber das raue Holz eines umgest?rzten Stammes gleiten, roch den Duft von Pilzen und feuchtem Laub. Der Hain war nie einfach nur ein Ort gewesen ? er war Erinnerung, Mahnung, manchmal Trost. Heute war er alles zugleich.
Ich verharrte einen Moment und schloss die Augen. Gedanken wirbelten wie Laub im Wind. So vieles war ungesagt, unausgesprochen ? in mir und um mich. Doch es war keine Flucht ? nicht diesmal. Nur der Versuch, Klarheit zu finden. Und vielleicht ein neues Spiel zu er?ffnen.
Lirael erschien wenige Augenblicke, nachdem ich den Steinkreis betreten hatte. An ihrem linken Handgelenk glomm schwach ein t?rkisfarbener Kristall ? eingelassen in ein schmales Armband aus Silberdraht. Ich hatte sie zuvor dar?ber gerufen, ?ber unsere abgestimmten Kommunikationskristalle, ein stummes Signal, das wir teilten. Ihr Blick war offen, neugierig, wie jemand, der mehr Fragen als Antworten mitbringt. Sie trat langsam ?ber das feuchte Gras, sah sich kurz um, als wolle sie sp?ren, ob etwas in der Luft lag, das nicht ausgesprochen war.
?Ich habe mir gedacht, dass du nicht einfach so rufst.?
Ich nickte, lie? mir einen Moment, ehe ich sprach. Dann reichte ich ihr ein kleines, gefaltetes Pergament ? ohne Siegel, aber mit Bedacht formuliert.
?Ich brauche Informationen. ?ber Junker Hagrobald von Erlengrund. Seine Bewegungen, seine Verb?ndeten, seine Wege. Nichts Offenes. Nur ein Bild.?
Lirael hob eine Augenbraue, nahm das Pergament entgegen und verstaute es wortlos. Dann sah sie mich lange an. Ihr Blick war nicht tadelnd, sondern wachsam ? wie der einer Sp?rnase, die den ersten Faden einer Spur aufnimmt.
?Also bist du es, die nun Fragen stellt ? mit mehr Nachdruck als sonst.?
Ich antwortete nicht. Der Hain war still, und die Worte zu laut. Der Wind strich durch die Zweige ?ber uns, als wollten sie unsere Gedanken forttragen. In der Ferne erklang das Rufen eines Eichelh?hers ? laut, fast st?rend. Doch auch das geh?rte dazu: St?rung, Bewegung, Wandel.
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Als ich zur?ckkehrte, durchquerte ich den alten verwilderten Garten, der wie ein stiller Zwischenraum zwischen Hain und Taverne lag. Der Pfad war kaum mehr als eine Ahnung im Gras, durchzogen von Brennnesseln und Wildkr?utern, die sich unbeirrt ihren Platz zur?ckgeholt hatten. Die Ranken eines Brombeerstrauchs hatten sich in einen rostigen Eimer geschlungen, der wie vergessen am Wegesrand stand.
Kaum zeichnete sich die Silhouette der Taverne zwischen den B?umen ab, bemerkte ich ihn: ein Junge, vielleicht vierzehn Sommer alt, mit dunklem Haar und einem eifrigen, fast verzweifelten Ausdruck. Er kniete im Hof, umgeben von Holzst?cken, einem Beutel Werkzeug und einem grobem Leinen neben sich. Ein windschiefer Hocker stand neben ihm ? selbst gebaut, wie mir auffiel. Noch roh, aber funktional. Ein St?ck Brett diente ihm als Messlatte, grob eingeschnittene Ma?e entlang der Kante.
Er fuhr erschrocken hoch, als ich n?herkam.
?Verzeiht, Lady!?, rief er hastig, noch bevor ich etwas sagen konnte. ?Ich? ich dachte, das hier w?re verlassen. Ich hab niemandem schaden wollen.?
Er stand auf, klopfte sich verlegen den Staub von der Hose und fuhr sich mit dem Handr?cken ?ber die Nase, an der noch ein feiner Span klebte. Seine Stimme zitterte, aber nicht nur vor ?berraschung ? da war M?digkeit, vielleicht auch Hunger. ?Ich wollte nur? was bauen. Nur ausprobieren. Ich? ich hab nirgends einen Platz gefunden, wo ich nicht gleich verjagt wurde.?
Er sah sich um, als w?rde er jetzt den besten Fluchtweg suchen, doch seine H?nde blieben an der kleinen Werkbank, die er aus zwei Holzbalken improvisiert hatte. ?Es war einfach so still hier. Als ob keiner mehr kommt. Und ich dachte? wenn ich leise bin? dann st?re ich vielleicht niemanden.?
Seine Stimme war br?chig, die H?nde schmutzig vom Holzstaub. Die Augen suchten meinen Blick, ohne ihn wirklich zu halten. Irgendetwas an seiner Haltung erinnerte mich an jemanden, den ich l?ngst vergessen glaubte ? oder vielleicht an mich selbst, vor all den Jahren. Nicht mehr Kind, noch nicht wirklich jemand.
Ich schwieg einen Moment, dann atmete ich tief durch. Meine Finger glitten ?ber die rauen Fasern des alten Torpfostens neben mir, an dem seit Jahren kein Tor mehr hing. Ein Ort wie dieser zieht die an, die schweigend um eine zweite Chance bitten. Und vielleicht braucht es mehr Mut, sich irgendwo niederzulassen, als weiterzuziehen. Ich sah den Jungen an und sp?rte, dass dies kein Zufall war. Vielleicht hatte der Ort ihn gerufen ? oder das, was aus ihm werden sollte.
Wir redeten eine Weile. Seine Eltern hatten ihn einem Schreiner anvertraut, bei einem Schreiner, der weit drau?en lebte, hinter einem Fluss und einem H?gel, wie der Junge es beschrieb. Er hatte dort nicht nur gearbeitet, sondern auch gewohnt ? in einer kleinen Kammer ?ber der Werkstatt, zusammen mit dem Geruch von Harz und Holzstaub. Dann, eines Tages, war sein Meister nicht mehr zur?ckgekehrt. Kein Brief, keine Nachricht, kein Abschied.
Seitdem zog der Junge umher, schlief unter Vord?chern, a?, was sich finden lie?, und suchte nach einem Ort, um zu ?ben, zu lernen, einfach? zu bleiben. Er glaubte, niemandem zur Last zu fallen. Die Werkzeuge, die er trug, waren gut gepflegt ? wahrscheinlich sein einziger Besitz von Wert.
Ich erkundigte mich nach seinem Namen ? doch er wich aus. ?Ist nicht so wichtig?, murmelte er. Vielleicht war es Scham, vielleicht Vorsicht. Vielleicht wollte er einfach nicht schon wieder irgendwo nur einen Namen hinterlassen.
Als er schlie?lich aufstand, um sich zu verabschieden, hielt ich ihn zur?ck. Ich deutete zum alten Fasslager, dessen T?r halb aus den Angeln hing, daneben eine zerbrochene Kiste und ein rostiger Rechen.
?Das dort wird gerade nicht gebraucht. Wenn du es dir herrichtest, kannst du es Werkstatt nennen.?
Seine Augen wurden gro?. Dann nickte er, wortlos, aber mit einem Ausdruck, der mehr sagte als alles, was er bisher ge?u?ert hatte. Noch am selben Abend h?rte ich H?mmern. Kein Rhythmus, nur der Klang von Hoffnung in Arbeit verwandelt.
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Sp?ter, als die Taverne in warmes Licht getaucht war und das Stimmengewirr wie eine vertraute Decke ?ber den Raum gelegt wurde, stand ich am Tresen neben Nicoletta. Es roch nach gebratenen Zwiebeln, frischem Brot und einem Hauch von s??em Teig, den jemand zu nah am Feuer vergessen hatte. Der Herd knisterte leise, und auf den Tischen gl?nzten vereinzelt Tropfen von versch?ttetem Met.
Nicoletta hatte gerade ein Tablett geleert und balancierte mit der freien Hand zwei Kr?ge. Ich erz?hlte ihr von dem Jungen, seinem Plan, seiner Suche. Von der M?digkeit in seinen Augen und dem feinen Span auf seiner Nase. Sie h?rte zu, lie? ihre Arbeit f?r einen Moment ruhen, st?tzte sich auf den Tresen und sch?ttelte dann schmunzelnd den Kopf.
?Wir sammeln sie wirklich, was??
Ich zuckte leicht mit den Schultern, l?chelte. ?Vielleicht. Oder wir geben nur zur?ck, was man uns einst gew?hrte.? Ich musste nicht fragen, was sie meinte ? war sie selbst doch eine dieser gesammelten Seelen.
Sie lachte leise, stellte einen Krug auf den Tresen und begann, die Gl?ser zu sortieren. Ich blieb noch einen Moment stehen, h?rte dem Stimmengewirr zu. Geschichten, Lachen, das Klirren von Besteck ? es war kein gro?er Ort, aber er lebte. Und manchmal gen?gt das.
Mein Blick schweifte durch den Schankraum und blieb an einem Gast in der hintersten Ecke h?ngen. Ein Mann, kaum erkennbar im Halbschatten. Der Mantel wirkte vertraut, die Haltung ebenso. Er hatte sich kaum bewegt, trank nichts, redete mit niemandem ? rauchte nur seine Pfeife mit einer Ruhe, die beinahe aufgesetzt wirkte. Doch etwas an ihm flackerte an der Schwelle meiner Erinnerung.
Ein Bild schob sich in mein Bewusstsein ? verschwommen, fl?chtig. Eine Stimme aus der Vergangenheit, ein Abend voller Kerzenlicht und Diskussionen. Der Klang eines Namens, nicht laut, aber eindringlich. Ein Kreis aus Stimmen, eine Entscheidung, ein Versprechen?
Dann war es wieder fort, wie ein Traum, den man fast behalten h?tte. Ich wandte mich ab ? doch der Gedanke blieb zur?ck, wie ein Faden, der sich in der Weberei meines Tages verfangen hatte.
Der Rauch seiner Pfeife stieg in kleinen, geduldigen Spiralen zur Decke. Er war nicht bei?end, nicht s?? ? eher erdig, mit einem Hauch von trockenem Moos und etwas Bitterem, das ich nicht benennen konnte. Ein Teil von mir wollte sich abwenden, doch ich konnte nicht. Nicht ganz. So wie man bei einer Melodie verweilt, deren Ursprung man nicht kennt, aber die trotzdem etwas in einem zum Schwingen bringt.
Ich beobachtete, wie er einmal langsam zog, dann mit knapper Geste den Pfeifenkopf leerte und mit langsamer Sorgfalt frischen Tabak nachstopfte. Kein ?berfl?ssiger Handgriff, kein Z?gern ? nur ruhige, einge?bte Bewegungen. Die Art, wie er das Feuer entz?ndete ? mit Bedacht, fast and?chtig ?, erinnerte mich an jemanden, dessen Anwesenheit einst selbstverst?ndlich gewesen war. An jemanden, der selten sprach ? und wenn, dann nur, wenn es wirklich etwas zu sagen gab.
Nicoletta bemerkte meinen Blick und folgte ihm. Doch sie sagte nichts. Vielleicht, weil sie wusste, dass manche Fragen nicht im Jetzt gestellt werden. Vielleicht, weil auch sie etwas sp?rte.
Am Ende jenes Tages vermerkte ich nur einen Satz in meinem Notizbuch:
?Manche G?ste tragen mehr mit sich, als sie zeigen.?