Besen, Bier & Barrieren – oder: Wie ich aus Versehen eine Taverne gründete

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gelöschter Charakter_271
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Besen, Bier & Barrieren ? oder: Wie ich aus Versehen eine Taverne gr?ndete

Beitrag von gelöschter Charakter_271 »

Episode I
?Besen, Bier & Barrieren ? oder: Wie ich aus Versehen eine Taverne gr?ndete?
Erz?hlt von Bareti, Wirtin aus Versehen, Magierin aus Gewohnheit

Moonglow.
Insel des Wissens. Ort der B?cher, der Portale ? und der stillen, passiv-aggressiven Duelle zwischen Gelehrten, die sich gegenseitig mit Fu?noten beleidigen.

Ich erwachte dort.
In einem Garten nahe der Akademie. Nackt.
Nicht metaphorisch nackt. Tats?chlich nackt.

Das Gras war feucht, der Himmel leuchtete in allen Farben, und in meinen H?nden lag ein Notizbuch. T?rkis. Abgegriffen. Leer wie mein Kopf ? abgesehen von einem einzigen Wort, das mir unaufh?rlich in den Gedanken kreiste:
Bareti. Bareti. Bareti.

Es h?rte nicht auf, dieses Fl?stern, bis ich es aussprach.
Ich sagte ihn laut ? z?gerlich. Und obwohl ich nicht wusste, ob er mir geh?rte? f?hlte er sich an wie meiner.

?Bareti?

Dann wurde es still. Und der Name blieb.
Ich hielt ihn fest, wie das Buch ? und von da an hielt er auch mich.

Die Akademie nahm mich auf ? mit einem Stirnrunzeln, einer Decke und einem Stapel Formulare.
Und ich sog das Wissen auf wie ein trockener Schwamm, der aus Versehen in eine Alchemistenwanne gefallen war.
Und ich h?rte nicht auf ? saugte weiter, bis aus Staunen Gewohnheit wurde.

Ich lernte Magie.
Schnell. Zu schnell, sagten manche.
Ich studierte unter Gelehrten, erschuf kleine Wunder, dann gr??ere ? dann Unf?lle, die man in Fu?noten vermerkte.

Ich wurde Meisterin. Dann Lehrende.
Ich verfasste Abhandlungen ?ber arkane Harmonien. Hielt Vortr?ge, bei denen einer einschlief.
Und lie? versehentlich einen Professor durchsichtig werden (er war danach deutlich netter).
Ich forschte. Ich war jemand. Ich war gut.
Nicht bescheiden ? aber gut.

Und dann... kam der Bruch.
Nicht wie ein Knall.
Eher wie ein leiser Schluckauf im Gewebe der Welt.

Pl?tzlich war da diese Unsicherheit. Erinnerungen, die nicht mehr ganz passten.
Ich hatte Erinnerungen an Menschen, die es nicht mehr gab. An einen Sch?ler, mit dem ich N?chte ?ber Sternbilder sprach, der Fragen stellte, die mich zum L?cheln brachten ? doch niemand au?er mir schien ihn je gekannt zu haben.
Es war, als h?tte jemand ein Kapitel in meinem Leben gel?scht, aber die Fu?noten vergessen.

Ich begann zu zweifeln.
An der Ordnung. An der Struktur. An meinem Platz. An mir.
Die Welt f?hlte sich schief an.
Und ich ? ich f?hlte mich pl?tzlich fehl am Platz in meinen Roben, zwischen all den B?chern und Portalen.

Ich musste raus.
Ich wollte keine Runen mehr. Keine Portale. Keine Ratssitzungen, bei denen f?nf Magier drei Stunden dar?ber diskutieren, ob man Elementargeister entsprechend von ihrem Geschlecht ansprechen sollte.

Ich lie? fast alles zur?ck, wortlos. Ich reiste. Rastlos.


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Ich wanderte, meinen treuen Stab in der Hand ? durch alte D?rfer, durch neue Orte, durch Pl?tze, die sich gut, aber falsch anf?hlten.
Ich durchwanderte ganze Landstriche, ohne einmal innezuhalten und begab mich auf Wege, die mich zu verschiedenen Wundern f?hrten.

Bis ich an die windige K?ste Moonglows zur?ckkehrte, in den Schatten der alten B?ume, wo ich einst meine ersten Zauber gewirkt hatte.
Ich wanderte ?ber die Insel, durch Nebel und Sonnenschein.
(Ja, Moonglow hat auch gutes Wetter. Man muss nur lange genug warten. Oder sehr optimistisch blinzeln.)

Und da stand sie.
Versteckt zwischen B?umen, am Rand eines Hains, halb ?berwuchert, halb eingest?rzt ? ganz und gar verlassen.
Eine Taverne.
Zumindest war sie das mal.

Kein Name stand ?ber der T?r ? nur ein verblichenes Holzschild, halb im Gras vergraben. Ich hob es auf.
Darauf: Ein kaum noch zu erkennender Kraken, verdeckt von Patina und Zeit. Acht Arme, einer davon seltsam verdreht. Ich wischte mit dem ?rmel dr?ber.
Keine Schrift. Kein Name. Nur dieses tentakelige Wesen, das mich vage missbilligend anzusehen schien.

Es hatte Charakter.
Und niemand hinterfragte eine Krake in Moonglow ? hier hinterfragt man selten etwas, das nicht explodiert.

?Na gut??, murmelte ich, und nahm das Schild mit.

Die T?r klemmte.
Nat?rlich klemmte sie.
Ich stemmte mich dagegen, Fl?che auf den Lippen, die sogar den T?rangeln die Schamesr?te ins Holz trieben ? bis sie endlich nachgab.

Drinnen war es still. Die Art von Stille, die wartet.
Ein paar Lichtstrahlen fielen durch schmutzige Fenster und warfen staubige Muster auf die Dielen.

Mit einer Bewegung meiner Hand lie? ich ein kleines Licht entstehen ? ein schimmerndes T?rkis, das ?ber meine Fingerspitzen sprang und sich in der Luft sammelte.
Der Raum erwachte flackernd zum Leben.

Der erste Schritt setzte mich in ein Netz aus Spinnenweben.
Ich zischte leise, fuchtelte w?rdevoll mit dem Arm, stolperte gegen einen Hocker und stie? beinahe einen Krug um ? leer, aber beleidigt.
Magie macht dich nicht weniger tollpatschig, nur eleganter dabei.

Ich atmete ein.
Holz, Staub, Moos ? und etwas, das ich nicht benennen konnte.
Es roch nicht wie Verfall. Eher wie... alte Geschichten.
Nicht spannend genug, um sie sofort zu lesen. Aber so, dass man sie behutsam vom Regal nehmen w?rde.

Ich ging langsam durch den Schankraum.
Die Balken waren verzogen, die Dielen sprachen bei jedem Schritt.
Links stand ein Kamin, dar?ber ein leerer Haken ? stumm wie eine Frage, auf die niemand mehr wartete.

Ich trat n?her, stellte meinen Stab daneben: ein langer Wanderstab, einst t?rkis, nun durchzogen von einem r?tlichen Glimmen ? wie ein schlechtes Gewissen unter der Beize.
Dann hob ich, einer Laune folgend, das alte Schild empor und h?ngte es an den Haken.
Der Krake darauf blickte mich nicht an.
Er war einfach da.

Ich sagte nichts. Ich setzte mich auf den Tresen.
Schaute mich um.
Es war eine Ruine.
Und ich liebte sie sofort.

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Ich blieb.
Nicht weil es vern?nftig gewesen w?re.
Oder bequem.
Oder ?berhaupt irgendeinem Plan entsprochen h?tte.
Aber manchmal sp?rt man einfach, dass man angekommen ist ? auch wenn der Ort nach feuchtem Holz und Entt?uschung riecht.

Also beschloss ich: Wenn ich schon bleibe, dann wird?s wenigstens warm.

Im Lager fand ich einen Haufen altes, aber brauchbares Holz ? trocken genug, um zu brennen, feucht genug, um eine Herausforderung zu sein.
Ich schleppte es in den Schankraum, schichtete es sorgf?ltig im Kamin auf.

Dann sa? ich davor. Und rieb zwei Steine aneinander.
Es war... romantisch gedacht.
Nach drei Funken und einem angesengten ?rmel wurde mir klar: Das hier war keine Pr?fung der G?tter, sondern einfach ein verstopfter Schornstein.

Also murmelte ich doch.
Ein kleiner Windzauber, direkt durch den Kaminschacht.
Ein halbes Vogelnest plumpste mir vor die F??e, der Rauch zog endlich sauber ab.
Ich schnippte mit den Fingern, das Feuer erwachte mit einem leisen Fauchen.

Nicht elegant ? aber effektiv.
Der Raum wurde w?rmer. Ein kleines bisschen weniger verloren.
Ich streckte die H?nde zum Feuer aus, dann stand ich auf.

?Jetzt wird geputzt!? Sagte ich ? mehr mir selbst als der Welt.
Und ich tat es.
Mit B?rste, Besen und einer Menge sehr gew?hlter Fl?che.

Ich schwor mir, keine Magie zu verwenden.
Zumindest nicht sichtbar.
Zumindest nicht viel.

Staub. ?berall Staub.
Er hatte offenbar Generationen gebildet, kleine Republiken in Ecken gegr?ndet und sich mit den Spinnweben verb?ndet.

Der Staub wich, langsam.
Der Boden kam zum Vorschein.
Und mit ihm... eine gewisse W?rde.

Hinter einer alten T?r entdeckte ich das Lager.
Dunkel, aber vielversprechend.
Ich schuf ein weiteres kleines Licht, lie? es durch die Regale tanzen.

Und da ? zwischen Spinnweben, gesplitterten Kisten und vergilbten Etiketten ? stand es.
Ein einzelnes, rundes Fass.
Ich trat n?her, klopfte dagegen. Dumpf, aber satt.
Ein pr?fender Blick, ein winziger Zauber.
Apfelmost.
Nicht vergoren. Nicht verflucht.
Nur vergessen.

Ich l?chelte. Und wollte es zum Tresen rollen.
Ganz ohne Magie.
Ehrlich.
Wirklich.

Ich stemmte. Es quietschte. Ich fluchte. Es bewegte sich eine Handbreit.
Vielleicht zwei.
Dann? lie? ich es ein wenig schweben.
Nur ein ganz klein wenig.
Ein winziger Impuls. Niemand h?tte es bemerkt.

Ich stellte es hinter den Tresen.
Setzte einen Hahn an.
Zapfte.
Probierte.

Es schmeckte.
Nach Sommer.
Nach Freiheit.
Nach der Art von Tagen, die leise beginnen und sanft enden.
Nach ?Bleib noch ein wenig.?

Oben richtete ich ein Zimmer her ? das am wenigsten muffige.
Ein Bett. Ein Fenster. Frische Decken.
Kein Zauberstab. Kein Ritual. Nur Schwei?, Seife und ein besiegter Schrank.

Tage vergingen, leise und fast unbemerkt.
Ich sprach mit Horst, dem Krug.
Ich las mein Notizbuch.
Ich h?rte dem Wind zu.

Dann, an einem verregneten Nachmittag, ging die T?r auf.
Ein gro?er, schweigsamer Mann trat ein.
Der Bart ein wenig verstrubbelt, der Blick ruhig.

Er sah sich um.
Ging zum Tresen.
W?hlte einen Stuhl.
Setzte sich.
Knrrrk.

Er hielt inne. Stand auf.
Zog aus seiner Manteltasche einen winzigen Hammer ? fast zierlich.
Dann einen Keil.
Er setzte ihn zwischen Sitzfl?che und Stuhlbein. Tock.

Das Ger?usch war kaum zu h?ren ? aber das Knarren war verschwunden.
Der Hammer verschwand wieder in der Tasche.
Der Mann setzte sich.
Ich stellte ihm ein Glas Most hin.
Er trank.
Nickte.
Und irgendwann, ohne ein Wort, verschwand er wieder in den Regen.

Ich stand da.
Wieder allein.
Aber nicht mehr ganz verloren.

Vielleicht war das hier der Anfang.
Einer Geschichte, die nicht in Fu?noten endet.
Zuletzt geändert von gelöschter Charakter_271 am 19 Mai 2025, 22:58, insgesamt 5-mal geändert.
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Saiten, Staub & ein seltsames Schlaflied ? oder: Wie ich lernte, das G?stezimmer zu teilen

Beitrag von gelöschter Charakter_271 »

Episode II
?Saiten, Staub & ein seltsames Schlaflied ? oder: Wie ich lernte, das G?stezimmer zu teilen?
Erz?hlt von Bareti, Wirtin in seltsamer Gesellschaft

Es war kein Ansturm. Keine langen Schlangen, keine ?bervollen B?nke, kein betrunkener Gesang unter der Decke. Aber... es kamen Menschen.
Oder zumindest Personen mit Durst, und das war in meinen Augen nah genug dran.
Einer der ersten war ein Fischer. Der schweigsame Typ mit wettergegerbtem Gesicht, das aussah, als habe es seit drei Jahrzehnten Wind, Wellen und schlechtes Essen getrotzt.
Er trank zwei Gl?ser, dann sah er mich an, als h?tte ich ihm lauwarmen Nebel serviert.
?Da fehlt was?, murmelte er, und schob das Glas zur?ck.
Ich holte den Apfelmost aus dem Lager ? das leicht ?berreife Fass, das ich schon in meinen ersten Tagen hier entdeckt hatte. Ein paar Spritzer Zitrus, etwas Sternanis, ein Hauch Magie ? der Fischer trank, nickte, sagte: ?Besser.?
Ich nannte es Hausmarke.
Ich machte ein Schild. Kein gro?es ? nur ?offen? in wackligen Buchstaben. Es hing schief. Ich lie? es so.

Am Tag darauf erschien eine Frau mit einem Kr?uterkorb, der aussah, als trage er ein ganzes Biotop spazieren. Sie sagte kein Wort, schnupperte nur einmal, sah auf den Most, sah auf mich ? und ich reichte ihr zwei Flaschen.
Sie lie? ein paar Silberst?cke zur?ck, l?chelte und ging.
Ich z?hlte es als Sieg.

Langsam wirkte es so, als k?nnte aus dieser Taverne wirklich etwas werden. Kein Zentrum der Weltpolitik, keine Sch?nke voller Spione, aber vielleicht ein Ort, an dem Leute auftauchten, um... zu atmen.
Vielleicht sogar, um zu bleiben.
Und genau da kam er.

Nicht mit Pauken und Fanfaren, sondern mit einem leisen Lied auf den Lippen und einer abgewetzten Laute auf dem R?cken. Ein Wanderer, der aussah, als habe er mehr Stra?en unter den F??en als Haare auf dem Kopf ? und Letzteres war immerhin beachtlich.
Er bestellte nichts, setzte sich einfach und begann zu spielen.

Er spielte keine Lieder, die man kannte ? weder Trinklieder noch Hymnen. Seine Musik klang wie ein Gespr?ch mit der Luft.
Und dann begann er zu erz?hlen.
Von St?dten, die im Regen dufteten. Von B?umen, die sangen, wenn man schlief. Von einer Katze, die angeblich einmal eine Bibliothek leitete.
Und obwohl ich wusste, dass fast alles davon erfunden war, lauschte ich. Wie alle anderen auch.

Am Ende seiner Erz?hlung blickte er mich an ? mit diesen warmen, leisen Augen, die Leute manchmal haben, wenn sie schon zu viele Geschichten in sich tragen.
?Ich habe kein Geld?, sagte er. ?Aber ich zahle in Geschichten. Und in Liedern, wenn gew?nscht.?
Ich sah ihn lange an. Dann blickte ich hoch zum oberen Stock, wo das G?stezimmer lag.
Ich erinnerte mich an diesen Entschluss ? irgendwo zwischen einem Krug Most und einem melancholischen Moment vor dem Kamin ?, dass ich der Welt mehr Ja sagen wollte.
?Nur f?r eine Nacht?, sagte ich.
Er verneigte sich.
Und l?chelte.

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Doch nachdem die letzten G?ste gegangen waren, die Taverne sich wieder in diese stille, atmende Ruhe senkte, und der Barde weiter auf seiner Laute spielte, wurde mir bewusst:
Ich hatte vergessen, mir selbst eine Alternative zu ?berlegen.
Ich bereitete das Zimmer so gut vor, wie es ging ? frische Decke, ein Fensterspalt f?r den Klang der Zikaden. Er dankte mit einem Blick, als h?tte ich ihm ein K?nigsgemach ?berlassen. Ein nobles Opfer, fand ich ebenfalls.
Ein Anflug von Gro?z?gigkeit, der mich selbst etwas ?berraschte.

Die anderen G?stezimmer? Nein. Ich erinnerte mich noch gut an das erste ? wie viele Beine, Fl?gel und Z?hne es einst behaust hatten. Ich hatte zwei volle Tage gebraucht, bis es bewohnbar war. Und so viel Enthusiasmus versp?rte ich jetzt, mitten in der Nacht, wirklich nicht.
Also rollte ich mir eine Decke zusammen, schnappte mir ein Kissen und lie? mich im Schankraum nieder ? direkt auf der Bank neben dem Kamin. Das Feuer war l?ngst heruntergebrannt, aber die Steine gaben noch W?rme ab.
Der Holzduft, das leise Knacken des abk?hlenden Raumes, und die tr?ge Dunkelheit machten es fast? heimelig.
Fast.

Ich war m?de. Mein R?cken war es weniger. Die Bank hatte Charakter ? sprich: sie quietschte bei jeder Bewegung und versuchte, mir einen Splitter als Andenken zu schenken.
Die Taverne war ruhig.
Aber nicht leer.
Oben h?rte ich das Knarzen von Dielen. Dann Musik. Leise.
Kein Lied, das man kennt. Kein Reim, keine Melodie, die einen mitzieht.
Sondern T?ne, die flackerten. Wie Licht durch ein schmutziges Fenster.
Die klangen wie? Erinnerung.
Nicht meine. Nicht seine. Vielleicht geh?rten sie einfach der Taverne.

Ich lag wach. Nicht unruhig. Nicht ganz wach. Nur? lauschend.
Und irgendwann d?mmerte mir, dass ich genau das gesucht hatte.
Etwas, das nicht mit Zaubern kam.
Etwas, das durch T?ren trat, wenn man es nicht erwartet.

Aber irgendwann muss ich eingeschlafen sein.
Und dann tr?umte ich.

Ich tr?umte, dass der Schankraum lebendig wurde.
Die Tische wippten im Takt, die St?hle klapperten rhythmisch mit den Lehnen, und die Theke ? meine irgendwie lieb gewonnene, schiefe Theke ? schnarrte ein tiefes Bass-Summen.
Aus dem Kamin stieg nicht nur Rauch, sondern Musik.
Und auf dem gro?en Sims ?ber dem Feuer sa? ? mit verschr?nkten Tentakeln ? eine Krake.
Sie spielte Harfe.

Ich wei? nicht, wie viele Arme eine Krake zum Harfenspiel braucht, aber in meinem Traum hatte sie exakt genug. Ihre Tentakel glitten ?ber die Saiten wie Seide ?ber Haut.
Die Melodie war? tr?stlich.
Etwas zwischen Wiegenlied und Abschied.
Und die M?bel sangen mit.
Keine Worte ? nur T?ne.
Als h?tte die Taverne selbst etwas zu sagen.

Und zum ersten Mal f?hlte ich mich nicht nur als Bewohnerin dieser Mauern.
Sondern als Teil von ihnen.


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Als ich erwachte, war es still. Keine Musik. Kein Murmeln. Kein knarzender Schritt ?ber mir. Nur die Sonne, die sich zaghaft durch das schiefe Fenster schob, als wollte sie fragen, ob sie schon st?ren d?rfe.
Ich richtete mich auf, rieb mir den Nacken und verzog das Gesicht. Meine Wirbel knirschten wie altes Pergament.
Dann sch?pfte ich mir halb schlafend das Wasser aus dem Krug und wusch mir das Gesicht, ohne gro? dar?ber nachzudenken, dass ich einst in klaren Quellen magischer W?lder gebadet hatte.
Heute: Zinnkanne. Schankraum. Lebensziel unklar.

Ich ging nach oben.
Der schmale Flur antwortete mit leisem Dielenknarren auf meine Schritte, als w?rde er sich wundern, warum ich nicht durch eine Dimensionst?r kam.
Ich ?ffnete die T?r zum G?stezimmer. Vorsichtig.
Leer.
Aber...

Das Bett war ordentlich gemacht, faltenfrei. Sogar das Kissen war ordentlich ausgesch?ttelt.
Auf dem kleinen Nachttisch lagen ? nichts. Keine M?nze, kein Zettel, nicht einmal ein poetisch hingeworfenes G?nsebl?mchen.
Ich runzelte die Stirn. ?Ordentlicher als ich...?.
Der Mann war fort. Einfach so. Ohne Abschied, ohne Gedicht, ohne weitere Erkl?rung.

Ich schloss die T?r hinter mir, ging die knarzende Treppe hinab ? mit diesem leichten, pochenden Gef?hl im Magen, das man bekommt, wenn man wei?, dass man irgendetwas ?bersehen hat.
Und dann sah ich sie, ?ber dem Kamin.
Auf dem gro?en, ru?geschw?rzten Sims, unter dem Schild mit der alten, kaum zu erkennenden Krake.
Eine Harfe.

Sie stand da, als h?tte sie schon immer dazugeh?rt.
Ihr Holz war dunkel, leicht verwittert, mit feinen Kerben. Die Saiten schimmerten im Morgenlicht, und am Hals verliefen eingeritzte Zeichen, die ich nicht kannte. Keine Magie, zumindest keine, die ich greifen konnte ? nur Bedeutung, die sich hartn?ckig jeder Analyse verweigerte.
Ich trat n?her. Ber?hrte sie nicht ? ich wagte es nicht.
Aber in meinem Kopf spielte sie bereits.
Eine Melodie, irgendwo zwischen Abschied und Willkommen ? als k?nnte jedes Ohr etwas Eigenes darin h?ren.

Und f?r einen Moment war ich mir nicht sicher, ob ich tr?umte.
Oder ob die Taverne selbst wieder sang.

Ich lie? die Harfe dort, wo sie stand.
Nicht aus Angst, sie zu besch?digen ? sondern aus Respekt.
Als w?re sie mehr als ein Instrument.
Als h?tte der Barde nicht nur Saiten zur?ckgelassen, sondern etwas, das zwischen diesen Mauern Wurzeln schlagen konnte.

Ich stapelte neue Holzscheite im Kamin, entz?ndete das Feuer und h?ngte einen Wasserkrug dr?ber. Dann fegte ich den Schankraum, ordnete ein paar Kr?ge.
Die Taverne wirkte? anders.
Nicht voller.
Aber wacher.
Und ich?
Ich war noch immer mittendrin in all dem.
Drau?en wurde es langsam heller.
Ein neuer Tag begann.
Und vielleicht, ganz vielleicht, war es der erste, an dem ich nicht nur ankam ?
sondern blieb.
Zuletzt geändert von gelöschter Charakter_271 am 12 Mai 2025, 22:19, insgesamt 2-mal geändert.
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St?hle, Sp?ne & Sp?tschichten ? oder: Wie ich lernte, Hilfe anzunehmen

Beitrag von gelöschter Charakter_271 »

Episode III
?St?hle, Sp?ne & Sp?tschichten ? oder: Wie ich lernte, Hilfe anzunehmen?
Erz?hlt von Bareti, Wirtin mit zwei linken H?nden, aber drei Ersatzf?ssern

Der Abend war still. Still genug, dass ich das Knistern des Holzes in der Feuerstelle z?hlen konnte. Zwei G?ste waren es heute gewesen. Eine H?ndlerin mit m?den Augen und ein Seemann mit zu vielen Geschichten. Beide hatten l?ngst den Heimweg oder das Heulager gefunden, und ich war geblieben ? wie immer zuletzt.

Ich sa? auf einem Fass. Nicht aus Faulheit, sondern aus Not. Einer der wenigen St?hle hatte vorhin unter besagtem Seemann kapituliert. Ein Bein nachgegeben, mit einem dumpfen Knacken. Er war nicht b?se gewesen, eher ?berrascht. Ich auch.

Also hockte ich da. Vor mir: der Stuhl. Oder besser: das, was von ihm ?brig war. Ich hatte ihn auf den R?cken gelegt, wie ein verwundetes Tier. Zwei Holzd?bel lagen neben mir, einer davon gesplittert. In der Hand: ein St?ck Bindfaden, das ich naiverweise als "Notl?sung" bezeichnen wollte.

?Das ist keine Reparatur?, murmelte ich. ?Das ist ein Denkmal meiner ?berforderung.?

Ich ?berlegte gerade, ob ich ihn einfach als Brennholz in Betracht ziehen sollte, da h?rte ich es: Schritte. Nicht hastig. Nicht zaghaft. Nicht wie jemand, der versehentlich eintritt ? sondern wie jemand, der ankommt.

Da ?ffnete sich die T?r. Ganz ruhig. Ohne das Z?gern eines Unbekannten. Und das, obwohl ich sie ganz sicher verriegelt hatte.

Ein Mann trat ein. Gro? gewachsen, mit einem Umhang, der den Staub der Stra?e in dicken Schichten trug. Die Kapuze lie? sein Gesicht im Schatten, aber seine Haltung verriet keine Bedrohung ? nur Zielstrebigkeit. In seiner linken Hand trug er eine Laterne. Alt, mit get?ntem Glas, durch das ein warmer Schein drang, der sich mit dem Feuerschein im Raum vermischte, als w?re er schon immer hier gewesen.

?Verzeiht die sp?te St?rung?, sagte er mit einer kratzigen, aber tragenden Stimme. ?Ich war unterwegs? und dann war da diese Laterne.? Er hob sie leicht. ?Lag einfach am Wegrand. Ich hatte das Gef?hl, sie wolle mir etwas zeigen.?

Ich stand auf ? mein Fass ?chzte ? und trat einen Schritt vor. ?Ihr seid willkommen. Das Feuer ist noch warm, die Getr?nke k?hl.?

Er nickte, trat ein und blickte sich um. Die Theke, die Kerzenreste, der schiefe Hocker. Dann blieb sein Blick an dem Stuhl h?ngen, an dem ich gescheitert war.

?Ein lebendiger Ort?, murmelte er. ?Noch im Aufbau. Aber mit Herz.?

Ich deutete auf einen der wenigen heilen St?hle.

?Setzt euch. Der da kippt nicht mehr ? ein Schmied hat ihn gerettet. Ich hab noch einen Krug Most, wenn Ihr m?gt.?

?Most ist gut.? Er trat an den Kamin, stellte die Laterne auf den Sims, als w?rde sie dorthin geh?ren, und setzte sich dann. Nicht schwerf?llig, aber mit Bedacht.

Ich brachte ihm den Krug, beobachtete, wie er einen Schluck nahm. Dann schaute er erneut auf den kaputten Stuhl.
?Der hat schon bessere Tage gesehen.?

?Er ist nicht der erste, der heute aufgibt?, antwortete ich trocken.

?Darf ich?? Er deutete auf das schiefe Bein.

Ich nickte. Er nahm es auf, drehte es in den H?nden. ?Nicht unrettbar. Nicht gebrochen, nur nach Faserrichtung gesplittert. Ein wenig Leim, ein neuer D?bel.?

?Klingt nach Erfahrung.?

Er zuckte leicht mit den Schultern. ?Ich hab viele St?hle gesehen. Und manche repariert.?

Er sagte es so, als w?re das alles. Keine gro?en Geschichten. Kein Dr?ngen nach Bedeutung. Nur das, was notwendig war.
Ich lie? ihn gew?hren. Wir redeten nicht viel. Ich r?umte ein paar Kr?ge weg, legte ihm eine Decke bereit, und warf noch ein Scheit ins Feuer.

Er arbeitete konzentriert. Ohne Hast, ohne gro?e Gesten. Irgendwann h?rte ich das vertraute Knarzen des Stuhls ? diesmal fest, kein Wackeln mehr. Er hatte ihn tats?chlich repariert. Einfach so.

Er sagte: ?Das Feuer tut gut. Und der Ort.?
Ich antwortete nicht. Manchmal ist Schweigen genug.

Sp?ter, als er eingeschlafen war ? zusammengerollt auf der Bank, die Laterne noch immer auf dem Sims ?, ging ich zur T?r. Ganz ruhig. Pr?fend.
Der Riegel war ganz. Kein Knacken, kein Sprung. Ich hob ihn an. Sp?rte sein Gewicht.
Dann lie? ich ihn wieder sinken.
Man wei? nie, dachte ich, wann jemand Zuflucht braucht.

Ich schaute noch einmal zu ihm. Da lag er, ruhig atmend, ein wenig das Kinn auf die Brust gesunken. Und ich war froh, dass das G?stezimmer nicht wieder hergegeben werden musste. Noch war es mein R?ckzugsort.
Aber morgen? morgen w?rde ich das zweite herrichten.

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Er war am Morgen fort, als w?re er nie da gewesen.
Nur der reparierte Stuhl, die zusammengelegte Decke und ein Krug, gesp?lt und ordentlich an seinen Platz gestellt, blieben zur?ck. Und die Laterne ? auf dem Kaminsims, wo sie noch immer brannte, obwohl ich sicher war, dass niemand sie neu entz?ndet hatte.

Kurz fragte ich mich, ob er wahrlich hier gewesen war...

Die Tage vergingen. Ich versuchte mich wieder am zweiten G?stezimmer, was bedeutete, dass ich einen alten Teppich aussch?ttelte, mit einem Besen k?mpfte (der dabei zerbrach), und fast in einem morsch gewordenen Bettgestell versank. Ich beschloss, eine Pause einzulegen. Eine l?ngere. Vielleicht bis zum n?chsten Mondzyklus.

Der Stuhl hielt. Das war erfreulich. Weniger erfreulich war, dass zwei andere beim Anheben knarzten, als wollten sie sagen: Wir sind als N?chstes dran.

Und dann, genau drei Abende sp?ter, stand er wieder in der T?r.
Thorian. Dieselben ruhigen Schritte. Derselbe Mantel. Und diesmal... ein Handkarren.

?Ich hatte noch ein paar St?hle rumstehen?, sagte er.

Ich sagte nichts. Schaute ihn nur an. Dann auf den Wagen. Vier St?hle, fein gearbeitet, geschwungene Lehnen, stabile Beine. Und ? ich h?tte es fast ?bersehen, weil das Licht der Nachmittagssonne direkt in meine Augen fiel ? t?rkisfarbene Sitzpolster.

Nicht einfach irgendein Blau. T?rkis. Fast genau der Farbton meines Notizbuchs. Meines Wamses. Meiner Haare, wenn sie frisch gewaschen sind.

Ich verschr?nkte die Arme vor der Brust, mehr aus Reflex als aus Misstrauen.

?Zufall??, fragte ich.

?Ich bin nicht blind?, sagte er und schob den Wagen ?ber die Schwelle.
Das war alles. Keine Erkl?rung, keine Andeutung, woher er wusste, dass diese Farbe f?r mich mehr war als eine blo?e Laune. Und ich fragte nicht weiter. Irgendetwas an seiner Pr?senz verbot es, auf Antworten zu bestehen. Vielleicht war es die Laterne, die wieder leise knisterte, als h?tte sie selbst ein Leben.

Er half mir, die alten St?hle wegzustellen ? der, den ich vor zwei N?chten noch zu retten versucht hatte, war inzwischen endg?ltig auseinandergebrochen ? und stellte seine vier Neuen an den runden Tisch beim Fenster. Ich hatte dort nie einen zweiten Tisch platziert, weil mir nie mehr als drei G?ste auf einmal geblieben waren. Aber jetzt... Jetzt sah es beinahe einladend aus.

Ich ertappte mich dabei, dass ich mich auf einen der St?hle setzte, kaum dass er stand. Und noch bevor ich mich ?ber mich selbst ?rgern konnte ? zu eitel, zu sentimental ? hatte ich ein L?cheln auf den Lippen. Der Stoff war weich. Und die H?he stimmte. Meine Knie standen im perfekten Winkel zum Tisch.

?Ihr habt ein Auge f?r... Ma??, murmelte ich.

Er nickte nur.
?Und f?r Beine.?

Ich lachte. Zum ersten Mal an diesem Tag.

Sp?ter, als die Sonne hinter dem Haus versunken war und ich ?berlegte, ob ich bald zum dritten oder vierten Mal versuchen sollte, ein zweites G?stezimmer einzurichten, stand er wieder in der T?r, bereit wieder zu verschwinden.

?Ich bleibe noch ein paar Tage in der Gegend?, sagte er. ?Wenn ihr Hilfe braucht...?

Ich sah zu meiner provisorischen Werkstatt ? ehemals das Fasslager ? und dachte an die Bretter, die ich schief zusammengenagelt hatte.

?Ich brauche Hilfe?, sagte ich.
Keine Scham, kein Z?gern. Es war einfach die Wahrheit.

Er nickte. Stellte die Laterne wieder auf den Kaminsims ? sie hatte dort ihren Platz gefunden, ganz selbstverst?ndlich ? und holte aus dem Wagen eine Decke.

?Ich bleib beim Kamin.?

Ich h?tte ihm das G?stezimmer anbieten k?nnen. Aber ich tat es nicht.
Vielleicht, weil ich das letzte Mal selbst dort geschlafen hatte und die Vorstellung mochte, es weiterhin mein R?ckzugsort sei.
Vielleicht, weil er nicht fragte.

Er zog seine Stiefel aus, legte sich in den Sessel ? einen der wenigen alten, der noch nicht krachte ? und streckte die F??e auf das breite Fensterbrett. Dann warf er sich die Decke ?ber die Schultern, schloss die Augen und sagte nichts mehr.
Ich trat leise hinter den Tresen, schloss das Notizbuch, das noch dort lag, und schob es in meine Tasche. Dann ging ich zur T?r, ?berpr?fte den Riegel ? nicht aus Misstrauen, sondern aus Gewohnheit ? und lie? ihn, ganz bewusst, offen.
Ich wusste nicht, ob ich je wieder zuschlie?en w?rde.

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Ich wei? nicht mehr genau, was mich geweckt hat. Vielleicht das leise Klacken von Holz auf Holz, vielleicht das ganz zarte Licht, das durch das schiefe Fenster fiel. Vielleicht aber auch einfach der Umstand, dass ich auf einem Strohsack schlief, mit einer zusammengefalteten Decke unter dem Kopf, da die alte Matratze endg?ltig aufgegeben hatte. Wie auch immer ? ich war wach. Und die Taverne war nicht leer.

Die Laterne brannte noch immer. Nicht hell, nicht stolz, eher trotzig ? wie jemand, der geblieben ist, obwohl alle anderen gegangen sind. Ich stand auf, schl?pfte in meine alten Schuhe und ging barfu? die knarrende Treppe hinunter, die ich eines Tages ganz sicher ersetzen w?rde. Oder ersetzen lassen w?rde. Ich war schlie?lich keine Schreinerin.

In der Werkstatt ? dem alten Fasslager ? h?rte ich Thorian vor sich hin brummen. Kein Lied, nur Gedanken in Ton gegossen. Ich sah ihn nicht direkt, aber das Ger?usch von gehobeltem Holz und das gelegentliche Klopfen eines Hammers sagten mir genug. Er arbeitete. Selbstverst?ndlich. Ohne zu fragen. Ohne zu erkl?ren. Ohne Lohn.

Ich ging in den Schankraum und blickte mich um. Der zerbrochene Stuhl war verschwunden ? vermutlich schon repariert ? und auf dem Tisch lagen einige Schrauben, ordentlich nebeneinander. Der Kamin war noch warm, das Feuer fast vergangen. Ich setzte mich auf einen der neuen St?hle, t?rkis und fast zu sch?n f?r diesen Ort, und lie? meine Gedanken wandern.

Da war so viel zu tun.

Ein Fenster lie? sich nicht ?ffnen. Die T?r klemmte manchmal. Die Treppe im hinteren Flur knackte beunruhigend. Das G?stezimmer Nummer zwei war noch nicht einmal als Zimmer zu erkennen. Und da war noch dieser Dachboden, den ich bislang nur von unten kannte. Und dann? dann war da ich.

Ich f?hlte mich pl?tzlich klein. Nicht wegen Thorian ? sondern wegen des Ganzen. Der Taverne. Der Geschichte. Des Anfangs. Ich hatte so viel versucht, hinter mir zu lassen. Verantwortung. Pl?ne. Erwartungen. Und doch sa? ich nun hier, t?rkis gekleidet, mit einem Notizbuch in der Hand, das vor Ideen ?berquoll ? und das leise Gef?hl von Flucht im Nacken.
Ich klappte das Buch zu.

Dann stand Thorian da. In der T?r zur Werkstatt, ein St?ck Holz in der Hand, an dem eine fein gearbeitete Armlehne entstand. ?Willst du das Werkzeug lieber sortiert haben oder chaotisch lassen wie bisher??, fragte er. Keine Ironie. Kein Vorwurf. Nur ein schiefer Blick mit einem L?cheln, das nicht viel brauchte, um echt zu wirken.

Ich lachte. Kurz. Leise. Und dann atmete ich durch. ?Sortiert w?r vielleicht gut. Sonst finde ich den Hammer nicht, wenn ich das n?chste Mal einen Stuhl zerdenke.?

Er nickte. Und verschwand wieder in der Werkstatt.

Ich ?ffnete mein Notizbuch erneut. Notierte:
?G?stezimmer #2 ausmessen. Dielen pr?fen. Frische Matratze organisieren, Bettw?sche. Farbe??
Dann strich ich das Fragezeichen.
T?rkis.
Nat?rlich.

Sp?ter sa?en wir schweigend am Tisch. Der Tee dampfte. Die Laterne stand auf dem Kaminsims und warf ein sanftes Licht in den Raum. Es war kein gro?es Schweigen. Kein bedeutungsschweres. Es war einfach da ? wie zwei Menschen, die genug zu tun hatten, um Worte nicht zu brauchen.

Ich blickte auf die St?hle. T?rkis. Weich. Wunderbar fehl am Platz ? genau wie ich.
Und in diesem Moment dachte ich: Vielleicht wird das hier wirklich etwas.
Nicht perfekt. Nicht schnell. Aber echt.
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Zapfh?hne, Zwiebeln & Zwergensinn ? oder: Wie ich lernte, den Tresen zu teilen

Beitrag von gelöschter Charakter_271 »

Episode IV
?Zapfh?hne, Zwiebeln & Zwergensinn ? oder: Wie ich lernte, den Tresen zu teilen?
Erz?hlt von Bareti, Wirtin mit Wams, W?rde und wachsendem Verst?ndnis

Der Wind hatte an Fahrt aufgenommen. Er fuhr durch das lose Geb?lk ?ber dem Seiteneingang, lie? die alten Schindeln klappern und trug den Geruch von nahendem Regen mit sich ? feucht, eisenhaltig, schwer. Ich stand an der T?rschwelle, eine Hand am Rahmen, die andere um einen Krug gelegt, in dem mein Most langsam zu warm wurde. Ale war nie meins gewesen, und Bier? naja, das ?berlie? ich lieber jenen, die sich mit Schaumkr?nzen auskannten.

Seit Stunden hatte sich niemand blicken lassen. Nicht einmal ein verirrter Wanderer oder ein durstiger Kr?henfu?. Ich seufzte leise und betrachtete mein halb geleertes Glas.

Vielleicht war ich meine beste Kundin.

Ich dachte gerade dar?ber nach, ob ich das schiefe Schild ?ber der T?r nicht doch endlich neu aufh?ngen sollte ? es hing seit Tagen schief, und eigentlich st?rte es mich nur, wenn ich nichts zu tun hatte ?, als sich hinter der Biegung etwas bewegte.

Kein Pferd. Kein Wagen. Zu tief. Zu langsam. Und zu eigenwillig im Gang.

Ein gedrungener Schatten l?ste sich vom staubigen Weg und trat n?her. Der Wind spielte mit einem Zipfel seines Mantels, doch der Rest wirkte, als h?tte ihn seit Stunden nichts mehr bewegt. Breitbeinig kam er die letzten Schritte auf den Hof, mit dem Gleichmut eines Wesens, das sich von steinigen Wegen nicht beeindrucken lie?. Der Bart wirkte wie eine R?stung. Die Nase war rot vom Wind. Die Augen aufmerksam, aber nicht neugierig ? eher so, als h?tte er bereits gewusst, was ihn erwartet.

Er blieb stehen. Sah mich an. Sagte nichts.

Ich hob meinen Krug in einer halbherzigen Geste. ?Wenn Ihr den Regen schlagen wolltet, seid Ihr gerade rechtzeitig.?

Er brummte. Es mochte Zustimmung gewesen sein. Dann fiel sein Blick auf das Schild ?ber mir. Es hing schief.

Er hob leicht die Brauen. ?Hm?, machte er nur. Ich sah nach oben. Nat?rlich, das Schild. ?Ich nenn?s? rustikalen Charme.?

Er schnaufte leise, sah mich wieder an. ?Du schenkst aus?? ?Wenn Ihr trinkt.? Ein Nicken. Mehr nicht.

Dann trat er an mir vorbei, als geh?re ihm der Ort ? nicht unh?flich, aber selbstverst?ndlich. Ich folgte ihm mit einem kurzen Blick, strich mir den Saum meines t?rkisfarbenen Wams glatt, schloss die T?r hinter uns und lie? den Wind drau?en.

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Drinnen ging er zielstrebig zur Theke, als h?tte er sie schon einmal gesehen. Er setzte sich auf den mittleren Hocker ? den, der nicht wackelte ? klopfte einmal mit der Faust auf das Holz und sagte nur ein Wort:

?Bier.?

Kurz musste ich grinsen. Erst vor wenigen Tagen hatte ich begonnen, mein Sortiment zu erweitern ? ein dunkles Bier aus Moonglow war neu im Keller, f?r jene G?ste, die weder Most noch Wasser oder Tee mochten. Dass es nun bestellt wurde, f?hlte sich an wie ein kleiner Sieg.

Ich stellte meinen Krug ab und trat hinter die Theke. Der Zapfhahn klemmte leicht, wie immer. Ich begann einzuschenken ? ruhig, bed?chtig, mit dem Schwung, den ich f?r richtig hielt.

Er nahm das Glas, sah hinein... runzelte die Stirn. Trank. Und stellte es ab.

?Falsch.?

Ich blinzelte. ?Entschuldigung??

?Falsch eingeschenkt. Das ist...? ? er wedelte mit der Hand ? ?...nicht richtig. Der Schaum ? zu viel. Und du hast den Zapfhahn zu fr?h abgezogen.?

?So hab ich das immer gemacht. Hat nie jemand gest?rt.?

?Mich st?rt?s.?

Er ging um den Tresen herum, nahm mir den Krug aus der Hand, stellte das Glas beiseite, griff nach einem frischen. Ich wollte etwas sagen, doch es war zu sp?t. Der Zwerg griff zum Zapfhahn, murmelte etwas, drehte pr?fend und justierte ihn neu. Dann erst zapfte er. Ernst. Pr?zise. Als w?re Bier eines der Elemente, das von der Welt in Balance gehalten werden musste.

Als das Glas vor mir stand, war der Schaum perfekt. Der Geruch kr?ftiger. Die Farbe goldener, irgendwie.

?Da?, sagte er nur, ging wieder zum Hocker und setzte sich, trank.

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Der Zwerg sagte nichts weiter. Ich beobachtete, wie sein Blick durch den Raum glitt ? absch?tzend, fast pr?fend, als w?rde er sich ein Bild davon machen, wie stabil die Balken ?ber ihm waren.

Ich h?tte beleidigt sein k?nnen. War ich vielleicht auch, ein wenig. Aber irgendetwas an der Art, wie er zapfte ? dieses stoische Selbstverst?ndnis, als sei das Einschenken eine jahrhundertealte Kunst ? lie? mich schweigen.

?Ihr macht das ?fter, was??, murmelte ich.

Er brummte. Das konnte alles bedeuten ? Zustimmung, Gleichg?ltigkeit, Hunger. Vielleicht alles zugleich.

?Und was macht Ihr sonst, Herr Zwerg? Wenn Ihr gerade nicht Wirte belehrt??

Keine Antwort. Stattdessen nahm er einen weiteren Schluck, musterte die Theke, als wolle er sie nachbessern, und wischte mit einem Finger ?ber eine Stelle, die ? zugegeben ? ein wenig mehr Aufmerksamkeit verdient h?tte.

?Hm?, machte er wieder.

Ich rollte innerlich die Augen und griff nach einem Tuch. Was auch immer ich erwartet hatte ? Konversation war es offenbar nicht.

Da ?ffnete sich die T?r erneut. Der Wind brachte eine Ladung k?hler Luft mit sich und einen vertrauten Geruch nach Fisch, Seetang und einem Hauch von nassem Leder.

?Lady Bareti!?, rief der Fischer, bevor er ganz eingetreten war, ?ein Glas von deiner Hausmarke, wenn?s recht ist.?

Ich l?chelte. Der Fischer kam unregelm??ig, aber wenn er kam, wusste er, was er wollte ? und blieb selten lange. Ich griff unter den Tresen nach dem schweren Tonkrug, in den ich am Morgen frischen Most aus dem Fass gezogen hatte ? mein Versuch, ihn mit ein paar Kr?utern dezent zu verfeinern. Der Duft war leicht s?uerlich, mit einer warmen Note. Ich schenkte dem Fischer ein Glas ein, ohne zu hetzen.

Er trat an die Theke, warf einen fl?chtigen Blick zum Zwerg, sagte aber nichts. Der Zwerg auch nicht. Er trank schweigend weiter.

Der Fischer nahm sein Glas, nickte mir zu, lehnte sich an den Tresen.

?Schmeckt wie immer. Und das mein? ich gut.?

Ich erwiderte das Nicken und ging um den Tresen herum, um am Kamin ein neues Scheit nachzulegen. Das Holz knackte leise, als es auf die Glut traf.

Hinter mir h?rte ich das dumpfe Ger?usch, als der Zwerg seinen Krug auf dem Tresen abstellte. Leer. Ich drehte mich halb um, da kam schon die n?chste Frage:

?Hast du Zwiebeln??

Ich blinzelte. ?Zwiebeln??

Ein Brummen. Mehr nicht.

Ich zuckte die Schultern und ging in Richtung K?che. Die T?r quietschte leise in der Angel, als ich sie aufzog.

Kaum war ich au?er Sicht, h?rte ich das vertraute Knarzen des Zapfhahns. Keine Hektik, kein Z?gern. Er zapfte. Wieder. Als sei es sein gutes Recht.

Als ich zur?ckkam, stellte ich ein kleines Brett, ein Messer und ein Netz Zwiebeln auf den Tresen ? direkt vor mir, bereit, sie zu schneiden.

Noch ehe ich den ersten Griff getan hatte, streckte der Zwerg die Hand aus, nahm sich eine Zwiebel, drehte sie langsam in den Fingern und entfernte die Schale mit einer ge?bten Bewegung. Kein Wort, kein Blick.

Dann biss er hinein. Roh. Ohne zu z?gern.

Der Fischer sah kurz auf, sagte aber nichts. Ich auch nicht. Es war einer dieser Momente, in denen Worte einfach keine Chance hatten gegen das, was da gerade geschah.

?Ich h?tte Euch auch gern eingeschenkt?, sagte ich beil?ufig, w?hrend ich das Messer zur Seite legte. ?Wenn Ihr gewartet h?ttet.?

Der Zwerg sagte nichts. Kaute einfach weiter.

Der Fischer hob langsam die Brauen. ?Ich wei? nicht, was beeindruckender ist ? wie er zapft oder wie er isst.?

Ich l?chelte kaum merklich. ?Beides hat? Eigenart.?

Der Fischer leerte sein Glas, klopfte es mit zwei Fingern leicht auf den Tresen. ?Ich komme bald wieder, Lady Bareti. Solange der Most so bleibt und der Zwerg nicht alles Bier trinkt.?

?Beides liegt nicht in meiner Hand?, erwiderte ich.

Er grinste, zog seinen Mantel enger und verschwand hinaus in die dunkler werdende D?mmerung.

Ich blinzelte. ??hm??

?Warst weg?, sagte der Zwerg, ohne aufzusehen.

Er zog ein weiteres Glas heran. Dann wandte er sich mir zu. ?Du brauchst dringend Zwergenbier.?

?Ich brauche was??

?Zwergenbier?, wiederholte er. ?Das Fass? das ist nett. Aber...? Er tippte auf den Zapfhahn. ?Das ist kein Bier. Das ist... fl?ssige H?flichkeit.?

?Und Zwergenbier ist... was genau??

?Eine Erfahrung?, sagte er, als w?re das eine vollst?ndige Erkl?rung. Dann wandte er sich wieder ab und bediente den n?chsten Gast.

Ich ging langsam hinter den Tresen. Der Zwerg machte mir Platz, ohne Kommentar, als w?re es selbstverst?ndlich.

Ich sah mich um. Alle waren versorgt. Niemand sah aus, als wolle er sich beschweren. Der Barde spielte, jemand lachte, und der Krake ?ber dem Kamin schien fast zu schmunzeln.

Ich sch?ttelte den Kopf ? aber ich lachte. Leise. Ein bisschen ersch?pft.

Sp?ter, als der Abend ruhiger wurde und der Barde sich verabschiedet hatte, ging ich hinauf. Das zweite G?stezimmer war mittlerweile richtig gem?tlich. Ich hatte noch einen Wandteppich aufgeh?ngt, den ich aus dem Fundus des alten Vorratsraums gezogen hatte. Es roch nach Kr?utern und Holz.

Ich blieb kurz in der T?r stehen, blickte auf das Bett, auf die ordentliche Decke, auf das kleine Fenster mit Blick zum Weg hinunter. Dann l?chelte ich.

Er hatte nicht viel gesagt. Kaum etwas eigentlich. Und doch war da mehr in seinem Schweigen gewesen als in manchem langen Gespr?ch.

Ich wusste nicht, ob er morgen wiederkam. Oder ?berhaupt wieder. Aber ich hatte ein Zimmer hergerichtet. F?r alle F?lle. F?r G?ste, die nicht viel redeten, aber blieben, wenn sie wollten.
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Zwischenspiel I ? Der erste Versuch

Beitrag von gelöschter Charakter_271 »

?Theorie und Praxis oder: Ein Anfang ist selten glanzvoll ? aber notwendig.?

Es war sp?t am Abend, als ich in den Keller der Taverne stieg, um ein neues Fass Hausmarke vorzubereiten ? und erstaunt feststellte, dass sich das gro?e, alte Fass bereits dem Ende zuneigte. Offenbar hatte sich mein hausgemachter Most bei den Reisenden in den letzten Wochen gr??erer Beliebtheit erfreut, als ich erwartet hatte. Und so stand ich da, die Kelle in der einen Hand, w?hrend die andere die kleine Lichtkugel, die ich beschworen hatte, vergr??erte. Ich murmelte: ?So viel zum Vorrat.?

Ein rascher Blick auf den verbliebenen Pegel, ein schneller Vergleich mit den letzten Schankmengen ? und ich kam zu dem wenig erfreulichen Schluss: Wenn der Verbrauch so anhielt, w?rde das Fass h?chstens noch f?r drei, vielleicht vier Wochen reichen. Sechs nur, wenn ich die G?ste mit Wasser oder Geschichten ablenkte. Keine beruhigende Aussicht.

Ich setzte mich auf den untersten Stufenabsatz und ?berlegte. Wenn ich k?nftig regelm??ig G?ste beherbergte ? und danach sah es aus ?, musste ich eine verl?sslichere Quelle f?r meine Hausmarke schaffen. Am besten eine, auf die ich mich verlassen konnte, ohne auf die Launen des Marktes oder zuf?llige Lieferungen angewiesen zu sein.

Ein Gedanke reifte. Warum nicht selbst? Richtig selbst. Kein improvisiertes Auffrischen gefundener F?sser. Kein Zukauf. Nein ? von Grund auf selbst gekeltert. In dieser Taverne, mit meinem Wissen, mit meinen Mitteln. Nicht als Magierin. Als Wirtin. Vielleicht ? mit ein wenig Hilfe von beidem.

Der Entschluss fiel mit derselben Klarheit, die ich mir f?r den k?nftigen Most w?nschte. Und noch in derselben Nacht begann ich, die ersten Schritte zu planen.

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Ich hatte gelesen. Viel gelesen. Schriften aus einem Klosterarchiv ? eine ?ber traditionelle G?rprozesse, eine weitere ?ber die Wirkung verschiedener Hefest?mme und eine dritte ?ber regionale Apfelsorten und ihre S?urewerte. Dazu eine Handschrift von Meisterin Valeira aus dem Zirkel der Alchemisten pers?nlich, die sich mit der Balance von nat?rlichen S??stoffen und deren Wirkung auf G?rverl?ufe besch?ftigte. Und schlie?lich ein altes, abgegriffenes Rezeptbuch, das ich im Fundus der Taverne entdeckt hatte ? zwischen einem Ratgeber f?r Amphibienzucht und einer Sammlung nordischer Seemannslieder.

Ich notierte mir aus jeder Quelle sorgf?ltig das Wesentliche ? in meinem t?rkisfarbenen Notizbuch entstanden Seiten voller Querverweise, Hefekennziffern, Reifezeiten, idealer Apfeldichten und S??ungsstrategien. Daneben kleine Skizzen von G?rballons, magischen Ersatzmethoden und einem eigenen Etikett.

Ich hatte einen Plan ? sorgsam geschmiedet zwischen Theorie und Tatendrang, gen?hrt von altem Wissen und neuer Notwendigkeit. Eine Vision, die ?ber blo?e Getr?nke hinausging: ein Trunk, der K?rper und Geist gleicherma?en erfrischen sollte. Ehrlich, klar, mit einem Anflug von milder S??e und der Tiefe vergessener Obstg?rten.

Ich begann bewusst ohne Magie. Der Most sollte auf eigener Kraft entstehen ? ein Zeugnis handwerklichen Verm?gens, ohne arkanen Einfluss. Als Grundlage w?hlte ich regionale ?pfel, sorgf?ltig ausgesucht, nicht zu s??, nicht zu mehlig, mit festem Fruchtfleisch. Die H?ndlerin am Markt war erstaunt ?ber meine Auswahlkriterien und bot mir schlie?lich ein altes Rezept aus ihrer Familie an ? es war rudiment?r, aber nicht ohne Charme. Ich verglich es mit meinen Quellen, kombinierte die Ans?tze und notierte einen finalen Ablauf in mein t?rkisfarbenes Notizbuch.

Das Keltern selbst war... nun, sagen wir: lehrreich. Die mechanischen Abl?ufe ? schneiden, pressen, abf?llen ? fielen mir schwerer als gedacht. Meine H?nde, sonst an Federkiel oder Zauberstab gew?hnt, rebellierten leise. Doch ich hatte auch wochenlange Erfahrung als Wirtin gesammelt: das Schleppen von F?ssern, das Reinigen von Kr?gen, das sorgf?ltige Abmessen f?r Mischungen ? all das war mir nicht mehr fremd. Es half mir nun, Schritt f?r Schritt. Und so erf?llte ich jede einzelne Aufgabe mit Sorgfalt ? einer Eigenschaft, die mir stets gegeben war und die mir schon in meiner Zeit als Magierin gute Dienste geleistet hatte.

Der Tonkrug stand anschlie?end zwei Wochen lang in einem k?hlen, dunklen Winkel der Vorratskammer. Ich widerstand der Versuchung, fr?her zu kosten ? auch das hatte ich mir fest vorgenommen. Kein Zauber, kein Eingreifen ? nur Zeit.

Als ich schlie?lich das erste Glas einschenkte, beobachtete ich die tr?be Fl?ssigkeit mit wissenschaftlicher Neugier. Der Geruch war? erdig. Der Geschmack? ?berraschend herb. Leicht g?rend. Kein Vergleich zu den Vorstellungen, die ich auf Pergament entworfen hatte.

Aus dem Augenwinkel glaubte ich fast, jemand h?tte bei meinem ersten Schluck anerkennend geschnaubt ? so, wie es manche Zwergenfreunde tun, wenn sie etwas Halbgelungenes mit einem Stirnrunzeln quittieren. Der Gedanke lie? mich schmunzeln.

Ich nahm noch einen Schluck, diesmal fast mit Trotz.?Der Most war nicht schlecht ? aber auch nicht gut. Ein Getr?nk auf der Suche nach sich selbst. Ich seufzte leise, holte mein Notizbuch hervor, schlug eine neue Seite auf und notierte:
?Ansatz zu grob. Kl?rung ungen?gend. Geschmack unausgewogen. Kein Zauber ? keine Wirkung.?
Und darunter, etwas kleiner:
?N?chster Versuch mit pr?ziserer Kontrolle der G?rung. Gegebenenfalls mit arkaner Unterst?tzung.?

Ich hatte nicht versagt. Ich hatte begonnen.
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Bandagen, B?ume & eine fl?chtige Begegnung?? oder: Wie ich lernte, in der Stille zu lauschen

Beitrag von gelöschter Charakter_271 »

Episode V
?Bandagen, B?ume & eine fl?chtige Begegnung?? oder: Wie ich lernte, in der Stille zu lauschen?
Erz?hlt von Bareti, Wirtin mit Fragen im Gep?ck und Erde an den Stiefeln

Die Sonne stand bereits tief, als ich den staubigen Besen gegen die Wand lehnte und in die Abendluft trat. Der Hinterausgang der Taverne, bislang wenig beachtet, f?hrte mich ?ber eine kleine, verwilderte Wiese ? oder besser gesagt: das, was einst wohl ein hinterer Garten gewesen war. Man erkannte ihn kaum noch, zwischen wildem Gras, verstreuten Steinen und vereinzelten, vernarbten Beeten. Doch etwas in der Anordnung, im alten Pfad, der kaum sichtbar unter Moos verlief, lie? mich innehalten. Vielleicht lie? sich hier eines Tages wieder etwas anbauen, wenn man Geduld hatte.


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Die Wiese ging in sanften Wellen in einen alten Apfelhain ?ber. Von der Taverne aus hatte ich oft seine knorrigen Silhouetten betrachtet, fl?chtige Blicke zwischen Arbeit und Abendm?digkeit. Doch bislang hatte es mir an Zeit gefehlt, ihm n?herzukommen, die Rinde zu ber?hren, das Licht zwischen seinen Zweigen einzufangen ? kurz gesagt, ihm mehr zu schenken als nur diesen kurzen Moment der Neugier.

Jetzt, mit den letzten Strahlen des Tages im R?cken, trat ich zwischen die knorrigen B?ume, die sich in losem Abstand voneinander erhoben. Ihr Laub raschelte nur leise im Wind, als hielten sie den Atem an. An den jungen Trieben hingen zarte Fr?chte ? von der Gr??e zwischen einem Stein und einem Staunen, mit einem weichen Schimmer auf der Schale. Ich strich ?ber eine davon, fast ehrf?rchtig. Der Apfel antwortete nicht, doch irgendetwas in seiner Stille des Baumes f?hlte sich wie ein Gru? an.

Moos bedeckte den Boden, in schattigen Mulden sammelte sich feuchtes Laub, und irgendwo in der Ferne sang eine einzelne Amsel. Ich ging weiter, langsam, als k?nnte ich den Ort sonst st?ren.

Zwischen den B?umen lag ein umgest?rzter Stamm, von Pilzen umrandet und fast vollst?ndig dem Erdreich ?bergeben. Ich setzte mich darauf, lie? die Gedanken treiben. An einem Ast ?ber mir pendelte ein Apfel, jung und unerfahren, noch zu gr?n, um geerntet zu werden ? und doch ein Versprechen.

Vielleicht ? dachte ich ? w?rden irgendwann meine H?nde Most aus solchen ?pfeln machen. Nicht jetzt, nicht morgen. Aber eines Tages. Wenn die Zeit reif war, die B?ume bereit und ich geduldig genug. Es war ein stiller Gedanke, der Wurzeln schlug, kaum sichtbar ? wie ein Same im feuchten Boden unter meinen F??en.

Auf dem R?ckweg zur Taverne blieb mein Blick immer wieder an den jungen ?pfeln h?ngen. Wie sie wohl sp?ter im Jahr schmecken w?rden? Vielleicht s?? und leicht herb. Ich nahm mir vor, es herauszufinden - Wenn die Zeit reif war.

Als ich die Taverne wieder vor mir sah, fiel mir eine Bewegung im Augenwinkel auf. Ein Mann ging langsam um das Geb?ude herum, pr?fte den Boden, als suche er etwas ? oder als wolle er sich vergewissern, dass er hier richtig war. Kein Gep?ck, keine Hast, nur eine stille Entschlossenheit in seinem Schritt.

Ich z?gerte nicht lange und ging ihm entgegen.

?Seid Ihr auf der Suche nach etwas??, fragte ich, und meine Stimme klang ruhiger, als ich mich f?hlte.

Der Mann hob den Kopf, als h?tte er mich nicht gleich bemerkt. Mittleres Alter, ein wettergezeichneter Umhang in den Farben der Landstra?e ? braun, grau, ein Hauch von staubigem Blau. Sein Blick lag nicht auf mir, sondern auf dem Hain hinter mir, der nun langsam in das Zwielicht glitt.

Er betrachtete mich einen Moment lang still, sein Blick blieb einen Herzschlag l?nger als gew?hnlich an meinem Gesicht haften. ?Verzeiht?, sagte er dann, ?aber Ihr wirktet eben ? als w?rt Ihr nicht ganz hier gewesen. Fast wie jemand, der einem alten Lied lauscht, das keiner mehr spielt. Habt Ihr getr?umt??

Ich sch?ttelte den Kopf. ?Ich bin wach.?

?Aber nicht ganz hier.?

Ein unsicheres L?cheln umspielte meine Lippen. ?Ist man das je??

Er nickte langsam. ?Ich kenne das. Etwas zu wissen, das man nicht wissen kann. Jemanden zu vermissen, den man nie traf. Erinnerungen... wie Schatten von Licht, das nie schien.?

Ich schwieg, aber etwas in mir regte sich bei den Worten.

?Ihr seid nicht von hier, oder??, fragte ich schlie?lich.

?Ich bin immer unterwegs. Auf der Suche. Nach Momenten.?

?Und habt Ihr einen gefunden??

Er sah zum Apfelhain. ?Vielleicht. Ihr habt das nicht angelegt, oder??

?Nein. Der Hain war bereits hier, als ich kam.?

?Dann ist er wie Ihr?, sagte er. ?Er tr?gt Fr?chte, ohne dass jemand darum bat.?

Ich lachte leise. ?Ein h?bsches Bild.?

Er schwieg einen Moment, als wolle er noch etwas sagen, doch die Worte verlie?en ihn nicht. Dann trat ein leichtes Bedauern in seinen Blick, kaum merklich, wie ein Schleier aus Dunst im fr?hen Morgen. Schlie?lich wandte er sich ab. ?Ich sollte gehen?, sagte er leise, als spr?che er nicht zu mir, sondern zu sich selbst ? oder zu jemandem, den nur er sehen konnte.

Er machte ein paar Schritte, hielt dann inne. Ohne sich umzudrehen, sagte er leise: ?Ich habe etwas dagelassen. Nicht f?r jetzt ? vielleicht f?r sp?ter.?

Ich blieb unsicher einen Moment stehen, sah ihm nach, wie er langsam im Zwielicht verschwand ? kein hastiger Schritt, kein Blick zur?ck. Nur dieser Satz, in seiner Schlichtheit beinahe z?rtlich.

Aber es war sein fr?herer Ausspruch, der mich besch?ftigte...?Jemanden zu vermissen, den man nie traf.

Ein fl?chtiger Gedanke stieg in mir auf, wie aus einer vergessenen Ecke meines Geistes: mein einstiger Lehrling. Fragend, ungest?m, voller Licht ? und fort? Wie lange war das her, oder hatte es je stattgefunden? Noch w?hrend meine diese Erinnerung meine Gedanken umspielte, wie die Zunge eine Zahnl?cke, verflog die Erinnerung.

Der Wind zog leicht an meinem ?rmel. Ich sch?ttelte den Gedanken nicht ab, aber ich lie? ihn still neben mir stehen, wie einen alten Bekannten. Dann trat ich zur?ck ins Haus.

Als ich den Schankraum durchquerte, lag ein kleines B?ndel auf dem Tresen: getrocknete Kr?uter, sorgf?ltig in eine breite Bandage eingeschlagen, als w?re sie nicht nur Schutz, sondern Teil des Geschenks. Der Knoten war schlicht, aber fest ? wie von jemandem gebunden, der Heilung kannte, aber keine Aufdringlichkeit duldete. Beinahe wie eine Botschaft.
Kein Name. Kein Zeichen. Nur eine Geste. Ein Zeichen von Heilung.

Ich legte das P?ckchen neben die Harfe auf den Sims des Kamins. Vielleicht w?rde sie eines Tages ben?tigt werden oder ihren Weg finden, falls sie hier nicht richtig war.


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Sp?ter am Abend, als das Feuer knisterte und der Tag sich endg?ltig verneigte, trat ich an den Zwerg heran, der es sich mit einem Hocker nahe des Kamins gem?tlich gemacht hatte. Sein Becher war schwer, sein Blick wach, aber gelassen.

?Sagt, Herr Zwerg?, begann ich vorsichtig, ?dieses Zwergenbier ? ist das ein echtes Gebr?u oder nur ein sehr ?berzeugendes M?rchen??

Er lachte kurz, tief aus der Kehle, als h?tte ich ihn auf frischer Tat bei einem Scherz ertappt. ?Echt.?

?Und hat es einen Namen??

?Viele. Je nach Stamm, Berg und Braumeister. Aber fragst du nach dem guten alten Umrazim ? dann fragst du nach Geschichten, die mit Gestein beginnen und mit Donner enden.?

Ich hob eine Braue. ?Donner klingt? dramatisch.?

Er grinste breit. ?Dramatisch war nur der erste, der es auf leeren Magen trank.?

Ich setzte mich ihm gegen?ber und betrachtete den dunklen Rest in seinem Becher. ?Und niemand au?er Zwergen kann es brauen??

Er schnaubte, nicht unfreundlich. ?Niemand, der klug genug ist, es zu lassen. Zwergenbier ist mehr als Hopfen und Hefe ? es braucht Gestein, Glut und Geduld. Und manchmal ein wenig Gesang.?

?Also m?sste ich es importieren.?

?Wenn du welches findest, was nicht leicht ist ? ja.?

?Und was h?lt ein Kenner wie Ihr von Apfelmost??

Die untersetzte Gestalt zog eine Braue hoch. ?Most? Von Menschen gemacht, meinst du??

Ich nickte. ?Ich habe es versucht. Zum ersten Mal, also ein eigener Ansatz. Und heute habe ich den ersten Schluck probiert.?

Er schnaufte, stellte den Becher ab und sah mich an, als pr?fe er, ob ich scherzte. ?Daher der Geruch. Aber du lebst noch.?

?Noch ja. Der Sud ruht in einem Krug in der Speisekammer. Ich wei? nicht, ob er taugt oder nur grollt ? aber ich habe ihn mit eigenen H?nden gepresst.?

Ein kehliges Lachen rollte aus ihm heraus. ?Das ist schon mehr, als viele von sich sagen k?nnen?,?brummte er. Dann, nach einer kurzen Pause: ?Wenn du beim Most bleibst ? zeig mir, wie du es versuchst. Ich sag dir nicht, was rein muss. Aber vielleicht, wann du losl?sst.?

Es war das erste Mal, dass ich ihn so lange hatte sprechen h?ren. Seit seiner Ankunft waren seine Worte stets knapp gewesen ? ein Brummen, ein Grunzen, manchmal ein Nicken, das mehr sagte als ein Satz. Aber jetzt? jetzt lie? er mich einen Blick auf etwas Tieferes werfen. Etwas, das in ihm schwang wie ein altes Lied, das man nur singt, wenn niemand zuh?rt.

Ich wollte gerade erwidern, da fiel mir auf: So viele Worte hatte er seit seiner Ankunft nicht gebraucht. Meist grummelte er, hob eine Braue oder lie? ein kehliges Lachen h?ren ? aber dies war anders. Offen. Zug?nglich, fast zart.

Er r?usperte sich leise. ?Ulaf?, sagte er nur.

Ich sah ihn an, ?berrascht. Kein Titel, keine Erkl?rung. Nur ein Name ? wie ein Stein, der einfach da ist.

?Es freut mich, Ulaf?, sagte ich. Und das meinte ich auch so.

Dann sagten wir eine Weile nichts mehr. Aber die Stille war warm, wie das Knistern des Feuers, das sich zwischen uns legte wie eine Decke, die keiner von uns aussprechen musste.?Ich sah wieder in die Glut, in der das Licht tanzte wie der Gedanke, der sich nun nicht mehr scheu anf?hlte, sondern vertraut. Vor meinem inneren Auge glitt der Apfelhain vorbei, das leise Rauschen der Bl?tter, die zarten Fr?chte im Abendlicht.
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Sand, Schatten & ein seltsames Stillstehen ? oder: Wie ich lernte, dass Dinge manchmal ihren Weg selbst finden

Beitrag von gelöschter Charakter_271 »

Episode VI
?Sand, Schatten & ein seltsames Stillstehen ? oder: Wie ich lernte, dass Dinge manchmal ihren Weg selbst finden?
Erz?hlt von Bareti, Wirtin zwischen Dingen, die sich selbst finden ? und Menschen, die bleiben

Moonglow d?mmerte. Kein besonderer Tag, kein gro?es Ereignis ? nur das vertraute Rauschen der Wellen, das gelegentliche Knarzen der Fensterl?den und der unverkennbare Duft nach altem Holz, Seeluft und der neuesten misslungenen Hafersuppe, die sich trotzig am Topfboden festkrallte, als wolle sie ein Mahnmal kulinarischer Selbst?bersch?tzung sein.

Ich sa? auf der Schwelle meiner Taverne, die ich immer noch *nicht* umbenannt hatte. Der Name war nie geplant gewesen, nur stehen geblieben. Und doch f?hlte sich ?Die Taverne? allm?hlich an wie eine Wahrheit, die sich selbst gefunden hatte.

Mein Blick lag auf dem Pfad, den Thorian vor Tagen entlanggegangen war. Er war bisher nicht zur?ckgekommen. Vielleicht w?rde er das eine Weile nicht tun, aber ich wusste, dass sich unsere Wege wieder kreuzen w?rden.

?Trotzdem besser als alles, was ich mit Magie je zusammengepfuscht habe,? murmelte ich und nippte an einem Becher, dessen Inhalt eher Sud als ein Most war ? s?uerlich, tr?b und so unentschlossen wie meine ersten Braunotizen. Eine bittere Erinnerung daran, dass manche Dinge sich eben nicht bannen, beschw?ren oder besch?nigen lassen. Schon gar nicht Geschmack.

Ich hatte versucht, den Rest der alten Hausmarke mit meinem ersten eigenen Ansatz zu strecken. Nat?rlich misslang dies gr?ndlich. Das Ergebnis war gerade so trinkbar ? selbst f?r meine eigenen Anspr?che eigentlich ungen?gend. Doch aus Trotz trank ich es lieber, als mir ein vollst?ndiges Versagen einzugestehen. F?r G?ste allerdings w?re es ein diplomatischer Zwischenfall in Krugform gewesen. Und obwohl ich nicht viele G?ste hatte, mochte ich die wenigen umso mehr ? und h?tte ungern jemanden mit einem missgl?ckten Sud vergrault.

In meinem Notizbuch hatte ich sp?ter vermerkt:
?Notiz: Der Versuch, Gutes mit Schlechtem zu strecken, ruiniert beides. Erkenntnis: Selbst schlechte Magie verdirbt nicht zwangsl?ufig den ganzen Kreis ? schlechter Sud aber jedes Ma?.?
Ich trat schlie?lich wieder hinein. In der Stille, die hinter mir lag, knarzte das Holz unter meinen Schritten vertraut, fast beruhigend. Mein Blick glitt ?ber den Kamin, in dem nur noch hei?e Asche glimmte ? tr?ge und grau, wie ein Gedanke, der zu lange im Kopf gelegen hatte. Ich w?rde sie sp?ter entfernen m?ssen, dachte ich. Bevor sich wieder ein neuer Tag ans Feuer schmiegen konnte.

In einer alten Notiz hatte ich gelesen, dass Asche voller Mineralien sei ? n?tzlich als D?nger f?r den Garten oder zur Geruchsbindung, wenn man sie unter die Latrine mischte. Seitdem hatte ich begonnen, sie aufzubewahren. Nicht alles aus alten B?chern war nutzlos. Manches roch nur so.

Und vielleicht war genau das die Erkenntnis, die mich in letzter Zeit immer h?ufiger leitete: Wissen ? selbst das scheinbar Unspektakul?re ? war nie Ballast. Es barg M?glichkeiten. Vorausgesetzt, man bewahrte es rechtzeitig.

?ber dem Kamin, direkt unter dem alten Schild mit der immer vertrauteren Krake - mittlerweile fiel es mir gar nicht mehr schwer ihre Umrisse klar zu erkennen - lehnte die Harfe sorgf?ltig an ihrem Platz auf dem Sims. Direkt daneben lag das B?ndel, dass der Fremde zur?ckgelassen hatte. Die Laterne spendete noch immer ein dezentes Licht und mein alter Stab schien von innen heraus zu glimmen. Ich sog all das einen Moment lang in mich auf ? und griff dann seufzend zum Besen am Tresen. 

Und dann?
kippte die Welt ? ganz leise, wie ein Gedanke, der pl?tzlich zu schwer wurde.

Nicht dramatisch, nicht laut. Kein Erdbeben, kein Zeitriss. Nur ein leiser *Klick*.
Eine lose Bodendiele neben dem Tresen gab nach. Ich rutschte mit dem rechten Fu? ab, stie? mir dabei schmerzhaft das Schienbein ? und fluchte so laut, dass sich selbst der Besen diskret in die Ecke zur?ckzuziehen schien. Genervt griff ich nach dem, was mir den Schmerz eingebracht hatte, und wollte es gerade zur Seite schleudern, als ich erkannte, dass es sich um eine kleine Schatulle handelte. "Wenigstens kein weiterer losgerissener Balken", murmelte ich und hielt sie pr?fend gegen das Licht. Sie war ?berraschend schwer f?r ihre Gr??e ? und lie? etwas in mir schwingen, als h?tte sie lange auf mich gewartet.

Ich lie? die Finger ?ber das Holz gleiten, das k?hl war und glatt geschliffen. Die kleine Schatulle war mit einem Siegel versehen, das mir seltsam vertraut vorkam ? zu vertraut. Ein verschlungenes Zeichen, das ich nie bewusst gesehen hatte, aber das wie ein Schatten durch meine Gedanken huschte. Ich runzelte die Stirn, holte tief Luft und ?ffnete vorsichtig den kleinen Verschluss.

Darin lag eine Sanduhr ? schlicht, aus Glas und hellem Holz gefertigt. Sie war kleiner, als ich erwartet hatte, fast zierlich, aber vollkommen intakt. Die obere Kammer war leer, als h?tte sie eben erst ihre letzte K?rnung preisgegeben. Die untere hingegen war gef?llt mit feinem, goldschimmerndem Sand, der sich so ruhig gesammelt hatte, als h?tte ihn nie jemand aus der Ruhe gebracht.

?Eine Stunde, die schon vergangen ist,? fl?sterte ich.

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Ich wei? nicht, wie lange ich dort sa?. Die Sanduhr noch in der Hand, den Blick darauf gerichtet und doch in der Leere versunken, w?hrend die Zeit um mich herum offenbar vergessen hatte sich weiterzubewegen. Ich war versunken, tiefer, als ich es selbst bemerkte.

Der leise, schier unmerkliche Sog des Sandes fesselte meine Aufmerksamkeit. Zun?chst glaubte ich, mich get?uscht zu haben ? doch dann sah ich es immer deutlicher: Der Sand floss. Nicht nach unten. Sondern zur?ck nach oben. K?rnchen f?r K?rnchen stieg er wieder auf, wie in stiller Umkehr.

Ich hielt den Atem an, wagte nicht, mich zu r?hren. Etwas an dieser Bewegung war falsch. Oder vollkommen richtig. Und genau das war das Beunruhigende.

Die T?r quietschte.

Ein Luftzug streifte meinen Nacken, und eine helle Stimme sagte: ?Entschuldigt? ist dies die Taverne??

Ich schreckte hoch, als h?tte mich jemand aus einem Traum gerissen. Die Sanduhr war noch immer in meiner Hand. Und ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Als ich sie beim Aufstehen unwillk?rlich bewegte, bemerkte ich im Augenwinkel, dass die obere H?lfte nicht mehr leer war.

In der T?r stand ein M?dchen ? nein, eine junge Frau, kaum zwanzig Winter alt. Ihre Haare waren ein einziges lodernes Versprechen aus Kupfer und Feuer, geb?ndigt zu einem wilden Zopf, aus dem sich bereits die ersten Str?hnen wieder befreit hatten. Ihr Gesicht war sommersprossig, offen, mit wachen, gr?nleuchtenden Augen, die neugierig durch den Raum wanderten. Ein einfacher gr?nlicher Mantel, ein Rucksack ?ber der Schulter. Und ein zaghaftes, aber ehrliches L?cheln.

?Verzeiht die St?rung?, sagte sie und schob sich etwas unsicher ?ber die Schwelle. ?Ich bin Nicoletta. Ein? ein Mann hat mir erz?hlt, dass Ihr hier Hilfe sucht. Er meinte, die Wirtin dieser neuen Taverne auf Moonglow h?tte eine ruhige Hand, aber zwei linke H?nde f?r den Besen.?

Ich musste blinzeln. Die Sanduhr legte ich unauff?llig auf den Tresen, als w?re sie nie in meiner Hand gewesen. Nicolettas Stimme klang nicht vertraut ? aber ihre Worte taten es. 

?Ein Mann? Zuf?llig gro?, eher der ruhige Typ? Und ein Blick, als k?nne er jeden Sturm absch?tzen, bevor er kommt??

?Er hat mir den Weg erkl?rt und er trug ein seltsames Gewand ? braun, mit eingewebten Mustern, als h?tte jemand einen alten Vorhang mit Geschichten bestickt. Seine Haare waren lang, rot wie Herbstlaub, mit einzelnen grauen Haaren versehen. Und sein Blick... der war ruhig, als h?tte er die Welt gesehen und beschlossen, nur noch das Wesentliche zu sagen. Ich wei? nicht, ob das wichtig ist??

Ich lachte leise. Es war mehr ein Ausatmen mit Ton als ein wirklicher Laut, aber es reichte. Ich nickte ihr zu.

?Das klingt so absurd, dass es wohl stimmen muss. Ich hatte zwar nicht vorgehabt, Hilfe zu suchen ? aber leider hat er dennoch recht ? ich k?nnte sie brauchen.?

Nicoletta l?chelte unsicher, trat n?her an den Tresen heran und musterte den Raum mit einem Blick, der mehr wahrnahm, als ich zun?chst gedacht h?tte. Ihre Augen verweilten kurz auf der Harfe, wanderten zum Stab, und dann zur Sanduhr. Ohne es recht zu merken, war meine Hand dabei wieder n?her an sie ger?ckt ? nicht sch?tzend, eher wie einer Eingebung folgend, als h?tte etwas in mir entschieden, ihr nahe zu bleiben.

?Ich habe nicht viel Erfahrung im Schankbetrieb,? begann sie z?gerlich, ?aber ich kann mit einem Besen umgehen. Und mit Menschen... manchmal auch.? Sie zuckte mit den Schultern, als wolle sie gleich selbst relativieren, was sie gesagt hatte.

Ich nickte langsam. ?Habt Ihr einen Ort, an den Ihr zur?ck m?sst??

Sie sch?ttelte den Kopf. ?Nicht mehr. Mein letzter Ort war eher eine Richtung als ein Zuhause. Und als der Mann von dieser Taverne sprach, klang es nach einem Ort, an dem ich bleiben k?nnte ? zumindest f?r eine Weile.?

Ihre Stimme senkte sich bei den letzten Worten, und ich h?rte darin nicht nur Hoffnung, sondern auch Vorsicht. Jene zarte Zur?ckhaltung, die entsteht, wenn man zu oft vergeblich gehofft hat.

?Dann bleibt erst einmal. Kein Schwur, keine Versprechen. Aber ein Dach ?ber dem Kopf, ein Platz am Feuer und vielleicht eine Mahlzeit, solange euch verbrannte Suppe schmeckt... oder Ihr zuf?llig kochen k?nnt.?

Nicoletta nickte, diesmal fester, und ich dachte kurz, ein Hauch von Erleichterung zu sehen, der ?ber ihr Gesicht huschte. Ich umrundete langsam den Tresen, schob den Hocker zur Seite und griff nach zwei sauberen Gl?sern. Das Wasser aus dem Tonkrug war kalt und klar ? zum Gl?ck war der Brunnen heute gn?dig gewesen. Ich f?llte beide Gl?ser und reichte ihr eines davon.

?F?r den Anfang?, sagte ich. ?Und wenn Ihr sp?ter auch meinen Most kostet, ohne zu fliehen, seid Ihr offiziell aufgenommen.?

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Ich erkl?rte Nicoletta kurz, wo die Asche hinmusste ? ein kleiner Blecheimer stand im Hinterzimmer bereit, und ich zeigte ihr die Stelle hinter dem Ger?teschuppen, wo ich sie sammelte, um sie sp?ter mit Erde und Kompost zu mischen. Sie nickte ernsthaft, nahm den Sch?rhaken zur Hand und machte sich an die Arbeit. Ich nutzte die Gelegenheit, um ihr oben das G?stezimmer herzurichten: frische Bettw?sche, ein Krug Wasser, ein kleines St?ck Seife auf der Fensterbank ? es war nicht viel, aber es war ein Anfang.

Als ich wieder nach unten kam, roch es nach Holz und frischer Luft. Der Kamin war sauber, der Eimer ordentlich beiseitegestellt. Frische Scheite lagen im Feuerraum, sorgf?ltig aufgestapelt, dar?ber kleinere H?lzer und Anz?nder, als w?re es eine Unterrichtseinheit f?r Anf?nger im Feuermachen. Nicoletta war hinter den Tresen gewandert und dabei, mit einem feuchten Tuch ?ber die Fl?che zu wischen. Ohne zu fragen, ohne Aufhebens.

Ich l?chelte. Vielleicht war Hilfe doch gar keine so schlechte Idee gewesen.


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Der Rest des Tages verstrich still, aber nicht ereignislos. Nicoletta blieb ? und mit jedem kleinen Handgriff, den sie ?bernahm, wurde klarer, dass sie mehr war als eine zuf?llige Besucherin. Sie kehrte die Eingangsstufen, f?llte eigenst?ndig die Wasserschalen bei den Fensterb?nken, sammelte die leeren Becher ein. Keine gro?en Gesten ? aber es war genau das, was ich gebraucht hatte, ohne es benennen zu k?nnen. Sie war lernwillig und aufmerksam, bewegte sich beinahe selbstverst?ndlich durch R?ume, die vor wenigen Stunden noch gar nicht die ihren gewesen waren. Und sie sprach mit den G?sten, h?flich, ruhig, manchmal mit einem trockenen Humor, der mehr wirkte als jedes Willkommenstablett. Vielleicht ? so dachte ich, als ich sie beobachtete ? war es eben das, was eine gute Tavernenhelferin ausmachte: nicht das Wissen, sondern das feine Gesp?r daf?r, was getan ? oder gesagt ? werden musste, bevor man darum bat.

Ich zeigte ihr das G?stezimmer, das von nun an ihres sein w?rde. Sie trat ein, ohne ein Wort zu verlieren, sah sich kurz um und legte ihren Rucksack still an die Wand. ?Zumindest f?r eine Weile?, sagte sie leise.

Etwas an der Art, wie sie das sagte, lie? mich innehalten. Vielleicht war es nur der Tag gewesen, oder die Ruhe danach, aber in mir regte sich der Gedanke, dass es tats?chlich l?nger werden k?nnte ? f?r sie, f?r uns beide.

Ich lie? sie allein, schloss die T?r hinter mir und ging wieder hinunter.

Der Kamin war inzwischen fast verglommen, doch noch warm. Ich setzte mich davor, streckte die H?nde zur verbliebenen W?rme ? und fragte mich, ob das hier wirklich ein Zufall gewesen war.

Mein Blick hob sich zur Krake ?ber dem Kamin. Ihre Umrisse wirkten heute sch?rfer, fast lebendig, als w?rde sie ?ber das Treiben in der Taverne wachen. Darunter lehnte wie immer die Harfe, deren Saiten im Schein der Glut einen Hauch von Klang zu tragen schienen. Daneben der Stab ? kein gew?hnlicher Wanderstock, das war er nie gewesen. Tief im Inneren glomm es r?tlich, als w?rde etwas darin brennen. Nicht hell, nicht gef?hrlich ? eher wie ein schwaches Echo. Und wenn ich lange genug hinsah, meinte ich ein sanftes Pulsieren zu erkennen, wie ein Herzschlag, der nur noch selten klopfte, aber nie ganz schwieg.

Auf dem Sims stand die Sanduhr ? still, als sei nichts gewesen. Ich runzelte die Stirn. Ich hatte sie dort nicht abgestellt. Vermutlich hatte Nicoletta sie zur Seite gestellt, als sie hinter dem Tresen sauber machte. Oder sie war selbst hinaufgeklettert ? was mir fast wahrscheinlicher schien.

Daneben die Laterne, die Thorian zur?ckgelassen hatte, ihr schwaches, doch warmes Licht warf ein flackerndes Muster an die Wand. Und ganz au?en hingen die getrockneten Kr?uter, sorgsam gebunden, ein Geschenk eines Fremden.

F?nf Dinge. F?nf Erinnerungen? F?nf Gr?nde? Ich wusste es nicht. Und doch wirkten sie, als h?tten sie sich selbst versammelt. Nicht von mir zusammengetragen, sondern zusammengefunden ? wie Dinge, die wussten, wo sie hingeh?rten. Irgendetwas verband sie. Vielleicht ich. Vielleicht die Taverne. Vielleicht mehr.

Ich blieb noch eine Weile dort sitzen, vor der W?rme, die l?ngst mehr Erinnerung als Feuer war. Die Schatten der Gegenst?nde an der Wand wurden l?nger, verzogen sich mit dem letzten Licht, als wollten sie mir etwas zufl?stern ? oder forttragen.

Als ich schlie?lich aufstand, streckte ich mich langsam und ging die knarrende Treppe zu meinem Zimmer hinauf. Ein paar Stunden Schlaf w?rden reichen m?ssen.

In der T?rschwelle blieb ich stehen. Mein Blick wanderte durch den Raum, der nun vertraut war, fast heimelig. Ein Gedanke formte sich leise, aber klar: Vielleicht? w?rde ich ein drittes Zimmer herrichten m?ssen.
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Tinte, Tausch & ein Tropfen Magie - oder: Wie ich lernte, dass Sammeln auch ein Erinnern ist

Beitrag von gelöschter Charakter_271 »

Episode VII
?Tinte, Tausch & ein Tropfen Magie? - oder: ?Wie ich lernte, dass Sammeln auch ein Erinnern ist?
Erz?hlt von Bareti, Wirtin mit leisen Fragen und dem Blick f?rs Verborgene

Es begann mit einem L?ffel. Und einem Gast, der nichts zu zahlen hatte.

Der Morgen war grau, wie ein altes Pergament, das zu lange im Regen gelegen hatte, und ich hatte gerade einen Krug gesp?lt, als er die T?r ?ffnete. Schlank, wettergegerbt, mit einer ledernen Rolle auf dem R?cken. Kein Schwert, kein Stab, nur ein Blick, der zu viele Wege gesehen hatte. Ich nickte ihm zu, wie ich es eben tue, wenn jemand friert und noch z?gert, ob er bleiben darf.

Er blieb.

?Ich kann nicht zahlen,? sagte er, kaum dass er sa?, ?aber ich schreibe. Karten, Vertr?ge, Liedbl?tter. Ich habe das Schreiben gelernt, weil das Reden manchmal nicht reicht. Manches davon ist sogar leserlich, sagt man.?

Ich stellte ihm einen Teller hin. Und einen Becher. Und beobachtete, wie der Hunger mit jedem Bissen weniger wurde. Irgendwann breitete er das Leder aus und begann zu zeichnen ? meine Taverne, von oben. S?uberlich, mit Ma?angaben. Ich konnte gar nicht so schnell staunen, wie das Interesse wuchs.

Nicoletta kam zuerst. Sie wollte wissen, ob er auch Gedichte schriebe. Dann ein alter Trapper, der eine alte Karte gegen eine neue tauschte. Und bevor ich widersprechen konnte, lag der Tisch, an den er sich gesetzt hatte, voller Zettel, Federn, ein kleiner Bernstein, ein gewebter Beutel mit Pfefferminze, ein Stuhlbein (warum?), und ein gerahmtes Portr?t einer Katze.

?Hm,? machte Ulaf nur, als er eintrat. ?Bunt heute.?

Ich ?berlegte kurz, ob ich beleidigt sein sollte, entschied mich aber dagegen. Stattdessen beobachtete ich das Treiben ? und brachte Ale an den Tisch.

Der Kartograph, wie wir ihn bald nannten, zeichnete weiter. Er kartierte den Weg von der AAMaM zur Taverne, versah ihn mit kleinen Symbolen: einem Apfel f?r die Lichtung, einem Krug f?r den Bach, wo man rasten konnte. Jemand klebte die Karte an die Innenseite der T?r, und niemand nahm sie wieder ab.

Der Mann blieb bis zum Abend. Zeichnete, lachte leise, stellte Fragen. Und am Ende stellte er einen geschnitzten L?ffel auf den Tresen. ?F?r den ersten Teller, den ich heute nicht bezahlen musste.?

Bald wurde daraus mehr als nur ein kurzer Tauschnachmittag. Es war, als h?tte jemand einen Knoten gel?st, der zu lange gespannt war. Der Trapper brachte am n?chsten Tag ein B?ndel gegerbter Felle, die Nicoletta gegen einen Vers in Goldschrift auf Pergament eintauschte.?Dann brachte jemand ein Paar gestrickte Handschuhe und nahm daf?r ein Buch mit. Eine alte Frau lie? eine kleine Dose mit Kn?pfen da, die am selben Abend in einem selbstgen?hten Beutel verschwanden. Und ein junger Bursche bot eine Fl?te aus Kirschholz gegen ein Haarband aus rotem Garn.

Ich entschied das ganze zu f?rdern und stellte ein altes Regal aus dem Lager auf, in das man zur?cklassen konnte was man nicht mehr ben?tigte f?r Ding, die man wollte.?Sp?ter kamen zwei Kinder mit bemalten Steinen, einer davon mit einem kleinen Gesicht darauf. Ich legte sie auf das oberste Regalbrett, weil ich fand, dass Gesichter dort nicht fehlen durften.

Ein fahrender H?ndler, der zuf?llig vorbeikam, blickte lange auf das Regal. Dann zog er eine kleine Truhe hervor ? darin eine silberne Brosche in Form einer Libelle. ?Daf?r brauche ich keine Bezahlung. Nur eine Geschichte.? Ich erz?hlte ihm ausf?hrlich, wie ich einmal versuchte, einen Zauber gegen Fruchtfliegen zu wirken, der stattdessen alle Zwiebeln im Umkreis hunderter Schritte unsichtbar machte. Er lachte so laut, dass der L?ffel vom Kartograph, der auch seinen Weg ins Tauschregal fand, vibrierte.

Ich setzte mich sp?ter allein an einen der Tische und sah dem flackernden Licht der Laterne nach. Die Brosche glitzerte schwach, und ich fragte mich, wie viele solcher Geschichten wohl im Regal ruhten, noch ohne Worte. Vielleicht war das Regal nicht nur f?r Dinge gedacht, sondern f?r das, was wir damit verbanden.
Eintrag im Notizbuch:
?Das Tauschregal ist ein Spiegel. Nicht f?r Besitz, sondern f?r das, was Menschen wirklich brauchen, wenn sie nichts mehr haben: Verbindung. Vielleicht sollte ich beginnen, die Geschichten dahinter zu sammeln. Nicht alle ?ffentlich. Aber f?r mich.?
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Einige Tage sp?ter wurde das Regal schon fast zur Gewohnheit. Die G?ste betrachteten es kaum noch mit Verwunderung. Doch dann kam ein anderer Gast. Junger Umhang, alte Stiefel, und ein Blick, der weit gereist wirkte. Er sah nicht aus, als m?sste er etwas tauschen. Er sah aus, als h?tte er genug ? und als w?sste er das auch. Er blieb lange davor stehen, r?hrte nichts an. Schlie?lich kam er zu mir.

?Sucht Ihr auch... andere Dinge? Etwas, das nicht f?r ein solches Regal geeignet scheint??

Ich blickte auf. Er l?chelte nicht, aber seine Stimme war neugierig. Und ein wenig herausfordernd.

?Was genau meint Ihr, Herr...?? Ich lie? die Frage offen ? wie ein angelehntes Tor. Nicht zu aufdringlich, aber bereit, ihn eintreten zu lassen.

Er antwortete nicht direkt. Stattdessen ?ffnete er eine schlichte, dunkle H?lle an seinem G?rtel und zog langsam einen Gegenstand hervor. Ein Zauberstab. Kein Schaust?ck, kein billiges Replikat, wie sie auf Jahrm?rkten feilgeboten wurden. Sondern ein echter. Alt, mit Maserungen wie feine Risse im Lack eines Instruments. Ich sp?rte, wie meine Haut kribbelte. Reste von Magie hafteten noch an ihm, wie das Echo eines alten Liedes, das man nicht vergessen hat.

Solche St?be wurden nicht mehr gefertigt. Nicht, weil man es nicht wollte ? sondern weil das Wissen darum, die Kunst und das magische Fundament, das sie einst erm?glichte, mit der Zeit verloren gegangen war. Wie so vieles, das still verschwand, ohne Aufhebens, aber mit einer L?cke, die niemand mehr zu benennen wusste. Jeder dieser echten Zauberst?be war ein Unikat, getragen von der Absicht und dem K?nnen seiner Erschaffer. Und wenn noch ein Hauch von Magie in ihnen verweilte, dann bargen sie vielleicht Hinweise, Spuren ? M?glichkeiten, das Vergessene zu verstehen. Oder wenigstens zu erahnen.

?Ich w?rde ihn abgeben,? sagte der Mann leise. ?F?r Gold. Und eine gute Unterhaltung.?

Ich sah ihn lange an, sagte nichts. Aber ich holte zwei Becher. Wir redeten bis sp?t in die Nacht.

Am Morgen war der Stab bei mir geblieben. Er fand nie seinen Weg in das Tauschregal, vielmehr legte ich ihn zu den wenigen Gegenst?nden, die ich einst sorgf?ltig verwahrt, dann aber jahrelang nicht mehr angesehen hatte. Er erinnerte mich daran, dass manche Dinge nicht getauscht, sondern verstanden werden wollten. Und dass etwas in mir noch immer bereit war, genau das zu versuchen.

Und ich wusste: Das Regal allein reichte nicht. Es mochte gen?gen, um Kr?ge, B?cher oder L?ffel zu tauschen ? aber nicht, um Artefakte wie diesen Stab zu fassen. Es gab Dinge, die wollten einen anderen Rahmen. Diskreter. Pers?nlicher. Keine Gaben, sondern Angebote. Keine Tauschware, sondern Vertrauen.

Einige Tage sp?ter, beim Abstauben des unteren Regalfachs, schob ich eine kleine Notiz dazwischen. Nur wenige Worte, kaum sichtbar: ?Fragt nach der Wirtin ? stiller Handel m?glich.? Kein Aushang, keine Erkl?rung. Nur ein stiller Hinweis, f?r wache Augen.
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Ich ging an diesem Abend noch einmal hinunter in mein privates Lager, wo sich all das befand, was ich einst aufbewahrt hatte, ohne zu wissen, wof?r. Der Stab lag nun dort, als h?tte er nie woanders gelegen. Und neben ihm die Erinnerungen ? an Kreise, an Gespr?che, an Zeichen, die ich l?ngst vergessen wollte. Aber vergessen war nie meine St?rke gewesen. Sondern R?tsel zu l?sen und das Unbekannte zu verstehen.

Und vielleicht, dachte ich, sollte ich genau damit wieder beginnen ? nicht nur zu sammeln, sondern zu verstehen. Nicht um das Vergessene zu bewahren, sondern um die R?tsel zu l?sen, die ich damals zur?cklie?. Die Fragen, die zu lange unbeachtet blieben. Vielleicht war es an der Zeit, sie endlich zu stellen.

Eintrag im Notizbuch:
?Vielleicht ist es an der Zeit, nachzusehen, was ich damals nicht beantwortet habe. Manche Fragen h?ren nie auf, sie werden nur leiser. Und wenn man sie zu lange unbeachtet l?sst, werden sie zu R?tseln. Vielleicht ist nun der Moment, an dem ich bereit bin, ihnen wieder zu begegnen.?
Zuletzt geändert von gelöschter Charakter_271 am 12 Mai 2025, 17:18, insgesamt 1-mal geändert.
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Zwischenspiel II ? Zweiter und Dritter Versuch

Beitrag von gelöschter Charakter_271 »

?Ich habe schon D?monen beschworen, die weniger aufwendig waren.?

Nachdem ich den ersten Mostversuch ausf?hrlich analysiert hatte, beschloss ich, ihn nicht vollst?ndig zu verwerfen. Stattdessen f?llte ich einen Teil davon in ein kleines Fass ab ? nicht aus Stolz, sondern als Referenz. Die Idee, ihn mit einem Rest meiner Hausmarke zu mischen, hatte ich bereits im ersten Anflug von Zweckoptimismus versucht. Das Ergebnis war ern?chternd: Schlechtes lie? sich nicht durch Gutes ?berdecken. Das Fass stand noch immer da ? als mahnende Erinnerung daran, dass wahre Qualit?t nicht durch Tarnung entsteht.

Ich hatte lange gez?gert, meine Kr?fte bei etwas derart Profanem wie Most einzusetzen. Aber das hier war ja kein gew?hnlicher Most. Es war der Versuch, etwas Eigenes zu schaffen. Etwas, das bleiben durfte ? und vielleicht, eines Tages, die Taverne selbst hervorheben konnte. Ein Trunk, der nicht nur schmeckte, sondern erz?hlte, woher man kam.

Der erste Zauber war schlicht. Ich lie? die Zeit im Innern des Bottichs minimal schneller vergehen, ein kontrollierter Zeitflusszauber, kaum sp?rbar. Nicht genug, um etwas zu verderben ? aber gerade so viel, dass die Hefe schneller arbeiten konnte.

Als Novizin h?tte ich nie gedacht, dass ich einen Zeitzauber einmal f?r vergorenen Apfelsaft einsetzen w?rde. Damals war Zeit etwas Kostbares, das man nur in Ritualen oder gef?hrlichen Momenten beschwor ? nicht in einer Vorratskammer ?ber einem Mostfass. Aber ich war nicht mehr die, die ich damals war.

Der zweite war zarter: ein Geschmackszauber, den ich fr?her benutzt hatte, um tr?be Wasserschalen in den s?dlichen Lagunen trinkbar zu machen. Jetzt sollte er das Aroma der ?pfel klarer hervorheben, die Bitterstoffe etwas abmildern. Ich sprach ihn vorsichtig, mit den Fingerspitzen in der Luft ?ber dem G?rtopf kreisend.

Ein leises Blubbern hob an. Der Duft war verlockend. Ich l?chelte.

Einige Tage sp?ter stand ich mit einem Becher in der Hand und runzelte die Stirn. Die G?rung war zwar fortgeschritten, aber irgendetwas war aus dem Gleichgewicht geraten ? ein bei?ender Geruch kam aus der Mostwerkstatt, als h?tte der Zauber zu viel in Bewegung gesetzt. Es roch nicht nach Most. Es roch? faul. Ich h?tte es wissen m?ssen: Zeit l?sst sich nicht ungestraft beschleunigen.

Ich notierte sp?ter in mein Notizbuch:
?Most und Hefe sind keine toten Stoffe. Es sind lebende Kulturen ? empfindlich, eigenwillig, reaktiv. Zeitmagie wirkt auf sie wie auf jedes lebendige Wesen: unvorhersehbar.?
Wieder hatte ich etwas dazu gelernt. Ich nahm mir vor bald einen neuen Versuch zu starten.?

Auch diesen Ansatz f?llte ich f?r sp?tere Analysen ab, stellte jedoch sicher, dass das kleine Fass fest versiegelt war ? der bei?ende Geruch hing mir noch Tage in der Nase. Ich stellte es ganz nach hinten ins Regal, mit einem gut lesbaren Etikett: ?Nicht ?ffnen ? es sei denn, du brauchst ein Lehrst?ck in Hybris.?

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Doch bevor ich den n?chsten Most ansetzte, beschloss ich, nicht erneut auf blo?e Intuition oder Zauber zu vertrauen. Ich wollte verstehen. Und dazu brauchte ich Daten.

Ich richtete eine kleine Versuchsreihe ein: Vier Tongef??e, beschriftet, nummeriert, jeweils mit leicht abgewandelten Bedingungen. In einem variierte ich die Temperatur, im zweiten die Hefemenge, im dritten die G?rdauer, und beim vierten f?gte ich eine Prise getrockneter Apfelbl?ten hinzu ? rein aus Neugier.

T?glich pr?fte ich den Stand, notierte jede Ver?nderung, roch, schmeckte, verglich. Ich nutzte dabei einen einfachen Messzauber ? ein altes Pr?fzeichen, das ich in meiner Lehrzeit zur Stabilit?tsmessung bei arkanaffinen Substanzen gelernt hatte. Seine Farbe wechselte subtil mit der W?rme ? von blassblau zu goldgr?n ? und half mir, ohne Zahlen, aber mit Verl?sslichkeit, meine Versuchsstellen einzuordnen.
Mein Notizbuch f?llte sich rasch:
?G?rverlauf am Punkt der gleichbleibenden W?rme ? dort, wo meine Haut keinen Unterschied zum Ton sp?rt ? harmonischer als im Schatten der k?hlen Mauer.? ? ?Hefezugabe zu stark: unangenehme Bitternote.? ? ?Apfelbl?tenaroma angenehm, aber instabil.?


Am meisten faszinierte mich jedoch der alte Pr?fzauber selbst. Ich hatte ihn urspr?nglich unter dem Namen "Lux Temperia" gelernt ? ein subtiler Lichtfaden, kaum sichtbar, der auf Temperaturverl?ufe reagierte. F?r Most aber gen?gte das nicht: Ich modifizierte ihn, verkn?pfte ihn mit einem feinen S??duftzauber aus der Aromenschule und schuf so meine eigene Variante: "Lux Pomari". Der Lichtfaden ?nderte nun nicht nur die Farbe nach Temperatur, sondern ver?nderte auch seine L?nge je nach g?rtypischem Energieaussto? ? ein Resonanzwert, wie ich ihn nannte.
?Lux Pomari: geeignet f?r konstante G?rbeobachtung bei sensiblen Fruchtkulturen. Reagiert differenziert auf Temperatur und Zuckeraktivit?t. Potenziell auch bei Beeren einsetzbar.?
So jedenfalls schrieb ich es in mein Notizbuch ? und unterstrich es. Zwei Mal.

Ich experimentierte mit Licht, mit Luftzufuhr, mit der Beschaffenheit der Gef??e. Selbst der Standort ? nah an der K?che oder hinten im dunklen Vorratsraum ? zeigte Wirkung. Die Erkenntnisse waren klein, aber bedeutend.

Es erinnerte mich an meine fr?hen Studienjahre im Zirkel: Das geduldige Beobachten, das schrittweise Verfeinern. Nur dass ich nun nicht an Formeln arbeitete, sondern an Geschmack. Und vielleicht war das letztlich das Gleiche.

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Der dritte Versuch begann mit Vorsicht. Ich wollte Magie nutzen ? ja ?, aber kontrolliert, gezielt, abgestimmt auf das, was ich inzwischen verstanden hatte. Keine Eingriffe mehr, die den Most ?berforderten, keine Zauber, die ihn zu etwas formen sollten, das er noch nicht war.

Ich entwarf stattdessen eine kleine Sequenz aus Schutz- und Beobachtungszaubern: ein leichter Schild gegen Verunreinigung, kombiniert mit einem ?berarbeiteten Lux Pomari, der nun auch auf ?berm??ige Hefeaktivit?t reagierte. Die Magie lag wie ein fein gesponnener Schleier ?ber dem Ansatz ? kaum sp?rbar, aber pr?sent.

Der Bottich war diesmal aus Kupfer. Nicht aus Not, sondern aus Experimentierfreude ? und vielleicht ein wenig Aberglaube. Kupfer leitete nicht nur W?rme, sondern auch Magie gut, sagte man. Vielleicht w?rde es helfen.

Ich stand in der Morgensonne hinter der Taverne, eine Schale mit reifen, dunklen ?pfeln in der einen, eine Prise Lavendelstaub in der anderen Hand. Die ?pfel hatte ich aus dem S?den. Der Lavendel wuchs am Rand meines kleinen Hains. Ich hatte nicht nur gelernt, dass Most Zeit braucht ? ich hatte auch begonnen zu verstehen, dass jedes Element ein Echo hinterl?sst. Der vierte Versuch sollte ein solches Echo haben.

Die G?rung verlief ruhig. Kein Blubbern, kein ?bersch?umen, kein seltsames Glimmen wie beim letzten Versuch.

Ich pr?fte t?glich, verglich mit den vorherigen Versuchen. Notierte. Roch. H?rte dem G?rgef?? zu, als k?nne es mir etwas sagen und vielleicht tat es das sogar.

Es dauerte zwei Wochen ehe mein Gef?hl und meine Zauber mir sagten, dass es Zeit w?re, den Ansatz zu testen und umzuf?llen.

Er schmeckte nach Apfel. Und nach Lavendel, ganz zart. Der Geschmack war dennoch? unecht. Zu s??. Dezent kupfern. Die Aromen wirkten gestaucht, wie eine Erz?hlung, die zu schnell auf ihr Ende zueilte. Und vor allem: Er hatte keine Seele. Kein Echo. Kein Gewicht im Bauch. Er blieb nicht haften.

?Du schmeckst nach Arbeit, nicht nach Erinnerung?, sagte ich zum Becher. Dann sch?ttete ich ihn mit bedauernder Miene in den Abfluss hinter der K?che.

Ein Versuch mit Magie ? und dennoch ein Fehlschlag. Aber zumindest lehrreich.

Auch dieser dritte Versuch fand seinen Platz in der wachsenden Sammlung: ein viertes kleines Fass, fein beschriftet und sorgsam versiegelt. Nicht, weil ich glaubte, dass er irgendwann genie?bar w?re ? sondern weil jede Stufe dokumentiert sein wollte. F?r mich. F?r das, was ich lernen wollte. Und vielleicht f?r jene, die sp?ter einmal fragten, warum es so lange dauerte, bis die Hausmarke schmecken konnte, wie sie schmecken sollte.

Ich holte mein vertrautes Notizbuch hervor und begann, Notizen zu machen. ?ber G?rdauer, Temperatur, Hefen und den Unterschied zwischen echter Reife und erzwungener. Und w?hrend ich schrieb, entstand in mir ein Gedanke, der sich anf?hlte wie eine Wurzel, die langsam Halt findet:

Vielleicht musste ich nicht Magie stattdessen anwenden. Sondern gemeinsam mit dem Most arbeiten. Ihn nicht zwingen, sondern begleiten.

?Zu viel Kontrolle bringt Klarheit, aber keine Tiefe. Magie kann f?hren ? nicht diktieren. Und Most, so scheint es, verlangt nach Begleitung, nicht nach Beherrschung.?


Ich l?chelte.

Und begann, neue ?pfel zu suchen.
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gelöschter Charakter_271
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Siegel, Schankrecht & Schikane ? oder: Wie ich lernte, dass Regeln nur gelten, wenn jemand hinsieht

Beitrag von gelöschter Charakter_271 »

Episode VIII
?Siegel, Schankrecht & Schikane ? oder: Wie ich lernte, dass Regeln nur gelten, wenn jemand hinsieht?
Erz?hlt von Bareti, Wirtin ohne Wappen, mit einem Buch voller Fragen

Es war ein ruhiger Vormittag. Die Luft war feucht, aber nicht kalt, und die Taverne roch nach altem Holz, nassem Stein ? und seltsamerweise: nach Rosmarin und Myrrhe. Das Kaminholz knisterte sanft, Ulaf werkelte drau?en an seinem neuen Fassgestell, und ich war dabei, die R?nder eines alten Teppichs zu gl?tten, der sich immer wieder wie ein trotziges Tier aufrollte. Nicoletta summte hinter dem Tresen vor sich hin ? und dann h?rte ich sie an der T?r:

?Willkommen in der Taverne. Setzen Sie sich gern, ich bringe gleich etwas.?

Ein leiser Plausch, Schritte auf dem Boden. Nicoletta war freundlich wie immer, doch in ihrer Stimme lag ein Hauch von Neugier ? oder Vorsicht. ?Wasser? Nat?rlich. Ich frage gleich die Wirtin. Eine Frage noch ? d?rfte ich vielleicht auch ihren Namen erfahren??

Ich seufzte leise, legte den Teppich zurecht wie er war, strich mir die Sch?rze glatt und trat nach vorn. Die Stimme, die ich im Flur vernommen hatte, geh?rte zu einem Mann mittleren Alters ? nicht jung, nicht alt, gepflegt bis in die Schuhspitzen. Sein Umhang war staubfrei, sein Bart akkurat gestutzt, und seine Fingern?gel verrieten, dass sie selten mit Erde oder Tinte in Ber?hrung kamen.

Nicoletta fl?sterte mir zu: ?Das ist einer von denen, die alles zu wissen scheinen wollen, bevor sie bestellen. Angeblich ein Kartograph oder Chronist, hat er gesagt ? aber ich traue keinem, der beim Eintreten die Maserung vom T?rrahmen z?hlt.?

Ich ging hinter den Tresen und gr??te freundlich. Er l?chelte, aber es war ein L?cheln wie auf einem amtlichen Portr?t. ?Wasser bitte. Wenn m?glich, aus einer amtlich gepr?ften Quelle.?

Ich zuckte kaum merklich mit den Augenbrauen, f?llte ihm aber ein Glas vom frischen Quellwasser, das ich jeden Tag frisch aus der alten Brunnennische hinter dem Nebengeb?ude sch?pfte. Er roch daran, als sei es ein kostbarer Wein, nippte dann mit ernstem Blick ? und blinzelte ?berrascht.

?Das ist... tats?chlich ausgezeichnet?, sagte er nach einem Moment. ?Ungew?hnlich klar. Und mit einem Hauch von... Gestein, fast mineralisch.?

Er stellte das Glas auf den Tisch, sah mich mit einem leicht pr?fenden Blick an. ?Darf ich fragen ? f?llen Sie dieses Wasser auch ab? Ich h?tte Interesse an einer Flasche f?r meinen Heimweg. Selbstverst?ndlich gegen eine angemessene Gegenleistung.?

Ich nickte leicht, griff wortlos unter die Theke und holte eine schlichte Tonflasche hervor, wie ich sie sonst f?r meinen Kr?uteransatz verwende. ?Wenn Sie das Wasser zu sch?tzen wissen, soll es Ihnen nicht verwehrt bleiben.?

?Seien Sie bedankt. Sie haben es h?bsch hier?, fuhr er fort, der Blick ging zu den t?rkisfarbenen St?hlen. ?Wird hier gerade renoviert? Oder betreiben Sie die Taverne schon l?nger??

?L?nger, als ich verstehe. Oder k?rzer, als mir lieb ist. Je nachdem, ob man Herz oder Kalender befragt?, erwiderte ich.

Er nickte, machte sich Notizen in ein kleines schwarzes Buch, das aussah wie eine Mischung aus Reisetagebuch und Kassenpr?fung ? ein Buch, das zuvor keines Blickes gew?rdigt worden war und offenbar erst jetzt wie aus dem Nichts in seiner Hand erschienen war.

?Und die Eigentumsrechte? Geh?rt das Grundst?ck Ihnen? Oder... ist es eine Art freies Geh?ft??

Ich sah ihn lange an. Dann: ?Die Taverne geh?rt niemandem. Und gleichzeitig jedem, der sie braucht.?

Er notierte das. Wortw?rtlich.


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Er blieb noch eine ganze Weile, und mit jeder Minute f?hlte es sich weniger wie ein Gespr?ch und mehr wie eine Befragung an, getarnt in H?flichkeiten. Seine Fragen blieben stets an der Oberfl?che ? wie dick die W?nde wohl seien, ob das Geb?lk original sei, woher das Holz f?r die Fensterrahmen stamme ? doch sie kamen in einer Frequenz, die kaum Luft zum Atmen lie?. Selbst Nicoletta war irgendwann auff?llig lange in der K?che verschwunden. Ich antwortete ausweichend, gelegentlich auch mit gespielter Zerstreutheit, doch er notierte beinahe alles, gelegentlich nickend, als best?tige ich gerade eine Hypothese.

Als er endlich aufstand, tat er es mit jener ?bertriebenen Sorgfalt, mit der jemand signalisiert, dass er alles gesehen hat, was er sehen wollte. Er klopfte sich unn?tig den Mantel ab ? als sei Staub eine moralische Schw?che ? und ging dann mit gemessenem Schritt zur T?r. Doch dort blieb er stehen, als h?tte er etwas Entscheidendes vergessen. Dann drehte er sich noch einmal um, ging gem?chlich zum Tresen zur?ck und nahm mit pr?fender Geste die Tonflasche in die Hand, die ich ihm zuvor abgef?llt hatte.

?Ich will nicht vergessen, was gut ist?, sagte er und l?chelte ? zum ersten Mal beinahe echt. ?Manchmal sind es die kleinen Dinge, die Ordnung verdienen.?

Er steckte die Flasche vorsichtig in eine lederne Tragrolle.

?Ach, eines noch?, sagte er und zog aus einer inneren Manteltasche ein pergamentenes Schreiben, verschlossen mit einem w?chsernen Siegel. ?Ich bin beauftragt, dies zu ?berbringen.?

Ich nahm es nur z?gerlich an. Das Siegel war unverkennbar: der stilisierte Doppelkreis des Rates zu Moonglow, jener uralten Gilde der Ordner, W?chter, Schreiber und Gesetzgeber ? die alles verzeichneten, was sich verzeichnen lie?. Auch die Dinge, die besser nicht notiert werden sollten.

Das Schreiben war h?flich formuliert, aber der Ton war eine andere Sache:
?An die derzeit verantwortliche Person der sogenannten 'neuen Taverne',
Es erreichte uns die Kunde, dass sich im Bereich 7b, nordwestlicher Verwaltungsbogen der Au?enbezirke Insel Moonglow, eine St?tte des ?ffentlichen Ausschanks befindet, deren Betreiberin weder ein g?ltiges Siegel zur Gewerbeanmeldung noch eine Handelsfreigabe nach ? 3, Absatz 7 der moonglowischen Ordnung f?r Reisende Gastgewerbe (MORGe) vorzuweisen vermag. Ebenso fehlen derzeit Beherbergungsbefugnis, Getr?nkeausschankerlaubnis (moderat fermentierte Erzeugnisse eingeschlossen) sowie die historisch empfohlene Feuerstellenverifikation.
Wir bitten um wohlwollende Kl?rung. Eine versp?tete Einreichung der erforderlichen Nachweise kann unter Umst?nden als Schuldeingest?ndnis gewertet werden.
Bitte beachten Sie zudem, dass auch das Fehlen eines offiziellen Katasternachweises sowie der ausstehende Eintrag in das Verzeichnis f?r soziale Gastst?tten als weitere Verst??e gelten. Bei fortgesetztem Betrieb ohne Eintragung beh?lt sich der Rat Ma?nahmen vor, einschlie?lich, aber nicht beschr?nkt auf: vor?bergehende Stilllegung, konfiszierende Sicherstellung von Ausschankmitteln sowie Einleitung einer ?berpr?fung durch die Abteilung f?r substanzielle Ordnungswidrigkeiten (AsO). Dar?ber hinaus kann ein Eintrag im ?berregionalen Register f?r verwaltungspflichtige Unstetigkeit (RvuU) erfolgen, der zu langfristigen Einschr?nkungen bei k?nftigen Antr?gen im gesamten Einflussbereich des Moonglower Rates f?hren kann.

Bitte beachten Sie, dass der Rat derzeit unter der kommissarischen Verwaltung von Junker Hagrobald von Erlengrund steht, der im Auftrag Ihrer Erlaucht, Gr?fin Cornelia von Schwarztann, mit der ordnungsgem??en Aufsicht und Durchsetzung der geltenden Verordnungen betraut ist. Etwaige Einw?nde gegen das vorliegende Schreiben sind daher unmittelbar an dessen Kanzlei zu richten.?
Darunter: ein zweites Siegel, golden gepr?gt, mit der Aufschrift:?Verantwortung durch Ordnung ? Ordnung durch ?berwachung ? ?berwachung durch Vertrauen?

Ich sah vom Schreiben auf. Der Mann hatte sich bereits umgedreht.

?Verzeihen Sie, wenn ich es so direkt formuliere?, sagte er mit gespielter Milde, ?doch der rechtliche Rahmen Ihres Hauses scheint ? sagen wir ? interpretationsbed?rftig, Lady....??

?Mein Name ist Bareti?, erwiderte ich ruhig, den Blick auf das Siegel gerichtet. ?Ich betreibe keine Einrichtung ? ich biete einen Ort. F?r Reisende, f?r Geschichten, f?r Ruhe. Wenn das rechtlich fragw?rdig ist, dann frage ich mich, was genau man sch?tzen will.?

Er verneigte sich leicht. ?Ich w?nsche Ihnen einen angenehmen Tag. Vielleicht sehen wir uns wieder ? wenn Sie... Ordnung geschaffen haben.? Er z?gerte kurz, dann f?gte er mit sachlicher Freundlichkeit hinzu: ?Ich werde zu Protokoll geben, dass Sie bei der Begehung vor Ort zur vollsten Zufriedenheit des Beauftragten kooperiert haben.?

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Bild
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Ich sa? lange am Tresen, nachdem er gegangen war. Der Brief lag neben meinem Becher wie ein abgelehntes Urteil. Ich h?tte lachen k?nnen, wenn mir nicht zumute gewesen w?re, als s??e mir ein unsichtbarer Richter im Nacken.

?Du siehst aus, als h?ttest du in einen Beh?rdenschrank gebissen?, sagte Thorian, der gerade mit einem neuen Holzrahmen f?r das K?chenfenster hereinkam.

?Ich glaube, ich wurde f?r illegal erkl?rt?, antwortete ich trocken.

Er las das Schreiben, runzelte die Stirn und schnaubte leise. ?Wenn ich f?r jedes Brett, das ich je ohne Genehmigung verbaut hab, ein Verfahren bekommen h?tte, w?r ich heute vermutlich Stammgast vor dem Ordnungsgericht ? oder lebensl?nglich in einem der Kellerarchive eingesperrt, um Formulare zu ordnen.?

Ich l?chelte schief. ?Ich habe nie um Erlaubnis gebeten ? nicht aus Trotz, sondern weil ich nie daran gedacht habe. Ich hab die Taverne ja nicht gegr?ndet. Ich habe sie gefunden. Ein bisschen abgesto?en, vergessen vielleicht. Und dann habe ich sie ? mit deiner Hilfe ? wieder ein wenig aufgeh?bscht. Und irgendwann... kamen G?ste. Erst einer, dann zwei. Und pl?tzlich war ich Wirtin. Ich wollte nie ein Schild aufstellen, ich habe nur die T?r nicht abgeschlossen. Der Rest... ergab sich.?

Thorian sah mich an, dann schnaubte er erneut ? diesmal am?siert. ?Du solltest deinen Namen au?en mit Kreide dranschreiben. 'Bareti ? Wirtin ohne Lizenz, aber mit Herz'.?

Ich musste lachen, leise, aber ehrlich. Zum ersten Mal an diesem Tag f?hlte es sich nicht wie Widerstand an ? sondern wie Zugeh?rigkeit.

?Vielleicht ist das jetzt dein Fehler?, meinte er. ?Du hast all das aufgebaut, ohne jemanden zu fragen ? und das war richtig so. Aber jetzt, wo sie mit ihrem Papier kommen, ziehst du dich zur?ck, statt ihnen das Glas in die Hand zu dr?cken und zu sagen: 'Willkommen ? aber das hier bleibt, wie es ist.'?

Ich sah Thorian lange an. Dann nickte ich langsam. Er hatte recht. Ich hatte es nicht geplant ? aber jetzt war es da. Und ich musste mich entscheiden, ob ich in Deckung ging ? oder mich gerade machte.

Ich nahm das Schreiben noch einmal zur Hand. Diesmal las ich es nicht mit Zorn oder Sorge, sondern mit einem fast wissenschaftlichen Blick. Ich wollte wissen, wie sie dachten. Was sie wollten. Und wie ich zwischen den Zeilen bestehen konnte.

Als ich beim letzten Absatz ankam, blieb mein Blick an einem Namen h?ngen.

Junker Hagrobald von Erlengrund.

Ich kannte ihn. Nicht gut. Nicht vertraut. Es m?chte Zufall sein ? ja. Aber es w?re auch denkbar, dass mehr dahintersteckte. Immerhin war das Schreiben nicht an mich gerichtet, sondern an eine 'verantwortliche Person'. Und doch hatte es seinen Weg genau in meine H?nde gefunden.

Damals war er noch ein frischer Adeptus ? ehrgeizig, h?flich, mit tadelloser Handschrift und dem unausgesprochenen Ziel, einmal selbst Einfluss auszu?ben. Ich war zu jener Zeit kurz vor meinem Aufstieg ? jung, aber nicht naiv, und gewillt, die Welt zu ver?ndern, nicht blo? zu ordnen.

Ich rief Nicoletta wieder nach vorn ? ich w?rde mich erst um anderes k?mmern m?ssen. Mit meinem Notizbuch, Federkiel und Tinte, ein paar B?gen Papier und einem Glas Most setzte ich mich an den gro?en Tisch beim Feuer.

Zun?chst verfasste ich einen kurzen Brief an Lirael. Sie w?rde f?r mich ein paar Informationen besorgen m?ssen ? ?ber meinen alten Bekannten Hagrobald.

Dann machte ich mir Notizen zu den Dingen, die ich wohl brauchen w?rde: Hinweise auf Pachtgrenzen, alte Tavernenprivilegien, vielleicht sogar das l?ngst vergessene Gesetz ?ber freie Herbergen entlang der alten Handelsstra?en, das einst von einem halbvergessenen Zirkel ratifiziert worden war.

Doch ich belie? es nicht dabei. Ich schlug eine andere Seite im Notizbuch auf und begann, Pl?ne zu skizzieren, Fragen zu ordnen, Begriffe zu pr?fen. Welche Rechte k?nnten hier einst gegolten haben? Welche Freiheiten waren dokumentiert ? oder absichtlich nie niedergeschrieben worden? Ich dachte an alte Karten, an vergessene Erlasse, an Geschichten von fahrenden Schreibern und m?ndlichen B?ndnissen.

Sollte sich meine erste Idee als Sackgasse erweisen, wollte ich nicht ohne eine Alternative dastehen.

Ich kam in dieser Nacht erst sp?t zur Ruhe, doch ich sah der ganzen Angelegenheit schlie?lich deutlich gelassener entgegen als zu jenem Moment, als der Beauftragte des Rates die Taverne verlassen hatte.
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