Für E'lessar war es ein Ritual an fast jedem Abend geworden. Zunächst nur in der Sicherheit und Abgeschiedenheit des Yew, dann auch an den südlichen Küstenstreifen und schließlich in den Städten der Menschen. Farendor nannte es spöttisch Shao'noa - Abendspaziergang, wenn er seinen Weg in Yew begann.
Abendspaziergang traf es wohl nicht ganz. Nur einen kleinen Teil jedes Weges legte er gehend zurück. Viel häufiger ließ er das mandra ihn auflösen, zu einem anderen Ort treiben und dort wieder zu erscheinen. Oft legte er kurze und lange Pausen ein - im Schatten eines der ältesten Yewbäume, weit im Norden des Waldes; aber auch am Rande des Minoceer Wochenmarktes, oder weit oberhalb des Hafens von Jhelom, vor dem schneidenden Wind geschützt eng an eine Palisade geschmiegt.
Minoc, im Sommer
He, du! Interesse an Elfendingen?
E'lessars Blick bliebt unvermittelt an einem struppigen jungen Mann haften, dessen Worte er über das Meer der Worte ausgemacht hatte. Hier war Minocs Wochenmarkt nicht nur Treffpunkt für Handwerker und Kräuterfrauen, für Schreiner und Schmiedinnen. Auch die eine oder andere zwielichtige Gestalt unter den telor wollte hier zweifelhafte oder verbotene Ware losschlagen. Das iama lamia mini’rai verlieh ihm mehr schlecht als recht die Gestalt eines Menschen. Einem flüchtigen Blick würde die Illusion wohl standhalten.
Rasch bahnte er sich einen Weg durch die Händler und Käufer, näher an den Mann heran. Mehr als einmal musste er sich mit einem gemurmelten Wort entschuldigen - zu langsam, zu erratisch waren die Bewegungen der Menschen um ihnen immer auszuweichen.
Über die Schulter eines breiten Holzfällers hinweg spähte der Lichtelf auf die Waren des Mannes. In ein grobes Wolltuch geschlagen hatte der Mann zwei grün glänzende Säbel dabei, hielt sie auffordernd einer Frau der neusten Mode aus Britain hin. Mit schmalen, blassen Fingern fuhr sie über die Klinge, dann über den Ledergriff der oberen Waffe.
5000 Goldstücke für beide zusammen.
Die dunkle, raue Stimme der Frau überraschte E'lessar, und er wich einen Schritt hinter den Holzfäller zurück. Beide Klingen waren keine thara, nur kunstfertige Nachahmungen. Mit 500 Goldstücken hätte die Frau schon zu viel bezahlt. Aber der Endîro war nicht hier, um den einen Betrüger gegen den anderen auszuspielen. Er drehte sich weg, hörte die weiteren Verhandlungen schon nicht mehr, wandte sich dem Fluss zu, und vor dort seinem nächsten Ziel.
Jhelom, an einem bitterkalten Herbsttag
Fast jeden Abend steht ihr hier, Herr Elf. Is' euer Schiff noch nich' angekommen, wa?
Ein bärtiger Schauermann, das Gesicht dunkelbraun von der Sonne verwittert, hatte sich unweit des Elfen eine ähnliche Position im Windschatten gesucht. Der Elf strich sein Haar aus dem Gesicht - eine vergebliche Geste. Der Seewind zerrte an seiner Frisur ebenso wie an der weiten Robe. Wie ein Segel blähten sich die Ärmel auf und nach einem Moment musste er sich dem Wind geschlagen geben.
Ich warte auf kein Schiff... begann er leise. Es dauerte einen weiteren Moment bis er den angestrengten Blick des Menschen bemerkte.
Entschuldige, ich warte auf kein Schiff! noch einmal deutlich lauter. Diesmal hatte ihn sein Gegenüber verstanden und nickte.
Dann sucht ihr nach'm Träger, oder Waren aus ferne Länders? Der Mann zeigte ein fast zahnloses Lächeln. Mit einem unhörbaren Seufzer schüttelte E'lessar den Kopf. Dieses Mal kam er dem Mann etwas näher, damit auch seine normale Stimme über den Wind tragen würde.
Ich bin hier wegen des Wetters .. solche Stürme gibt es es im Yewwald nicht. Wolken in der Farbe von fast trockener Tinte. Während der letzten Worte hobt er einen Arm, deutete gen Süden, wo dunkle Sturmwolken in einem wogenden Ballen aus dunklen Blau- und Lilatönen auf den Horizont trafen.
Der Mensch folgte der Geste mit dem Blick, betrachtete die Wolken einen langen Augenblick, bevor wieder den Elfen ansah, der Blick diesmal skeptisch.
Wolken? Wirklich? der ungläubige Unterton war auch über den Wind leicht auszumachen Also ich guck' ja auch lieber in'n Himmel als Weinfässer auszuladen. Aber ich würd' dafür nich nach Yew lauf'n. Muss wohl so'n Elfending sein.
Ungläubig schüttelte er den Kopf und wandte sich von E'lessar ab, wieder zu dem Schiff am zweiten Pier. E'lessar musste unwillkürlich schmunzeln.
Naja meine Pause is' gleich vorbei. Viel Erfolg bei den Wolken, Herr Elf.
E'lessar lächelte noch immer, hob eine Hand zum Abschied.
Sha'dhao, telor. und sah dem Mann nach, der grade so langsam zu seinem Arbeitsplatz zurück schlenderte, dass kein Vorarbeiter ihm Faulheit vorwerfen konnte.
Rand des Yewwalds, ein schneereicher Winter
Der Frost war unnachgiebig, griff mit knisternden Fingern aus nadelscharfem Schmerz nach Gesicht und Händen. E'lessar wirkte das la'bha haza'sama, aber das taube Gefühl würde eine Weile bleiben, ihn erinnern.
Der junge mha'fae auf der anderen Seite der Straße hatte den neuen Grenzstein ausgerichtet und trat einen Schritt zurück, um sein Werk zu betrachten.
Eôrla. nahm ihm E'lessar die Bewertung seiner Arbeit ab. Er hatte den alten Stein halb im Unterholz versunken aufgefunden. Wahrscheinlich hatte ein hau'morka ihn genutzt, um seinen Rücken zu kratzen. Den größten Teil hatte er heute morgen schon nach Yew gebracht. Ein kleines, vom Oberteil abgebrochenes Stück trug er unter dem Ärmel der Robe. Die glatte Oberfläche würde sich angenehm in der Hand anfühlen, wenn sie nicht so eiskalt wäre.
Das mandra des a’bha a’sela lala a’lee brachte beide Elfen in wenigen Herzschlägen zurück in das Zentrum von Yew. Jetzt im Winter, konnte man von hier bis zur Festung der Paladine des Mondes sehen.
Eilig verabschiedete sich andere von E'lessar. Man sah ihm an, dass er es kaum erwarten konnte ins warme zu kommen. Und wer wollte es ihm verdenken? Doch der Endîro hatte noch das Stückchen Grenzstein bei sich. Kurzentschlossen zog er den Ärmel zurück, betrachtete das Stück von allen Seiten. Auch wenn nur ein Teil der Schrift erhalten war, der eingemeißelte Satz nicht mehr zu entziffern, blieb der Grenzstein eindeutig elfisch. Die der glatte Oberfläche, die elfische Rune Biundavar direkt unterhalb der Spitze, all dies war klar erkennbar.
Der Stein war, wie alles um ihn herum, in tiefstem Herzen und Vollständig ein Elfending. E'lessar lächelte, als er das zerza’jah'mandra in den Stein lenkte, ihn in weiße Asche wandelte, die auf den Boden rieselte, nicht zu unterscheiden vom frischen Schnee.
Dreierlei Elfendinge
- E'lessar Telperien
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