Geschichten aus der Taverne – Yon Essray
Die Taverne lag still im Dämmerlicht des frühen Abends. Nur das Knistern im Kamin und das ferne Rufen eines Käuzchens durchbrachen die Ruhe. Bareti stand hinter dem Tresen, ihr türkisfarbenes Notizbuch aufgeschlagen, den Federkiel in der Hand, als die Tür sich öffnete.
Nicht zögerlich, sondern bestimmt.
Ein Reisender trat ein. Hochgewachsen, in dunklem Mantel, den Staub der Straße noch auf den Stiefeln. Die Kapuze lag tief im Gesicht, doch seine Bewegungen waren kontrolliert, bedacht. Er trat bis in den Schein des Herdfeuers, ehe er sprach.
„Ich such die Dame Bareti“
Sie legte den Federkiel zur Seite und lächelte freundlich.
„Dann habt ihr sie gefunden!“
„Yon Essray. Ich suche Euch – oder besser: den Ort, den man mit Euch verbindet. Man sagte mir, hier finde man nicht nur Ruhe, sondern auch Wegweiser.“
Ein stilles Nicken.
„Dann habt Ihr recht gehört. Willkommen.“
Sie deutete auf einen der Tische. Als er sich setzte, trat sie näher.
„Wasser oder Tee?“
Er schien kurz zu überlegen.
„Wasser wäre gut. Danke.“
Bareti verschwand in der Küche und kehrte mit einem Krug und einem einfachen Becher zurück. Sie stellte beides vor ihn, ohne Fragen.
Yon trank langsam, schweigend. Dann, nach einem Moment:
„Ich reiste bisweilen mit wenig Besitz. Was auch in Ordnung war … doch treibt der Hunger – und meine Beine sind müde.“
Beim Wort Hunger fuhr Bareti fast ein wenig auf. Sie hatte den Blick gerade gesenkt, doch nun hob sie ihn scharf und musterte ihn neu.
„Ihr habt nichts gegessen?“ fragte sie leiser.
Yon zuckte leicht mit den Schultern.
„Ich habe in meinem Leben nichts gelernt, was mir Einkommen bringen könnte.“
Er senkte den Blick, ein leises Seufzen entglitt ihm.
Ohne ein weiteres Wort verschwand Bareti erneut hinter dem Vorhang. Als sie zurückkam, trug sie einen Teller mit dunklem Brot, etwas Käse, ein Stück getrocknetes Fleisch und ein paar eingelegte Wurzeln.
„Es ist keine Mahlzeit für Könige, aber besser als Luft.“
Yon sah sie an, beinahe überrascht von der plötzlichen Fürsorge.
„Sehr aufmerksam von euch.“
„Ich lebe von Gästen. Und von dem, was sie erzählen – oder verschweigen.“
Yon begann zu essen, ruhig und methodisch, wie jemand, der gelernt hat, weder zu hasten noch zu bitten. Als er fertig war, lehnte er sich leicht zurück.
Die beiden unterhielten sich eine Weile, sprachen von Verzicht und dem Leben. Schließlich schien die Zeit des Mannes zum gehen gekommen.
„Ich werde weiterziehen – bald. Doch ehe ich gehe, bräuchte ich etwas.“
Er griff an den Gürtel, an dem nichts hing außer einer kleinen Ledertasche.
„Etwas zum Schutz. Ich trage nichts mehr, das mir dient.“
Bareti nickte langsam, musterte ihn einen Moment, dann verschwand sie in den hinteren Raum. Als sie zurückkehrte, trug sie zwei Gegenstände:
Einen langen, dunklen Zweihandstab, schlicht, aber fest, mit Silberbändern am Griff – ein Reisestab, den man nicht unterschätzen sollte.
Und eine schwere Keule aus schimmerndem Verite, in festes Leder gewickelt.
„Der Stab trägt alte Wegzeichen in der Maserung. Er hilft beim Gehen. Die Keule... für das, was einem den Weg streitig machen will.“
Yon nahm beides entgegen, prüfte den Stab, das Gewicht der Keule. Schließlich nickte er.
„Ihr habt nicht zu viel versprochen.“
Als er sich erhob und zur Tür ging, reichte Bareti ihm einen kleinen Beutel. Metall klirrte leise darin.
„Damit der nächste Weg nicht gleich der letzte wird.“
Yon hielt kurz inne, dann nahm er den Beutel mit einem leichten Neigen des Kopfes entgegen.
„Ich schulde Euch mehr, als ich sagen kann. Vielleicht... sehen wir uns wieder.“
„Es war schön eure Bekanntschaft zu machen, ich bin sicher, wir hören wieder voneinander.“ erwiderte die auffällige Wirtin.
„Ebenso. Und bedenkt, ich zahle zurück.“
Und mit diesen Worten trat er hinaus in die Nacht – leiser, als ein Mann mit Keule eigentlich gehen sollte.
Geschichten aus der Taverne – Yon Essray
Geschichten aus der Taverne – Yon Essray
Zuletzt geändert von Bareti am 08 Mai 2025, 18:41, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Geschichten aus der Taverne – Yon Essray
Die Straße danach – Yons Gedanken
Die Nacht war kühl, aber klar. Ich ging nicht schneller, als ich musste. Nicht aus Müdigkeit, sondern weil etwas in mir noch verweilen wollte – dort, wo Feuer knisterte und eine Fremde mir Brot reichte, ohne eine Schuld daraus zu machen.
Ich hatte nichts von Arachnan gesagt. Nicht ein Wort. Und doch schien er dort gewesen zu sein – in der Art, wie sie mir begegnete.
Es ist der Verzicht, den er schätzt. Nicht aus Schwäche, nicht aus Mangel. Sondern weil er frei macht. Weil er den Blick nach innen wendet, wo Wahrheit wohnt.
Bareti lebt diesen Verzicht. Sie gibt, wo andere horten. Sie fragt nicht, wo andere prüfen. Und in der Leere zwischen zwei Fragen findet sich ein Glaube, der stärker ist als jeder Schwur.
Ich hätte ihr von ihm erzählen können – vom Leeren, vom Trennenden, vom Licht hinter dem Verlust. Aber vielleicht hätte das mehr verschreckt als geöffnet. Sie muss ihn nicht kennen. Nicht beim Namen. Nur in der Stille.
Ich hatte das Gefühl, dass sie nicht wirklich glaubte. Sie sprach von „Verzicht“, ja, aber sie tat es als eine Art Philosophie, als eine persönliche Disziplin, die sie selbst gewählt hatte. Doch Verzicht war mehr als nur eine persönliche Entscheidung. Er war der Weg zu einer höheren Wahrheit, einer, die durch den Glauben an Arachnan offenbart wurde. Dieser Glaube, der uns lehrt, dass alles, was wir brauchen, bereits in uns ist – und dass wir nur loslassen müssen, um es zu finden.
Aber es war nicht der Moment, um sie zu drängen. Nicht jetzt. Ich wusste, dass ich ihr nicht sagen konnte, was ich dachte, nicht sofort. Nicht, wenn ich sie wirklich erreichen wollte. Vielleicht war es die Art, wie sie mir Brot reichte, ohne einen Hauch von Erwartung. Vielleicht war es der Moment, als sie mir den Stab und die Keule gab, ohne ein Wort der Erklärung, als wüsste sie, dass ich sie brauchen würde. Ich konnte nicht einfach von einem Glauben sprechen, der so tief und kompliziert war, ohne dass sie bereit war, den gleichen Weg zu gehen.
Und doch nagte der Gedanke an mir.
Ich musste ihr zeigen, dass der wahre Weg, den sie suchte, mehr war als nur der Verzicht auf Magie. Es war der Verzicht auf alles, was uns bindet. Der Glaube an Arachnan, der uns nicht nur von allem Unnötigen befreite, sondern uns auch den Weg zu uns selbst zeigte. Und während ich in der Dunkelheit ging, fragte ich mich, ob Bareti den Unterschied zwischen einem leeren Leben und einem von Arachnan gelebten Leben je begreifen würde. Denn für mich war es das, was mich antrieb: der Glaube, der uns nicht nur formt, sondern uns auch zeigt, was wir wirklich sind, hinter den Masken und den Schichten, die wir uns selbst auferlegen.
Vielleicht würde sie es irgendwann sehen. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber irgendwann. Ich konnte nicht anders, als an sie zu denken, an ihre Worte, an ihren Weg. Der Glaube an Arachnan war ein Ruf, der nicht leicht zu hören war – und doch war es genau dieser Ruf, der in der Stille des Verzichts am lautesten ertönte.
Ich fragte mich, ob sie den Ruf hören würde. Ich fragte mich, ob sie irgendwann den Glauben annehmen würde, der für mich alles bedeutete. Nicht aus Zwang, sondern aus der Erkenntnis, dass er uns Freiheit bringt – wahre Freiheit.
Doch in diesem Moment wusste ich, dass es nicht meine Aufgabe war, sie zu drängen. Ihre Zeit würde kommen, wenn sie bereit war. Und vielleicht, nur vielleicht, wenn der Winter kam und die Taverne still und leer war, würde sie an mich denken – an den Mann, der mit wenig Gepäck kam und doch mehr trug, als es auf den ersten Blick schien.
Ich würde nicht predigen. Ich würde nicht drängen. Ich würde abwarten und beobachten, ob sie eines Tages den Weg finden würde – den Weg, den auch ich gegangen war, als ich das erste Mal Arachnan in mein Leben ließ. Und vielleicht, wenn der Moment reif war, würde sie den gleichen Ruf hören.
Ich ging weiter. Die Straße war noch immer ruhig. Aber in mir war etwas, das sich bewegte, leise, aber fest. Der Glaube war nicht tot. Und vielleicht, wenn sie bereit war, würde er auch in Bareti erwachen.
Und das genügt. Für jetzt.
Die Nacht war kühl, aber klar. Ich ging nicht schneller, als ich musste. Nicht aus Müdigkeit, sondern weil etwas in mir noch verweilen wollte – dort, wo Feuer knisterte und eine Fremde mir Brot reichte, ohne eine Schuld daraus zu machen.
Ich hatte nichts von Arachnan gesagt. Nicht ein Wort. Und doch schien er dort gewesen zu sein – in der Art, wie sie mir begegnete.
Es ist der Verzicht, den er schätzt. Nicht aus Schwäche, nicht aus Mangel. Sondern weil er frei macht. Weil er den Blick nach innen wendet, wo Wahrheit wohnt.
Bareti lebt diesen Verzicht. Sie gibt, wo andere horten. Sie fragt nicht, wo andere prüfen. Und in der Leere zwischen zwei Fragen findet sich ein Glaube, der stärker ist als jeder Schwur.
Ich hätte ihr von ihm erzählen können – vom Leeren, vom Trennenden, vom Licht hinter dem Verlust. Aber vielleicht hätte das mehr verschreckt als geöffnet. Sie muss ihn nicht kennen. Nicht beim Namen. Nur in der Stille.
Ich hatte das Gefühl, dass sie nicht wirklich glaubte. Sie sprach von „Verzicht“, ja, aber sie tat es als eine Art Philosophie, als eine persönliche Disziplin, die sie selbst gewählt hatte. Doch Verzicht war mehr als nur eine persönliche Entscheidung. Er war der Weg zu einer höheren Wahrheit, einer, die durch den Glauben an Arachnan offenbart wurde. Dieser Glaube, der uns lehrt, dass alles, was wir brauchen, bereits in uns ist – und dass wir nur loslassen müssen, um es zu finden.
Aber es war nicht der Moment, um sie zu drängen. Nicht jetzt. Ich wusste, dass ich ihr nicht sagen konnte, was ich dachte, nicht sofort. Nicht, wenn ich sie wirklich erreichen wollte. Vielleicht war es die Art, wie sie mir Brot reichte, ohne einen Hauch von Erwartung. Vielleicht war es der Moment, als sie mir den Stab und die Keule gab, ohne ein Wort der Erklärung, als wüsste sie, dass ich sie brauchen würde. Ich konnte nicht einfach von einem Glauben sprechen, der so tief und kompliziert war, ohne dass sie bereit war, den gleichen Weg zu gehen.
Und doch nagte der Gedanke an mir.
Ich musste ihr zeigen, dass der wahre Weg, den sie suchte, mehr war als nur der Verzicht auf Magie. Es war der Verzicht auf alles, was uns bindet. Der Glaube an Arachnan, der uns nicht nur von allem Unnötigen befreite, sondern uns auch den Weg zu uns selbst zeigte. Und während ich in der Dunkelheit ging, fragte ich mich, ob Bareti den Unterschied zwischen einem leeren Leben und einem von Arachnan gelebten Leben je begreifen würde. Denn für mich war es das, was mich antrieb: der Glaube, der uns nicht nur formt, sondern uns auch zeigt, was wir wirklich sind, hinter den Masken und den Schichten, die wir uns selbst auferlegen.
Vielleicht würde sie es irgendwann sehen. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber irgendwann. Ich konnte nicht anders, als an sie zu denken, an ihre Worte, an ihren Weg. Der Glaube an Arachnan war ein Ruf, der nicht leicht zu hören war – und doch war es genau dieser Ruf, der in der Stille des Verzichts am lautesten ertönte.
Ich fragte mich, ob sie den Ruf hören würde. Ich fragte mich, ob sie irgendwann den Glauben annehmen würde, der für mich alles bedeutete. Nicht aus Zwang, sondern aus der Erkenntnis, dass er uns Freiheit bringt – wahre Freiheit.
Doch in diesem Moment wusste ich, dass es nicht meine Aufgabe war, sie zu drängen. Ihre Zeit würde kommen, wenn sie bereit war. Und vielleicht, nur vielleicht, wenn der Winter kam und die Taverne still und leer war, würde sie an mich denken – an den Mann, der mit wenig Gepäck kam und doch mehr trug, als es auf den ersten Blick schien.
Ich würde nicht predigen. Ich würde nicht drängen. Ich würde abwarten und beobachten, ob sie eines Tages den Weg finden würde – den Weg, den auch ich gegangen war, als ich das erste Mal Arachnan in mein Leben ließ. Und vielleicht, wenn der Moment reif war, würde sie den gleichen Ruf hören.
Ich ging weiter. Die Straße war noch immer ruhig. Aber in mir war etwas, das sich bewegte, leise, aber fest. Der Glaube war nicht tot. Und vielleicht, wenn sie bereit war, würde er auch in Bareti erwachen.
Und das genügt. Für jetzt.
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