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Der "Tod" von Arencia Dorn-Fernol

Verfasst: 16 Mai 2025, 16:56
von Arencia
Der kalte Wind pfiff durch die undichten Wände ihrer armseligen Hütte am Rande der kargen Minenfelder von Minoc. Wieder einmal war Arencia mit leeren Händen und noch schwererem Herzen von ihrer verzweifelten Suche nach Erz für die Ilharess zurückgekehrt. Die Stollen, die sie in den letzten Wochen mit einer Mischung aus Notlügen, Drohungen und manchmal auch einem Hauch ihrer alten Magie "bearbeitet" hatte, waren wie leergefegt. Entweder gab das Gestein nichts mehr her, oder die wenigen verbliebenen Minenarbeiter hatten gelernt, ihre Nähe zu meiden wie die Pest selbst.

Arencia ließ sich auf die harte Pritsche fallen, die ihr als Bett diente. Staub rieselte von der Decke.
Die Erkenntnis ihres endgültigen Versagens schlug ein wie ein vergifteter Blitz: Die Metallquote war unerreichbar.
Panik, roh und eisig, begann von ihr Besitz zu ergreifen, kroch wie Spinnengift durch ihre Adern.

In dieser zugigen Hütte, ihrem Gefängnis nahe Minoc, fühlte sie sich leerer als die ausgebeuteten Erzadern da draußen, kälter als der Wind, der durch die Ritzen heulte.
Arencia zu sich selbst hat geschrieben:Die Ilharess... Was wird sie mit mir tun. Nein, die Frage ist nicht was, sondern wie grausam wird ihre Strafe ausfallen.
Allein der Name war ein Synonym für unvorstellbare Qualen, für Schreie, die in den lichtlosen Tiefen von Elashin verhallten, ohne je ein Echo der Gnade zu finden.
Arencia zu sich selbst hat geschrieben:Sie wird mich nicht einfach töten. Oh nein, das wäre eine viel zu milde Gabe für eine Wanre, die versagt hat. Sie wird mich als Exempel statuieren. Jeder meiner Knochen, jeder meiner Nerven wird ihren Zorn spüren, bis ich darum bettle, von ihren verdammten Spinnen verschlungen zu werden, nur damit es aufhört.
Die Erinnerung an die Wärme in der Taverne von Moonglow, an das sanfte Lächeln der Wirtin, tauchte wie ein grausamer Scherz in ihren Gedanken auf, ein flackerndes Irrlicht in der Dunkelheit ihrer Verzweiflung.
Arencia zu sich selbst hat geschrieben:Diese Wärme... warum nur musste ich sie spüren. Sie macht die Kälte hier, die Kälte in mir, nur noch unerträglicher. Es ist wie ein glühendes Eisen auf offener Wunde, jedes Mal, wenn ich daran denke. Ein Leben, ein winziger Augenblick von etwas anderem, das ich niemals wirklich haben werde. Und die Ilharess... sie wird nicht nur meinen Körper bestrafen. Sie wird diese winzige, kostbare Erinnerung an etwas Gutes in mir finden, sie wird sie vergiften, sie gegen mich verwenden, bis ich winselnd am Boden liege und wünschte, ich hätte nie etwas anderes als Hass und Angst gekannt.
Tränen brannten in ihren Augen, Tränen der Wut, der Ohnmacht, der totalen Erschöpfung.
Arencia zu sich selbst hat geschrieben:Ich kann nicht mehr kämpfen. Wogegen auch. Gegen ein Schicksal, das mir als Dienerin der Drow von Geburt an in die Seele geätzt wurde. Gegen eine Welt, die für meinesgleichen nur Leid und Dunkelheit bereithält.
Und da, in den Tiefen ihrer Verzweiflung, als die Mauern ihrer Hütte wie die eines Grabes auf sie zukamen, hörte sie sie wieder – die trockene, raschelnde Stimme aus dem Wald. Findualia.
Ja, das war ihr Name. Findualia hatte ihn ihr anvertraut, damals, während jenes endlosen, surrealen Gesprächs, als die Grenzen zwischen den Welten zu verschwimmen schienen. Sie hatte von Orten gesprochen, an denen der Tod eine starke Präsenz hat, wo die Schleier zwischen den Welten dünn sind. Friedhöfe... ja, Friedhöfe. Und sie hatte gesagt, wie man sie rufen konnte: ihren Namen an einem solchen Ort anrufen, fast wie ein Gebet an eine längst vergessene, düstere Gottheit.
Arencia zu sich selbst hat geschrieben:Keine Gefühle mehr. Das ist es. Das ist die einzige Rettung. Die einzige wirkliche Freiheit.
Ihr Verstand klammerte sich an diesen Gedanken wie ein Ertrinkender an ein letztes Stück Treibholz in einem sturmgepeitschten Meer.
Arencia zu sich selbst hat geschrieben:Wenn ich nichts mehr bin als Knochen, reine, stille, unempfindliche Knochen, dann kann mir niemand mehr wehtun. Nicht die Ilharess mit ihren Spinnen und Peitschen. Nicht meine eigenen verräterischen Erinnerungen, die mich martern. Findualia wird es verstehen. Sie hat die wahre Freiheit erkannt.
Minoc hatte keinen richtigen Friedhof, keinen Ort, der alt und von Tod durchtränkt genug gewesen wäre, um als Ankerpunkt für eine solche Beschwörung zu dienen. Britain. Die große Menschenstadt im Süden. Dort musste es einen geben. Der Marsch von ihrer armseligen Hütte bei Minoc nach Britain würde Tage dauern. Tage, die zu einer Pilgerreise ins Herz ihrer eigenen Finsternis wurden, zu ihrem letzten, verzweifelten Akt.
Der Marsch war eine Tortur, nicht nur für ihren geschundenen Körper, sondern vor allem für ihren aufgewühlten Geist. Die Landschaft zog an ihr vorbei, Wälder, Felder, kleine Dörfer – doch Arencia sah sie kaum. Ihr Blick war nach innen gerichtet, auf das tobende Chaos ihrer Seele.
Ihr Inneres war ein Schlachtfeld widerstreitender Gefühle und wahnhafter Hoffnungen.
Arencia zu sich selbst hat geschrieben:Was ist schon ein Körper. Dieses Fleisch, das hungert, das dürstet, das bei jedem Schlag zuckt und bei jeder Demütigung brennt. Knochen sind ewig. Knochen fühlen nichts. Die Ilharess kann Knochen nicht so brechen, wie sie einen Geist bricht. Sie kann keine Seele aus kalten, toten Knochen reißen.
Diese Logik, so verdreht und falsch sie bei klarem Verstand gewesen wäre, bot ihr in ihrer jetzigen Verfassung einen seltsamen, düsteren Trost.
Arencia zu sich selbst hat geschrieben:Die Wirtin in Moonglow... ihr Lächeln... eine Falle. Alles an dieser Oberflächenwelt ist eine Falle, eine Fassade. Es gibt keine Wärme ohne Hintergedanken, keine Güte ohne einen verborgenen Preis. Nur Schmerz in tausend Verkleidungen. Findualia... sie allein hat die Wahrheit erkannt. Nur im Nichts ist Wahrheit. Im Stillstand. Im Ende allen Fühlens.
Manchmal, in Momenten trügerischer Klarheit, flüsterten Zweifel, Überreste ihres alten, analytischen Verstandes.
Arencia zu sich selbst hat geschrieben:Aber... alles aufgeben. Meine Magie, die ein Teil von mir ist, meine einzige Waffe, mein einziger Stolz. Mein Bewusstsein. Mein Ich. Ist das nicht auch nur eine andere Form der Vernichtung, eine totale Kapitulation.
Doch die Angst vor der Ilharess, die unerträgliche Last ihrer Emotionen, die Erinnerung an jede Demütigung, schrien diese leisen Zweifel nieder, erstickten sie im Keim.
Arencia zu sich selbst hat geschrieben:Was ist dieses 'Ich' denn schon wert. Eine gequälte Wanre, ein Spielball grausamer Drow-Launen, ein Bündel aus Schmerz und geplatzten Träumen. Besser kein 'Ich' als dieses elende, leidende 'Ich'. Besser die kalte, ewige Stille als dieses endlose innere Schreien.
So wanderte sie, getrieben von einer fast fiebrigen Entschlossenheit, einer Pilgerin gleich, die ihrem dunklen Heiligtum entgegenstrebte.
Endlich, nach Tagen, die wie eine Ewigkeit wirkten, erreichte sie Britain. Die Stadt war ein Moloch aus Lärm, Gerüchen und einer wimmelnden Geschäftigkeit, die Arencia in ihrer jetzigen Verfassung noch verhasster war als je zuvor. Sie fragte sich nicht lange durch, mied den Kontakt mit den Menschen so gut es ging.

Ein alter, großer Friedhof lag am Rande der Stadt, von hohen, efeubewachsenen Mauern umgeben, ein Ort des Vergessens und der tiefen Stille inmitten des pulsierenden Lebens. Hier war es. Hier musste es sein.

Die Dämmerung senkte sich bereits herab, als sie durch das rostige, quietschende Tor trat. Verwitterte Grabsteine, von Moos und Flechten überzogene Engelsskulpturen, eine Atmosphäre, schwer von vergangenen Leben und dem allgegenwärtigen Hauch des Todes. Es war perfekt. Unheimlich. Und für Arencia seltsam verlockend.

Sie suchte sich eine entlegene Stelle, unter einer alten, knorrigen Eiche, deren kahle Äste wie die Klauen eines knöchernen Untiers in den fahlen Abendhimmel griffen. Ihre Hände zitterten, ihr Herz hämmerte einen wilden Rhythmus gegen ihre Rippen, aber ihr Entschluss war felsenfest, geschmiedet im Feuer ihrer Verzweiflung.

Findualia,“ rief sie in die hereinbrechende Nacht, ihre Stimme lauter und klarer, als sie es selbst erwartet hätte, getragen von der schieren Intensität ihres Flehens, ihrer letzten Hoffnung. „Findualia, ich rufe dich. An diesem Ort des Todes, wie du es mir gesagt hast. Findualia.“

Sie wiederholte den Namen wie ein Mantra, wie ein verzweifeltes Gebet an ihre letzte, schreckliche Hoffnung, an die Architektin ihrer ersehnten Auslöschung.

Eine plötzliche Kälte zog über den Friedhof, intensiver und schneidender als die natürliche Abendluft. Zwischen den Gräbern schien sich die Dunkelheit zu verdichten, zu einer greifbaren Präsenz zu werden.
Langsam, fast schwebend, materialisierte sich eine Gestalt. Das fahle Tuch, das sie wie ein Leichentuch umhüllte, darunter die unverkennbaren, scharfen Konturen eines weiblichen Skeletts. Die leeren Augenhöhlen fixierten Arencia.
Ihre Stimme, das vertraute trockene Rascheln, als würde Wind über jahrhundertealte Knochen streichen. „Ich habe deinen Ruf gehört, Kind der Schatten und des Staubes. Deine Verzweiflung hallt laut an den Orten des Todes, sie ist wie ein Leuchtfeuer für meinesgleichen. Du hast den Weg zu mir gefunden, wie ich es dir einst wies.“
Arencia zu sich selbst hat geschrieben:Sie ist es. Sie ist wirklich gekommen. Meine Einbildung... sie ist wahr geworden. Meine Rettung. Meine einzige, letzte Rettung.
Tränen der Erleichterung und des puren, fiebrigen Wahnsinns strömten Arencia über die Wangen, hinterließen helle Spuren auf ihrer staubigen Haut.

Sie stürzte auf die Knie, die feuchte, kalte Erde des Friedhofs drang durch ihre dünne Robe, doch sie spürte es kaum. „Findualia. Ich habe versagt. Die Ilharess... sie wird mich vernichten. Dieses Leben... es ist eine endlose Qual. Ich kann nicht mehr.“

Die Worte brachen aus ihr hervor, ein Geständnis ihrer totalen Kapitulation vor dem Leben, vor dem Schmerz, vor der Hoffnungslosigkeit.
„Nehmt mir dieses Leben, Findualia,“ schrie sie, ihre Stimme nun heiser und brüchig vor Emotionen, die sie so verzweifelt loswerden wollte. „Macht mich zu dem, was Ihr seid. Macht mich zu einem Skelett, befreit von diesem Fleisch, diesem Schmerz, diesen verdammten, quälenden Gefühlen. Gebt mir diese Freiheit, die Ihr kennt. Löst meine Probleme, löscht mein Leid aus. Befreit mich von den Drow, von der Angst, von mir selbst. Bitte. Das ist die einzige Lösung. Die einzige.“

Arencia blickte zu ihr auf, zu dem Skelett im fahlen Licht des Friedhofs. Ihre ganze Existenz, ihr ganzer Wille, lag in diesem Moment in Findualias knöcherner Hand, ihr Verstand zersplittert in tausend Teile, aber geeint in diesem einen, wahnwitzigen Wunsch nach der ultimativen, kalten Freiheit.

Findualias knöcherne Gestalt verharrte reglos. Die leeren Augenhöhlen des Skeletts schienen Arencias zitterndes, am Boden kauerndes Ich zu durchdringen. Eine Stille senkte sich über sie, nur unterbrochen von Arencias eigenem, keuchendem Atem. Dann neigte Findualia kaum merklich den Schädel.

„Das Fleisch ist eine Bürde. Die Seele ein Käfig aus Schmerz. So vernahm ich es einst aus deinem Munde, als die Verzweiflung frisch in dir keimte.“ Ihre Stimme war das trockene Rascheln von Knochen auf Grabesstaub, ohne jegliche Emotion, aber mit dem Gewicht von Äonen. „Der Wunsch nach Beendigung... nach Veränderung... ist ein alter Gesang. Ich habe ihn oft vernommen.“

Ein letztes, tiefes Seufzen entrang sich Arencias Brust, ein Laut, der all ihre zerbrochenen Hoffnungen, ihre unerträgliche Angst vor der Ilharess, das qualvolle Echo der Wärme aus Moonglow und das absolute, chaotische Verlangen nach dem Nichts in sich trug.
Arencia zu sich selbst hat geschrieben:Es gibt keinen anderen Weg mehr. Keinen. Nur diesen.
Sie hob den Kopf, blickte in die leeren Augenhöhlen, die das Ende aller Dinge zu spiegeln schienen.

„Es ist so weit...“, flüsterte sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch, aber erfüllt von der endgültigen Kapitulation. „Töte mich.“
Findualias Antwort kam ohne Zögern, flach und endgültig wie ein fallender Grabdeckel.

„Wie du willst.“

Ihre knöcherne Hand hob sich langsam, und eine Kälte, intensiver als alles, was Arencia je gefühlt hatte, begann von ihr auszustrahlen. Es war keine Kälte der Luft, sondern eine Kälte, die direkt in ihre Seele zu kriechen schien, jede verbliebene Wärme auslöschend.

Die Worte "Wie du willst" hallten in ihrem schwindenden Bewusstsein wider. Ein grausamer Hohn auf jede Entscheidung, die sie je selbst zu treffen versucht hatte. Und doch... war es nicht genau das, was sie gewollt hatte.
Das Ende der Verantwortung. Das Ende des Kampfes.

Ein unsichtbarer Griff packte ihr Innerstes, eisig und unerbittlich. Es war kein Schmerz im herkömmlichen Sinne, eher ein Entgleiten, ein Hineingezogenwerden in eine unermessliche, gleichgültige Leere.

Die Gesichter der Ilharess, der Wirtin von Moonglow, sie alle zerrissen zu bedeutungslosen Fragmenten vor ihrem inneren Auge und verblassten.
Sie spürte, wie sie in die kalten, unbarmherzigen Hände des Todes glitt, in den ewigen Dienst jener Mächte, die als Lichlords über die endlosen Legionen der Nichtlebenden gebieten.

Ihre letzte bewusste Wahrnehmung war das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu werden, einer zahllosen, willenlosen Horde.

Kein Schmerz mehr. Keine Angst. Keine Wärme. Nur... kalt. Und still.
Arencia zu sich selbst hat geschrieben:Endlich... frei...
Das war ihr letzter, verblassender Gedanke, bevor Arencia, die Drow-Wanre, nicht mehr war.