Schwer lastete die Hitze unter dem kuppelartigen Dach des Thronsaals, das mit obsidianschwarzen Verzierungen und filigranen Silberintarsien glänzte. Das Licht schien aus keinem bestimmten Ursprung zu stammen, vielmehr vibrierte es, als würde der Raum selbst atmen. An diesem Tag war der Saal voller als gewöhnlich. Das gesamte Qu’ellar hatte sich versammelt, in festlicher, wenn auch strenger Gewandung, denn eine Audienz der Ilharess war stets eine Prüfung – und ein Schauspiel zugleich.
Jhea’kryna Ky’Alur saß auf dem erhöhten Thron aus geflochtenem Knochenglas, ein Werk der Meister aus Urak-Vel. Ihre Haltung war aufrecht, das Kinn leicht erhoben, ihre Augen scharf wie Obsidiansplitter. Zu ihrer Rechten stand Xurina, die Qu’el Vedriss – eine unerschütterlich loyale Schattenweberin, deren Blick selbst in Momenten der Stille lauerte. Zu ihrer Linken Sorn, der Qu’el Veldruk, mit verschränkten Armen, bleicher Haut und diesem Schatten im Blick, der nur von jenen getragen wurde, die zu oft das flehende Zittern der letzten Atemzüge gesehen hatten. Sein Ausdruck war neutral, aber jeder wusste: Ein Wort der Ilharess – und der Saal wäre ein Ort des Blutes.
Am anderen Ende des Raums öffneten sich die hohen Türen. Zwei Gestalten traten ein. Alniira voran, mit einem selbstsicheren Lächeln auf den Lippen und übertriebener Grazie in jedem Schritt. Neben ihr der Magier Tath’raen – still, kontrolliert. Zwischen ihnen wurde die imposante Gestalt eines Gargoyles in Ketten geführt: Dre’taurel.
Ein Raunen ging durch die Reihen. Lyr’sa, die weit hinten stand – zu unwichtig, um eine bessere Position zu beanspruchen – konnte kaum mehr erkennen als Silhouetten. Sie hatte sich fein gemacht, das beste Kleid gewählt, den Werkzeuggürtel aber dennoch angelegt, ein Zeichen ihres Standes als Schmiedin. Die Hände umklammerten die Schachtel mit den beiden Dolchen, gefertigt als Geschenk – ein Dankeschön für den Gargoyle, den Alniira der Ilharess überbringen wollte. Ein Teil in ihr wollte das Kästchen wegwerfen, ein anderer Teil wusste: Es war zu spät, um sich zu verweigern.
Vorn aber, auf dem Thron, leuchteten Jhea’krynas Augen auf. Ihr Blick glitt über den Gargoyle, maß seinen Körperbau, seine Aura, seine Ungebundenheit. Als Dre eine schnarrende, trotzige Bemerkung machte, lächelte Jhea leise. Ihre Stimme war sanft, aber sie schnitt durch den Raum wie eine Peitsche aus Glas.
„Ein schönes Spielzeug mit Stimme. Doch Stimme ist ein Privileg, kein Recht.“
Dre schwieg. Nur für einen Moment. Dann murmelte er etwas – trotzig, halb versteckt.
Sorns Kopf wandte sich kaum merklich. „Ich kann ihm sehr rasch beibringen, wie laut Stille ist“, raunte er leise, mehr zum Thron als zu irgendwem sonst. Die Ilharess hob leicht die Hand, ein gebietender Finger.
„Noch nicht. Seine Zunge gefällt mir. Ich möchte sehen, wie lange sie tanzt, bevor sie sich verknotet.“
Hinter dem Thron, fast wie ein Schatten an der Wand, stand Sonei’elet, ihre Lichtelfe. In ein schlichtes, graues Kleid gehüllt, hielt sie sich still, die Augen gesenkt. Sie war zu wertvoll, um nicht in Sicht zu sein – und zu gefährdet, um ihr zu viel Aufmerksamkeit zu gestatten.
Die Audienz war eröffnet. Doch sie war längst entschieden.
Der marmorne Boden des Thronsaals hallte wider, als Sarkul Tal'vharin die schwere Tür hinter sich schloss. Ein kurzes Zögern, dann trat er ein – lauter, als es sich gebührte. Augen wandten sich ihm zu. Der Klang seiner Schritte störte das Gewicht der Spannung im Raum. Jhea’kryna Ky’Alur hob eine Augenbraue, ihr goldener Blick verengte sich, als sie den Finger hob und stumm auf ihn zeigte.
„Voran“, sagte sie knapp.
Sarkul erstarrte für den Bruchteil eines Herzschlags, ehe er sich in Bewegung setzte. Der Saal schwieg. Nur das leise „Takk… takk… takk…“ ihrer Fingernägel auf der Thronlehne war zu hören, ein nervöses, bedrohliches Pochen. Als er endlich vor ihr stand, blieb er aufrecht stehen. Zu lang.
„Nieder“, zischte sie.
Er kniete zögerlich nieder. Ohne ein weiteres Wort griff Jhea zur Seite, nahm die Schlangenpeitsche vom samtenen Kissen und ließ sie durch die Luft tanzen.
„Wie kannst...“ Peitsch
„...es wagen...“ Peitsch
„...meine Audienz...“ Peitsch
„...zu stören!“ Peitsch
Die fünf lebenden Köpfe der Peitsche fauchten und wanden sich, zwei bissen zu. Sarkul zuckte, das Gift nahm rasch Wirkung – lähmend, nicht tödlich.
„Bedank dich“, befahl sie kalt.
Er brachte ein tonloses, kehliges „Xas, malla Ilharess“ hervor, ehe er taumelte und hinten in den Reihen zusammenbrach – gelähmt, aber lebendig.
Die Aufmerksamkeit im Saal hatte sich bereits verschoben. Alniira trat vor.
„Malla Ilharess, ich habe euch verraten und belogen.“
Jhea hielt beim Aufrollen der Peitsche inne. Ihre Züge versteinerten.
„Weiter…?“, kam es leise, aber unüberhörbar.
„Ich habe euch bestohlen.“
Sorns Hand lag schon auf dem Griff seiner Klinge. Die Spannung war greifbar. Als Alniira auf die Knie sank, standen Worte und Stahl gleichermaßen im Raum.
Sie fuhr fort: Von einem Netzwerk unter den Menschen, von gestohlenem Wissen aus der Sorcere. Dass sie nie als Yathrin dienen wollte. Dass sie aus Misstrauen gegen Jhea handelte – aus Furcht. Dass sie Gespräche in Moonglow hatte abhören lassen. Dass daraus das Artefakt entstand. Der Splitter des gefallenen Sterns.
„Und du…“, sagte Jhea, leise wie ein Flüstern, „…du hast also meine Akademie hintergangen. MEINE Archive geplündert… unter Menschen gelebt… und das alles – ohne meine Erlaubnis?“
„Xas, malla Ilharess.“
„Du glaubst, der Dienst an Elashinn gestattet dir eigenmächtiges Handeln?“
„Xas…“
„Du bist zu blind. Und gar… zu unbedeutend.“
„Würde ich es tun, wäre ich nun nicht hier.“
Jhea trat von der Empore herab, trat zu ihr, hob mit festem Griff ihr Kinn.
„Ich habe dich geformt. Dir einen Platz gewährt unter meinem Dach. Meinem Schatten. Und du… schmiedest im Verborgenen? Ich sollte dich verstoßen. Aussetzen. An die Oberfläche.“
„Xas, das wäre das Beste.“
„Und doch stehst du hier – mir ein Geschenk übergebend. Du bist eine Viper, Alniira.“
„Xas, malla Ilharess.“
„Aber du bist MEINE Viper.“
Sie ließ ihr Kinn los. Ein Moment des Schweigens. Dann wandte sie sich ab, stellte sich mit dem Rücken zu ihr.
„Du warst bereit zu sterben, xas?“
„Ich hätte es verdient… und ich habe mich darauf vorbereitet.“
Jhea drehte sich langsam zurück.
„Wenn du wirklich bereit warst, für deinen Verrat zu sterben… dann wirst du jetzt bereit sein, dafür zu leben. Und zu dienen. Bedingungslos.“
„Xas, das bin ich, malla Ilharess. Und ich danke euch.“
Sorn ließ die Klinge zurück in die Scheide gleiten. Xurina gähnte gespielt. Sarkul im hinteren Teil des Raumes schien das Urteil kaum fassen zu können. Jhea trat zurück auf den Thron und setzte sich.
„Vergiss diesen Tag nicht, Alniira. Er wird sich nicht wiederholen. Du bist eine Jalil. Wertvoll für das Qu’ellar. Doch noch einmal… werde ich den Veldruken nicht um sein Vergnügen bringen.“
Ein Raunen ging durch die Menge. Xurina lächelte.
„Es sieht so aus, als hätte die Ilharess zwei Spielzeuge an einem Tag geschenkt bekommen…“
