Sziedeyna war müde.
Ihr Auftrag in Moonglow war – wie so oft – kräftezehrend gewesen. Außerhalb der Stadt fragte sie einen Passanten nach der nächsten Taverne, der ihr Baretis Taverne empfahl.
Wird so gut wie jede andere sein, dachte sie sich. Wer auch immer dieser Bareti sein sollte.
Die Wegbeschreibung war nicht kompliziert, und der Weg nicht weit. So kam sie am Abend an ein großes Gasthaus, das von innen hell beleuchtet war.
Das muss es sein, murmelte sie leise zu sich selbst. Als sie sich dem Gebäude näherte, standen ein paar Gestalten vor der Taverne – was sie aber nicht weiter interessierte. Sie ging an ihnen vorbei, stieß die Tür auf und trat ein.
Was sie dort vorfand, war für sie höchst ungewöhnlich. Nachdem ihre anfängliche Irritation stiller Akzeptanz gewichen war, murmelte sie zu sich selbst:
Illustre Gesellschaft.
Ihr fiel vor allem auf, dass sich zwei Waldelfen im Schankraum befanden, darunter auch die Barelfe. Und dann erspähte sie in der Ecke des Raumes eine Dunkelelfe. Sie warf dieser einen skeptischen Blick zu, entschied sich dann aber, sie zu ignorieren. Alles in allem schien die Situation friedlich, also war sie mehr daran interessiert, endlich den Abend mit einem kühlen Bier abzuschließen.
Sie suchte sich einen Platz etwas abseits vom Geschehen, wo sie ihre Ruhe hatte. Es ging ihr direkt auf die Nerven, dass sie warten musste. In ihrer Fantasie malte sie sich aus, wie sie es am liebsten hätte: Sie betritt die Taverne, setzt sich hin, und jemand bringt sofort das Bier – natürlich die Sorte, die sie am liebsten trinkt.
Sie war kein Mensch vieler Worte. Zu viel Trubel nervte sie und bedeutete für sie Stress. Da war ihr die „Gesellschaft“ von Zombies und Skeletten auf unruhigen Friedhöfen sogar lieber – deren Knochen und verweste Leichenteile, die sie für ihre Auftraggeber besorgte. Nur servierten diese ihr leider kein Bier. Sziedeynas Fantasie war durchaus lebhaft, auch wenn sie nie jemandem davon erzählte. Bei dem Gedanken an Untote, die ihr Bier servierten, schmunzelte sie still in sich hinein. Das war ihr Humor – den sie bloß nie nach außen trug.
Andere Menschen waren für sie eher etwas, mit denen sie manchmal zu tun haben musste, aber viel gewann sie ihnen nicht ab. Sie war eine Eigenbrötlerin, wie sie im Buche stand. Als Waisenkind – durch eigene Absicht – war sie nicht gerade eine Frohnatur. Und das Leben bot ihr auch nicht viel. Sie tat einfach, was nötig war, um irgendwie zu überleben. Sie erledigte die Aufgaben, die anderen zu schmutzig waren. Sie wusste, wie Verwesung roch, und wie der Tod aussah. Es war ihr egal. Sie hatte sich daran gewöhnt. Insofern war ein abendliches Bier – oder auch mal zwei, drei oder vier – so etwas wie ihr persönlicher Höhepunkt.
Dabei konnte sie abschalten. Wenn sie dunklere Gedanken bekam, trank sie einfach etwas mehr. Für derlei Gedanken hatte ihre Vergangenheit genug Material. An guten Tagen war sie eigentlich ganz zufrieden. An schlechten Tagen fragte sie sich, warum sie überhaupt lebte.
Der Abend in der Taverne verlief unerwartet ereignisreich – was wohl an jener illustren Zusammenstellung unterschiedlichster Gestalten lag.
Was machte eine Dunkelelfe hier? Noch dazu eine, die sich derart albern benahm? Sie hatte Erfahrung mit ihrer Art. Zu viel Erfahrung, könnte man sagen. Sie war froh, dass dieses Kapitel hinter ihr lag. Obwohl sie sich manchmal beim Einschlafen die schöneren Momente mit Ye’throl vorstellte, die sie gehabt hatten. Aber insgesamt wünschte sie sich diese Situation nicht zurück. Viel zu gefährlich. Immer ein Fehltritt vom Tod entfernt.
Seitdem das Haus Noquar nicht mehr auf der Oberfläche präsent war, konnte sie sich wieder frei bewegen. Ihre Gedanken fanden zurück zu der tatsächlich im Raum befindlichen Dunkelelfe. Da sie niemand der Anwesenden als Bedrohung sah – und von ihr anscheinend auch keine ausging – kümmerte sie sich nicht weiter um sie.
Und was machten Waldelfen in so einer Taverne, fern ihrer Heimat? Noch dazu hinter dem Tresen? Es konnte nur eine Erklärung geben: Nicht nur in ihrer Stadt passierten seltsame Dinge – offenbar betraf es auch Elfen aller Art. Sie zuckte bei dem Gedanken mit den Schultern.
Solange sie sie nicht nervten, war es ihr eigentlich auch egal.
In der Bar waren noch weitere Gäste. Am Tresen saß der andere Waldelf.
Vielleicht gehören die zusammen? dachte Sziedeyna kurz. Neben ihm saß noch eine Frau, die sich aber die meiste Zeit kaum regte.
Angenehmer Gast, schmunzelte Sziedeyna in sich hinein.
Im Eingangsbereich tat sich auch etwas. Ein Mann mit leuchtenden blauen Augen schien auf eine schmächtige Frau aufzupassen, die sich in Sziedeynas Augen seltsam verhielt. Sie konnte es nicht einordnen. Sie fand sie einfach nur seltsam – als ob ihr irgendwas fehlte.
Ihre Interaktionen mit der waldelfischen Barelfe fielen etwas unharmonisch aus, weil Sziedeyna schnell die Geduld verlor und ihr das mit dem Bier viel zu lange dauerte. Die Barelfe entschuldigte sich ein paar Mal, was Sziedeyna nicht dazu brachte, ihr Verständnis auszudrücken. Sie hatte keine Lust auf derlei oberflächliche Freundlichkeiten. Sie war die Kundin, sie wollte Bier – dann hatte das Bier gefälligst zu kommen. Und zwar am besten schon vor einer Minute. Ob viel los war, war doch nicht ihr Problem.
Sziedeyna hatte nach dem ersten Bier Hunger. Auf der Reise nach Moonglow hatte sie ihre Blutwürste schon verzehrt. Am liebsten hätte sie wieder eine. Sie fragte die Barelfe, ob und was es zu essen gäbe. Am Ende bestellte sie Lammkeule. Diese war geschmacklich noch am ehesten das, worauf sie Lust hatte. Zu der Keule trank sie ein weiteres Bier. Dieses Bier war ziemlich stark. Zwergenbier, hatte ihr die Barelfe gesagt. Welches Bier sie trank, war Sziedeyna nur bedingt wichtig. Sicherlich schmeckte ihr das eine Bier mal besser als das andere, aber sie war da nicht zimperlich. Zwergenbier, Elfenbier, Barbarenbier – Hauptsache Bier. Wein empfand sie als Getränk für eingebildete Schnösel, die sich für etwas Besseres hielten. Zu denen wollte sie gar nicht gehören.
Irgendwann machte die Dunkelelfe eine Szene – weshalb, wusste Sziedeyna nicht. Es interessierte sie auch nicht sonderlich. Im Eingangsbereich gab es immer mal Aktivität, die sie kurz aufblicken ließ, aber ansonsten kümmerte sie sich um ihren eigenen Kram und versank immer wieder mal in Gedanken.
So langsam merkte Sziedeyna den Alkohol. Das starke Zwergenbier hatte sie unterschätzt. Da war Bier wohl doch nicht gleich Bier. Sie wurde enthemmter und begann, sich mehr in das Geschehen des Raums einzumischen. Diese seltsame dürre Frau – die störte sie irgendwie. Die stand entweder herum wie bestellt und nicht abgeholt, oder sie saß am Tisch wie ein Schluck Wasser in der Kurve.
Durch den Alkohol enthemmt, fixierte Sziedeyna sie provokant und setzte sich vor sie an ihren Tisch. Sie wusste nicht so ganz, was sie eigentlich von ihr wollte – aber irgendwas war da offenbar. Vielleicht war es ihre Fragilität, die sie irgendwie provozierte. Sziedeyna schlug sich ständig mit Untoten herum, war eine Kriegerin, die sich mit Waffen behauptete – und diese dünne Figur schien nichts mit ihr gemeinsam zu haben. Deswegen brauchte sie wohl auch diesen Leibwächter, der permanent so eigenartig seine Hand auf ihrer Schulter liegen hatte.
Ohne den Alkohol hätte sie sich wohl schnell dazu entschieden, die beiden einfach sein zu lassen. Aber der Alkohol weckte in ihr eine konfrontativere Seite.
Als sie der dünnen Frau gegenüber am Tisch in die Augen blickte, zuckte sie selbst kurz – merkte davon aber nichts. Irgendetwas in diesem Blick raubte ihr den Drang zur Konfrontation. Danach hatte sie nicht mehr dieselbe Lust, Ärger zu machen.
Der Alkohol wirkte inzwischen so stark, dass sie schwankte, und sie fragte die Barelfe nach einer Möglichkeit, sich zu erleichtern. Diese sagte ihr, wo sich draußen ein Abort befand, und so erhob sie sich etwas schwerfällig wieder von ihrem Platz und verließ schwankend das Gasthaus – um nach einer Weile wieder zurückzukehren.
Sie fragte die Barelfe nach einer Möglichkeit zur Übernachtung. Zu ihrem Glück war im Obergeschoss noch ein Zimmer für die Nacht frei. Nachdem auch bereits ein paar der anderen Gäste sich verabschiedet hatten, ging sie bemüht die Treppe hoch und bezog ihren Raum. Dort entledigte sie sich ihrer Kleidung und legte sich endlich schlafen.
Am nächsten Tag würde sie wieder in ihre Heimatstadt zurückkehren.
Ein Abend in der Taverne
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