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Aus Stahl geformter Trotz

Verfasst: 12 Jul 2025, 20:44
von gelöschter Charakter_779
Es war dunkel in ihrem Quartier, selbst für Elashinner Verhältnisse. Kein Lichtstrahl fiel durch die Spalten der steinernen Tür, keine magische Glut aus den Wandleuchten, die sonst das kalte Dämmerleuchten spendeten. Nur das Nachglimmen des inneren Schmerzes schien ihren Körper zu erhellen – pochend, schwer, unerbittlich.
Lyr’sa wachte langsam auf, wie aus einem Rausch, in dem sich Wirklichkeit und Alptraum ineinander verzogen hatten. Ihr Kopf war bleischwer, der Schädel pochte dumpf gegen ihre Gedanken. Die Zunge klebte trocken am Gaumen. Ihr Magen war leer, aber nicht ruhig – eher wie ein verletztes Tier, das zitternd in der Ecke kauerte.
Sie versuchte, sich aufzurichten, tastete mit fahrigen Fingern nach der Lehne ihres Feldbetts, stieß gegen etwas Kaltes – Metall vielleicht, eine Schale, die noch vom Vortag übrig war. Ihr Gleichgewicht war instabil, ihre Beine gaben nach. Es dauerte mehrere Atemzüge, ehe sie sich überhaupt aufsetzen konnte.

Jeder Muskel fühlte sich an wie wund. Jede Erinnerung wie ein glühender Dorn im Fleisch. Sie konnte sich nur bruchstückhaft erinnern: das Licht in Wind, der dumpfe Schlag gegen ihr Gesicht, der bittere Geschmack des Trunks, das Lachen, ihr Fall. Und Tath’raens Stimme, irgendwo zwischen Gleichgültigkeit und Planung, als wäre sie nur eine Spielfigur, eine bewegliche Ressource.
Sie musste raus. Etwas essen. Frische Luft – oder wenigstens etwas anderes als diese abgestandene Feuchtigkeit, die den Raum erfüllte wie der Dunst über einem Abfallbrunnen.

Sie tastete sich zur Tür, schleppte sich durch die dunklen Gänge des Qu’ellar. Ihre Schritte waren unsicher, das Gehen tat weh, aber sie ging – nicht, weil sie wollte, sondern weil sie es musste. Die Bewegung hielt sie aufrecht. Noch.
Kurz vor der Abzweigung zur Küche – bei Maya, der Köchin – wurde sie angehalten.
Xurina. Natürlich.

Lyr’sa hatte sie fast übersehen, aber Xurina trat gezielt aus dem Schatten, die Arme verschränkt, der Blick kühl.

„Du torkelst. Du bist wieder betrunken“

Lyr’sa versuchte, gerade zu stehen, doch ihre Knie widersprachen.

„Ich... hatte einen Auftrag... eine schwere Nacht... in Wind...“, murmelte sie.

„Ich habe gehört, du hast dich wieder einmal blamiert. Betrunken. Schwach. In Wind. Wie passend.“

Lyr’sa sagte nichts. Ihre Hände ballten sich.
Xurina trat näher, musterte sie von oben bis unten.
„Weißt du eigentlich, wie viele sich schämen, dich zu kennen? Oder... wie viele einfach nur hoffen, dass du bald stirbst, damit du keine Schande mehr bist?“

Der Schlag kam plötzlich. Hart. Von links. Xurinas Handfläche traf Lyr’sas Wange, nicht mit wilder Kraft, sondern mit präziser Verachtung. Lyr’sa stolperte, fiel vornüber, schlug mit dem Kinn auf den Boden. Sie blieb liegen.

„Steh auf“, sagte Xurina kalt. „Oder kriech – aber bleib mir nicht im Weg.“

Dann ging sie. Ohne sich umzudrehen. Lyr’sa richtete sich langsam auf. Es brannte. Alles brannte.
Aber nicht nur der Schmerz. Auch etwas anderes. Etwas, das lange geschlafen hatte.
Sie stand auf. Zitternd. Nahm sich bei Maya ein Stück Fladen, etwas Kaltes aus dem Kessel. Sagte kein Wort. Nicht einmal danke. Und kehrte in ihr Quartier zurück.

Auf dem Weg hörte sie Stimmen. Leises Lachen. Hohes Kichern.
Sie blieb stehen. Lauschte.
In einem Seitengang, halb im Schatten, standen Sarkul und Maldrak.

„Hast du gesehen, wie sie gezuckt hat, als der Zwerg sie an den Haaren packte?“
„Wie ein geangelter Fisch.“
„Ich hab fast Mitleid gehabt. Fast.“

Sie lachten wieder.
Lyr’sa blieb reglos. Sie sah sie nicht direkt, wollte nicht gesehen werden. Aber sie hörte. Jedes Wort. Jedes Lachen. Jeden Atemzug ihrer Verachtung.
Sie ging weiter, langsam, Schritt für Schritt.
In ihrem Zimmer setzte sie sich auf das Bett, das Essen unangetastet auf dem Tisch. Sie starrte ins Leere, aber ihr Geist war wach. Aufgewühlt.
Wie ein Netz voller Windstöße.

Rache.
Sie wollte nicht weinen.
Sie wollte nicht schreien.
Sie wollte zurückschlagen.

Nicht sofort. Nicht blind. Aber präzise.

Sie dachte an ihre Werkzeuge. An die Legierungen. An Gifte. An Fälschungen. An kleine Sabotagen, die wie Zufälle aussahen.
Sie dachte daran, wer zuerst leiden sollte. Wer zuletzt.

Sie dachte an Tath’raen.
Und daran, wie ruhig er geschlafen hatte, nachdem er sie wie einen Bauern geopfert hatte.
Aber noch war es nicht Zeit.

Sie war noch immer nicht ganz bei sich. Der Alkohol - oder das Wahrheitsserum - saß ihr tief in den Knochen, in den Gedanken, im Magen – als habe er sich eingenistet und weigere sich, sie loszulassen. Doch sie hatte keine Wahl: Der Schmelzraum wartete. Der Dienst. Ihre Pflicht gegenüber dem Qu’ellar.

Die Hitze war unerbittlich, trocknete ihren Hals aus, ließ den Kreislauf taumeln. Doch sie arbeitete. Nicht schnell, nicht elegant, aber mit eisernem Willen. Jeder Handgriff war geübt, jeder Temperaturwert stimmte, das geschmolzene Metall floss in gleichmäßigen Strömen in die vorbereiteten Formen. Es war, als hätte ihr Zorn ihr Klarheit verschafft – keine echte Nüchternheit, aber funktionierende Kontrolle.
Alniira trat ein. Allein. Ihr Blick wanderte über die Werkzeuge, über die Öfen, über Lyr’sa – und blieb einen Moment länger hängen als nötig.
Ein kurzes Nicken. Ein kaum sichtbares Lächeln.
„Gut gemacht“, sagte sie leise, fast tonlos.

Lyr’sa sah nicht auf, antwortete nicht. Aber sie hatte es gehört. Und sie hatte es gespürt.
Dann öffnete sich die Tür erneut – Schritte, Stimmen. Andere traten ein.
Alniiras Haltung veränderte sich sofort. Ihre Miene wurde schärfer, die Stimme härter.

„Lyr’sa! Was ist das für ein Winkelmaß? Willst du das Metall beleidigen?“

Lyr’sa sagte nichts. Doch sie verstand. Und sie vergaß nicht.
Der Tag verging in glühender Hitze, in stummem Groll, in sehniger Geduld.

Am Abend lag Lyr’sa in ihrem Bett. Wach. Die Decke bis zur Brust gezogen, den Dolch in der Hand, verborgen unter dem Kissen.
Sie wartete. Und dann kam er.

Tath’raen.

Er betrat den Raum ohne Hast, legte seine Sachen ab, warf ihr nicht mehr als einen flüchtigen Blick zu.
Dann legte er sich auf sein Bett, halb entkleidet, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, als wäre nichts gewesen.

Er schloss die Augen. Lyr’sa beobachtete ihn.

Minuten vergingen, lautlos, zäh, wie erstickte Atemzüge unter Wasser, und während draußen irgendwo das Qu’ellar schlief, zählte Lyr’sa ihre eigenen – einen nach dem anderen, mechanisch, als würde ihr Körper das Einzige sein, das sie noch unter Kontrolle hatte.

Dann stand sie auf.

Langsam, aber entschlossen, jede Bewegung war still, kalkuliert, getragen von einer kalten Klarheit, die sich anfühlte wie Stahl. Der Dolch lag in ihrer Hand, matt glänzend im fahlen Licht der Raumfackel.

Sie bewegte sich wie ein Schatten, leichtfüßig, lautlos, wie eine Erinnerung an ein besseres Selbst, das sie längst begraben hatte. Schritt für Schritt trat sie näher, trat zu dem Bett, wo Tath’raen lag, reglos, scheinbar schlafend – der Rücken ruhig, die Atmung flach, das Gesicht halb verborgen im Halbdunkel.

Sie hob den Arm.

Der Dolch in ihrer Hand zitterte kein bisschen. Ihre Finger umfassten ihn fest, der Griff war vertraut wie all seine gebrochenen Versprechen. Sie hielt ihn eine Sekunde zu lang, als müsste sie sich selbst beweisen, dass sie es konnte – und dann stach sie zu, mit einem einzigen, schnellen, geraden Stoß, direkt dorthin, wo eben noch sein Hals gelegen hatte.

Doch es war kein Fleisch, das sie traf. Nur Stoff. Das Kissen gab nach, dumpf, schwer, leblos.
Tath’raen war nicht mehr dort.

Noch ehe sie den Irrtum ganz begriffen hatte, geschah es – eine Bewegung, schnell, kontrolliert wie eine Klinge im Dunkeln. Er hatte sich seitlich abgerollt, war bereits in Bewegung, als sie realisierte, dass er wach gewesen war – oder nie geschlafen hatte. Er packte sie, riss sie mit sich, sein Gewicht prallte gegen ihres, der Dolch flog klirrend zur Seite, metallisch hallend, bevor er irgendwo zwischen Schatten und Stein verschwand.

Sie landete hart, keuchend, erst auf ihm, dann wieder unter ihm, ein wildes Gerangel, das mehr war als bloß ein Kampf – es war all das, was nie gesagt worden war, was sich angestaut hatte, was jetzt in Körpern sprach, weil Worte längst nicht mehr reichten. Ein Schlag traf seine Schulter, dumpf, gezielt, aus instinktiver Wut. Ein Tritt traf ihre Hüfte, schmerzhaft, aber nicht lähmend.

Sie fauchte, die Lippen aufgerissen, das Gesicht verzerrt von einem Ausdruck, der zwischen Hass, Panik und Trotz schwankte. Ihre Finger krallten sich an ihm fest, kratzten, schlugen, rissen – als wolle sie ihn zerteilen, aufbrechen, zerlegen. Sie war bereit, alles zu verteidigen, was sie noch hatte – auch wenn es nur Wut war und die Erinnerung an Stolz. Mit Zähnen, mit Fingernägeln, mit dem letzten Rest von Stolz, der in ihr glomm.

Dann bekam sie ihn zu fassen – packte ihn am Nacken, zog ihn mit einem wilden, ruckenden Riss herunter, bis er dicht über ihr war, und versuchte, ihn zu fixieren. Ihre Beine schlangen sich um seine Hüfte, fest, verbissen, und ihre Arme pressten sich gegen seine Kehle, nicht zitternd, sondern zielstrebig, voller Absicht, voller Kraft.

Tath’raen japste, sein Körper zuckte kurz auf, sein Griff an ihren Schultern lockerte sich, und für einen flüchtigen Moment war sie im Vorteil. Ihre Technik war nicht elegant, aber sie war effektiv – und sie hatte Wut, rohe, glühende, gelebte Wut.

„Ich bring dich um!“, keuchte sie, ihre Stimme zerfetzt von Anstrengung, von bitterer Ernsthaftigkeit, die kein Schauspiel war.

Doch er war nicht besiegt. Noch nicht.
Mit einem Ruck, einem gut gesetzten Hebel, drehte er sich – ein Bein über sie, das Gewicht verlagert, sein Gleichgewicht zurückerobert. Sie keuchte, als ihr Rücken gegen die Wand stieß, der Griff sich löste, ihr Körper kurzzeitig erschlaffte, nicht aus Schwäche, sondern weil die Luft kurz nicht mehr reichte.

Dann war er auf ihr.

Seine Hände griffen nach ihren Handgelenken, verdrehten sie mit der Ruhe eines geübten Kämpfers so, dass sie keine Hebelwirkung mehr hatte, keine Bewegungsspielräume. Die Schultern auf den Boden gedrückt, ihre Beine blockiert, lag sie unter ihm – festgehalten, eingeklemmt, eingekreist.
Sein Atem ging schwer, stoßweise. Ihrer auch. Zwei Körper, erschöpft, dampfend, aufgeladen.

Sie zitterte. Nicht aus Angst – die hatte sie längst abgeschüttelt.
Es war Raserei. Zorn, der keinen Weg mehr fand. Scham, die keinen Fluch mehr hatte. Und darunter etwas anderes. Etwas, das nicht benannt werden wollte.

Tath’raen sah ihr ins Gesicht.
Sein Blick war ruhig, prüfend, nicht mitleidig, nicht überlegen.
Als wäre er fasziniert – oder einfach ehrlich interessiert.

„Gut gemacht“, sagte er rau, seine Stimme kaum mehr als ein gehauchtes Lob, und ehe sie verstehen konnte, was genau er meinte, beugte er sich herunter – nicht hastig, nicht gewaltsam, sondern mit der Selbstverständlichkeit eines Raubtiers, das keine Erlaubnis braucht, um zu nehmen, was es will.

Seine Lippen trafen ihre, fest, bestimmt, ein Druck, der weder zärtlich noch hart war – einfach da, wie eine Mauer aus Fleisch und Wille. Lyr’sa zuckte, überrascht vom plötzlichen Kontakt, von der Hitze seines Atems, von der Fremdheit dieses Moments, der sich anfühlte wie Diebstahl und Offenbarung zugleich.

Er hielt sie fest, ließ ihr keinen Raum zum Entkommen, doch es war keine rohe Gewalt. Es war eine Umklammerung, wie sie ein Netz bietet: eng, durchdacht, unausweichlich. Sein Körper presste sie gegen die kalte Steinwand, sein Gewicht schwer, nicht schmerzhaft, aber fordernd. Sie spürte die Härte seiner Muskeln, das Zittern seines Atems, der nicht weniger gehetzt war als ihrer.

Seine Hände fanden ihren Weg unter den Saum ihres Obergewands, nicht fordernd, nicht forschend, sondern wie tastend, wie aus einer Vertrautheit heraus, die es eigentlich nicht geben durfte. Finger, die über ihre Taille strichen, ihren Rücken, über die Stelle, an der sie kurz zuvor noch geschlagen worden war. Und sie – sie hätte sich wehren können. Vielleicht. Aber ihre Arme waren noch immer von seinem Griff kontrolliert, ihre Schultern gegen die Wand gedrückt, und selbst wenn sie es gekonnt hätte – sie tat es nicht.

Ihr Herz raste. Ihre Gedanken kreisten. Es war falsch. Es war verachtenswert. Er war der Grund für Wind, für Durgul, für die Erniedrigung. Er hatte sie geführt wie ein Stück Erz durch die Esse, ohne sie zu fragen, ohne Rücksicht.
Und jetzt küsste er sie, als wäre sie Teil seiner Schmiede.
Und sie ließ es zu.

Nicht aus Schwäche. Nicht aus Verlangen.
Sondern weil ihr Kopf zu laut war und ihr Körper zu leise.

Sie fühlte sich betäubt – nicht mehr vom Alkohol, sondern von seiner Nähe.
Ein Teil in ihr schrie, dass sie ihn stoßen sollte.
Ein anderer, dunklerer Teil aber... wollte den Druck seiner Lippen länger spüren.
Wollte das Gefühl, dass da jemand war, der nicht wegsah, sondern festhielt.

Ihr Blick verschwamm, nicht durch Tränen, sondern durch Überforderung.
Sie hasste ihn.
Aber sie spürte ihn.

Und sie spürte sich selbst – lebendig. Wütend. Wärme durchströmt.
So lange hatte sie sich leer gefühlt, verachtet, benutzt. Jetzt war sie – da.
Gefangen, ja. Aber da.

Er hob den Kopf nicht sofort.
Sein Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt, der Atem teilte dieselbe Luft, seine Stirn berührte beinahe ihre.
Ein Lächeln zuckte in seinem Blick. Nicht spöttisch. Nicht überlegen.
Eher wie: Du kämpfst noch – aber nicht gegen mich.

Sie wollte etwas sagen, ein Fluch, ein Hauch, ein Befehl vielleicht – doch ihre Lippen fanden keine Worte.
Und er küsste sie erneut, leiser diesmal, wie eine Wiederholung, nicht als Frage, sondern als Erinnerung.
Und sie antwortete nicht mit Worten. Nur mit Stille. Und mit einem kaum merklichen, ungewollten Nachgeben.

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Hintergrund hierzu die folgenden Storylines

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Re: Aus Stahl geformter Trotz

Verfasst: 12 Jul 2025, 21:54
von gelöschter Charakter_770
Sie hatte etwas vor. Er wusste es. Schon beim Betreten des Raumes war es spürbar – diese angespannte Stille, das zu gleichmäßige Atmen, die Erwartung, die in der Luft hing wie vergifteter Dunst. Tath’raen ließ sich nichts anmerken. Er legte seine Waffen ab, löste die Stiefel, musterte sie nur kurz – wie man ein Tier prüft, das zum ersten Mal Zähne zeigt – und legte sich dann auf sein Bett, halb entkleidet, die Augen geschlossen, die Arme hinter dem Kopf. Keine Provokation, keine Schwäche. Nur Geduld.
Er spürte sie, lange bevor sie sich bewegte. Der Raum veränderte sich, als sie aufstand. Etwas wurde schwerer, fokussierter, wie vor einem Gewitter. Sie bewegte sich gut. Kein Laut. Kein Zögern. Wie eine, die sich selbst neu gefunden hat. Er zwang sich zur Regungslosigkeit, obwohl sein Körper längst bereit war. Der Stoß kam schnell. Direkt, fest, ohne Zögern – und ins Leere. Er war längst nicht mehr dort. Der Dolch fuhr ins Kissen, dumpf, wirkungslos. Er hatte sich seitlich abgerollt, war in Bewegung, noch bevor der Stich kam.
Der Kampf war roh, aber ehrlich. Ihre Wut war keine Pose, sie war Kern. Sie schlug, trat, kratzte – wie eine Drow, endlich. Kein Gezeter, kein Klagen. Nur Wille. Er parierte, konterte, kontrollierte. Doch sie überraschte ihn. Ihre Kraft war real. Ihr Griff, ihr Blick, ihre Stimme – alles an ihr war plötzlich wach, ungezähmt, echt. Als sie ihn an der Kehle packte, die Beine um seine Hüfte schlang und keuchte: „Ich bring dich um!“, da spürte er mehr als Schmerz. Er spürte Stolz. Weil sie endlich verstand, was es heißt, eine von ihnen zu sein. Er löste den Griff, drehte sie, nutzte sein Gewicht, seinen Vorteil, seine Technik. Sie prallte gegen die Wand, keuchte, erschlaffte kurz. Dann war sie gefangen. Unter ihm. Fixiert. Ihre Handgelenke in seinem Griff, der Körper blockiert, der Atem schnell. Sie zitterte. Nicht vor Angst. Vor aufgestautem Zorn. Guter Zorn. Reiner Zorn. Einer, der brauchbar war.
Er sah sie an. Lange. Kein Mitleid, kein Triumph. Nur Interesse. Faszination. Anerkennung. Dann sagte er ruhig: „Gut gemacht.“ Und ehe sie reagieren konnte, küsste er sie. Nicht sanft. Nicht hart. Nur unausweichlich. Sein Atem vermischte sich mit ihrem, die Hitze zwischen ihnen war dicht und scharf wie ein frisch geschmiedetes Messer. Sie zuckte, aber wich nicht aus. Ihre Lippen blieben, wo sie waren. Ihre Augen suchten nicht mehr nach einem Ausweg, sondern nach Halt. Der zweite Kuss war leiser, kürzer, aber kein Versprechen. Dann ließ er sie los, langsam, kontrolliert, als würde er ein Messer in die Scheide zurückführen. Er stand auf, richtete sich, nahm sich die Zeit, seine Kleidung zu ordnen. Sie sah ihn an, ihr Blick war ungeordnet, aber nicht gebrochen. Das war gut. Das war richtig.
„Ich gehe jetzt“, sagte er leise. Eine Pause, sein Blick auf ihr. „Nicht, weil du mich angegriffen hast. Das rechne ich dir hoch an.“ Er drehte sich um, ging zur Tür. „Ich brauche Zeit, mir eine Strafe auszudenken. Nicht für den Versuch. Sondern für deinen Misserfolg.“ Ein kaum sichtbares Lächeln zuckte in seinem Gesicht, ehe er verschwand.

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Re: Aus Stahl geformter Trotz

Verfasst: 14 Jul 2025, 22:16
von gelöschter Charakter_770
Tath’raen wusste, dass er sie hätte melden können. Ein Wort – leise gesprochen, wie im Vorbeigehen, ganz beiläufig in der Waffenkammer oder in der Nähe der Latrinen – und sie wäre verschwunden. Nicht weil er wichtig war, sondern weil sie ein Nichts war. In der Welt der Drow war es nicht das Privileg, das einem Macht gab, sondern die Gelegenheit, und Tath’raen war klug genug, um den Moment zu erkennen, in dem eine Gelegenheit mehr wert war als ein Befehl. Doch stattdessen schwieg er. Nicht aus Gnade. Sondern weil er verstand, dass manche Strafen nicht mit Blut, sondern mit Zeit verhängt werden mussten – und dass nicht jedes Urteil laut gesprochen werden musste, um zu wirken. Er hatte lange wach gelegen nach dieser Nacht. Nicht vor Schmerz, nicht aus Angst – sondern um zu denken. Sie hatte ihn töten wollen. Nicht nur als Symbol, nicht als Geste. Der Dolch hatte gezielt, der Blick war entschlossen gewesen, aber sie war gescheitert. Nicht weil sie gezögert hatte, sondern weil er schneller gewesen war. Das war der Kern. Nicht der Angriff war das Problem. Es war das Versagen. Also entschied er sich für eine Strafe, jedoch keine sichtbare; keine direkte. Nur eine leise, stetige Erinnerung: dass sie zu spät gewesen war. Dass er es wusste. Und dass er wartete. Auf nichts. Oder auf etwas. Das war nicht klar. Und das war der Punkt.
Seitdem veränderte sich nichts und doch alles. Wenn er durch die Korridore des Quellar schritt, in denen der feuchte Stein roch wie verfaulte Eidechsenhäute und der Schweiß der Wachmannschaften, wenn er sich zur Waffenausgabe meldete, sich von der Schreiberin in die Liste der Nachtpatrouillen eintragen ließ – dann geschah es beiläufig. Er begegnete ihr. Nie mehr als zwei, drei Worte. Ein kurzer Blick. Und dann dieses Lächeln. Nicht breit. Nicht künstlich. Nur ein Hauch, ein Andeuten von Wissen – wie ein Dolch, der nicht gezogen wird, aber dessen Gewicht man spürt, wenn er am Gürtel eines anderen hängt. Er sprach sie nicht darauf an. Nicht einmal mit einem Seitenhieb. Stattdessen grüßte er sie fast höflich. Nannte sie beim Namen, wenn andere in der Nähe waren. Und während sie nickte, nicht lachte, aber die Lippen bewegte, sah er es in ihren Schultern: Sie wartete. Auf den Tag, an dem es losging. Auf das Gespräch. Auf die Anschuldigung. Auf die offene Hand. Auf den Befehl, ihre Sachen zu packen. Auf das Messer.
Also wartete er und ließ sie mitwarten. Und jedes Mal, wenn sie aneinander vorbeigingen, ließ er dieses eine, kleine Lächeln da – wie eine Tür, die jederzeit aufspringen könnte. Doch er tat nichts. Und genau das war die Strafe.

Er war schneller - Das Gewicht des Lächelns

Verfasst: 15 Jul 2025, 18:33
von gelöschter Charakter_779
Lyr’sa konnte die Nächte kaum noch voneinander unterscheiden. Zwischen dem rhythmischen Hämmern in der Werkstatt, dem scharfen Scharren von Stahl auf Stein und den flüchtigen Gesprächen mit Befehlshabern, die sie nur beachteten, wenn etwas funktionierte – oder versagte –, hatte sich eine neue Unruhe in ihre Gedanken geschlichen. Sie waren kein Feuer mehr. Kein wütendes Lodern, das alles zu Asche verbrannte. Es war kälter, langsamer, tiefer. Wie glühender Stahl, unter Wasser getaucht – immer noch gefährlich, aber stumm. Und immer dann, wenn sie dachte, sie könne wieder atmen, war er da.

Tath’raen. Sein Schatten zog durch die Gänge, wie ein Raubtier, das keinen Hunger mehr hatte, aber den Jagdtrieb nie ganz verlor. Er sah sie nicht – er ließ sie sich gesehen fühlen. Immer nur ein Blick, ein kurzes Nicken, dieses kaum wahrnehmbare Lächeln. Kein Spott. Kein Mitleid. Nur die Erinnerung: Ich weiß. Und ich war schneller.

In der Nacht ihres Kampfes war ihre Haut noch heiß gewesen, ihre Gedanken ein Rausch aus Scham, Lust, Ohnmacht. Sie hatte gezittert. Nicht aus Angst. Aus Wut. Und irgendwo, ganz tief in ihr, auch aus Verlangen. Seine Stärke war ihr nicht fremd gewesen. Aber diese Art von Macht – dieses Wissen um Kontrolle, um Überlegenheit, dieses leise, selbstverständliche Besiegen – hatte sie nicht erwartet. Nicht so.

Seit dem Vorfall in Ihrem Zimmer war nichts geschehen. Kein Alarm. Keine Strafe. Kein Befehl, sie zu binden oder auszupeitschen. Er hatte sie gesehen – und geschwiegen. Und genau das war schlimmer als jede Rüge. Es war ein Spiel aus Schatten und Andeutungen, das nur einer gewinnen konnte. Und er hatte die Regeln bestimmt.

Sie begegneten sich. Immer wieder. Im Qu’ellar. Bei den Waffen. In der Halle, wenn neue Befehle verlesen wurden. Und jedes Mal war es gleich. Ein Nicken. Ein Lächeln. Ein Blick. Und dann: Schweigen. Nicht das höfliche, distanzierte Schweigen, das Respekt markierte. Nein – das persönliche, intime Schweigen, das sagt: Ich erinnere mich an deinen Fehler. Und ich genieße, dass du dich erinnerst.

Lyr’sa hasste es. Sie hasste ihn. Sie hasste sich. Für ihren Zorn. Für ihre Schwäche. Für ihre Reaktion. Und vor allem: für ihre Sehnsucht. Denn tief in ihr war da etwas, das wollte, dass er es wieder tat. Sie wollte, dass er sie wieder festhielt. Wieder küsste. Wieder zeigte, dass sie ihm unterlag. Nicht, weil sie Schwäche suchte. Sondern weil sie Beweise wollte. Dass sie ihm nicht gleichgültig war. Dass es ein Spiel war. Und kein Urteil.

Doch er schwieg. Und sie wartete. Auf den Moment, an dem er handeln würde. Auf das Urteil. Auf das Ende. Auf den Befehl. Aber es kam nichts. Nur der Alltag, der sich wie ein Schleier über sie legte. Nur die Pflicht, die sie in den Kampf rief. Denn das Haus rüstete sich zum Krieg. Gegen die Elfen aus Yew. Und Lyr’sa war Teil davon.

Sie wusste, was man von ihr erwartete. Neue Klingen. Reparaturen. Prototypen. Effizienz. Und keine Fehler. Alles Dinge, die sie beherrschte – wenn sie sich konzentrierte. Doch in letzter Zeit war ihre Hand zittriger geworden. Der Griff unsicher. Der Blick zu oft in der Vergangenheit. Tath’raen war überall. Nicht in Worten. Nicht in Taten. Aber in der Luft. In den Schatten. In dem Geräusch seiner Stiefel auf dem Steinboden. In dem leisen Knistern, wenn er an ihr vorbeiging.

Sie versuchte, ihn zu ignorieren. Sprach mit niemandem darüber. Nicht einmal mit Xurina, die ohnehin nur Spott übrig gehabt hätte. Doch sie spürte, wie es in ihr gärte. Die Scham. Die Wut. Die Lust. Der Hass. Alles mischte sich zu einem Gefühl, das keinen Namen hatte. Etwas Altes. Etwas Drowisches. Etwas, das nach Blut verlangte.

Also plante sie erneut. Nicht wie beim ersten Mal. Nicht im Affekt. Sondern wie eine Jabbress, die wusste, dass nur ein sauberer Schnitt Ehre bringen konnte. Sie beobachtete ihn. Lernte seine Wege. Seine Gewohnheiten. Seine Pausen. Seine Schwächen – falls er welche hatte. Doch je mehr sie ihn studierte, desto weniger wurde sie sicher. War er wirklich nachlässig? Oder war alles Teil des Spiels?

Er sprach weiterhin kein Wort darüber. Doch manchmal – ganz selten – kam er näher als nötig. Beugte sich über ihre Schulter, als sie an einer Waffe arbeitete. Murmelte ein Lob, so leise, dass sie zweifelte, ob sie es gehört hatte. Und wenn sie dann aufsah, war da wieder dieses Lächeln. Wie ein Messer, das blitzt, aber nicht fällt.

Lyr’sa träumte schlecht. Nächte, in denen sie fiel. In denen er sie auffing. Nächte, in denen er sie küsste – und ihr danach das Herz aus der Brust riss. Und sie wachte auf, schweißnass, verwirrt, voller Schuld und voller Sehnsucht. Sie wollte frei sein von ihm. Doch seine Abwesenheit wäre nur eine andere Form der Folter.

Und während sie weiter ihre Arbeit tat, während sie neue Legierungen schmolz, während sie die Rüstungen der Krieger verstärkte, spürte sie, wie sich in ihr ein Plan formte. Kein Dolch diesmal. Kein Überfall. Sondern etwas Klügeres. Tiefgreifender. Vielleicht eine Sabotage. Vielleicht ein Verrat. Vielleicht ein letzter Versuch, ihm zu zeigen, dass sie mehr war als sein Schatten.

Doch jedes Mal, wenn sie glaubte, bereit zu sein, trat er in ihr Blickfeld. Und alles stürzte ein. Nur ein Wort. Nur ein Lächeln. Nur eine Geste – und sie war wieder verloren. Und während sie sich selbst verfluchte, wusste sie: Er genoss es. Nicht sadistisch. Nicht offen. Aber mit dieser stillen, unerbittlichen Geduld, die nur jene hatten, die schon oft über Leichen gegangen waren.

Sie hatte ihn töten wollen. Und war gescheitert. Doch das wahre Scheitern war nicht das Verpassen des Moments – sondern das Verlorensein in der Folge. Und während draußen die Klingen geschärft wurden, während der Krieg gegen die Elfen näher rückte, spürte sie: Es gab einen anderen Krieg. Einen, der in ihr tobte. Und er war weitaus gefährlicher.

Denn dieser Krieg hatte kein Schlachtfeld. Keine Banner. Keine Befehle. Nur zwei Kämpfer. Und ein Lächeln. Ein Lächeln, das sie zerschneiden wollte – und das doch tiefer schnitt als jede Klinge.