Wenn der Himmel fällt [Sternenfall]
Wenn der Himmel fällt [Sternenfall]
Britain, südlicher Marktplatz, kurz vor Abenddämmerung
Ich weiß nicht mehr, warum ich stehen geblieben bin. Vielleicht war es der Tonfall. Vielleicht der Blick in den Augen dieses Mannes. Vielleicht das Zittern in seiner Stimme, das klang wie etwas, das man tief in sich kennt, aber nicht hören will. Oder vielleicht war es nur Müdigkeit.
Er stand auf einem alten Apfelkarren, barfuß, mit zerrissener Robe, die einmal blau gewesen sein mochte, nun aber mehr nach Asche und Regen roch als nach Farbe. Er hatte keinen Schild, keine Trommel, keine Geste – nur seine Stimme. Und die war rau, fast trocken, wie eine Kehle, die zu lange geschwiegen hatte. Und als er sprach, hörte niemand weg.
„Der Himmel wird uns zerdrücken. Die Sterne, sie fallen! Nicht heute vielleicht, nicht morgen... aber bald.“
Ich weiß, wie das klingt.
Ich weiß, was man uns immer sagt.
„Bleibt ruhig.“
„Vertraut dem König.“
„Die Ordnung wacht.“
Und ich habe es geglaubt. Lange. Zu lange vielleicht.
Aber da war dieser Mann. Und er sagte keine neuen Dinge. Nichts Fremdes. Nichts, das ich nicht schon gehört hätte – in Träumen, in alten Geschichten, in den Augen jener, die nachts an meinem Fenster vorbeihuschen, wenn sie glauben, niemand sehe sie. Aber wenn er es sagte, klang es nicht wie eine Drohung. Es klang wie... eine Erinnerung.
Eine Erinnerung an etwas, das wir alle tief unter der Haut tragen.
Er sprach von der Sonne, die nicht mehr aufgeht. Sternen die fallen. Von einem Klang, den nur Kinder noch hören, kurz bevor sie zu weinen beginnen.
Und ich stand da, mitten unter den anderen, während die Händler versuchten, ihre Waren anzubieten, während Wachen abseits standen und taten, als sähen sie nichts – und ich konnte mich nicht abwenden.
Weil da etwas in mir war.
Etwas, das flüsterte: „Was, wenn er recht hat?“
Denn ich erinnere mich an den letzten Sturm – daran, wie das Licht grün wurde, für einen Moment nur.
Ich erinnere mich an das Feuer in der Bibliothek, das nie erklärt wurde.
Ich erinnere mich an das Bild einer Heiligen mit leeren Augen an der Wand eines Hauses, das längst niedergerissen ist.
Und ich frage mich: Wenn alles gut ist – warum fühlt es sich an, als würden wir jeden Tag etwas verlieren?
Ich wollte lachen. Ich wollte etwas sagen.
Ein kluger Satz, ein Spott, irgendetwas, das die Luft zwischen uns wieder entzaubert hätte.
Aber nichts kam.
Nur Schweigen. Und das dumpfe Gefühl, dass mir die Worte fehlten, weil ich sie nicht glauben wollte – nicht, weil sie falsch waren.
Man sagt, Angst sei ein schlechter Ratgeber.
Dass sie uns Dinge vorgaukelt, die nicht da sind.
Aber was, wenn sie nur das ans Licht bringt, was wir längst weggeschlossen haben?
Denn ich sehe es ja. Überall.
Menschen, die ihre Häuser verkaufen, als würden Ziegel bald keinen Wert mehr haben.
Einige tragen Büßerhemden, laufen barfuß durch den Schlamm, schlagen sich selbst mit Dornenruten, murmelnd, betend, weinend – als könnte Schmerz sie retten vor dem, was kommt.
Sie stehen an Straßenecken, werfen Schmuck in die Flüsse, geben ihr letztes Brot den Ratten, weil sie glauben, dass Besitz sie nur bindet an eine Welt, die bald vergehen wird.
Und ich? Ich bin kein Gläubiger.
Kein Ketzer.
Ich bin niemand, dem man zuhört, wenn es um große Wahrheiten geht.
Ich bin einfach nur müde.
Und während ich dort stand, im Zwielicht zwischen Tag und Nacht, mit dem Ruf des Marktes im Rücken und dem Klang dieser Stimme vor mir, wusste ich nicht, was schlimmer wäre:
Dass er Unsinn redete –
Oder dass jedes einzelne seiner Worte wahr sein könnte.
[Dieser Beitrag wurde von einem SW Spieler erstellt - vielen Dank für diesen Beitrag! =)]
Ich weiß nicht mehr, warum ich stehen geblieben bin. Vielleicht war es der Tonfall. Vielleicht der Blick in den Augen dieses Mannes. Vielleicht das Zittern in seiner Stimme, das klang wie etwas, das man tief in sich kennt, aber nicht hören will. Oder vielleicht war es nur Müdigkeit.
Er stand auf einem alten Apfelkarren, barfuß, mit zerrissener Robe, die einmal blau gewesen sein mochte, nun aber mehr nach Asche und Regen roch als nach Farbe. Er hatte keinen Schild, keine Trommel, keine Geste – nur seine Stimme. Und die war rau, fast trocken, wie eine Kehle, die zu lange geschwiegen hatte. Und als er sprach, hörte niemand weg.
„Der Himmel wird uns zerdrücken. Die Sterne, sie fallen! Nicht heute vielleicht, nicht morgen... aber bald.“
Ich weiß, wie das klingt.
Ich weiß, was man uns immer sagt.
„Bleibt ruhig.“
„Vertraut dem König.“
„Die Ordnung wacht.“
Und ich habe es geglaubt. Lange. Zu lange vielleicht.
Aber da war dieser Mann. Und er sagte keine neuen Dinge. Nichts Fremdes. Nichts, das ich nicht schon gehört hätte – in Träumen, in alten Geschichten, in den Augen jener, die nachts an meinem Fenster vorbeihuschen, wenn sie glauben, niemand sehe sie. Aber wenn er es sagte, klang es nicht wie eine Drohung. Es klang wie... eine Erinnerung.
Eine Erinnerung an etwas, das wir alle tief unter der Haut tragen.
Er sprach von der Sonne, die nicht mehr aufgeht. Sternen die fallen. Von einem Klang, den nur Kinder noch hören, kurz bevor sie zu weinen beginnen.
Und ich stand da, mitten unter den anderen, während die Händler versuchten, ihre Waren anzubieten, während Wachen abseits standen und taten, als sähen sie nichts – und ich konnte mich nicht abwenden.
Weil da etwas in mir war.
Etwas, das flüsterte: „Was, wenn er recht hat?“
Denn ich erinnere mich an den letzten Sturm – daran, wie das Licht grün wurde, für einen Moment nur.
Ich erinnere mich an das Feuer in der Bibliothek, das nie erklärt wurde.
Ich erinnere mich an das Bild einer Heiligen mit leeren Augen an der Wand eines Hauses, das längst niedergerissen ist.
Und ich frage mich: Wenn alles gut ist – warum fühlt es sich an, als würden wir jeden Tag etwas verlieren?
Ich wollte lachen. Ich wollte etwas sagen.
Ein kluger Satz, ein Spott, irgendetwas, das die Luft zwischen uns wieder entzaubert hätte.
Aber nichts kam.
Nur Schweigen. Und das dumpfe Gefühl, dass mir die Worte fehlten, weil ich sie nicht glauben wollte – nicht, weil sie falsch waren.
Man sagt, Angst sei ein schlechter Ratgeber.
Dass sie uns Dinge vorgaukelt, die nicht da sind.
Aber was, wenn sie nur das ans Licht bringt, was wir längst weggeschlossen haben?
Denn ich sehe es ja. Überall.
Menschen, die ihre Häuser verkaufen, als würden Ziegel bald keinen Wert mehr haben.
Einige tragen Büßerhemden, laufen barfuß durch den Schlamm, schlagen sich selbst mit Dornenruten, murmelnd, betend, weinend – als könnte Schmerz sie retten vor dem, was kommt.
Sie stehen an Straßenecken, werfen Schmuck in die Flüsse, geben ihr letztes Brot den Ratten, weil sie glauben, dass Besitz sie nur bindet an eine Welt, die bald vergehen wird.
Und ich? Ich bin kein Gläubiger.
Kein Ketzer.
Ich bin niemand, dem man zuhört, wenn es um große Wahrheiten geht.
Ich bin einfach nur müde.
Und während ich dort stand, im Zwielicht zwischen Tag und Nacht, mit dem Ruf des Marktes im Rücken und dem Klang dieser Stimme vor mir, wusste ich nicht, was schlimmer wäre:
Dass er Unsinn redete –
Oder dass jedes einzelne seiner Worte wahr sein könnte.
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- Auriel Toleno
- Beiträge: 15
- Registriert: 21 Mai 2025, 19:49
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Re: Wenn der Himmel fällt [Sternenfall]
Langsam aber zielgerichtet marschierte im Hintergrund ein kleiner Trupp der Stadtgarde über den Marktplatz. Die Bürger zerrissen sich immer wieder lästernd den Volksmund über die Exerzierübungen der Gardisten. "So lange brauchten sie wohl, nur um dann noch immer krachend durch die Straßen zu poltern."
Doch die Bürger wussten nicht, dass es genau das war, was sie brauchten, wonach ihre Herzen sich sehnten. Stabilität, Sicherheit. Ein Klang der die Gewissheit ausstrahlte, dass jemand da war. Jemand, den man rufen konnte. Jemand, der beobachtete. Jemand, der Recht und Ordnung umsetzte.
So verstand Auriel sich und den Trupp, den er anführte.
Rüstungen waren leise. Zu leise. Lärm bedeutete Abnutzung und Schäden. Es brauchte außer Wissen nicht viel um dafür zu sorgen, dass Rüstungen lange hielten. Seien es Platten oder Kettenhemden. Um In guten Rüstungen laut zu sein, dafür bedarf es viel Übung und Training. Der richtige Gang mit nagelbewehrten, rutschsicheren Stiefeln. Das Straffen und das kleine aber ruckartige Absenken der Haltung mit jedem Schritt. Und schon war der Mythos lauter Rüstungen geborgen, der bis in die Kindergeschichten einzog hielt.
Und er zeigte Wirkung. Einige Bürger gingen ihrer Wege, als die Gardisten die Sicherheit eines kommenden Tages ausstrahlend an ihnen vorüber schritten. Manch einer wirkte sogar beschämt, dass sie dem Verrückten so lange zugehört hatten. Den Wortfetzen, die Auriel auf die Entfernung aufschnappte, entnahm er nichts, was unmittelbares Handeln erforderte.
Und doch...
Die Stimmung hatte sich über die letzten Tage und Wochen verändert. Etwas lag in der Luft. Etwas, das der Gardist in seinem langen Dienst an der Krone schon dreimal zuvor wahrgenommen hatte. Innerlich hoffte er, dass er sich irrte, dass es dieses Mal anders verlaufen würde. Doch sein Instinkt irrte sich nicht. Schon beim zweiten und dritten Mal hatte er es vorausgesehen und dieses Mal würde es nicht anders kommen.
Ob Reichskanzler Adersin ahnte, was in der Luft lag? Es war in letzter Zeit erstaunlich ruhig um ihn geworden.
Doch die Bürger wussten nicht, dass es genau das war, was sie brauchten, wonach ihre Herzen sich sehnten. Stabilität, Sicherheit. Ein Klang der die Gewissheit ausstrahlte, dass jemand da war. Jemand, den man rufen konnte. Jemand, der beobachtete. Jemand, der Recht und Ordnung umsetzte.
So verstand Auriel sich und den Trupp, den er anführte.
Rüstungen waren leise. Zu leise. Lärm bedeutete Abnutzung und Schäden. Es brauchte außer Wissen nicht viel um dafür zu sorgen, dass Rüstungen lange hielten. Seien es Platten oder Kettenhemden. Um In guten Rüstungen laut zu sein, dafür bedarf es viel Übung und Training. Der richtige Gang mit nagelbewehrten, rutschsicheren Stiefeln. Das Straffen und das kleine aber ruckartige Absenken der Haltung mit jedem Schritt. Und schon war der Mythos lauter Rüstungen geborgen, der bis in die Kindergeschichten einzog hielt.
Und er zeigte Wirkung. Einige Bürger gingen ihrer Wege, als die Gardisten die Sicherheit eines kommenden Tages ausstrahlend an ihnen vorüber schritten. Manch einer wirkte sogar beschämt, dass sie dem Verrückten so lange zugehört hatten. Den Wortfetzen, die Auriel auf die Entfernung aufschnappte, entnahm er nichts, was unmittelbares Handeln erforderte.
Und doch...
Die Stimmung hatte sich über die letzten Tage und Wochen verändert. Etwas lag in der Luft. Etwas, das der Gardist in seinem langen Dienst an der Krone schon dreimal zuvor wahrgenommen hatte. Innerlich hoffte er, dass er sich irrte, dass es dieses Mal anders verlaufen würde. Doch sein Instinkt irrte sich nicht. Schon beim zweiten und dritten Mal hatte er es vorausgesehen und dieses Mal würde es nicht anders kommen.
Ob Reichskanzler Adersin ahnte, was in der Luft lag? Es war in letzter Zeit erstaunlich ruhig um ihn geworden.
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Die Bühne der Göttin [Sternenfall]
Der Bote kniete im Schatten der Halle, tief unter den steinernen Bögen, den Kopf gesenkt, den Mantel vom Staub der Oberfläche bedeckt, und als er mit gedeckter Stimme zu berichten begann, war es, als würde er mehr beichten als sprechen – von Städten, in denen das Flüstern lauter geworden war, von Märkten, in denen die Händler früher schlossen, von Gassen, in denen rostige Kreuze errichtet und stumpfe Gesichter mit zu klaren Augen zu Predigern wurden, und von den Orten, an denen diese Stimmen sich festgesetzt hatten: Britain, Trinsic, Minoc, sogar das ferne Duesterhafen, dessen Mauern mehr der Gier als der Wahrheit lauschten – dort überall war es nun zu hören, jenes leise, ansteckende Raunen vom Ende, das wie Schimmel durch Ritzen kroch, wo früher Gebete gesprochen wurden.
Jhea’kryna saß still, regungslos, wie aus einer anderen Zeit gegossen, und nichts in ihrer Haltung verriet, ob sie diese Kunde als Triumph oder Bedrohung empfand, doch als der Bote schwieg, die letzten Worte hingen noch in der Luft, da hob sie kaum merklich das Kinn, entließ ihn mit einem kaum sichtbaren Wink der Hand, und wartete, bis die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, ehe ein Ton ihre Lippen verließ – ein kehliges, kurzes Lachen, trocken und ohne jedes Anzeichen von Freude, vielmehr von jenen geisterhaften Momenten getragen, in denen ein Plan, so alt wie dunkel, sich zu entfalten beginnt.
Es war soweit, oder beinahe – noch nicht das Finale, noch nicht der Moment der Erscheinung, aber die beängstigende Ruhe vor dem Sturm, und sie wusste, dass das, was nun kam, vorbereitet sein musste. Nicht hastig, nicht auffällig, sondern wie eine Bühne, auf der sich etwas Unausweichliches zeigen würde. Sie erhob sie sich langsam, trat ans große Fenster ihres Thronsaals, die die Kaverne der Stadt Elashinn überblickten. An der fernen Wand lag noch immer die ausgebrannte Ruine des Qu'ellar Zauviir, welche nach und nach von neuen Einwohner in Beschlag genommen wurde, wie von Maden die sich über einen toten Kadaver hermachten. Sie würde einen Ort brauchen an dem Ihr Kraftspeicher die Energien der Furcht der Menschen aufnehmen könnte. Einen Ort der hoch oben lag, geschützt vor den Elementen, und neugierigen Blicken. Dennoch offen genug, dass auch der letzte verzweifelte Seufzer empfangen werden könnte. Sie musste kurz kichern. Diese Narren des Nok'tau Orden Malions hatten diese Tür geöffnet und nun war keiner mehr von Ihnen hier um sie zu durchschreiten. Sie würde dies nutzen und für ihre Pläne gebrauchen.
Sie trat vom Fenster zurück, schritt hinüber zu ihrem Arbeitszimmer wo ihre Zofe bereits auf Sie wartete.
"Eine Karte der Oberfläche Sonei' - jetzt!"
Die Lichtelfe zuckte zusammen und trat das Regal in dem die Karten gelagert wurden.
"Eure Karte, erhabene...", flüsterte die Elfe kurz und reichte ihr diese den Kopf tief gesenkt. Auf dem Tisch ausgebreitet betrachtete Jhea'kryna die auf Pergament gezeichnete Karte.
Dort waren Britain, die Ettinzacken, der Ch'an Pass, das Despisetal, dass Ettintal und der Berg Vharash-Zynalar – ein Berg, dessen Name selbst unter den Drow nicht mehr oft ausgesprochen wurde, denn er klang wie ein Urteil, langgezogen und zischend..
Dort, auf diesem uralten Rücken aus Basalt und Nebel, wo der Himmel dem Stein so nah war, dass man versucht war sich ducken zu wollen um sich nicht den Kopf zu stoßen, sollte es errichtet werden – das Podest, ein Unterstand, nicht aus Prunk, nicht aus Zier, sondern aus kaltem Zweck und witterungsfestem Stein, offen an allen Seiten, damit der Wind die Angst der Massen bis in ihre Knochen tragen konnte und die Stimmen jener, die schreien oder flehen würden, ungehindert bis zu den Ohren der Göttin dringen mochten.
Jhea'kryna gab die Anweisungen, die Schmiede zu rufen, die Baumeister zu versammeln. Sie sollten die Pläne anfertigen mit den Maßen, den Vorgaben, der Lage und dem Baugrund. Während all dessen ließ sie ein Gedanke ließ nicht mehr los, kaum mehr als ein scharfes Flackern in der Dunkelheit ihres Geistes, ein Name, der sich wie eine alte Wunde in Erinnerung brachte: Lyr’sa. Sie drehte sich, rief nach einem Boten, verlangte, dass man ihr Bericht überbringe, wo sich die Schmiedin befinde, jene zitternde, widerspenstige Kreatur, die mehr Pein als Nutzen verursachte, und doch unter all dem Fluch eine Art von Wert trug – eine, die sich vielleicht noch entfalten mochte, wenn man sie richtig zerbricht.
Die Antwort kam schneller, als erwartet – von einer Zhaunil-Daerryn, einer der stillen Schwestern, deren Gesicht wie immer hinter einem seidenen Schleier verborgen lag, der selbst das Licht dämpfte, das auf ihre dunklen Augen fiel. Sie sprach kein Wort, denn das war nicht ihre Art, aber mit einer einzigen, fließenden Geste – zwei Finger zur Stirn, dann ein angedeuteter Kreis über dem Herzen, gefolgt vom stummen Aufrichten der Wirbelsäule – übermittelte sie, was gesagt werden musste: Lyr’sa befand sich im Kerker, nicht etwa als Strafe für Ungehorsam gegenüber der Ilharess, sondern auf ausdrücklichen Befehl von Xael’vyra, die offenbar ohne Rücksprache entschieden hatte, dass es an der Zeit sei, eine Lektion zu erteilen.
Ein leichtes Neigen des Kopfes, ein kaum merkliches Zucken ihrer Schulter, verriet zudem, dass sie diesen Umstand nicht ohne ein gewisses Maß an stiller Belustigung zur Kenntnis genommen hatte – denn für jene, die das System durchdrungen hatten, war es eine beinahe ironische Randnotiz, dass ausgerechnet Lyr’sa, diese schreckhafte, stotternde Funkenfängerin, nun unter den Fängen der Tochter lag, die selten Maß hielt. Jhea’kryna bewegte sich nicht. Sie sprach auch nicht sofort. Aber die Luft um sie herum veränderte sich, wurde dichter, als habe sich ein unsichtbares Netz gespannt, das nun langsam zuziehen würde.
Kein Zorn war in ihrem Gesicht zu sehen, kein Ausbruch, kein Tadel, denn derartige Reaktionen waren jenen vorbehalten, die noch überrascht wurden von der Welt, doch ihre Augen, dunkel wie Spinnenglas, nahmen einen Ton an, der selbst unter ihren Dienern nur selten zu sehen war – jenen Ton, den sie trug, wenn sie die Ordnung nicht neu verhandelte, sondern neu schrieb.
„Schickt nach Xael’vyra“, sagte sie schließlich, so ruhig, dass es wie ein Versprechen klang. „Und bringt mir Lyr’sa. Nicht gebrochen, nicht schleifend. Ich will, dass sie steht. Ich will in ihre Augen sehen, wenn ich entscheide, ob es lohnt, sie weiter zu formen.“
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OOC Infos für die Interessierten...
Die Postreihe hier ist die logische Fortsetzung von:
viewtopic.php?t=441
Als Hintergrund dienen
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Jhea’kryna saß still, regungslos, wie aus einer anderen Zeit gegossen, und nichts in ihrer Haltung verriet, ob sie diese Kunde als Triumph oder Bedrohung empfand, doch als der Bote schwieg, die letzten Worte hingen noch in der Luft, da hob sie kaum merklich das Kinn, entließ ihn mit einem kaum sichtbaren Wink der Hand, und wartete, bis die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, ehe ein Ton ihre Lippen verließ – ein kehliges, kurzes Lachen, trocken und ohne jedes Anzeichen von Freude, vielmehr von jenen geisterhaften Momenten getragen, in denen ein Plan, so alt wie dunkel, sich zu entfalten beginnt.
Es war soweit, oder beinahe – noch nicht das Finale, noch nicht der Moment der Erscheinung, aber die beängstigende Ruhe vor dem Sturm, und sie wusste, dass das, was nun kam, vorbereitet sein musste. Nicht hastig, nicht auffällig, sondern wie eine Bühne, auf der sich etwas Unausweichliches zeigen würde. Sie erhob sie sich langsam, trat ans große Fenster ihres Thronsaals, die die Kaverne der Stadt Elashinn überblickten. An der fernen Wand lag noch immer die ausgebrannte Ruine des Qu'ellar Zauviir, welche nach und nach von neuen Einwohner in Beschlag genommen wurde, wie von Maden die sich über einen toten Kadaver hermachten. Sie würde einen Ort brauchen an dem Ihr Kraftspeicher die Energien der Furcht der Menschen aufnehmen könnte. Einen Ort der hoch oben lag, geschützt vor den Elementen, und neugierigen Blicken. Dennoch offen genug, dass auch der letzte verzweifelte Seufzer empfangen werden könnte. Sie musste kurz kichern. Diese Narren des Nok'tau Orden Malions hatten diese Tür geöffnet und nun war keiner mehr von Ihnen hier um sie zu durchschreiten. Sie würde dies nutzen und für ihre Pläne gebrauchen.
Sie trat vom Fenster zurück, schritt hinüber zu ihrem Arbeitszimmer wo ihre Zofe bereits auf Sie wartete.
"Eine Karte der Oberfläche Sonei' - jetzt!"
Die Lichtelfe zuckte zusammen und trat das Regal in dem die Karten gelagert wurden.
"Eure Karte, erhabene...", flüsterte die Elfe kurz und reichte ihr diese den Kopf tief gesenkt. Auf dem Tisch ausgebreitet betrachtete Jhea'kryna die auf Pergament gezeichnete Karte.
Dort waren Britain, die Ettinzacken, der Ch'an Pass, das Despisetal, dass Ettintal und der Berg Vharash-Zynalar – ein Berg, dessen Name selbst unter den Drow nicht mehr oft ausgesprochen wurde, denn er klang wie ein Urteil, langgezogen und zischend..
Dort, auf diesem uralten Rücken aus Basalt und Nebel, wo der Himmel dem Stein so nah war, dass man versucht war sich ducken zu wollen um sich nicht den Kopf zu stoßen, sollte es errichtet werden – das Podest, ein Unterstand, nicht aus Prunk, nicht aus Zier, sondern aus kaltem Zweck und witterungsfestem Stein, offen an allen Seiten, damit der Wind die Angst der Massen bis in ihre Knochen tragen konnte und die Stimmen jener, die schreien oder flehen würden, ungehindert bis zu den Ohren der Göttin dringen mochten.
Jhea'kryna gab die Anweisungen, die Schmiede zu rufen, die Baumeister zu versammeln. Sie sollten die Pläne anfertigen mit den Maßen, den Vorgaben, der Lage und dem Baugrund. Während all dessen ließ sie ein Gedanke ließ nicht mehr los, kaum mehr als ein scharfes Flackern in der Dunkelheit ihres Geistes, ein Name, der sich wie eine alte Wunde in Erinnerung brachte: Lyr’sa. Sie drehte sich, rief nach einem Boten, verlangte, dass man ihr Bericht überbringe, wo sich die Schmiedin befinde, jene zitternde, widerspenstige Kreatur, die mehr Pein als Nutzen verursachte, und doch unter all dem Fluch eine Art von Wert trug – eine, die sich vielleicht noch entfalten mochte, wenn man sie richtig zerbricht.
Die Antwort kam schneller, als erwartet – von einer Zhaunil-Daerryn, einer der stillen Schwestern, deren Gesicht wie immer hinter einem seidenen Schleier verborgen lag, der selbst das Licht dämpfte, das auf ihre dunklen Augen fiel. Sie sprach kein Wort, denn das war nicht ihre Art, aber mit einer einzigen, fließenden Geste – zwei Finger zur Stirn, dann ein angedeuteter Kreis über dem Herzen, gefolgt vom stummen Aufrichten der Wirbelsäule – übermittelte sie, was gesagt werden musste: Lyr’sa befand sich im Kerker, nicht etwa als Strafe für Ungehorsam gegenüber der Ilharess, sondern auf ausdrücklichen Befehl von Xael’vyra, die offenbar ohne Rücksprache entschieden hatte, dass es an der Zeit sei, eine Lektion zu erteilen.
Ein leichtes Neigen des Kopfes, ein kaum merkliches Zucken ihrer Schulter, verriet zudem, dass sie diesen Umstand nicht ohne ein gewisses Maß an stiller Belustigung zur Kenntnis genommen hatte – denn für jene, die das System durchdrungen hatten, war es eine beinahe ironische Randnotiz, dass ausgerechnet Lyr’sa, diese schreckhafte, stotternde Funkenfängerin, nun unter den Fängen der Tochter lag, die selten Maß hielt. Jhea’kryna bewegte sich nicht. Sie sprach auch nicht sofort. Aber die Luft um sie herum veränderte sich, wurde dichter, als habe sich ein unsichtbares Netz gespannt, das nun langsam zuziehen würde.
Kein Zorn war in ihrem Gesicht zu sehen, kein Ausbruch, kein Tadel, denn derartige Reaktionen waren jenen vorbehalten, die noch überrascht wurden von der Welt, doch ihre Augen, dunkel wie Spinnenglas, nahmen einen Ton an, der selbst unter ihren Dienern nur selten zu sehen war – jenen Ton, den sie trug, wenn sie die Ordnung nicht neu verhandelte, sondern neu schrieb.
„Schickt nach Xael’vyra“, sagte sie schließlich, so ruhig, dass es wie ein Versprechen klang. „Und bringt mir Lyr’sa. Nicht gebrochen, nicht schleifend. Ich will, dass sie steht. Ich will in ihre Augen sehen, wenn ich entscheide, ob es lohnt, sie weiter zu formen.“
⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰
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OOC Infos für die Interessierten...
Die Postreihe hier ist die logische Fortsetzung von:
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Das Fundament des Endes [Sternenfall]
𝔇er Thronsaal von Elashinn lag in gedämpftem, fast schummrigem Halbdunkel. Das phosphoreszierende Leuchten der Pilzadern an den Wänden warf schwaches Licht auf die steinernen Flächen, so dass sich jeder Schritt, jeder Atemzug wie ein Teil eines uralten Rituals anfühlte. Jhea’kryna saß auf ihrem obsidianverzierten Thron, ein Bild stiller Autorität, umgeben von der lautlosen Präsenz der Zhaunil-Daerryn. Sie regte sich kaum; und doch vibrierte die Luft vor Macht, als wäre sie selbst das Zentrum eines gespannten Netzes. Zu ihren Füßen, in einem mit Seide ausgeschlagenen Kasten, ruhte ihr Artefakt gefertigt von Alniira Vrammyr vor ihrem Verrat – kein plumper Gegenstand, sondern ein Werk von solcher Feinheit und Präzision, dass es den Blick fesselte wie ein Gemälde, das mehr zeigte, je länger man es betrachtete. Seine Linien waren zu kunstvoll, um Zufall zu sein, und doch zu fremd, um ganz verstanden zu werden; geschwungene Formen trafen auf scharfkantige Geometrie, als hätten verschiedene Welten ihre Handschrift darin hinterlassen. Es summte leise, nicht wie Metall, nicht wie Kristall, sondern wie etwas, das atmete – langsam, geduldig, wartend. Es war mehr als Arbeit, es war Inszenierung, ein Stück Kunst, das geschaffen worden war, um zu verführen und zu verzehren als würde es die Schatten selbst einatmen. Es verlangte. Es gierte. Es musste gefüttert werden. Und sie hatte den Plan dafür.
Die Kunde von den Propheten, die in Britain, Minoc, Trinsic und Duesterhafen bereits Panik säten, hatte ihr gefallen. Nicht die Worte selbst – die waren töricht, voller wirrer Bilder und lallender Andeutungen –, sondern das, was dahinter wuchs: Angst. Furcht. Die Saat, die sie bestellt hatte, trieb erste Blüten. Bald würden Schreie die Straßen erfüllen, und das Artefakt würde in diesem Sturm erblühen. Aber es brauchte einen Ort, einen Sammelpunkt, eine Bühne, auf der Verzweiflung und Glauben aufeinanderprallten. Ein Podest, gebaut auf dem Rücken des uralten Berges Vharash-Zynalar, erhoben und doch offen für den Wind, sollte das Gefäß werden, durch das die Ängste der Sterblichen in das Artefakt sickerten wie Blut in trockene Erde.
Doch eine Frage brannte: Wer sollte dieses Bauwerk errichten? Ihre Baumeister, ihre Sklaven, ihre Untergebenen? Ja, sie würden die Arbeit tragen, den Stein behauen, das Holz setzen. Aber jemand musste es anführen, musste es überwachen, musste es im Blick der Göttin rechtfertigen. Nicht irgendein Söldner, nicht irgendeine Priesterin. Es musste jemand sein, den sie prüfen wollte – jemand, der auf Messers Schneide tanzte. Lyr’sa.
Ein Schatten huschte über Jheas Gesicht. Die Schmiedin war mehr Last als Segen, eine Quelle von Peinlichkeiten, Fehlschlägen, von Ängsten, die aus ihr sprachen wie aus einer offenen Wunde. Doch gerade deswegen war sie wertvoll. Schwäche, richtig gebrochen und wieder geformt, konnte zur schärfsten Klinge werden. Wenn Lyr’sa versagte, war es egal – dann würde sie verschwinden, und niemand würde sich erinnern. Wenn sie Erfolg hatte, dann nicht aus Stärke, sondern aus Furcht – und genau das machte sie geeignet.
Doch Lyr’sa war nicht frei. Sie saß im Kerker, und Jhea wusste inzwischen auch, auf wessen Befehl. Ihre Tochter Xael’vyra hatte sie dort hinabstoßen lassen, mit jener unerbittlichen Härte, die sie auszeichnete. Es war ein Affront – nicht, weil Jhea die Tat nicht verstand, sondern weil es ihr Reich war, ihre Befehle, ihr Netz. Xael’vyra hatte gehandelt, als sei sie selbst Ilharess. Das konnte man nicht ungestraft lassen. Aber heute war nicht der Tag für Blut. Heute war der Tag, an dem eine neue Rolle vergeben werden sollte.
Jhea’kryna hob die Hand, und eine der Zhaunil-Daerryn glitt lautlos aus dem Schatten, so unaufdringlich, dass sie mehr wirkte wie ein Gedanke als wie ein Körper. Ein Zeichen, kaum mehr als eine Geste mit zwei Fingern, und die Wächterin verstand. Xael’vyra sollte erscheinen. Mit Lyr’sa. Sofort.
𝔈s dauerte nicht lange, bis schwere Schritte den Korridor füllten. Xael’vyra trat ein, ihre Gestalt wie ein schwarzer Blitz, auf den Steinboden geworfen. Ihr Gesicht war hart, die Lippen zu einem schmalen Strich gepresst. In ihrem Griff – oder besser gesagt an ihrem Arm – hing Lyr’sa. Zerrt, gezogen, gestürzt, bis die Schmiedin schließlich vor den Thron geschleift wurde. Xael’vyra ließ sie wie ein Stück Vieh zu Boden fallen, hart, unbarmherzig, ohne Rücksicht auf die Verletzungen, die sie bereits trug. Ein dumpfes Keuchen entwich Lyr’sa, als ihre Knie auf den Stein schlugen, und sie wagte nicht aufzusehen.
„Du hast gerufen, malla Ilharess,“ murmelte Xael’vyra, die Stimme voller Trotz und doch durchzogen von einem Hauch Abwehr – als wüsste sie, dass ihr Tun nicht ganz ohne Konsequenz bleiben würde. „Ich bringe dir die Schmiedin. Sie gehört dorthin, wo sie ist: zu deinen Füßen.“
Jhea’kryna bewegte sich kaum. Ihr Blick ruhte auf der Tochter, lang, kalt, abschätzend. Dann, fast beiläufig, entließ sie sie: „Geh. Ich brauche dich nicht hier.“
Es war ein Schlag ins Gesicht, subtil, aber unübersehbar. Xael’vyra blinzelte, als hätte sie den Hieb körperlich gespürt, und für einen Herzschlag war in ihren Augen dieses Aufflackern – Stolz, Trotz, der Wille, sich nicht einfach beiseite schieben zu lassen. „Mutter!?“ entfuhr es ihr, halb Frage, halb Protest, doch die Kälte im Blick der Ilharess ließ jedes weitere Wort im Keim ersterben. Jhea’kryna regte sich nicht, und eben darin lag die Antwort: stumm, unerbittlich, endgültig. Xael’vyra presste die Lippen zusammen, verneigte sich steif und drehte sich um. Ohne ein weiteres Wort verschwand sie durch die Tore des Saals, ihr Zorn nur in der Härte ihrer Schritte hörbar – und das Bewusstsein, dass sie eine Linie überschritten hatte, lastete wie eine unsichtbare Klinge in ihrem Nacken.
Zurück blieb Lyr’sa. Zitternd, beschämt, mit Blutkrusten an den Lippen und Schattenringen unter den Augen. Sie wagte nicht, sich zu rühren. Ihre Hände krallten sich in ihr Kleid während Sie dort kniete, als könnten sie Halt finden auf diesem kalten Stein.
𝔍hea beugte sich leicht vor. Sie ließ den Moment wirken. Sie wollte, dass Lyr’sa das Gewicht der Stille spürte, das Gewicht des Netzes, das sie spannte, das Gewicht der Göttin selbst, die durch sie sprach. Erst, als sie sicher war, dass die Schmiedin fast zerbrechen würde, sprach sie.
„Du wirst etwas für mich tun,“ begann sie, ihre Stimme glatt, doch wie mit schneidender Klinge unterlegt. „Etwas, das größer ist als du. Etwas, das dich vernichten oder neu formen wird.“
Langsam erhob sie sich, trat vor den Thron, und jede Bewegung war ein Ritual. Sie umrundete Lyr’sa, wie eine Spinne, die ein Insekt taxiert. „Auf dem Rücken des Vharash-Zynalar wird ein Bauwerk entstehen. Ein Podest, ein Unterstand, offen für die Schreie der Sterblichen, offen für die Verzweiflung, die den Himmel erreichen wird. Dort wird mein Artefakt stehen, dort wird es sich nähren, dort wird es mächtig werden.“ Ihre Stimme senkte sich. „Du wirst es bauen.“
Lyr’sa zuckte zusammen. Ihre Lippen öffneten sich, ein Flüstern entwich, ein kaum wahrnehmbares „Qu'ar Valsharess…“. Ihre Augen flackerten, voller Angst, voller Zweifel. Doch sie wusste, dass sie keine Wahl hatte. Ein Wort des Widerspruchs, und sie wäre schon tot. Jhea brauchte sie nicht – sie wollte sie prüfen.
„Du wirst Baumeister wählen, Sklaven antreiben, den Stein setzen lassen. Du wirst dort sein, bis es vollendet ist. Und wenn du versagst…“ Jheas Hand legte sich leicht auf Lyr’sas Kinn, hob ihr Gesicht an, zwang sie, ihr in die Augen zu sehen. „…dann wirst du dort bleiben. Als Teil des Fundamentes.“
Die Worte hingen wie Gift in der Luft. Jhea ließ sie los, trat zurück, und mit einem Wink entließ sie die Zhaunil-Daerryn, die bereitgestanden hatten. Nun war es nur noch sie und Lyr’sa – und die Bürde eines Auftrags, der so schwer war wie der Berg selbst.
Lyr'sas vorherige Erlebnisse beziehen sich auch auf Ereignisse aus
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sowie
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Die Kunde von den Propheten, die in Britain, Minoc, Trinsic und Duesterhafen bereits Panik säten, hatte ihr gefallen. Nicht die Worte selbst – die waren töricht, voller wirrer Bilder und lallender Andeutungen –, sondern das, was dahinter wuchs: Angst. Furcht. Die Saat, die sie bestellt hatte, trieb erste Blüten. Bald würden Schreie die Straßen erfüllen, und das Artefakt würde in diesem Sturm erblühen. Aber es brauchte einen Ort, einen Sammelpunkt, eine Bühne, auf der Verzweiflung und Glauben aufeinanderprallten. Ein Podest, gebaut auf dem Rücken des uralten Berges Vharash-Zynalar, erhoben und doch offen für den Wind, sollte das Gefäß werden, durch das die Ängste der Sterblichen in das Artefakt sickerten wie Blut in trockene Erde.
Doch eine Frage brannte: Wer sollte dieses Bauwerk errichten? Ihre Baumeister, ihre Sklaven, ihre Untergebenen? Ja, sie würden die Arbeit tragen, den Stein behauen, das Holz setzen. Aber jemand musste es anführen, musste es überwachen, musste es im Blick der Göttin rechtfertigen. Nicht irgendein Söldner, nicht irgendeine Priesterin. Es musste jemand sein, den sie prüfen wollte – jemand, der auf Messers Schneide tanzte. Lyr’sa.
Ein Schatten huschte über Jheas Gesicht. Die Schmiedin war mehr Last als Segen, eine Quelle von Peinlichkeiten, Fehlschlägen, von Ängsten, die aus ihr sprachen wie aus einer offenen Wunde. Doch gerade deswegen war sie wertvoll. Schwäche, richtig gebrochen und wieder geformt, konnte zur schärfsten Klinge werden. Wenn Lyr’sa versagte, war es egal – dann würde sie verschwinden, und niemand würde sich erinnern. Wenn sie Erfolg hatte, dann nicht aus Stärke, sondern aus Furcht – und genau das machte sie geeignet.
Doch Lyr’sa war nicht frei. Sie saß im Kerker, und Jhea wusste inzwischen auch, auf wessen Befehl. Ihre Tochter Xael’vyra hatte sie dort hinabstoßen lassen, mit jener unerbittlichen Härte, die sie auszeichnete. Es war ein Affront – nicht, weil Jhea die Tat nicht verstand, sondern weil es ihr Reich war, ihre Befehle, ihr Netz. Xael’vyra hatte gehandelt, als sei sie selbst Ilharess. Das konnte man nicht ungestraft lassen. Aber heute war nicht der Tag für Blut. Heute war der Tag, an dem eine neue Rolle vergeben werden sollte.
Jhea’kryna hob die Hand, und eine der Zhaunil-Daerryn glitt lautlos aus dem Schatten, so unaufdringlich, dass sie mehr wirkte wie ein Gedanke als wie ein Körper. Ein Zeichen, kaum mehr als eine Geste mit zwei Fingern, und die Wächterin verstand. Xael’vyra sollte erscheinen. Mit Lyr’sa. Sofort.
𝔈s dauerte nicht lange, bis schwere Schritte den Korridor füllten. Xael’vyra trat ein, ihre Gestalt wie ein schwarzer Blitz, auf den Steinboden geworfen. Ihr Gesicht war hart, die Lippen zu einem schmalen Strich gepresst. In ihrem Griff – oder besser gesagt an ihrem Arm – hing Lyr’sa. Zerrt, gezogen, gestürzt, bis die Schmiedin schließlich vor den Thron geschleift wurde. Xael’vyra ließ sie wie ein Stück Vieh zu Boden fallen, hart, unbarmherzig, ohne Rücksicht auf die Verletzungen, die sie bereits trug. Ein dumpfes Keuchen entwich Lyr’sa, als ihre Knie auf den Stein schlugen, und sie wagte nicht aufzusehen.
„Du hast gerufen, malla Ilharess,“ murmelte Xael’vyra, die Stimme voller Trotz und doch durchzogen von einem Hauch Abwehr – als wüsste sie, dass ihr Tun nicht ganz ohne Konsequenz bleiben würde. „Ich bringe dir die Schmiedin. Sie gehört dorthin, wo sie ist: zu deinen Füßen.“
Jhea’kryna bewegte sich kaum. Ihr Blick ruhte auf der Tochter, lang, kalt, abschätzend. Dann, fast beiläufig, entließ sie sie: „Geh. Ich brauche dich nicht hier.“
Es war ein Schlag ins Gesicht, subtil, aber unübersehbar. Xael’vyra blinzelte, als hätte sie den Hieb körperlich gespürt, und für einen Herzschlag war in ihren Augen dieses Aufflackern – Stolz, Trotz, der Wille, sich nicht einfach beiseite schieben zu lassen. „Mutter!?“ entfuhr es ihr, halb Frage, halb Protest, doch die Kälte im Blick der Ilharess ließ jedes weitere Wort im Keim ersterben. Jhea’kryna regte sich nicht, und eben darin lag die Antwort: stumm, unerbittlich, endgültig. Xael’vyra presste die Lippen zusammen, verneigte sich steif und drehte sich um. Ohne ein weiteres Wort verschwand sie durch die Tore des Saals, ihr Zorn nur in der Härte ihrer Schritte hörbar – und das Bewusstsein, dass sie eine Linie überschritten hatte, lastete wie eine unsichtbare Klinge in ihrem Nacken.
Zurück blieb Lyr’sa. Zitternd, beschämt, mit Blutkrusten an den Lippen und Schattenringen unter den Augen. Sie wagte nicht, sich zu rühren. Ihre Hände krallten sich in ihr Kleid während Sie dort kniete, als könnten sie Halt finden auf diesem kalten Stein.
𝔍hea beugte sich leicht vor. Sie ließ den Moment wirken. Sie wollte, dass Lyr’sa das Gewicht der Stille spürte, das Gewicht des Netzes, das sie spannte, das Gewicht der Göttin selbst, die durch sie sprach. Erst, als sie sicher war, dass die Schmiedin fast zerbrechen würde, sprach sie.
„Du wirst etwas für mich tun,“ begann sie, ihre Stimme glatt, doch wie mit schneidender Klinge unterlegt. „Etwas, das größer ist als du. Etwas, das dich vernichten oder neu formen wird.“
Langsam erhob sie sich, trat vor den Thron, und jede Bewegung war ein Ritual. Sie umrundete Lyr’sa, wie eine Spinne, die ein Insekt taxiert. „Auf dem Rücken des Vharash-Zynalar wird ein Bauwerk entstehen. Ein Podest, ein Unterstand, offen für die Schreie der Sterblichen, offen für die Verzweiflung, die den Himmel erreichen wird. Dort wird mein Artefakt stehen, dort wird es sich nähren, dort wird es mächtig werden.“ Ihre Stimme senkte sich. „Du wirst es bauen.“
Lyr’sa zuckte zusammen. Ihre Lippen öffneten sich, ein Flüstern entwich, ein kaum wahrnehmbares „Qu'ar Valsharess…“. Ihre Augen flackerten, voller Angst, voller Zweifel. Doch sie wusste, dass sie keine Wahl hatte. Ein Wort des Widerspruchs, und sie wäre schon tot. Jhea brauchte sie nicht – sie wollte sie prüfen.
„Du wirst Baumeister wählen, Sklaven antreiben, den Stein setzen lassen. Du wirst dort sein, bis es vollendet ist. Und wenn du versagst…“ Jheas Hand legte sich leicht auf Lyr’sas Kinn, hob ihr Gesicht an, zwang sie, ihr in die Augen zu sehen. „…dann wirst du dort bleiben. Als Teil des Fundamentes.“
Die Worte hingen wie Gift in der Luft. Jhea ließ sie los, trat zurück, und mit einem Wink entließ sie die Zhaunil-Daerryn, die bereitgestanden hatten. Nun war es nur noch sie und Lyr’sa – und die Bürde eines Auftrags, der so schwer war wie der Berg selbst.
⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰
Lyr'sas vorherige Erlebnisse beziehen sich auch auf Ereignisse aus
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Auf dem Vharash-Zynalar [Sternenfall]
Die Luft war frisch, klar, erfüllt vom Duft zerriebener Nadeln und feuchter Erde. Der Vharash-Zynalar ragte nicht schneebedeckt in den Himmel, sondern erhob sich als ein massiver Rücken dunklen Gesteins, dessen Hänge von alten Wäldern überzogen waren, knorrigen Eichen, stämmigen Kiefern und dem Moos, das in sattem Grün die Schatten füllte. Hier, unterhalb der Baumgrenze, hatten sie den Platz gewählt. Ein Ort, von dem aus man weit ins Land hinausblickte, hinunter zu den Tälern und Feldern der Menschen, als wolle der Berg selbst Zeuge werden von dem, was hier entstehen sollte. Das Roden hatte begonnen. Sklaven schwangen Äxte, das Krachen fallender Stämme hallte wider zwischen den Felsen, und das rhythmische Stampfen ihrer Schritte, das Knarren der Karrenräder, die von Echsen und Rothen gezogen wurden, mischte sich mit dem Rufen der Aufseher. Der Boden war feucht, aufgerissen von Hufen und Schuhen, und an den Rändern glimmte bereits Feuer, wo man die kleinen Zweige und Büsche verbrannte, die für den Bau nicht taugten.
Lyr’sa stand etwas abseits, die Kapuze ihres Mantels zurückgeschlagen, den Blick auf die Arbeiten gerichtet. Ihr Herz schlug schneller, als sie es zugeben wollte. Um sie herum herrschte Bewegung, Schweiß, Schmutz, Geräusch – und sie, sie war diejenige, die darüber wachte. Nicht aus eigenem Willen, sondern weil die Ilharess es so befohlen hatte.
Warum ich? Der Gedanke kam wie ein Messer.
Warum nicht Xurina, nicht Sarkul, nicht einer der Baumeister? Warum ausgerechnet ich?
Sie schnaubte leise, rieb sich mit dem Handrücken über das Gesicht, das noch Spuren der letzten Prügel trug. „Oh shu…“, murmelte sie. Es war wie ein böses Omen, das Wort über ihre Lippen zu lassen. Vor ihr kippten Sklaven Steine ab – grobe Quader, die aus dem Berg selbst geschlagen worden waren. Sie würden das Fundament bilden, das Podest, die Plattform, auf der Jheas Artefakt stehen sollte. Und sie, Lyr’sa, sollte sicherstellen, dass es hielt. Dass es nicht nur stand, sondern standhielt – Regen, Sturm, Wind, und mehr noch: dem Blick der Ilharess.
Sie kniete nieder, ihre Finger glitten über einen der Quader, prüfte ihn mit der Hand. Der Stein war rau, nicht schlecht, aber ungleichmäßig gebrochen. „So hält das nicht,“ murmelte sie, und zum ersten Mal seit Stunden wagte sie, Befehle zu geben. „Die Kanten müssen begradigt werden. Holt mir Hammer und Meißel – ich zeige es euch.“
Die Aufseher sahen sie an, kurz, abschätzend. Sie spürte ihre Skepsis, spürte ihre Augen, die sagten: Was weiß sie schon? Eine Schmiedin, keine Baumeisterin. Doch sie ließ sich nicht beirren. Ihre Hände führten die Werkzeuge, die Schläge waren präzise, rhythmisch, das Splittern des Steins klang wie Musik, die sie seit Kindertagen kannte. Und plötzlich, als sie die Quader zurechtlegte, spürte sie etwas, das sie selten spürte: eine Art Sicherheit.
Ich kann das. Ich kenne den Klang von Material, ich kenne den Widerstand. Es ist nicht so anders als Eisen. Es ist nur größer. Schwerer. Aber es ist immer noch Arbeit.
Sie stand auf, wischte sich den Staub von den Händen, und zum ersten Mal blickten die Sklaven auf sie, nicht nur als auf eine Figur im Schatten der Ilharess, sondern als auf jemanden, der wusste, wovon sie sprach. Es war kein Respekt, nicht wirklich – aber es war ein Zögern, das die Tür dazu öffnete.
Doch kaum war der Gedanke da, kaum hatte sie für einen Atemzug geglaubt, dass sie etwas bewirken konnte, kam die andere Stimme, tief in ihr, hartnäckig wie Schimmel.
Du bist nichts. Du bist hier nicht, weil du würdig bist. Du bist hier, weil sie dich brechen will. Weil sie dich scheitern sehen will. Dieses Fundament wird dein Grab, und das weißt du.
„Oh nau…“, flüsterte sie, presste die Hände gegen die Augen, als könnte sie das Flüstern damit vertreiben.
Sie erinnerte sich an den Turm, an Ancangar, an die Kälte, die ihr damals das Herz gefressen hatte. An das Gefühl, dass die Welt immer auf sie herabsah, wie ein Jäger auf Beute. Und jetzt war sie hier, auf einem Berg, den kein Mensch freiwillig betreten würde, und sollte etwas schaffen, das größer war als alles, was sie je mit eigenen Händen gebaut hatte.
Ihr Blick wanderte hinauf, zu den Baumwipfeln, in denen der Wind spielte. Vielleicht, dachte sie, ist das der Grund. Vielleicht will sie sehen, ob ich zusammenbreche, oder ob ich wirklich etwas schaffe. Vielleicht will sie, dass ich ihr Werkzeug bin – oder ihr Beispiel.
Ein Schrei riss sie aus den Gedanken. Einer der Sklaven war gestürzt, hatte sich den Arm gebrochen, die Last des Steins hatte ihn niedergerissen. Die Aufseher traten sofort heran, einer hob den Stock, doch Lyr’sa rief: „Nicht schlagen! Holt ihn weg, er taugt nicht mehr.“
Ihre Stimme zitterte, aber sie war laut genug, dass sie gehört wurde. Für einen Moment herrschte Stille. Dann gehorchten die Männer. Kein Widerspruch, nur ein Knurren, und der Verletzte wurde fortgeschleift.
Ich habe das gesagt.
Der Gedanke traf sie wie ein Schlag.
Ich habe ihnen gesagt, was sie tun sollen.
Und sie hatten es getan. Ihre Hände zitterten. Sie wusste nicht, ob es Furcht war, oder Stolz.
Der Tag verging im Rhythmus von Schlägen und Rufen, von Holz, das gekappt wurde, und Stein, der gesetzt wurde. Das Podest nahm Gestalt an, langsam, Stück für Stück. Und während die Sonne sank, ein rötliches Glühen durch die Baumspitzen warf und der Vharash-Zynalar im Abendlicht wie eine schwarze Klinge dalag, stand Lyr’sa noch immer dort, den Blick auf die Fundamente gerichtet.
Sie spürte die Last, die auf ihr lag, schwerer als Stein. Aber sie spürte auch etwas anderes. Ein Funken. Vielleicht kein Feuer, aber ein Funken.
Vielleicht kann ich es schaffen. Vielleicht… bin ich würdig.
Und im selben Atemzug:
Oder sie wird mich hier sterben lassen.
Lyr’sa stand etwas abseits, die Kapuze ihres Mantels zurückgeschlagen, den Blick auf die Arbeiten gerichtet. Ihr Herz schlug schneller, als sie es zugeben wollte. Um sie herum herrschte Bewegung, Schweiß, Schmutz, Geräusch – und sie, sie war diejenige, die darüber wachte. Nicht aus eigenem Willen, sondern weil die Ilharess es so befohlen hatte.
Warum ich? Der Gedanke kam wie ein Messer.
Warum nicht Xurina, nicht Sarkul, nicht einer der Baumeister? Warum ausgerechnet ich?
Sie schnaubte leise, rieb sich mit dem Handrücken über das Gesicht, das noch Spuren der letzten Prügel trug. „Oh shu…“, murmelte sie. Es war wie ein böses Omen, das Wort über ihre Lippen zu lassen. Vor ihr kippten Sklaven Steine ab – grobe Quader, die aus dem Berg selbst geschlagen worden waren. Sie würden das Fundament bilden, das Podest, die Plattform, auf der Jheas Artefakt stehen sollte. Und sie, Lyr’sa, sollte sicherstellen, dass es hielt. Dass es nicht nur stand, sondern standhielt – Regen, Sturm, Wind, und mehr noch: dem Blick der Ilharess.
Sie kniete nieder, ihre Finger glitten über einen der Quader, prüfte ihn mit der Hand. Der Stein war rau, nicht schlecht, aber ungleichmäßig gebrochen. „So hält das nicht,“ murmelte sie, und zum ersten Mal seit Stunden wagte sie, Befehle zu geben. „Die Kanten müssen begradigt werden. Holt mir Hammer und Meißel – ich zeige es euch.“
Die Aufseher sahen sie an, kurz, abschätzend. Sie spürte ihre Skepsis, spürte ihre Augen, die sagten: Was weiß sie schon? Eine Schmiedin, keine Baumeisterin. Doch sie ließ sich nicht beirren. Ihre Hände führten die Werkzeuge, die Schläge waren präzise, rhythmisch, das Splittern des Steins klang wie Musik, die sie seit Kindertagen kannte. Und plötzlich, als sie die Quader zurechtlegte, spürte sie etwas, das sie selten spürte: eine Art Sicherheit.
Ich kann das. Ich kenne den Klang von Material, ich kenne den Widerstand. Es ist nicht so anders als Eisen. Es ist nur größer. Schwerer. Aber es ist immer noch Arbeit.
Sie stand auf, wischte sich den Staub von den Händen, und zum ersten Mal blickten die Sklaven auf sie, nicht nur als auf eine Figur im Schatten der Ilharess, sondern als auf jemanden, der wusste, wovon sie sprach. Es war kein Respekt, nicht wirklich – aber es war ein Zögern, das die Tür dazu öffnete.
Doch kaum war der Gedanke da, kaum hatte sie für einen Atemzug geglaubt, dass sie etwas bewirken konnte, kam die andere Stimme, tief in ihr, hartnäckig wie Schimmel.
Du bist nichts. Du bist hier nicht, weil du würdig bist. Du bist hier, weil sie dich brechen will. Weil sie dich scheitern sehen will. Dieses Fundament wird dein Grab, und das weißt du.
„Oh nau…“, flüsterte sie, presste die Hände gegen die Augen, als könnte sie das Flüstern damit vertreiben.
Sie erinnerte sich an den Turm, an Ancangar, an die Kälte, die ihr damals das Herz gefressen hatte. An das Gefühl, dass die Welt immer auf sie herabsah, wie ein Jäger auf Beute. Und jetzt war sie hier, auf einem Berg, den kein Mensch freiwillig betreten würde, und sollte etwas schaffen, das größer war als alles, was sie je mit eigenen Händen gebaut hatte.
Ihr Blick wanderte hinauf, zu den Baumwipfeln, in denen der Wind spielte. Vielleicht, dachte sie, ist das der Grund. Vielleicht will sie sehen, ob ich zusammenbreche, oder ob ich wirklich etwas schaffe. Vielleicht will sie, dass ich ihr Werkzeug bin – oder ihr Beispiel.
Ein Schrei riss sie aus den Gedanken. Einer der Sklaven war gestürzt, hatte sich den Arm gebrochen, die Last des Steins hatte ihn niedergerissen. Die Aufseher traten sofort heran, einer hob den Stock, doch Lyr’sa rief: „Nicht schlagen! Holt ihn weg, er taugt nicht mehr.“
Ihre Stimme zitterte, aber sie war laut genug, dass sie gehört wurde. Für einen Moment herrschte Stille. Dann gehorchten die Männer. Kein Widerspruch, nur ein Knurren, und der Verletzte wurde fortgeschleift.
Ich habe das gesagt.
Der Gedanke traf sie wie ein Schlag.
Ich habe ihnen gesagt, was sie tun sollen.
Und sie hatten es getan. Ihre Hände zitterten. Sie wusste nicht, ob es Furcht war, oder Stolz.
Der Tag verging im Rhythmus von Schlägen und Rufen, von Holz, das gekappt wurde, und Stein, der gesetzt wurde. Das Podest nahm Gestalt an, langsam, Stück für Stück. Und während die Sonne sank, ein rötliches Glühen durch die Baumspitzen warf und der Vharash-Zynalar im Abendlicht wie eine schwarze Klinge dalag, stand Lyr’sa noch immer dort, den Blick auf die Fundamente gerichtet.
Sie spürte die Last, die auf ihr lag, schwerer als Stein. Aber sie spürte auch etwas anderes. Ein Funken. Vielleicht kein Feuer, aber ein Funken.
Vielleicht kann ich es schaffen. Vielleicht… bin ich würdig.
Und im selben Atemzug:
Oder sie wird mich hier sterben lassen.
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Das Grabmal im Firn
Das Grabmal im Firn
Wer genug Zeit in den Bergen verbringt, lernt die Geräuschkulisse, über allem die Stille, eindrücklich kennen. Jeder schneidende Wind, jedes Vogelkrächzen, jeder knirschende Schritt unterstreicht diese Stille. Seltene Felsstürze und Lawinen unterbrechen das Schweigen nur kurz, und das Grollen nahender Gewitter verstummt im ewigen Schnee. Denn das Herz der hohen Gipfel schlägt Stille, tief und kalt. Vor allem bei Nacht.
Diese Gebirgsstille war etwas Wertvolles, in den Schwarzsteinbergen sogar etwas Gesegnetes, und an einem besonderen Gipfel im Nordwesten der Basaltketten etwas Heiliges. Wenigstens für die Frau, die diesen vereinsamten Himmelsdorn zum Grabmal ihrer verlorenen Liebe erkoren hatte. Gewiss, Kyrii'linth war an einem anderen Ort vergangen, aber gleichgültig: Ancanagar hatte ihren Ort der Trauer gefunden. Der raue Felsaltar, den eine mitfühlende Natur geformt hatte, bot ihr immer einen Ort für Blumen und Erinnerungen. Und für absolute Abgeschiedenheit, den selbst der Turm am Fuße des Massivs nicht derart vollkommen bieten konnte. Hier war sie frei von irdischen Belangen, sie allein, zwischen den Welten, nah den noblen Sternen und fern dem tristen Leben. Hier war sie allein in der Stille, eine unsterbliche Vampirin im Gebet vor dem Kosmos.
Und irgendjemand entweihte diesen Tempel mit profanem Lärm.
Ancanagar stand vor ihrem Altar und starrte zu einem benachbarten Berg, auf dessen flachen Gipfel grelle Fackelpunkte das dunkle Firmament herausforderten. Sie spürte, wie die Stiele der sorgsam ausgesuchten Blumen unter ihren Fingern knickten und brachen. Ungläubiger Zorn loderte. Klingendes Eisen, brechender Stein, polternder Fels, und Rufe und Schreie und Peitschenhiebe hallten unablässig aus der Ferne, ungeachtet der Nachtstunde, ungeachtet der Würde dieses Ortes und vor allen Dingen ungeachtet der Gefühle der selbsternannten Herrin dieser Berge. Mühsam zwang sie sich zur Ruhe. Zuerst die Blumen darbieten, dann die Störung beseitigen und dann wieder zurück zu ihrem Gedenken und ihrer Trauer.
Konzentration. Es sollte möglich sein, den unregelmäßigen Takt der Meißel zu dämpfen, wenn sie die Stille der Berge in sich aufnahm. Sie drehte sich also zum Altar hin und sammelte sich. Ein Atemzug. Nun. Der späte Sommer war nicht die freundlichste Zeit für ihre auserwählten Pflanzen, aber sie hatte Glück gehabt. Nahe ihres Turms hatten noch einige späte Vergissmeinnicht geblüht, die nun als Bett für die beiden anderen Blüten dienen sollten. Dies ermöglichte eine ungewöhnliche, aber profunde Kombination. Die weiße Lilie war nicht schwer zu finden gewesen, denn mittlerweile kannte sie einige Orte mit ergiebigem Wuchs, genug, um damit einen ganzen Ballsaal zu schmücken. Weitaus beschwerlicher war die Reise in die tiefen Dschungel des Südens, durch Schatten und Sternenlicht hindurch, um eine schwarze Dahlie zu bergen. Mühevoll, aber belohnend. Jetzt musste sie nur noch ruhig bleiben und ihre Elegie vor den schallenden Meißelbissen bewahren.
Bemüht sorgsam breitete sie die kleinen, blauen Gebirgsblüten auf dem Stein aus, der im Laufe der Jahre dunkle Verfärbungen davongetragen hatte. Die Flecken gehörten mittlerweile genauso zum Ritual wie die versiegten Tränen, die bittere Ungerechtigkeit und die eigentlich immerherrschende Stille. Bald ruhten die gekreuzten Stängel von Dahlie und Lilie still auf der Decke aus Vergissmeinnicht. Von den Höhen wehte der Geruch von Firn und kühlte den melancholischen Blütenduft. Die ungewollte Gewalt an den Pflanzen hatte den Kopf der Dahlie abknicken lassen, und nach kurzem Überlegen ließ die Vampirin den Pflanzenkopf herab hängen. Ob ihre verwelkte Liebe dieses Bild ähnlich angemessen finden würde? Dunkle und helle Blüten, Rücken an Rücken, auf einem blau schimmernden Bett. Oh, Kyrii'linth. Verzeih' das lange Schweigen, denn ich war an vielen Orten und kam erst jetzt wieder heim. Ich mag dir von so Vielem erzählen, vom tiefsten Meer, von unglaublicher Magie, von Blut, von Sehnsucht, von Wunden, die nicht heilen - doch du musst noch warten, denn das Meißeln der Eindringlinge ist zu laut und unverschämt.
Und wirklich, als hätten die Eindringlinge ihre Luft angehalten, war der Lärm des Bauvorhabens wieder in voller Wucht zurückgekehrt.
Ancanagar unterbrach also ihre Trauer, um ein Blutbad anzurichten.
Diese Gebirgsstille war etwas Wertvolles, in den Schwarzsteinbergen sogar etwas Gesegnetes, und an einem besonderen Gipfel im Nordwesten der Basaltketten etwas Heiliges. Wenigstens für die Frau, die diesen vereinsamten Himmelsdorn zum Grabmal ihrer verlorenen Liebe erkoren hatte. Gewiss, Kyrii'linth war an einem anderen Ort vergangen, aber gleichgültig: Ancanagar hatte ihren Ort der Trauer gefunden. Der raue Felsaltar, den eine mitfühlende Natur geformt hatte, bot ihr immer einen Ort für Blumen und Erinnerungen. Und für absolute Abgeschiedenheit, den selbst der Turm am Fuße des Massivs nicht derart vollkommen bieten konnte. Hier war sie frei von irdischen Belangen, sie allein, zwischen den Welten, nah den noblen Sternen und fern dem tristen Leben. Hier war sie allein in der Stille, eine unsterbliche Vampirin im Gebet vor dem Kosmos.
Und irgendjemand entweihte diesen Tempel mit profanem Lärm.
Ancanagar stand vor ihrem Altar und starrte zu einem benachbarten Berg, auf dessen flachen Gipfel grelle Fackelpunkte das dunkle Firmament herausforderten. Sie spürte, wie die Stiele der sorgsam ausgesuchten Blumen unter ihren Fingern knickten und brachen. Ungläubiger Zorn loderte. Klingendes Eisen, brechender Stein, polternder Fels, und Rufe und Schreie und Peitschenhiebe hallten unablässig aus der Ferne, ungeachtet der Nachtstunde, ungeachtet der Würde dieses Ortes und vor allen Dingen ungeachtet der Gefühle der selbsternannten Herrin dieser Berge. Mühsam zwang sie sich zur Ruhe. Zuerst die Blumen darbieten, dann die Störung beseitigen und dann wieder zurück zu ihrem Gedenken und ihrer Trauer.
Konzentration. Es sollte möglich sein, den unregelmäßigen Takt der Meißel zu dämpfen, wenn sie die Stille der Berge in sich aufnahm. Sie drehte sich also zum Altar hin und sammelte sich. Ein Atemzug. Nun. Der späte Sommer war nicht die freundlichste Zeit für ihre auserwählten Pflanzen, aber sie hatte Glück gehabt. Nahe ihres Turms hatten noch einige späte Vergissmeinnicht geblüht, die nun als Bett für die beiden anderen Blüten dienen sollten. Dies ermöglichte eine ungewöhnliche, aber profunde Kombination. Die weiße Lilie war nicht schwer zu finden gewesen, denn mittlerweile kannte sie einige Orte mit ergiebigem Wuchs, genug, um damit einen ganzen Ballsaal zu schmücken. Weitaus beschwerlicher war die Reise in die tiefen Dschungel des Südens, durch Schatten und Sternenlicht hindurch, um eine schwarze Dahlie zu bergen. Mühevoll, aber belohnend. Jetzt musste sie nur noch ruhig bleiben und ihre Elegie vor den schallenden Meißelbissen bewahren.
Bemüht sorgsam breitete sie die kleinen, blauen Gebirgsblüten auf dem Stein aus, der im Laufe der Jahre dunkle Verfärbungen davongetragen hatte. Die Flecken gehörten mittlerweile genauso zum Ritual wie die versiegten Tränen, die bittere Ungerechtigkeit und die eigentlich immerherrschende Stille. Bald ruhten die gekreuzten Stängel von Dahlie und Lilie still auf der Decke aus Vergissmeinnicht. Von den Höhen wehte der Geruch von Firn und kühlte den melancholischen Blütenduft. Die ungewollte Gewalt an den Pflanzen hatte den Kopf der Dahlie abknicken lassen, und nach kurzem Überlegen ließ die Vampirin den Pflanzenkopf herab hängen. Ob ihre verwelkte Liebe dieses Bild ähnlich angemessen finden würde? Dunkle und helle Blüten, Rücken an Rücken, auf einem blau schimmernden Bett. Oh, Kyrii'linth. Verzeih' das lange Schweigen, denn ich war an vielen Orten und kam erst jetzt wieder heim. Ich mag dir von so Vielem erzählen, vom tiefsten Meer, von unglaublicher Magie, von Blut, von Sehnsucht, von Wunden, die nicht heilen - doch du musst noch warten, denn das Meißeln der Eindringlinge ist zu laut und unverschämt.
Und wirklich, als hätten die Eindringlinge ihre Luft angehalten, war der Lärm des Bauvorhabens wieder in voller Wucht zurückgekehrt.
Ancanagar unterbrach also ihre Trauer, um ein Blutbad anzurichten.
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Re: Wenn der Himmel fällt [Sternenfall]
Die Arbeit am Fundament hatte sie erschöpft. Lyr’sa kniete im Staub, die Hände voller Scharten, während das Klirren von Eisen und Ketten die Stille der Schwarzsteinberge zerschnitt. Jeder Hammerschlag klang zu laut, jeder Bolzen beleidigte das uralte Schweigen des Gesteins. Doch sie zwang ihre Arbeiter, weiterzumachen. Pausen hätten nur Worte gebracht, und Worte lockten das Unheil an.
Sie ahnte nicht, dass es längst da war.
Ein Schatten schnitt sich von den Felsen los. Eine Gestalt, blutverschmiert, mit Augen, die wie brennende Kohlen glommen. Bevor jemand reagieren konnte, war der erste Sklave gefallen, der zweite reglos, der dritte mit dem Hinterkopf am Stein zerschmettert. Schmerzensschreie hallten durch die Nacht.
„Zurück! Haltet euch fern!“ Lyr’sas Ruf brach in der Panik. Doch niemand hörte. Ein Sargtlin sprang nach vorn, die Klinge gezückt, nur um im nächsten Atemzug wie eine Puppe zusammenzufallen, von einer einzigen Bewegung der Vampirin gebrochen.
Lyr’sa wich zurück, stolperte, ihre Finger tasteten nach dem Axtgriff. Kalte Augen fanden sie. Ancanagar. Ein Name, der sich wie Frost auf die Zunge legte. Vor Jahren hatte sie ihn schon einmal gesehen – und seitdem war ihr Leben aus Angst gewebt. Der Mut, den sie einst gehabt hatte, war in jener Begegnung erloschen, und sie hatte nie mehr gelernt, ihn zurückzuholen.
Der Instinkt trieb sie in die Dunkelheit einer nahegelegenen Höhle. Staub, enge Wände, das Herz ein Trommelschlag in der Brust. Sie kauerte dort, wie ein Tier, das hofft, nicht bemerkt zu werden.
Doch die Schritte kamen näher. Schwerelos fast, jeder ein Siegel, das ihren Atem fesselte. Die Vampirin folgte der Spur. Blut klebte noch an ihren Lippen, der metallische Geruch vermischte sich mit dem kalten Hauch der Berge.
Lyr’sa spürte, wie die Panik sie verschlingen wollte. Da blieb ihr nur eins: verzweifelter Mut. Mit einem Schrei stürzte sie hervor, die Axt hochgerissen, und hieb auf Ancanagar ein. Jeder Schlag war ein Aufbäumen, jeder Schwung ein Hilfeschrei. Doch die Vampirin wehrte jeden Hieb mühelos ab, als halte ein Erwachsener ein Kind auf Abstand.
„Du… elendes Ding“, hauchte sie, während sie die Schläge parierte, „das ist kein Mut. Das ist Zittern im Staub.“
Lyr’sa schrie, ließ nicht los. Noch ein Schlag, noch ein verzweifeltes Aufbäumen. Die Axt fuhr herab, doch Ancanagar fing sie am Schaft. Mit der anderen Hand stieß sie Lyr’sa ins Gesicht, und Schmerz explodierte hinter den Augen der Drow. Sie taumelte, sah Sterne.
Doch als die Vampirin kurz den Kopf wandte – abgelenkt vom Hallen eines Rufs draußen – packte Lyr’sa die Gelegenheit. Mit roher Gewalt stieß sie die Gegnerin, riss sie aus dem Gleichgewicht, und beide stürzten in den Staub. Für einen Augenblick lag Ancanagar unten, und Lyr’sa keuchte, die Axt erhoben.
Dann sah sie in die Augen der Vampirin.
Es war kein Triumph darin. Es war Trauer. Tiefe, alte Trauer.
„Ich kenn dich“, stieß Lyr’sa hervor. Ihre Stimme brach, Tränen mischten sich in den Staub. „Du hast mir meinen Mut genommen. Seit damals bin ich nichts mehr… nichts! Gib ihn zurück!“
Ancanagar starrte sie an, wie versteinert. Ihre Hände zitterten, nicht vor Zorn, sondern vor einer Erinnerung, die durch Lyr’sas Aufschrei geweckt wurde. „Dein Mut…“ flüsterte sie, fast sehnsüchtig. „Wenn ich ihn nahm, warum hast du dich dann gewehrt, wie niemand sonst? All die anderen Drow hier sterben still. Aber du… du schreist noch.“
Lyr’sa weinte. „Weil ich nie aufgehört habe, zu fallen. Seit jener Nacht. Alles, was ich tue, ist versagen. Du hast mich gebrochen, und ich lebe noch – aber ich bin nicht mehr ich.“
Ein Schatten glitt über Ancanagars Gesicht. Die Erinnerung an Kyrii’linth stieg auf, die Geliebte, deren Verlust sie seit Jahren quälte. Blutdurst wich einem tiefen Sehnen, das selbst der Tod nicht stillen konnte.
„Kyrii’linth…“ hauchte sie.
Lyr’sa blinzelte, schluckte Blut. „Ich kannte sie“, flüsterte sie. „Nicht nah. Aber ich habe sie gesehen. Sie sprach zu mir, einmal. Ich erinnere mich an ihr Lächeln. Sie hat mich gerettet.“
Die Vampirin erstarrte. Das Blut an ihrem Mund glänzte, doch die Kälte in ihren Augen taute auf. „Du… erinnerst dich an sie?“
„Ja“, hauchte Lyr’sa. „Und ich schwöre… ihr Grab, ihren Altar… ich werde ihn nicht anrühren. Niemand wird ihn entweihen, solange ich hier bin. Aber ich muss diese Arbeit tun. Es ist der Wille meiner Ilharess.“
Ancanagar sah sie lange an. In ihrem Blick kämpften Hunger, Schmerz und die Sehnsucht nach etwas, das längst verloren war. Ein leises Zittern lief durch ihre Finger.
Dann löste sie den Griff.
Lyr’sa nutzte den Moment. Sie sprang auf, stolperte, raffte die Beine zusammen und rannte. Staub wirbelte hinter ihr auf, ihr Atem war ein wilder Schrei in der Dunkelheit der Höhle.
Hinter ihr blieb die Vampirin zurück, wie versteinert, den Blick in die Ferne gerichtet. Gedanken an Kyrii’linth hielten sie gefangen, schwerer als jede Kette. Und als der Hall ihrer Schritte verklang, war es nicht Zorn, der in ihrem Herzen brannte – sondern Erinnerung.
Lyr’sa aber rannte, bis die Nacht sie verschluckte, das Herz voller Angst, doch auch mit etwas Neuem. Einem Funken. Dem ersten winzigen Glimmen von Mut.
Sie ahnte nicht, dass es längst da war.
Ein Schatten schnitt sich von den Felsen los. Eine Gestalt, blutverschmiert, mit Augen, die wie brennende Kohlen glommen. Bevor jemand reagieren konnte, war der erste Sklave gefallen, der zweite reglos, der dritte mit dem Hinterkopf am Stein zerschmettert. Schmerzensschreie hallten durch die Nacht.
„Zurück! Haltet euch fern!“ Lyr’sas Ruf brach in der Panik. Doch niemand hörte. Ein Sargtlin sprang nach vorn, die Klinge gezückt, nur um im nächsten Atemzug wie eine Puppe zusammenzufallen, von einer einzigen Bewegung der Vampirin gebrochen.
Lyr’sa wich zurück, stolperte, ihre Finger tasteten nach dem Axtgriff. Kalte Augen fanden sie. Ancanagar. Ein Name, der sich wie Frost auf die Zunge legte. Vor Jahren hatte sie ihn schon einmal gesehen – und seitdem war ihr Leben aus Angst gewebt. Der Mut, den sie einst gehabt hatte, war in jener Begegnung erloschen, und sie hatte nie mehr gelernt, ihn zurückzuholen.
Der Instinkt trieb sie in die Dunkelheit einer nahegelegenen Höhle. Staub, enge Wände, das Herz ein Trommelschlag in der Brust. Sie kauerte dort, wie ein Tier, das hofft, nicht bemerkt zu werden.
Doch die Schritte kamen näher. Schwerelos fast, jeder ein Siegel, das ihren Atem fesselte. Die Vampirin folgte der Spur. Blut klebte noch an ihren Lippen, der metallische Geruch vermischte sich mit dem kalten Hauch der Berge.
Lyr’sa spürte, wie die Panik sie verschlingen wollte. Da blieb ihr nur eins: verzweifelter Mut. Mit einem Schrei stürzte sie hervor, die Axt hochgerissen, und hieb auf Ancanagar ein. Jeder Schlag war ein Aufbäumen, jeder Schwung ein Hilfeschrei. Doch die Vampirin wehrte jeden Hieb mühelos ab, als halte ein Erwachsener ein Kind auf Abstand.
„Du… elendes Ding“, hauchte sie, während sie die Schläge parierte, „das ist kein Mut. Das ist Zittern im Staub.“
Lyr’sa schrie, ließ nicht los. Noch ein Schlag, noch ein verzweifeltes Aufbäumen. Die Axt fuhr herab, doch Ancanagar fing sie am Schaft. Mit der anderen Hand stieß sie Lyr’sa ins Gesicht, und Schmerz explodierte hinter den Augen der Drow. Sie taumelte, sah Sterne.
Doch als die Vampirin kurz den Kopf wandte – abgelenkt vom Hallen eines Rufs draußen – packte Lyr’sa die Gelegenheit. Mit roher Gewalt stieß sie die Gegnerin, riss sie aus dem Gleichgewicht, und beide stürzten in den Staub. Für einen Augenblick lag Ancanagar unten, und Lyr’sa keuchte, die Axt erhoben.
Dann sah sie in die Augen der Vampirin.
Es war kein Triumph darin. Es war Trauer. Tiefe, alte Trauer.
„Ich kenn dich“, stieß Lyr’sa hervor. Ihre Stimme brach, Tränen mischten sich in den Staub. „Du hast mir meinen Mut genommen. Seit damals bin ich nichts mehr… nichts! Gib ihn zurück!“
Ancanagar starrte sie an, wie versteinert. Ihre Hände zitterten, nicht vor Zorn, sondern vor einer Erinnerung, die durch Lyr’sas Aufschrei geweckt wurde. „Dein Mut…“ flüsterte sie, fast sehnsüchtig. „Wenn ich ihn nahm, warum hast du dich dann gewehrt, wie niemand sonst? All die anderen Drow hier sterben still. Aber du… du schreist noch.“
Lyr’sa weinte. „Weil ich nie aufgehört habe, zu fallen. Seit jener Nacht. Alles, was ich tue, ist versagen. Du hast mich gebrochen, und ich lebe noch – aber ich bin nicht mehr ich.“
Ein Schatten glitt über Ancanagars Gesicht. Die Erinnerung an Kyrii’linth stieg auf, die Geliebte, deren Verlust sie seit Jahren quälte. Blutdurst wich einem tiefen Sehnen, das selbst der Tod nicht stillen konnte.
„Kyrii’linth…“ hauchte sie.
Lyr’sa blinzelte, schluckte Blut. „Ich kannte sie“, flüsterte sie. „Nicht nah. Aber ich habe sie gesehen. Sie sprach zu mir, einmal. Ich erinnere mich an ihr Lächeln. Sie hat mich gerettet.“
Die Vampirin erstarrte. Das Blut an ihrem Mund glänzte, doch die Kälte in ihren Augen taute auf. „Du… erinnerst dich an sie?“
„Ja“, hauchte Lyr’sa. „Und ich schwöre… ihr Grab, ihren Altar… ich werde ihn nicht anrühren. Niemand wird ihn entweihen, solange ich hier bin. Aber ich muss diese Arbeit tun. Es ist der Wille meiner Ilharess.“
Ancanagar sah sie lange an. In ihrem Blick kämpften Hunger, Schmerz und die Sehnsucht nach etwas, das längst verloren war. Ein leises Zittern lief durch ihre Finger.
Dann löste sie den Griff.
Lyr’sa nutzte den Moment. Sie sprang auf, stolperte, raffte die Beine zusammen und rannte. Staub wirbelte hinter ihr auf, ihr Atem war ein wilder Schrei in der Dunkelheit der Höhle.
Hinter ihr blieb die Vampirin zurück, wie versteinert, den Blick in die Ferne gerichtet. Gedanken an Kyrii’linth hielten sie gefangen, schwerer als jede Kette. Und als der Hall ihrer Schritte verklang, war es nicht Zorn, der in ihrem Herzen brannte – sondern Erinnerung.
Lyr’sa aber rannte, bis die Nacht sie verschluckte, das Herz voller Angst, doch auch mit etwas Neuem. Einem Funken. Dem ersten winzigen Glimmen von Mut.
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Der Unterstand der Furcht [Sternenfall]
Der Unterstand war nichts als ein schlichter Bau aus groben Steinen und schweren Balken, hastig errichtet, damit er Wind und Wetter trotzen konnte. Kein Schmuck, kein Prunk – nur eine feste Hülle, die der Ilharess Schutz bieten sollte, während sie hier verweilte. Und doch wirkte der kantige Bau wie ein heiliger Ort, denn auf ihm ruhte nun der Apparat, mit dem Jhea’kryna die Furcht der umliegenden Städte sammeln und in eine Waffe gegen den Sternenfall verwandeln wollte.
Und nun trat sie selbst hervor.
Jhea’kryna bewegte sich durch die Reihe ihrer Wachen, wie durch ein Meer aus Adamant und Stahl. Schwer gerüstete Sargtline flankierten sie, die Hände an den Griffen ihrer Waffen, bereit, jeden Angreifer niederzuschlagen. Fackeln warfen zuckendes Licht auf ihre Haut, die im Zwielicht schimmerte wie geschwärztes Metall.
Mit einer Geste ließ sie den Apparat herantragen. Er war eine absurde Konstruktion aus Knochen und Kristallen, metallenen Leitungen und Splittern, die selbst im Schatten glühten. Eine Yathrin senkte ihn vorsichtig auf die Plattform nieder, die Lyr’sa dort errichtet hatte. Das Grollen des Berges schien zu antworten, als das Gewicht sich setzte.
Jhea’kryna hob die Hände. Ihr Blick verfinsterte sich, als sie den Apparat prüfend musterte. „Es ist gut.“ Ihre Stimme war kühl, doch selbst dieses knappe Lob ließ Lyr’sas Herz einen Schlag aussetzen.
Dann legte die Ilharess die Finger an die Kristalle.
Die Luft im Unterstand änderte sich sofort. Ein kaum wahrnehmbares Dröhnen vibrierte durch den Boden, als würde der Berg selbst den Atem anhalten. Nebel kroch aus den Fugen, formte flackernde Schleier, und in den Kristallen begann ein schwaches Leuchten.
„Spürt ihr es?“ Jhea’krynas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, und doch drang sie in jede Brust. „Die Angst. Das Zittern der Städte, die an den Sternenfall glauben. Jeder Schrei, jedes heimliche Flehen, jeder Traum, der von der Furcht zerrissen wird – es sammelt sich hier. Es fließt in dieses Konstrukt.“
Die Wachen wechselten unruhige Blicke, doch keiner wagte ein Wort.
Der Apparat summte lauter. In den Kristallen blitzten Bilder auf – Straßen voller Unruhe, Gesichter, die in Schlaflosigkeit starrten, Kinder, die weinten, ohne zu wissen warum. Das Chaos der Welt wurde durch die Obsidianleitungen in ein Bündel gepresst, das im Herzstück des Geräts wie ein brennender Knoten pulsierte.
Jhea’kryna schloss die Augen. Ihre Lippen bewegten sich, murmelten uralte Worte, die selbst die Dunkelheit innehalten ließen. Sie sog die Kraft ein, ließ sie durch sich hindurchfließen, und das Zittern in der Luft wurde stärker. Für einen Moment schien es, als hätten selbst die Sterne am Himmel das Flackern bemerkt.
„Wir werden Tage hier aushalten,“ sagte sie, als sie die Augen wieder öffnete. „Hier, im Herzen des Berges, wo die Angst sich sammelt wie Wasser in einer Schlucht. Und wenn die Macht stark genug ist, werden wir sie gegen den Sternenfall richten. Wir werden tun, was die Götter nicht vermochten.“
Ein Murmeln ging durch die Reihen, halb Ehrfurcht, halb Furcht.
Lyr’sa stand am Rand, die Hände schwarz vom Werk, das sie vollbracht hatte. Ihr Blick huschte zwischen der Ilharess und dem Gerät hin und her. Sie wusste, dass sie diesen Apparat möglich gemacht hatte – und dass er nun etwas tat, das sie nicht verstand. Die Erinnerung an Ancanagars Augen, an die Trauer um Kyrii’linth, an ihr eigenes verzweifeltes Schreien, flackerte in ihr auf. Und doch stand sie still.
Denn hier, auf dem Berg, war es nicht mehr ihre Stimme, die zählte. Es war Jhea’krynas. Und die Ilharess hatte begonnen, die Angst der Welt in eine Waffe zu schmieden.
Und nun trat sie selbst hervor.
Jhea’kryna bewegte sich durch die Reihe ihrer Wachen, wie durch ein Meer aus Adamant und Stahl. Schwer gerüstete Sargtline flankierten sie, die Hände an den Griffen ihrer Waffen, bereit, jeden Angreifer niederzuschlagen. Fackeln warfen zuckendes Licht auf ihre Haut, die im Zwielicht schimmerte wie geschwärztes Metall.
Mit einer Geste ließ sie den Apparat herantragen. Er war eine absurde Konstruktion aus Knochen und Kristallen, metallenen Leitungen und Splittern, die selbst im Schatten glühten. Eine Yathrin senkte ihn vorsichtig auf die Plattform nieder, die Lyr’sa dort errichtet hatte. Das Grollen des Berges schien zu antworten, als das Gewicht sich setzte.
Jhea’kryna hob die Hände. Ihr Blick verfinsterte sich, als sie den Apparat prüfend musterte. „Es ist gut.“ Ihre Stimme war kühl, doch selbst dieses knappe Lob ließ Lyr’sas Herz einen Schlag aussetzen.
Dann legte die Ilharess die Finger an die Kristalle.
Die Luft im Unterstand änderte sich sofort. Ein kaum wahrnehmbares Dröhnen vibrierte durch den Boden, als würde der Berg selbst den Atem anhalten. Nebel kroch aus den Fugen, formte flackernde Schleier, und in den Kristallen begann ein schwaches Leuchten.
„Spürt ihr es?“ Jhea’krynas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, und doch drang sie in jede Brust. „Die Angst. Das Zittern der Städte, die an den Sternenfall glauben. Jeder Schrei, jedes heimliche Flehen, jeder Traum, der von der Furcht zerrissen wird – es sammelt sich hier. Es fließt in dieses Konstrukt.“
Die Wachen wechselten unruhige Blicke, doch keiner wagte ein Wort.
Der Apparat summte lauter. In den Kristallen blitzten Bilder auf – Straßen voller Unruhe, Gesichter, die in Schlaflosigkeit starrten, Kinder, die weinten, ohne zu wissen warum. Das Chaos der Welt wurde durch die Obsidianleitungen in ein Bündel gepresst, das im Herzstück des Geräts wie ein brennender Knoten pulsierte.
Jhea’kryna schloss die Augen. Ihre Lippen bewegten sich, murmelten uralte Worte, die selbst die Dunkelheit innehalten ließen. Sie sog die Kraft ein, ließ sie durch sich hindurchfließen, und das Zittern in der Luft wurde stärker. Für einen Moment schien es, als hätten selbst die Sterne am Himmel das Flackern bemerkt.
„Wir werden Tage hier aushalten,“ sagte sie, als sie die Augen wieder öffnete. „Hier, im Herzen des Berges, wo die Angst sich sammelt wie Wasser in einer Schlucht. Und wenn die Macht stark genug ist, werden wir sie gegen den Sternenfall richten. Wir werden tun, was die Götter nicht vermochten.“
Ein Murmeln ging durch die Reihen, halb Ehrfurcht, halb Furcht.
Lyr’sa stand am Rand, die Hände schwarz vom Werk, das sie vollbracht hatte. Ihr Blick huschte zwischen der Ilharess und dem Gerät hin und her. Sie wusste, dass sie diesen Apparat möglich gemacht hatte – und dass er nun etwas tat, das sie nicht verstand. Die Erinnerung an Ancanagars Augen, an die Trauer um Kyrii’linth, an ihr eigenes verzweifeltes Schreien, flackerte in ihr auf. Und doch stand sie still.
Denn hier, auf dem Berg, war es nicht mehr ihre Stimme, die zählte. Es war Jhea’krynas. Und die Ilharess hatte begonnen, die Angst der Welt in eine Waffe zu schmieden.
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