Kapitel 1 - Der Pfad der Spinne - Zwischen Klinge und Gebet

Hintergrundgeschichten und Storylines eurer Charaktere. Beiträge in diesem Forum dürfen nicht als Allgemeinwissen behandelt werden.
Jhea'kryna Ky'Alur
Beiträge: 79
Registriert: 07 Mai 2025, 09:46
Kontaktdaten:

Kapitel 1 - Der Pfad der Spinne - Zwischen Klinge und Gebet

Beitrag von Jhea'kryna Ky'Alur »

Es gibt in Elashinn keine Kindheit im Sinne der Oberflächenwelt – keine Jahre unbeschwerter Spiele, keine Tage, die man damit verbringt, über das Licht nachzudenken. Für eine Tochter eines Qu’ellars beginnt das Leben mit Erwartungen, Pflichten und dem Wissen, dass jedes falsche Wort, jede falsche Bewegung der letzte Fehler sein kann. Auch Jhea’kryna lernte diese Wahrheit, lange bevor sie ihre erste Reifeprüfung ablegte.

Sie war das mittlere Kind, in einer Familie, in der Mittlere selten überlebten. Ältere Geschwister waren Konkurrenten mit Vorsprung, jüngere Rivalen mit dem Vorteil der Hoffnung. Der einzige Weg, nicht zwischen diesen Mahlsteinen zermahlen zu werden, war, den Blick der Ilharess oder einer hohen Priesterin früh auf sich zu ziehen. Jhea’kryna tat dies nicht durch Unterwürfigkeit – sondern durch eine ungewöhnliche Mischung aus stiller Beobachtung und gezieltem Handeln.

Schon als Mädchen zeigte sie eine Gabe, die bei vielen Drow erst in späteren Jahren reifte: das Talent, zu wissen, wann man spricht, und vor allem, wann man schweigt. In einer Welt, in der Worte ebenso tödlich sein konnten wie Klingen, war das Schweigen oft die schärfere Waffe. Die wenigen Male, in denen sie das Wort erhob, waren so gesetzt und von solcher Schärfe, dass sie bei Älteren und Rivalen gleichermaßen Beachtung fand.

Es dauerte nicht lange, bis der Tempel Lloths auf sie aufmerksam wurde. Die Arach Tinilith, Zentrum der Ausbildung zukünftiger Priesterinnen, öffnete ihre Tore für sie, noch bevor ihr Haar den ersten silbrigen Glanz der Reife zeigte. Der Eintritt war kein Geschenk – es war eine Prüfung, eine Einladung in ein Netz aus Rivalität, Gehorsam und unausgesprochener Gewalt.

Der Unterricht in der Arach Tinilith war an diesem Tag von Stille und dem metallischen Geruch frischen Blutes durchzogen. Eine Opferung war abgeschlossen worden, die Lehrmeisterin hatte sich zurückgezogen, und die Novizinnen warteten auf den nächsten Befehl.

Zeryndra, eine hochgewachsene Schülerin mit zu viel Stolz für ihre Position, trat näher. „Man sagt, deine Schwester hat dir den Platz hier verschafft“, begann sie, so leise, dass es doch alle hören konnten. „Manche von uns müssen ihn verdienen.“

Jhea’kryna ließ den Blick nicht von dem silbern glänzenden Ritualmesser in ihrer Hand. „Ach, Zeryndra…“ Sie sprach den Namen, als würde sie einen Fehler in einer Schriftrolle korrigieren. „Es ehrt mich, dass du glaubst, meine Schwester hätte die Macht, die Auswahl der Arach Tinilith zu beeinflussen.“

Ein leises Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab, als sie das Messer ablegte. „Aber ich verstehe deinen Argwohn. Wenn ich an deiner Stelle wäre… und wüsste, dass ich trotz aller Anstrengungen immer nur zweite Wahl bleibe…“ Sie ließ den Satz in der Luft hängen, wie ein Gift, das von selbst in den Adern wirkt.

Einige der Novizinnen hielten den Atem an. Zeryndra öffnete den Mund, schloss ihn wieder. In der Stille hörte man nur das Tropfen des Opferbluts in die steinerne Schale.

Jhea’kryna erhob sich, trat an ihr vorbei und legte Zeryndra sanft die Hand auf die Schulter – nicht als Trost, sondern als Besitzergreifung. „Komm“, flüsterte sie, so dass nur Zeryndra es hörte, „man sagt, Demut sei Lloths liebste Tugend. Vielleicht ist das deine wahre Prüfung.“

Als Jhea’kryna den Raum verließ, sah sie nicht zurück. Sie musste es nicht. Die anderen hatten gesehen, wer den Faden spann – und wer sich darin verheddert hatte.


⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰



Es war kein Lärm, der sich durch die Schlafgemächer zog, sondern das leise, gedämpfte Raunen derer, die genug Verstand hatten, nicht laut zu werden. Namen fielen, immer wieder Jhea’krynas, und das ihre mit einem Unterton, der weder klar Spott noch Respekt war – ein Laut, der beides sein konnte, je nachdem, wer zuhörte. Sie wusste, dass das Wort den Weg finden würde. In der Arach-Tinilith fanden solche Dinge immer den Weg – durch die Gebetsnischen, entlang der Speisesäle, von einer Zunge zur nächsten, wie ein Gift, das man unbemerkt ins Wasser träufelte.
Yathrin Shuryth, eine Priesterin, die man im Flüsterton „die Seidige“ nannte, stand später an einer Säule des inneren Hofes. Ihr schwarzer Umhang lag wie flüssiger Schatten auf dem Stein. Die anderen Novizinnen mieden sie; die, die ihr zu nahe kamen, verließen den Ort meist mit einer neuen Narbe – wenn sie Glück hatten.

„Jhea’kryna Ky’Alur.“ Die Stimme schnitt nicht, sie streichelte. Aber jeder Hauch trug die Schärfe einer Klinge.
Jhea'kryna trat näher, hielt den Blick gesenkt, wie es sich gehörte. Doch in ihren Augenwinkeln sah sie das Lächeln der Veldrin – kein warmes, kein freundliches, sondern eines, das den Wert eines Dolches an der Kehle kannte.

„Ich sah, wie du das Messer in ihr Herz getrieben hast, ohne es zu führen.“
Ein leises Klicken der Zunge. „Die Göttin liebt Hände, die so arbeiten. Sie machen weniger Schmutz.“

Die Lehrmeisterin umkreiste sie langsam, das Geräusch ihrer Stiefel kaum mehr als ein Atemzug auf dem glatten Stein.

„Aber ein einzelner Stich ist nur ein Anfang. Willst du etwas lernen, Jhea’kryna? Willst du wissen, wie man einen ganzen Schwarm zerschlägt – und dabei so tut, als würde man ihn retten?“

Jhea hob den Blick gerade so weit, dass ihre Lippen den Ansatz eines Lächelns fanden.

„Xas, malla Yathrin.“

⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰



Der Auftrag kam nicht während des Unterrichts, sondern in der kühlen Stille der Seitenkapelle, dort, wo die Wände mit den Runen Lloths wie ein Netz aus uraltem Silber überzogen waren.

„Es gibt Unruhe unter den Novizinnen der dritten Halle,“ sagte Yathrin Shuryth, ohne Jhea’kryna anzusehen. Sie war mit einer schwarzen Kerze beschäftigt, deren Docht sie in eine Schale aus Blut tunkte. „Zwei Gruppen, jede überzeugt, im Recht zu sein. Ich habe weder Zeit noch Geduld, diesen Lärm zu ertragen.“

Jhea schwieg, wissend, dass dies nicht einfach ein Befehl war, sondern eine Messung.

„Du wirst diesen Streit beenden,“ fuhr die Lehrmeisterin fort. „Und du wirst es so tun, dass keine den Eindruck hat, du habest Partei ergriffen. Und doch…“ – hier hob sie endlich den Blick, ihre Augen ein funkelndes Gelb – „…wird am Ende eine von beiden zerstört sein. Wenn möglich, ohne dass jemand deine Hände sieht.“

Es war kein Zufall, dass Zeryndra zu einer der beiden Gruppen gehörte.

Der Streit, den sie „schlichten“ sollte, ging um die Verteilung der Opfergaben für das nächste Blutritual. Zeryndras Gruppe hatte den Löwenanteil beansprucht, die andere Gruppe sah darin eine Demütigung. Jhea’kryna trat nicht als Richterin auf. Stattdessen ließ sie die beiden Parteien im Versammlungsraum zusammenkommen und tat, was sie im Tempel bereits gelernt hatte: zuhören, schweigen, das Gift in die richtige Vene tropfen lassen.

„Natürlich hat Zeryndra das Recht, den besten Teil der Opfergaben zu beanspruchen,“ sagte sie mit sanfter Stimme, die wie Zustimmung klang. „Schließlich ist sie die Einzige hier, deren Schwester nicht am Hofe der Ilharess dient.“

Einige der anderen Novizinnen begannen zu kichern – nicht laut, nicht ungezogen, sondern gerade so, dass es wie ein Riss in der Mauer wirkte. Zeryndras Augen blitzten, doch bevor sie antworten konnte, sprach Jhea'kryna weiter.

„Aber vielleicht…“ – sie ließ die Worte langsam fallen – „…sollte sie der Göttin beweisen, dass sie diesen Anspruch auch verdient.“

Am Ende dieses „Schlichtungsgesprächs“ war Zeryndra die Einzige, die mehr Opfergaben hatte als zuvor – aber auch die Einzige, die nun öffentlich verpflichtet war, das gefährlichste und unreinste Blut für das Ritual zu beschaffen. Ein Auftrag, der sie zwang, bei einem missliebigen Meisteralchemisten vorzusprechen, der für seine Demütigungen berüchtigt war. Als sie zurückkehrte, roch sie nach kaltem Rauch und hatte eine frische Brandspur am Hals. Niemand musste sagen, dass Jhea’kryna gewonnen hatte. Jeder sah es.

Das leise Lachen, das sie daraufhin hörte, war wie das Rascheln einer Spinne in der Dunkelheit – und es sagte ihr, dass die nächste Lektion kein Gebet sein würde.



Die Nacht nach der „Schlichtung“ war ungewöhnlich still. Die üblichen Schritte und geflüsterten Gebete im Novizentrakt fehlten – als hätte die Arach Tinilith selbst beschlossen, den Atem anzuhalten. Yathrin Shuryth ließ Jhea’kryna in die innere Krypta führen. Der Raum war klein, kreisrund, mit Wänden aus schwarzem Obsidian, in die filigrane Spinnennetze aus Silberdraht eingelassen waren. In der Mitte stand ein niedriger Altar, darauf ein Kelch, der aus einem einzigen Stück polierten Karneols (*) gefertigt war. Das Blut darin war frisch, noch warm, und roch nach Eisen und Rauch.

„Dies ist nicht dein Recht,“ sagte Veldrin, während sie einen kleinen Kreis aus Asche um den Altar zog. „Dies ist ein Blick, den ich dir gewähre, um zu sehen, ob Lloth überhaupt etwas mit dir zu tun haben will.“

Jhea’kryna kniete nieder. Sie wusste, dass es kein Gebet im herkömmlichen Sinn war – es war eine Einladung, und die Göttin konnte sie annehmen oder ablehnen.

„Trink.“

Das Blut war dick, fast wie geschmolzenes Metall. Es brannte auf der Zunge, kroch wie eine lebendige Schlange ihre Kehle hinunter. Jhea schloss die Augen, und die Welt kippte. Kein Licht. Kein Klang. Nur Schwärze – und darin feine, silberne Fäden, die sich woben und lösten, wieder woben, immerzu. Manchmal berührten sie sie, manchmal glitten sie fort. Und dann, wie aus der Tiefe eines anderen Raumes, ein leises Zucken – als hätte eine Spinne im Netz kurz gezittert.

Sie wusste nicht, ob es ein Gruß war oder eine Warnung. Aber sie wusste, dass es gesehen hatte, dass sie gesehen worden war.
Als sie die Augen öffnete, stand Veldrin noch immer dort, unbewegt.

„Nun weißt du, was es bedeutet, wenn die Göttin hinsieht,“ sagte sie. „Die Frage ist nur – wird sie dich noch einmal ansehen?“

Jhea’kryna verneigte sich, nicht tief, sondern genau so, wie es einer diente, die wusste, dass sie eines Tages vielleicht nicht mehr dienen würde.


⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰



In der Arach Tinilith verlor man schnell jedes Gefühl für Zeit. Tage, Wochen, manchmal Monate flossen ineinander, wie Blut in den Rillen eines Opfersteins. Es gab Rituale, Prüfungen, Pflichten – und dann wieder Rituale, bis selbst der Schlaf nur eine weitere Form von Dienst war. Jhea’kryna hätte nicht sagen können, wann sie zuletzt den Hof des Qu’ellars betreten hatte. Nicht aus Pflichtvergessenheit, sondern weil ihr schlicht jede Möglichkeit genommen wurde. Ihre Aufgaben im Tempel kamen wie Wellen: Wenn sie einen Zyklus abschloss, war der nächste schon über ihr, schwerer, tiefer, unausweichlicher.
Von ihrer Schwester hörte sie nur in Form von geflüsterten Gerüchten, die Novizinnen aus den oberen Häusern mitbrachten: Query’fae hatte ein Bündnis mit Haus Noquar geschlossen. Query’fae war auf einer Audienz vor dem Stadtrat aufgetreten. Query’fae hatte angeblich eine Abordnung der Yathrin selbst beeindruckt.
Kein Wort, kein Bote, keine Einladung. Sie war wie ausgelöscht – nicht tot, aber aus dem Bild geschnitten.

Dass sich das änderte, lag an Kary’lin. Die Veldriss betrat eines Tages während einer Andacht den Gebetsraum, ihre Stiefel hinterließen feuchte Abdrücke vom Morgentau des äußeren Hofes. Sie stand lange hinter Jhea’kryna, sagte kein Wort, bis der letzte Gesang verklungen war.

„Du bist schwer zu finden, Ky’Alur.“

Jhea’kryna hob den Blick, nur so weit, dass ihre Augen Kary’lens trafen. Die Veldriss lächelte nicht.

„Deine Schwester hat dich gut versteckt. Zu gut. Ich frage mich, ob sie glaubt, die Göttin wisse nicht, wo du bist.“

Es war das erste Mal seit Monaten, dass jemand aus dem Qu’ellar sie direkt ansprach. Kary’lin sprach von Dingen, die außerhalb des Tempels lagen, von Machtverschiebungen, Bündnissen und Fehden, als wolle sie testen, ob Jhea’kryna noch verstand, wie man Fäden in der Dunkelheit sieht.

Am Ende ihrer Worte stand Kary’lin näher, so nah, dass Jhea’kryna den feinen Geruch von Öl und Stahl aus der Rüstung der Veldriss wahrnahm.

„Deine Schwester ist verschwunden.“

Jhea’kryna blinzelte nicht, aber der Satz fiel wie ein scharfes Messer in einen stillen Raum.

„Das Haus Ky’Alur steht ohne Ilharess da. Die Krieger sind unruhig, die Magier streiten um Befehlsgewalt. Wenn du nicht zurückkehrst, werden andere diese Lücke füllen – und wir beide wissen, dass sie uns nicht wohlgesinnt sind.“

Kary’lin ließ den Blick kurz schweifen, als prüfe sie, ob jemand lauschte.

„Ich bitte dich nicht im Namen deiner Schwester. Ich bitte dich im Namen des Hauses. Komm nach Elashinn. Setz dich auf den Thron, bevor jemand anderes es tut.“

Es war keine Drohung, kein Befehl. Es war der klare Blick einer Kriegerin, die wusste, dass ein Haus ohne Herrin nur ein Schlachtfeld ist, das darauf wartet, gewählt zu werden.


⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰


ooc-Info
(*) für die interessierten was Karneol sein soll
https://de.wikipedia.org/wiki/Karneol

Es handelt sich hierbei um Jhea neue Backgroundstory... die andere ist mir abhanden gekommen ;) und das Weltquest eignet sich ja ganz gut da dinge gerade zu rücken.
Zuletzt geändert von Jhea'kryna Ky'Alur am 11 Aug 2025, 20:10, insgesamt 2-mal geändert.
Jhea'kryna Ky'Alur
Beiträge: 79
Registriert: 07 Mai 2025, 09:46
Kontaktdaten:

Kapitel 2 – Der leere Thron

Beitrag von Jhea'kryna Ky'Alur »

Der Gang, der zum Thronsaal des Qu’ellars Ky’Alur führte, schien an diesem Tag länger zu sein als je zuvor. Die Stufen aus poliertem Basalt glänzten im Licht der zeremoniellen Lampen, deren weißes Feuer wie kalter Mondschein auf den schwarzen Stein fiel. Jeder Schritt hallte zwischen den hohen Wänden wider, begleitet von dem dumpfen Schlag ihres eigenen Herzens – ein Geräusch, das nur sie selbst hören konnte.

Kary’lin ging neben ihr, eine Präsenz wie eine gezogene Klinge: kein unnötiges Wort, kein Blick zurück, nur der kontrollierte, gleichmäßige Schritt einer Kriegerin, die wusste, dass jede Geste beobachtet wurde. Jhea’kryna hielt das Kinn hoch, die Hände locker vor dem Körper, die langen Finger leicht ineinander verschränkt. Alles an ihrer Haltung sagte: Ich gehöre hierher. Nichts an ihr verriet, dass in der Tiefe ihres Bauches etwas Dunkles, Hartes saß, das vielleicht Angst war – oder Vorahnung.

Vor den gewaltigen Torflügeln, in die Spinnenmotive aus Silberdraht eingearbeitet waren, blieben sie stehen. Zwei Torwachen in voller Rüstung senkten synchron die Hellebarden, und einer von ihnen verkündete mit einem so lauten und klaren Ton, dass er bis in die letzten Reihen des Saales getragen wurde:

„Kary’lin Veldriss, Wächterin des Hauses, mit Jhea’kryna Ky’Alur, Tochter des Blutes und Erbin des Throns der Ilharess.“

Die Tore öffneten sich langsam.

Was dahinter lag, war kein gewöhnlicher Versammlungssaal. Der Thronsaal des Qu’ellars Ky’Alur war ein Theater der Macht – und heute war jede Loge, jede Stufe, jeder Platz besetzt. Hohe Priesterinnen in schweren Roben, Kriegerkommandanten mit Waffen, deren Klingen so alt waren wie sie selbst, Zauberwirker, deren Augen in arkanem Glanz standen.
Die Gespräche, die eben noch wie das Summen eines Schwarmes den Raum erfüllt hatten, verstummten, als die beiden eintraten.

Alle Augen wandten sich Jhea’kryna zu.

Es war kein neugieriger Blick, kein erwartungsvolles Willkommen. Es war das leise Scharren einer unsichtbaren Kralle, das Messen eines fremden Raubtiers, das gerade das Territorium betreten hatte. Manche Gesichter waren unbewegt, glatte Masken aus jahrhundertelang trainierter Selbstbeherrschung. Andere trugen ein Lächeln, das nichts mit Freude zu tun hatte. Wieder andere machten sich nicht einmal die Mühe, ihre Feindseligkeit zu verbergen.

Jhea’kryna fühlte das Brennen dieser Blicke wie einen plötzlichen Temperatursturz. Für einen Herzschlag lang war da dieser Reflex, sich umdrehen zu wollen – oder den Schritt zu beschleunigen, um schneller das Ende des Saals zu erreichen. Doch sie zwang ihre Schultern ruhig zu bleiben, zwang ihre Füße in den gemessenen Rhythmus, den eine Ilharess im Werden haben musste.
Kein Zeichen. Kein Zittern. Kein Blick, der nach unten fällt.

Kary’lin ging bis zu den Stufen des Thrones, dann blieb sie stehen. Mit einer knappen aber einladenden Geste bedeutete sie Jhea’kryna, Ihren rechtmäßigen Platz einzunehmen.

Der Thron war aus schwarzem Obsidian gehauen, so glatt poliert, dass er das Licht der zeremoniellen Lampen in kaltem Glanz widerspiegelte. An den Armlehnen waren in Silber die Verse einer uralten Litanei eingraviert, deren Worte Jhea’kryna schon in ihrer Novizenzeit auswendig gekannt hatte. Sie ließ diesen Eindruck ein, zwei Augenblicke auf sich wirken, dann erst setzte sie sich langsam, den Blick geradeaus gerichtet, und legte eine Hand auf jede der Armlehnen – als sei dieser Platz seit jeher der ihre gewesen.

Kary’lin trat einen Schritt vor. Ihre Stimme war tief, klar und unmissverständlich:

„Vor euch sitzt Jhea’kryna Ky’Alur, Tochter unseres Blutes, Schwester der Ilharess Query’fae, lange verschollen – nun zurückgekehrt, um den Stuhl zu führen, den ihr Blut ihr gibt. In diesen Hallen ist sie die Stimme, der das Haus folgt. In diesen Hallen schuldet ihr ihr, was ihr dem Namen Ky’Alur schuldet: Loyalität.“

Ein Murmeln ging durch den Saal – nicht laut, aber spürbar. Manche Stimmen klangen zustimmend, andere waren kaum mehr als ein Zischen. Jhea’kryna ließ es geschehen, bis die Bewegung wie Ebbe und Flut von selbst verebbte. Dann erhob sie sich leicht aus dem Thron, gerade genug, um nicht wie eine Gefangene auf ihrem eigenen Sitz zu wirken, und begann zu sprechen.

„Ich weiß, viele von euch sehen mich heute zum ersten Mal seit Jahrhunderten. Einige vielleicht zum allerersten Mal überhaupt. Ihr fragt euch, warum ich hier sitze – und nicht eine von euch. Ihr fragt euch, ob mein Blut, mein Name, mein Wille ausreichen, um diesen Thron zu halten.“

Sie ließ den Blick schweifen, nicht hastig, sondern langsam, bis sie ein paar Gesichter lange genug fixiert hatte, dass der Blick ein Gewicht bekam.

„Ich bin nicht hier, um mich für meine Existenz zu rechtfertigen. Ich bin hier, weil unser Haus eine Hand braucht, die es führt – und eine Stimme, die es im Namen Lloths erhebt. Und beides habe ich vor, zu sein.“

Die Stille im Saal war gespannt, als aus einer der mittleren Reihen ein Mann aufstand. Breit gebaut, Rüstung mit den Narben vieler Schlachten, eine Hand locker auf dem Griff seines Schwertes. Seine Stimme schnitt wie ein Dolch, nicht laut, aber mit dieser absichtlichen Klarheit, die dafür sorgt, dass jedes Wort bis in die letzte Reihe dringt.

„Schwester der Ilharess, sagst du?“
Er ließ das Wort Schwester klingen, als wäre es ein schmutziges Tuch.
„Und wenn sie nicht dein Blut war? Wenn der Thron, auf dem du sitzt, nicht dein Recht, sondern nur dein Wunsch ist?“

Ein Raunen ging durch den Saal. Niemand sprach solche Zweifel aus, ohne ein Ziel zu haben – und ohne den Mut, den Preis zu zahlen. Jhea’kryna regte sich kaum. Sie ließ den Blick auf ihm ruhen, bis das Flimmern der zeremoniellen Lampen sich in seinen Augen spiegelte. Ihre Stimme, als sie sprach, war leise, aber von dieser Kälte, die nicht von Menschen kommt.

„Du fragst, ob mein Blut rein ist. Ob meine Hand das Recht hat, diesen Thron zu halten.“

Sie ging langsam die Stufen hinab, jeder Schritt ihrer Absätze auf dem marmornen Stufen ein Schlag gegen die Stille, bis sie vor ihm stand. Er versuchte, ihren Blick zu halten, und scheiterte. Ihre Stimme sank noch tiefer, so dass selbst die, die dicht bei ihr standen, sich vorlehnen mussten.

„Ich bin Jhea’kryna Ky’Alur. Gezeugt in der Gunst Lloths, geboren unter ihrem Netz, geweiht in ihrem Tempel. Wenn ihr meine Abstammung anzweifelt… dann zweifelt ihr an der Wahl der Göttin.“

Er öffnete den Mund, doch in diesem Moment flackerte das Licht der zeremoniellen Lampen – nicht wie bei einem Windstoß, sondern als würden die Flammen selbst vor etwas zurückweichen. Aus den Schatten in den oberen Bögen der Halle kroch ein feines, silbriges Schimmern, wie das Zittern eines gewaltigen Netzes, das keiner zuvor gesehen hatte. Die Gespräche, die gerade wieder einsetzen wollten, starben augenblicklich.

Etwas Schwarzes, Großes glitt kurz in der Dunkelheit über den Thronsaal, zu schnell, um es zu sehen, zu schwer, um nur Einbildung zu sein. Ein einzelner, schwarzer Tropfen fiel von der Decke auf den Boden zwischen Jhea’kryna und dem Mann – und wo er den Stein berührte, begann sich ein feines, weißes Spinnennetz zu bilden, das ihn einschloss.

Das Netz kroch ihm bis an den Hals, presste sich leicht, aber unnachgiebig gegen die Kehle. Sein Atem wurde flach, und das Geräusch des Luftschnappens war im stillen Saal deutlicher zu hören als das Schlagen irgendeines Herzens. Er stöhnte leise, nicht jammernd, sondern wie einer, der den Schmerz nicht leugnen, aber seine Würde nicht verlieren will.

Jhea’kryna stand so nah, dass sie den Anstieg und das Rucken seiner Schultern bei jedem Atemzug sehen konnte. Sie sagte nichts weiter – sie ließ den Augenblick wirken. Jeder Blick im Saal war auf ihn gerichtet, auf den Mann, der sich erhoben hatte, um sie zu demütigen, und nun, eingesponnen in die Berührung Lloths, zu einem lebenden Mahnmal geworden war.

„Lloth antwortet selbst. Wollt ihr es wagen, ihr zu widersprechen?“

Der Mann schwieg. Nicht aus Einsicht, sondern weil das Netz jede Regung verschlang. Seine Augen irrten zwischen Panik und Wut, doch niemand im Saal würde sich täuschen lassen: Er war besiegt, ohne dass Jhea’kryna auch nur die Hand erhoben hatte.

Sie wandte sich ab, stieg die Stufen zurück zum Thron hinauf, und als sie sich setzte, lösten sich die Fäden lautlos, glitten die Fäden von ihm ab, zogen sich in den Schatten zurück, aus denen sie gekommen waren. Kein Ruck, kein Laut – nur das plötzliche Fehlen des Zwangs. Er stand noch einen Herzschlag lang, bevor er sich langsam, ohne Blickkontakt, in die hinteren Reihen zurückzog. Jeder, an dem er vorbeiging, trat einen halben Schritt zur Seite, nicht aus Respekt, sondern um die Berührung seiner Schande zu meiden.

Jhea’kryna folgte ihm mit den Augen, bis er seinen Platz gefunden hatte. Erst dann setzte sie sich wieder auf den Thron, legte beide Hände auf die Armlehnen und ließ die Stille noch einige Herzschläge länger im Raum hängen.

„Nun, da wir alle wissen, wie die Göttin über meinen Anspruch denkt… lasst uns zu dem kommen, was als Nächstes geschieht.“

Ihre Stimme war jetzt anders – nicht kälter, aber unnachgiebiger. Sie sprach von der Notwendigkeit, die äußeren Handelsrouten zu sichern, da Gerüchte über Überfälle im nördlichen Tunnel die Versorgung bedrohten. Sie ordnete an, dass zwei Trupps Krieger diese Routen in den nächsten Zyklen patrouillieren sollten. Sie sprach von der Erneuerung bestimmter Tempelrituale, um Lloths Gunst zu sichern, und erklärte, dass jedes Hausmitglied, das sich dem entzieht, die persönliche Aufmerksamkeit der Ilharess erwarten könne.

„Wir werden nicht warten, bis unsere Feinde vor den Toren stehen. Wir werden sie finden, bevor sie den ersten Schritt setzen. Und wir werden nicht bitten. Wir werden nehmen.“

Als sie endete, war kein Murmeln mehr im Saal – nur ein schweres, lauerndes Schweigen, das ebenso gut Zustimmung wie Angst sein konnte.

⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰
Jhea'kryna Ky'Alur
Beiträge: 79
Registriert: 07 Mai 2025, 09:46
Kontaktdaten:

Kapitel 3 - Die Weihe als Ilharess

Beitrag von Jhea'kryna Ky'Alur »

Der Tag begann nicht mit Licht oder Schatten, sondern mit Klang. Nicht dem gedämpften Murmeln in den Höhlen, nicht den Schritten auf Stein, sondern dem dumpfen, gleichmäßigen Schlag der großen Gongs, die nur zu besonderen Anlässen erklangen. Der Ton vibrierte durch die Wände der Stadt und des Qu’ellars, kroch durch Korridore und Hallen, stieg durch die engen, windenden Stufen der Arach Tinilith hinauf und kündigte den Beginn eines Rituals an, das in Elashinn seit Jahrhunderten nicht mehr in dieser Form abgehalten worden war.

Die Hallen des Tempels waren an diesem Tag wie ein einziger, gewebter Schleier aus Schatten und Glanz. Zwischen den hoch aufragenden Basaltsäulen hingen lange Bahnen aus purpurnem Stoff, in die Spinnensymbole aus Silber und schwarzem Faden eingestickt waren. In den Nischen standen goldene Lampen, deren Flammen nicht von Öl genährt wurden, sondern von einer Mischung aus Harz und dem Blut gesegneter Kreaturen, was dem Licht einen seltsam blassen, aber durchdringenden Glanz verlieh. Über allem lag der schwere, süßliche Geruch von verbranntem Myrrhenharz, gemischt mit dem metallischen Hauch frisch vergossenen Blutes – eine Mischung, die selbst für alte Priesterinnen wie ein Rausch war.

Der Altar, aus einem einzigen Block schwarzen Obsidians gehauen, stand erhöht auf einer Plattform, zu der fünf breite Stufen führten. Auf der glatten Oberfläche lag ein Kelch aus poliertem Karneol, so alt, dass Legenden behaupteten, Lloth selbst habe darin einst das Blut eines gefallenen Halbgottes gesammelt. Zwei silberne Opferschalen flankierten ihn, eine leer, die andere gefüllt mit Wasser aus den tiefsten Quellen unter der Stadt, kühl und klar, als wäre es dem Griff der Zeit entzogen.

Vor dem Altar kniete das Opfer: ein Mann mittleren Alters, kräftig gebaut, aber mit dem resignierten Blick dessen, der weiß, dass kein Flehen ihn retten wird. Er gehörte zu einem Seitenzweig des Hauses, der in den letzten Zyklen offen gegen Jhea’krynas Entscheidungen agitiert hatte. Heute sollte sein Blut als Siegel dienen – nicht nur für ihre Herrschaft, sondern auch für die Bindung zwischen dem Qu’ellar und der Göttin.

Die Reihen der Anwesenden reichten bis zu den hinteren Säulen: Hohe Priesterinnen in schweren Roben, deren Säume über den Boden rauschten wie das Flüstern eines nahenden Sturms. Kriegerkommandanten in Rüstungen, die mehr Zierde als Schutz waren, jede mit dem Wappen des Hauses versehen. Vertreter verbündeter Familien, die als Zeugen geladen waren – manche aus Pflicht, manche aus Furcht, manche, weil sie sehen wollten, ob die neue Ilharess wirklich den Anspruch hatte, den Thron zu halten.

Jhea’kryna betrat die Halle nicht allein. Vor ihr gingen zwei Akolythen, jede mit einer zeremoniellen Laterne in den Händen, deren Licht den Weg in ein flackerndes Netz aus Schatten und Glanz tauchte. Hinter ihr folgte Kary’lin, deren Rüstung unter dem Licht der Laternen wie schwarzer Stahl wirkte, gesprenkelt mit dem matten Weiß alter Narben. Jeder Schritt hallte dumpf auf den Platten, und jedes Paar Augen verfolgte sie.

Sie trug heute nicht die schlichte Robe des Alltags, sondern das volle Zeremoniell: schwere Seide in tiefem Schwarz, durchzogen von feinen Fäden aus echtem Silber, die bei jeder Bewegung Muster zeichneten, als würden Spinnen über den Stoff laufen. An ihrer Stirn lag ein Diadem aus poliertem Onyx, besetzt mit einer einzigen, blutroten Perle, die wie ein Auge wirkte. Ihre Hände waren unbedeckt – ein bewusster Bruch mit der Tradition, der den Blick auf die schmalen, aber kräftigen Finger lenkte, die in diesem Moment nur eines versprachen: Kontrolle.

Als sie die Stufen zum Altar hinaufstieg, kniete jede Priesterin, an der sie vorbeiging, und berührte den Boden mit der Stirn. Nicht alle knieten aus Ehrfurcht. Einige knieten, weil es sicherer war, nicht aufzusehen. Jhea’kryna sah das, und sie lächelte kaum merklich.

Oben angekommen, stand sie still, ließ die Stille sich setzen, bis das letzte Murmeln verklungen war. Ihre Stimme, als sie sprach, war tief und klar, getragen von einem Rhythmus, der älter war als jedes Gebet der Stadt.

„Lloth, Herrin der Netze, Mutter der Schatten, dies ist dein Haus. Dies ist dein Blut. Dies ist dein Feind.“

Mit einer Handbewegung ließ sie den Mann vor ihr den Kopf heben. Seine Augen trafen ihre, und in diesem Blick lag kein Hass mehr – nur die Gewissheit, dass der letzte Augenblick nicht ihm gehörte, sondern ihr.

„Er zweifelte an meinem Recht, deinen Namen zu führen. Er zweifelte an deiner Wahl. Lass sein Ende ein Anfang sein, und sein Blut ein Faden in deinem ewigen Gewebe.“

Sie nahm den Kelch, hob ihn, so dass das Licht der Lampen sich darin brach, und führte die Klinge langsam über die Kehle des Mannes. Kein hastiger Schnitt – ein präziser, ruhiger Zug, der das Blut in einem einzigen, gleichmäßigen Strom in den Kelch laufen ließ. Der Geruch von Eisen und Salz füllte die Luft, mischte sich mit dem Harz, und in den Reihen der Anwesenden regte sich niemand.

Als der Kelch gefüllt war, trat Jhea’kryna zurück, hob ihn hoch und begann zu sprechen – nicht mehr in der Gemeinsprache, sondern in der alten Zunge, die nur die Priesterinnen beherrschten. Es war kein Flehen, sondern eine Anrufung, jeder Laut wie das Zucken eines Fadens im Netz.

Zuerst war nichts. Dann flackerte das Licht der Lampen – nicht unruhig, sondern wie von einer unsichtbaren Bewegung gestreift. Hoch oben, in den Schatten zwischen den Dachbögen, bewegte sich etwas. Keine Augen, keine Beine waren zu sehen, nur ein Schimmern, als ob das Gewebe einer gewaltigen Spinne im Dunkel erzitterte.

Ein leises, kaum hörbares Knistern füllte die Luft, wie wenn Seide über Seide reibt. Dann, langsam, senkte sich aus der Höhe eine Gestalt herab – nicht aus Fleisch und Blut, sondern gewebt aus Schatten und Licht. Die Spinne war groß genug, dass ihr Körper den Altar hätte überdecken können, und doch schien sie gewichtslos. Sie schwebte über dem Opfer, beugte sich, und für einen Atemzug war es, als würde sie trinken. Dann zog sie sich zurück, lautlos, und verschwand wieder in den Schatten.

Keiner im Saal sprach. Manche knieten tiefer, manche verharrten starr. Selbst die Zweifler wagten nicht, den Blick zu heben.

Jhea’kryna stellte den Kelch auf den Altar zurück, und ihre Stimme war nun wieder in der Sprache aller:

„Die Herrin hat gesehen. Die Herrin hat genährt. Wer Zweifel hatte – vergesst sie. Wer treu war – haltet euch an mich, und ihr haltet euch an sie.“

Sie trat zurück, und es setzten Trommeln ein, dumpf und langsam, als würden sie den Herzschlag der Göttin selbst nachahmen.

Noch während der letzte Trommelschlag verklang, hob Jhea’kryna die Hand, und die Priesterinnen begannen, die Reihen zu ordnen. Niemand durfte den Tempel verlassen, bevor sie es wollte. Dies war nicht nur ein Ritual – es war ein Tribunal, ein Schwurakt, und jeder Anwesende war Zeuge, ob er wollte oder nicht.

Kary’lin trat an ihre Seite, die Rechte auf den Griff ihres Schwertes gelegt, und flüsterte ihr nur ein einziges Wort zu: „Jetzt.“
Jhea’kryna nickte kaum merklich und ließ ihren Blick über die versammelten Vertreter der Familienzweige schweifen.

„Die Herrin hat heute gesprochen. Wer ihre Wahl anzweifelt, der zweifelt an ihrem Willen. Wer heute schweigt, der schweigt gegen sie.“

Eine schmale Frau aus dem Zweig Tebin'yon trat vor. Ihr Blick war angespannt, die Hände gefaltet wie in einem Gebet, das sie zu spät begonnen hatte.

„Im Namen meiner Linie, malla Ilharess, bekenne ich unsere Treue zu euch und zu Lloth.“

Die Stimme war klar, aber der Tonfall verriet, dass sie diesen Satz in den nächsten Monaten oft vor sich selbst wiederholen musste, um ihn zu glauben. Andere folgten – manche zügig, als wollten sie dem Verdacht zuvorkommen, andere langsam, als müssten sie einen Befehl aus sich heraus zwingen. Jeder Schwur wurde vor dem Altar gesprochen, jede Verbeugung tief genug, dass niemand später sagen konnte, sie sei halbherzig gewesen. Jhea’kryna nahm jeden Eid an, lächelte kaum, sprach nur kurze Segensformeln. Doch sie ließ jeden Schwörenden lange genug vor sich knien, dass der Rest des Saales Zeit hatte, ihn genau zu betrachten. Jeder sollte sich merken, wer schwor – und wer zögerte.

⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰
Jhea'kryna Ky'Alur
Beiträge: 79
Registriert: 07 Mai 2025, 09:46
Kontaktdaten:

Kapitel 4 - Schönheit wie eine Klinge

Beitrag von Jhea'kryna Ky'Alur »

Das Beben lag kaum drei Zyklen zurück, doch sein Nachhall war in den unteren Ebenen Elashinns noch immer spürbar. Feine Risse in den großen Basaltsäulen des alten Lloth-Tempels hatten sich zu tiefen Spalten erweitert, und in den Gängen, die zu den unteren Schreinen führten, stieg nun unaufhörlich heiße Luft auf – schwefelhaltig, nach Metall schmeckend. Für die Gelehrten des Tempels war es eine Frage der Statik, für die Priesterinnen eine Frage der Reinheit.

In den Fluren der Stadt munkelte man bereits: War es ein Wink der Herrin? Ein Zeichen der Ungnade?
Solche Gerüchte waren Gift – und Felyndiira Noquar, Matriarchin des ältesten Hauses Elashinns, wusste das besser als jede andere. Deshalb hatte sie den Rat zusammengerufen. Nicht in heimlicher Beratung, nicht im Flüsterton – sondern offiziell, feierlich, mit Gesandten an jede Matriarchin.

Die Einladung an Jhea’kryna Ky’Alur war keine Bitte.

Als die Boten den schwarzen Wachsverschluss brachten, hatte Jhea die Rolle eine Weile auf dem Tisch liegen lassen, wie man ein ungebetene Erinnerung beiseiteschiebt. Sie mochte es nicht, her zitiert zu werden – schon gar nicht von Felyndiira. Und doch war es nicht ratsam, dieser Einladung nicht zu folgen. Wenn sie schon gezwungen wurde, im Kreis der Häuser zu erscheinen, dann würde sie dafür sorgen, dass ihr Auftritt nicht als Pflichtgang in Erinnerung blieb, sondern als etwas, das den Raum beherrschte.

Am Morgen des Rats, lange bevor sie selbst den ersten Schritt aus ihren Gemächern tat, begann ihre Vorbereitung.
Das Kleid, das sie wählte, war kaum ein Kleid im gewöhnlichen Sinn – vielmehr ein Gewirk aus feinen, schwarzen Spinnenseidenfäden, die sich wie lebendig über ihre Haut legten. Kein schwerer Stoff, der verbarg, sondern ein Netz, das umspielte, enthüllte, andeutete. Jeder Faden war mit winzigen Splittern aus Onyx und Obsidian besetzt, die bei Bewegung wie das Glitzern von Tautropfen im Mondlicht funkelten. Die Linien folgten den Konturen ihres Körpers mit der Präzision eines Künstlers, der Schönheit und Gefahr zugleich darstellen wollte – genug, um Blicke festzuhalten, ohne auch nur einen Hauch an Würde zu verlieren.

Der Ausschnitt war tief, aber nicht plump – eher wie das offene Maul einer Falle, das gerade genug Einblick gewährte, um den Rest der Fantasie zu überlassen. Über Schultern und Arme legten sich filigrane Schleier aus dem gleichen Spinnengarn, so leicht, dass sie bei jeder Regung fast unsichtbar wirkten, nur um dann im richtigen Licht wieder aufzublitzen.

Um den Hals trug sie ein Collier aus dunklen Perlen und einem einzelnen, blutroten Rubin in Tropfenform, der im Gehen gegen das Netzgewebe des Kleides schlug. Ihre Ohren schmückten lange, geschwungene Onyx-Ohrringe, deren Enden wie winzige Dolchspitzen wirkten. An den Handgelenken schimmerten breite Armreifen aus schwarzem Metall, kunstvoll in Spinnenmotiven gearbeitet, mit kleinen Smaragden als „Augen“.

Das Haar trug sie hochgesteckt, einzelne Strähnen bewusst gelöst, damit sie wie die Fäden eines zerrissenen Netzes ins Gesicht fielen – nicht zufällig, sondern so gesetzt, dass sie bei einer Drehung die Blicke lenkten.

Ihre Eskorte bestand aus zwölf Kriegern des Hauses Ky’Alur – sechs Frauen und sechs Männer, alle in dunkler, fast nahtlos anliegender Rüstung, mit leisen Kettenelementen, die nur bei ganz bestimmtem Lichteinfall aufblitzten. Jeder trug an der Seite eine Klinge, deren Knauf in Form einer Spinne gearbeitet war. Vorne gingen zwei Bannerträgerinnen, deren Stangen mit langen Bahnen aus schwarzer Seide versehen waren, in die das Wappen Ky’Alurs in Silber und Rot eingewoben war.

An Jhea’krynas rechter Seite schritt Reyviira, ihre Tochter – jung, strahlend, eine Gestalt, die die Blicke der Männer wie von selbst einfing. Ihre Schönheit hatte noch den ungezähmten Glanz der Jugend, doch ihre Haltung verriet bereits die Härte einer, die wusste, dass sie in der Welt der Drow nicht nur für den Tanz geboren war, sondern auch für das Spiel mit Klinge und Gift. Ihr Kleid war eine leichtere, hellere Variante des Netzes, das Jhea trug, mit Fäden aus violettem Seidengarn durchzogen, die im Gehen wie Sternenlicht funkelten. In ihrem Blick lag eine Mischung aus Stolz und der kühlen Gewissheit, dass jeder, der sie unterschätzte, diesen Fehler nur einmal begehen würde.

Links von Jhea, ein halber Schritt hinter ihr, ging Kyrii’linth, die Yathallar des Hauses Ky’Alur. Ihre Präsenz war ein Gegenpol zu Reyviiras jugendlicher Strahlkraft – reif, kraftvoll, ein Blick, der wie ein Dolchstoß wirkte. Sie verachtete Jhea, und das war kein Geheimnis für jene, die das Haus gut kannten. Doch sie verachtete die Matriarchinnen der anderen Häuser noch mehr, und an diesem Tag würde niemand im Rat Zweifel daran haben, auf welcher Seite sie stand. Ihre Kleidung war eine meisterhaft gearbeitete Robe aus tiefschwarzer Seide, in die Muster aus purpurnem Faden gewebt waren, die in der Bewegung Spinnenformen ergaben. Der schwere Schmuck aus schwarzem Gold und rotem Karneol wirkte wie ein Siegel – ein bewusst gesetztes Zeichen, dass sie nicht im Schatten stand, sondern für alle sichtbar ihren Platz einnahm.

Gemeinsam mit den Kriegern, den Bannern und der makellosen Symmetrie ihres Zuges wirkten die drei Frauen wie ein sich bewegendes Kunstwerk aus Schönheit, Gefahr und unausgesprochener Rivalität.

Als sie die Straßen hinuntergingen, wichen Passanten an die Ränder. Einige senkten den Blick – aus Respekt oder um dem Gefühl zu entgehen, dass ihre Augen zu lange verweilen könnten. Andere, vor allem Männer aus den Handelsgilden und unteren Adelslinien, ließen sich den Blick nicht nehmen. Manche taten es verstohlen, andere mit der offenen Gier eines Drow, der weiß, dass er niemals wird bekommen, was er begehrt.

Jhea’kryna bemerkte jeden Blick, und sie ließ jeden zu – nicht weil sie die Anerkennung suchte, sondern weil sie wusste, wie sich solche Eindrücke im Gedächtnis festsetzen, wie sie weitergetragen, weitergeflüstert werden. Schönheit war nicht nur Zierde. Schönheit war eine Waffe, und an diesem Tag trug sie sie so selbstverständlich wie einen Dolch.

Der Weg führte sie zum alten Tempel, wo der Rat zusammentreten sollte. Die gewaltigen Tore standen offen, als Zeichen, dass dies eine Versammlung der ganzen Stadt war – oder zumindest derer, die sich für sie hielten. Das Mosaik am Boden des Vorplatzes war an mehreren Stellen aufgerissen, Risse zogen sich wie dunkle Blitze durch die weißen und roten Steine. An den hohen Mauern hatten sich feine, frische Staubschichten aus dem Inneren abgesetzt, und aus einigen Spalten stieg dünner, warmer Dampf.

Jhea’kryna blieb kurz stehen, bevor sie die letzten Stufen hinaufstieg. Hinter ihr ordnete sich die Eskorte, die Banner trugen sich wie schwarze Wellen im warmen Luftzug.

Noch bevor sie die Schwelle überschritt, wusste sie, dass ihr Auftritt im Rat nicht als bloße Anwesenheit gewertet werden würde.
Er würde ein Statement sein.

⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰


Bild
Jhea'kryna Ky'Alur
Beiträge: 79
Registriert: 07 Mai 2025, 09:46
Kontaktdaten:

Kapitel 5 - Seide über Klingen

Beitrag von Jhea'kryna Ky'Alur »

Der Ratssaal von Elashinn lag wie ein stilles Herz im innersten Teil des Tempels der Lloth. Die Luft dort unten war kühl, schwer und trug den Geruch von altem Stein, vermischt mit dem schwachen, süßlichen Hauch des Harzes, das in den Spinnenlaternen verbrannte und das Licht in fahlen, flackernden Kreisen auf den polierten Basalt warf. Der Raum war halbkreisförmig angelegt, so dass die drei erhöhten Sitze der Matriarchinnen das Zentrum beherrschten und jeder im Saal gezwungen war, seinen Blick dorthin zu richten. Zwischen den Sitzen lag genügend Abstand, dass man dem anderen nicht zu nahe kam, aber nicht genug, um sich aus den Blicken stehlen zu können.

Jhea’kryna betrat den Saal in jenem Maß an Pomp, das jeder Anwesende als unvermeidlich erwartete. Reyviira und Kyrii’linth schritten an ihrer Seite, flankiert von der ausgewählten Ehrengarde, die sich vor der Treppe zu ihrem Platz formierte. Ihr Kleid aus schwarzem Spinnengarn und Silberfäden glitt um ihre Gestalt wie ein lebendiger Schatten, und bei jedem Schritt funkelten die eingewebten Fäden, als wären sie Tautropfen, die sich weigerten, den Morgen zu sehen. Die Luft im Saal veränderte sich kaum merklich – nicht, weil sie den Raum betrat, sondern weil jeder, der sich ihres Eintretens bewusst war, einen Atemzug länger innehielt, um den Eindruck festzuhalten.

Felyndiira Noquar war bereits da. Sie saß aufrecht, in einer Haltung, die weder Anstrengung noch Nachlässigkeit verriet, sondern die Gewohnheit, seit Jahrhunderten über Dinge zu entscheiden, die das Schicksal anderer bestimmten. Ihr Gesicht war ein Spiegel aus ruhiger Macht, ihre Augen dunkel und aufmerksam, aber ohne Hast. Sie stand nicht auf, als Jhea'kryna den Saal betrat – und sie musste es auch nicht. Es war die Art der Alten, ihre Dominanz durch das zu zeigen, was sie nicht taten.

Shinayna Zauviir dagegen lehnte sich zurück, ein Bein über das andere geschlagen, die Finger an einem schmalen goldenen Becher, der in dem fahlen Licht aufblitzte. Sie wirkte wie eine Katze, die sich in einer fremden Höhle eingerichtet hatte – unruhig genug, um jederzeit aufspringen zu können, aber sicher genug, um den Eindruck zu erwecken, dass sie jeden Winkel bereits kannte. Ihr Blick wanderte über Jhea’kryna, nicht hastig, nicht respektlos offen – sondern in diesem kalkulierten Maß, das wie eine höfische Geste wirkte, aber doch jedes Detail prüfte.

„Willkommen, Jhea’kryna Ky’Alur. Willkommen, Shinayna Zauviir.“
Felyndiiras Stimme war tief und klar, ohne jedes Zittern. Sie sprach die Namen in der Reihenfolge, die Tradition und Rang vorgaben – und doch lag in dem kaum wahrnehmbaren Zögern zwischen ihnen ein feiner Faden von Gewicht. „Möge dieser Rat der Stadt zur Ehre der Herrin sprechen.“

Shinayna neigte den Kopf, ihre Lippen formten ein Lächeln, das nie den Augen erreichte. „Es ist… bemerkenswert, euch beide hier zu sehen,“ sagte sie, und die leichte Betonung auf dem Wort „bemerkenswert“ ließ genug Raum für Deutungen, die weit über die wörtliche hinausgingen. „Manche Steine liegen so lange in der Tiefe, dass man vergisst, sie überhaupt noch zu wenden.“ Ihr Blick glitt wie ein Dolchstoß zu Jhea – und hielt dort für einen Herzschlag zu lange inne.

Jhea'kryna erwiderte diesen Blick ohne jede Regung. Sie ging die Stufen zu ihrem Platz hinauf, drehte sich erst, als sie die Armlehnen ihres Sitzes berührte, und sprach mit jener kontrollierten Kälte, die weder Eile noch Unsicherheit kannte: „Und doch finden sich manche Steine genau dann im Weg, wenn ein neues Fundament gelegt wird.“ Die Worte waren höflich genug, um als Erwiderung zu gelten – und scharf genug, um zu schneiden, wenn man ihre Schichtungen verstand.

Felyndiira ließ ihren Blick zwischen beiden hin und her gleiten. Sie sprach nicht sofort, und in der Stille lag mehr Gewicht als in jedem Wort. „Wir sind hier, weil die Stadt uns ruft. Nicht für alte Rechnungen, sondern für das, was vor uns liegt.“ Es war ein Satz, der wie eine Mahnung klang, aber zugleich die Erinnerung trug, dass sie als Ilharess des Ust’Qu’ellar derzeit über beiden stand.

Shinayna hob leicht eine Braue, das Lächeln blieb. „Oh, gewiss. Und doch…“ Sie ließ den Satz einen Moment schweben, drehte den Becher in der Hand, so dass das Licht darin brach. „Man könnte meinen, wer sich lange aus den Hallen der Stadt fernhält, kehrt nur zurück, wenn es gilt, den Platz am Tisch zu sichern.“ Der Tonfall war samtweich, doch der Stachel darin war unüberhörbar.

Reyviira, an Jhea'krynas Seite, bewegte sich kaum, doch in ihren Augen blitzte ein Funke auf. Kyrii’linth hingegen ließ ein kaum hörbares, kehliges Laut entweichen – nicht Zustimmung, nicht Missbilligung, eher ein Kommentar, der nur in ihrem Kopf wirklich klangvoll war.

Jhea'kryna neigte den Kopf, und ein Hauch von Lächeln spielte um ihre Lippen. „Es ist klug, den Platz am Tisch zu sichern, Shinayna. Vor allem, wenn man weiß, wie leicht andere von ihm fallen können.“ Die Anspielung lag schwer im Raum – jeder wusste, dass Ky’Alur einst etwas ergriffen hatte, was Zauviir so sehr begehrte, dass sein Verlust noch immer wie ein Dorn im Fleisch saß.

Felyndiira hob leicht die Hand, nicht als Befehl, sondern als Geste, die jede Antwort bremste. „Wir sind Töchter der Herrin, nicht ihre Widersacher. Lasst uns die Schärfe für das verwenden, was Elashinn wirklich bedroht.“ Ihre Stimme schnitt den Raum in zwei Hälften – und für einen Moment schien es, als würde dieser Rat tatsächlich von Höflichkeit getragen. Doch unter den Worten floss ein anderes Gespräch weiter, still und unausgesprochen, zwischen Blicken, Betonungen und jenen Lücken, die nur gefüllt werden konnten, wenn man den Faden kannte, der sie verband.

„Wir sind hier,“ begann sie, „weil das Herz der Stadt in Gefahr ist. Der Tempel der Herrin steht noch, doch er atmet schwer.“

Die Worte hallten in dem steinernen Raum nach, und für einen Moment schien es, als lausche selbst das schwache Flackern der Spinnenlaternen dem Klang. „Die Beben der vergangenen Zyklen haben nicht nur die Gänge zu den unteren Schreinen verwundet,“ fuhr sie fort, „sie haben Risse in den Hauptsäulen geöffnet, so tief, dass die Wärme der Tiefe selbst den Altarraum berührt. Manche sehen darin ein Werk der Natur. Andere…“ Sie ließ den Satz hängen, und der Blick, den sie über den Tisch gleiten ließ, machte klar, dass sie wusste, wer „die anderen“ waren.

Shinayna war die Erste, die den Faden aufnahm. „Vielleicht,“ sagte sie mit einer Stimme, die schmeichelte, ohne weich zu sein, „liegt der Riss nicht nur im Stein.“ Sie lehnte sich leicht vor, den goldenen Becher nun mit beiden Händen haltend. „Manche sagen, die Herrin entzieht ihren Segen nicht ohne Grund. Dass sie Zeichen setzt, wenn jene, die ihren Tempel führen, ihren Blick von ihr abwenden.“

Sie sprach nicht laut, doch in der Stille des Saales trugen ihre Worte wie ein Dolch, der langsam, fast sanft, in weiches Fleisch drang. Kein Name fiel, und doch wusste jeder, wessen Hand gemeint war.

Jhea’kryna bewegte sich nicht sofort. Sie ließ die Worte zwischen ihnen sinken, wie man ein Netz sinken lässt, um zu sehen, ob es sich füllt. Dann richtete sie sich ein wenig auf, und in der Art, wie sie die Hände auf die Armlehnen legte, lag ein Besitzanspruch, der keiner Erklärung bedurfte. „Die Hand der Herrin,“ erwiderte sie, „hat mich vor aller Augen berührt. Es war nicht in der Stille eines Hinterzimmers, nicht in den Schatten, wo nur wenige sehen. Es war im Licht des Altars, und es war für alle sichtbar.“ Ihre Stimme wurde nicht lauter, doch das Gewicht in ihr verdichtete sich. „Wenn ihr ein Zeichen sucht, wem sie dieses Werk anvertraut, so habt ihr es bereits gesehen.“

Ein kurzes, kaum merkliches Zucken ging durch Shinaynas Miene, wie ein Haar­riss in einer polierten Oberfläche. „Zeichen,“ wiederholte sie, als koste sie das Wort. „Zeichen können viel bedeuten. Manchmal sind sie Warnung, manchmal sind sie Prüfung. Nicht jede Berührung ist ein Segen.“

Felyndiira ließ sie nicht weiterreden. „Was es auch sei – Segen oder Prüfung – der Tempel muss gerettet werden.“ Sie verschränkte die Hände, die langen, schmalen Finger ruhten ineinander wie Ranken. „Und wir müssen entscheiden, wer diese Aufgabe führt.“

„Die Antwort ist einfach,“ sagte Jhea ohne Zögern. „Man baut kein Netz, indem man die Fäden den Ungeübten überlässt. Ky’Alur wird den Tempel nicht nur reparieren – wir werden ihn neu errichten. Größer, stärker, ein Werk, das die Herrin stolz macht und jeden daran erinnert, wem diese Stadt gehört.“

Shinayna lachte nicht – aber ihr Blick tat es für sie. „Größer, stärker… und natürlich in den Händen derer, die am meisten zu gewinnen hat.“ Sie drehte den Becher in der Hand, als sei es ein zufälliger Gedanke. „Doch wer lange fern war, muss sich erst erinnern, wie die Hallen klingen. Vielleicht wäre es klüger, das Werk denen zu überlassen, die noch die Stimmen der Mauern kennen.“

„Ihr meint euch selbst,“ erwiderte Jhea'kryna leise, fast freundlich. „Die Mauern, von denen ihr sprecht, haben schon lange keine Stimme mehr. Sie wurden euch genommen – nicht, weil sie schwach waren, sondern weil ihr sie nicht halten konntet.“

Es war ein Satz, der keine erhobene Stimme brauchte, um zu treffen. In der Luft zwischen ihnen lag ein Gewicht, das schwerer war als jeder Stein des Tempels.
Felyndiira unterbrach, bevor die Stille zu scharf wurde. „Neutralität,“ sagte sie, und das Wort klang aus ihrem Mund wie ein Befehl. „Der Tempel ist nicht nur ein Symbol für uns drei Häuser, er ist das Symbol für ganz Elashinn. Wer ihn führt, muss im Namen aller handeln – nicht im eigenen.“

Jhea wandte den Blick zu ihr. „Neutralität ist ein schönes Wort, Felyndiira. Aber ein Tempel, der im Namen aller gebaut wird, gehört am Ende niemandem – und das ist eine Einladung für jeden, ihn zu beanspruchen.“

„Und das wollt ihr verhindern, indem ihr ihn gleich zu Beginn für euch beansprucht?“ fragte Shinayna, und ihr Tonfall war süß wie vergorener Wein.

„Ich will verhindern,“ sagte Jhea, „dass er schwach beginnt. Und Schwäche kann man sich nicht leisten – nicht in Stein, nicht in Blut.“


Ein Moment der Stille legte sich über den Saal, so dicht, dass man das Knacken des Harzes in den Laternen hören konnte. Shinaynas Blick blieb noch einen Herzschlag lang auf Jhea ruhen, dann senkte sie den Becher, den sie in den Händen hielt, und lehnte sich zurück. Mehr musste sie nicht sagen – das Gift war gesetzt, und jeder im Raum wusste es.

Felyndiira erhob sich nicht vollständig von ihrem Platz; sie richtete sich nur ein Stück auf, so dass das Licht der Spinnenlaternen über ihre Gesichtszüge glitt und sie im Halbschatten fast wie eine geschnitzte Figur wirkte. Ihre Stimme, als sie sprach, war nicht laut, aber so getragen, dass jedes Wort wie eine gezielt gesetzte Perle in den Raum fiel.

„Ein Tempel ist nicht nur Stein und Symbol. Er ist Erinnerung. Jeder Pfeiler, jede Gravur, jeder Riss erzählt von den Zyklen, die wir überstanden haben. Ich habe Hallen gesehen, die älter sind als jedes Bündnis, das wir drei heute an diesem Tisch vertreten. Sie standen, weil ihre Erbauer nicht nur an Macht dachten, sondern an Bestand.“

Sie verschränkte die Hände auf der Lehne ihres Stuhles, und der Blick, den sie in den Saal warf, schloss Jhea und Shinayna gleichermaßen ein. „Die Beben haben die Mauern verwundet, ja. Aber sie haben auch etwas offengelegt: Wir haben den Tempel zu einem Werkzeug im Spiel der Häuser gemacht. Er war ein Ort der Herrin – und wir haben ihn zu einer Bühne für uns selbst geformt. Das mag uns kurzfristig dienen. Langfristig aber schwächt es uns alle.“

Ihr Blick verharrte auf einem Punkt über den Köpfen der Zuhörer, als würde sie das Gewicht alter Erinnerungen messen. „Ich will einen Tempel, der nicht einem Haus gehört. Einen Tempel, der die Zyklen überdauert, weil er nicht in den Rivalitäten der Stunde verstrickt ist. Die Führung des Wiederaufbaus muss in neutralen Händen liegen – und ja, ich zähle Noquar zu diesen Händen, weil wir seit jeher das Gleichgewicht wahren.“

Sie hob eine Hand, bevor jemand einwenden konnte. „Nicht weil wir schwach sind. Sondern weil wir stark genug sind, nicht alles an uns zu ziehen, was wir greifen könnten. Ich will einen Tempel, der in hundert Zyklen noch steht – und nicht bei jedem Machtwechsel neu beansprucht wird.“

Shinayna saß noch immer zurückgelehnt, doch sie löste eine Hand vom Becher und ließ die Fingerspitzen über die Armlehne gleiten, als würde sie die Maserung des Basalts studieren. Ihre Stimme war glatter als zuvor, fast schmeichelnd, doch jeder Laut trug einen feinen Haken.

„Ein Tempel, der allen gehört, gehört am Ende niemandem. Und was niemandem gehört, wird von allen vernachlässigt.“ Sie richtete sich ein Stück auf, und das Licht fing in den Ringen an ihren Händen. „Die Herrin verlangt nicht nur Bestand – sie verlangt Kraft. Sie prüft uns, und wenn sie einen Riss sendet, dann ist das keine Einladung, in der Vergangenheit zu verharren. Es ist ein Befehl, zu erneuern.“

Ihr Blick glitt zu Jhea, nicht lange, aber lange genug, dass der Tonfall ihrer nächsten Worte nicht als Zufall gelten konnte. „Und Erneuerung braucht frische Hände. Hände, die den Staub der alten Hallen nicht schon seit Jahrhunderten einatmen. Hände, die nicht nur wissen, wie man Steine setzt, sondern wie man Mauern so baut, dass sie nicht wieder bröckeln.“

Sie beugte sich leicht vor. „Zauviir kann diesen Tempel zu einem Ort machen, der nicht nur der Herrin dient, sondern auch der Stadt als Ganzes – als Zeichen, dass wir nicht nur bewahren, sondern wachsen. Wir können die Handelsadern mit dem Bau verbinden, neue Künste einführen, Handwerker aus entfernten Enklaven einbinden. So wird der Tempel nicht nur ein Heiligtum, sondern ein Zentrum, das Wohlstand bringt.“

Ein kaum wahrnehmbares Lächeln umspielte ihre Lippen. „Natürlich braucht es dazu die Bereitschaft, jenen die Führung zu geben, die bereit sind, den Preis zu zahlen – in Arbeit, in Ressourcen, in Hingabe. Wer diesen Preis nicht tragen will, sollte sich nicht um den Thron des Altars bemühen.“

Jhea rührte sich erst, als das Schweigen nach Shinaynas Worten lang genug geworden war, dass jeder im Raum wusste, sie würde es brechen. Sie erhob sich langsam, so dass das Silber in ihrem Kleid bei der Bewegung aufflackerte, als hätte das Licht selbst entschieden, ihr zu folgen.

„Ein Tempel ist kein bloßes Bauwerk. Er ist der sichtbare Arm der Herrin in dieser Stadt. Wer ihn betritt, soll ihre Macht fühlen, nicht nur ihre Worte hören.“ Ihre Stimme war fest, doch nicht laut – sie sprach nicht, um zu übertönen, sondern um jeden dazu zu zwingen, sich zu neigen, um sie zu hören.

„Die Beben haben den alten Tempel verwundet, und ja – vielleicht war es ein Zeichen. Aber Zeichen sind nur so stark, wie unsere Antwort darauf.“ Ihr Blick ging erst zu Felyndiira, dann zu Shinayna. „Ky’Alur hat die Antwort bereits gegeben. Die Herrin hat mich vor aller Augen berührt, und dieses Zeichen war kein leeres Spiel. Es war eine Wahl. Ich werde diesen Tempel nicht flicken. Ich werde ihn neu weben – Stein für Stein, Faden für Faden – zu einem Werk, das nicht nur hier, sondern in den ganzen Tiefen bekannt sein wird.“

Sie ging einen Schritt vor, die Hände locker an den Seiten. „Er wird größer sein als jeder, den diese Stadt bisher gesehen hat. Seine Türme werden den Rauch der Tiefe fangen, seine Hallen werden das Licht der Spinnenlaternen so tragen, dass kein Schatten leer bleibt. Jeder, der den Namen Elashinn hört, soll auch den Tempel sehen – und wissen, dass er von Ky’Alur errichtet wurde.“

Ihre Lippen verzogen sich zu einem schmalen, gefährlichen Lächeln. „Das ist keine Anmaßung. Es ist die Pflicht der Erwählten. Wer dieses Werk führt, führt nicht nur Steinmetze und Baumeister – er führt die Gläubigen selbst. Und ich sage euch: Nur wer den Blick der Herrin kennt, kann diese Führung tragen."

Die Luft im Saal hatte sich verdichtet. Die Worte der drei Matriarchinnen hingen wie fein gesponnene Fäden zwischen ihnen – glänzend, verlockend, aber unter Spannung. Jeder wusste, dass ein falsches Wort einen Riss reißen konnte, der weit tiefer ging als jede Baunarbe im Tempel.

Felyndiira saß wieder so reglos wie zu Beginn, die Finger verschränkt, das Gesicht undurchdringlich. Ihre Worte hatten den Mantel der Neutralität getragen, doch in den Augen lag ein Funkeln, das verriet, wie sorgfältig sie jede Regung der beiden anderen maß.

Shinayna hingegen wirkte wie eine Klinge, die knapp in der Scheide ruht – glänzend, gefährlich und bereit, sich zu bewegen, wenn der richtige Druck kam. Ihr Blick ruhte zu oft auf Jhea, um Zufall zu sein, und jedes Mal lag darin diese unausgesprochene Erinnerung an das, was Ky’Alur ihr Haus einst gekostet hatte.

Jhea spürte es. Und sie wusste, dass der Kampf um den Tempel kein Streit über Stein oder Baupläne war.

„Ich will verhindern,“ sagte Jhea, „dass er schwach beginnt. Und Schwäche kann man sich nicht leisten – nicht in Stein, nicht in Blut.“

Die Worte hingen in der Luft, schwer wie ein gespanntes Netz. Shinayna neigte den Kopf leicht, als koste sie den Klang noch einmal aus, und ihre Lippen verzogen sich zu diesem halben Lächeln, das weder Freude noch Zustimmung war.

„Stärke ist ein schönes Wort,“ erwiderte sie, weich wie ein Samtband, das einen Dolch umwickelt. „Doch zu viel davon zur falschen Zeit – und selbst der stärkste Stein bricht.“

Ein leises Knistern ging durch die Flammen der Spinnenlaternen, als Jhea den Blick hielt. „Besser, er bricht an meiner Hand, als dass er in eurer verrottet.“ Die Worte waren kühl, fast freundlich, aber jeder im Saal hörte den Unterton.

Felyndiira erhob sich nicht ganz, richtete sich aber so weit auf, dass das Licht ihre Züge streifte. „Genug. Wir sind nicht hier, um Metaphern zu zerlegen, sondern um den Willen der Herrin zu erfüllen. Der Tempel braucht eine Entscheidung, keine Poesie.“

„Dann sollen wir abstimmen,“ schlug Shinayna vor, die den Blick nicht von Jhea'kryna nahm.

„Wir stimmen nicht über die Wahl der Herrin ab,“ erwiderte Jhea leise. „Wir erkennen sie.“

Ein Murmeln ging durch den Saal. Felyndiira hob die Hand, und die Stille fiel wie ein Messer. „Wir erkennen, dass wir uns heute nicht einigen werden. Aber wir werden den Tempel nicht seinem Schicksal überlassen. Ich werde in den nächsten Zyklen zu einer weiteren Beratung laden.“

Offiziell war das Ende des Rates damit besiegelt. Die Höflichkeiten wurden wieder ausgetauscht, Verneigungen vollzogen, die Eskorte sammelte sich. Doch als Jhea'kryna den Blick ein letztes Mal zu Shinayna wandte, war kein höfischer Schleier mehr in ihren Augen.

In diesem Moment fasste sie den Entschluss.
Zauviir hatte sie im Rat herausgefordert, vor Zeugen. Das war nicht nur eine Beleidigung – es war ein Angriff. Und sie würde ihn beantworten. Nicht sofort, nicht mit Worten. Sondern so, dass, wenn es vorbei war, jeder in Elashinn wusste, wer das stärkste Haus war und wem der Tempel gehören würde.

⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰
Jhea'kryna Ky'Alur
Beiträge: 79
Registriert: 07 Mai 2025, 09:46
Kontaktdaten:

Kapitel 6 - Zwischen Seide und Gift

Beitrag von Jhea'kryna Ky'Alur »

𝔇ie Tage, die auf die Versammlung im Ratssaal folgten, lagen über Elashinn wie eine drückende Decke aus Staub und Spinnweben. Die Stadt ging ihrem Alltag nach, doch jeder Schritt klang ein wenig härter auf dem Pflaster, jede Stimme sprach ein wenig gedämpfter, und jeder Schatten schien länger zu verweilen, als er es hätte tun sollen. Für die Häuser Noquar, Zauviir und Ky'Alur bedeutete das Schweigen keinen Frieden – sondern eine Form von Krieg, der mit Pergament und Feder geführt wurde.

Jhea’kryna Ky’Alur saß in den inneren Gemächern ihres Qu’ellars, das Licht der Kerze warf flackernde Muster auf die schwarze Tischplatte. Vor ihr lagen mehrere aufgerollte Schriftstücke, jedes Siegel gebrochen, jedes Pergament ein Stich in die Geduld. Sie hatte sie mehrfach gelesen – nicht, weil sie den Inhalt nicht begriffen hätte, sondern weil sie jedes Wort auf der Zunge schmecken wollte. Die Botschaften des Hauses Zauviir waren Honig voller Gift, geschickt genug, dass ein Ungeübter sie als Höflichkeit hätte abtun können. Doch für Jhea'kryna war jeder höfische Schwung der Feder eine gezielte Kränkung.

„Euer Eifer im Tempelbau ist bemerkenswert,“ hatte eine der Botschaften begonnen, „doch seid ihr nicht zu jung, um in solchen Dingen Führungsanspruch zu erheben? Lasst das Alter sprechen, nicht die Ungeduld.“ Ein anderer Brief sprach von „bedauerlichen Missverständnissen“, die zwischen den Häusern entstanden seien, und versicherte in der gleichen Zeile, dass man selbstverständlich „alle angemessenen Opferungen und Segnungen“ vor Baubeginn einbeziehen werde – Worte, die nichts anderes bedeuteten als: Wir werden euch übergehen, sobald sich die Gelegenheit bietet.

Jhea'kryna hatte nicht geschwiegen. Ihre Antworten waren von derselben Kälte, aber anders geschliffen. Wo Zauviir giftige Seide spann, ließ Ky’Alur Klingen zwischen den Zeilen blitzen. „Die Jugend ist das Werkzeug der Göttin,“ hatte sie in einer Antwort geschrieben, „und die Schwäche des Alters ist es, wenn man sich daran klammert, die Fäden der Vergangenheit nicht loslassen zu wollen.“ Ein anderes Schreiben endete mit den Worten: „Wenn der Tempel fallen sollte, so wird niemand nach eurem Alter fragen, sondern nach eurer Schuld.“

So ging es seit Tagen. Pergament gegen Pergament, Siegel gegen Siegel. Die Höflichkeit war nur noch ein dünnes Tuch über der nackten Feindschaft.

Im Qu’ellar Ky’Alur herrschte unterdessen gespannte Ruhe. Die Krieger schärften ihre Waffen öfter, als es nötig war, die Novizinnen im Tempel rezitierten ihre Gebete lauter, als ob die Wände selbst sie hören sollten. Kyrii’linth, die Yathallar des Hauses, bewegte sich durch die Hallen wie ein Messer durch Fleisch – jeder Blick von ihr ein stiller Vorwurf, jede Geste ein Hinweis darauf, dass sie den Krieg kommen sah. Jhea ließ es zu. Spannung konnte nützlich sein. Angst konnte zu Stahl gehämmert werden.

Reyviira, ihre Tochter, war in diesen Tagen unruhig gewesen. Sie war jung, voller Glanz und Feuer, und in ihr spiegelte sich das, was Jhea einst selbst gewesen war, bevor die Jahre sie geschärft hatten. „Malla Ilharess,“ hatte sie gesagt, „Zauviir spielt mit uns. Wieso lasst ihr es zu? Lasst mich handeln.“

Doch Jhea hatte nur den Kopf geschüttelt, und ihre Augen waren kalt geblieben. „Geduld ist auch eine Waffe. Wer zuerst schlägt, schlägt nicht immer am klügsten. Lerne das.“

Die Worte waren hart gewesen, und sie wusste, dass Reyviira darunter gelitten hatte. Doch es war nötig. Denn Zauviir wartete nur auf einen Fehler, und Fehler machten die Jungen schneller als die Alten.

So floss die Zeit in diesen Tagen wie dickflüssiges Harz, zäh, schwer, und voller verborgener Funken. Jhea spürte, dass etwas kommen musste. Aber wann, und in welcher Form – das ließ die Dunkelheit offen.

⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰


𝔇er Abend, an dem es begann, war stiller als die vorangegangenen. Das Licht der Pilze, die in den Gewölben wuchsen, glomm gedämpft, und der Rhythmus der Stadt schien wie gebremst. Jhea saß allein in einem ihrer inneren Gemächer, vor ihr ein Kelch aus schwarzem Kristall, gefüllt mit tiefrotem Jhinrae, einem Wein, der wie geronnenes Blut schimmerte. Auf dem Tisch lag ein einziges Pergament, ungeöffnet. Das Siegel zeigte das Spinnensymbol Zauviirs, ein dunkler Abdruck auf hellem Wachs.

Sie hatte es absichtlich nicht gebrochen. Nicht heute. Nicht jetzt. Sie wollte den Geschmack des Abends nicht verderben mit noch mehr vergifteter Höflichkeit. Ihre Gedanken schweiften zurück zu den letzten Wochen – die Ratsversammlung, die Blicke, die scharfen Worte. Sie hatte gewonnen, oder zumindest nicht verloren. Doch sie spürte, wie Zauviir arbeitete, wie das Netz enger gezogen wurde. Das Spiel war alt, und sie kannte jede Masche. Sie hob den Kelch, drehte ihn leicht, sodass das Licht der Laternen sich in den Reflexen des Weines fing. Gerade, als sie den ersten Schluck nahm, war es da.

Ein Laut.

Nicht laut genug, um sofort Gewissheit zu bringen. Aber scharf genug, dass ihr Kopf sich erhob. Es war kein Geräusch der Stadt, kein klirrendes Metall, kein Marktgeschrei. Es war… etwas anderes.
Ein zweiter Laut folgte. Klarer. Heller.
Ein Schrei.

Jhea stellte den Kelch ab, ohne hinzusehen, und das Kristall klirrte gegen den Stein. Sie stand auf, der Stoff ihres Gewandes raschelte, und sie ging zum Fenster. Ihr Herz schlug schneller, aber nicht wie in Angst – es war der Schlag einer Trommel, der Krieg ankündigte.

Der dritte Schrei war unmissverständlich. Er schnitt durch die Luft, getragen von den steinernen Wänden der Stadt, als ob Elashinn selbst ihn weitertrug. Hoch, klar, voller Schmerz.

Reyviira.

Jhea spürte, wie ihre Finger sich in den Fenstersims gruben, bis die Nägel gegen den Stein kratzten. Für einen Herzschlag lang war da nur Stille in ihr. Dann Zorn.
Sie wandte sich um, rief ohne Laut zu werden. Die Wachen kamen sofort, als hätten sie schon gewusst. „Mit mir,“ sagte sie, und ihre Stimme war leise, aber sie trug wie Donner.

Die Halle des Qu’ellars füllte sich mit Bewegung, Rüstungen klirrten, Klingen wurden gezogen. Doch Jhea hörte nur weiter die Schreie, die von draußen durch die Dunkelheit hallten. Jeder von ihnen war ein Dolch in ihrer Brust, und jeder Dolch formte ihren Entschluss.

Sie verließ das Haus, um selbst zu sehen, was geschehen war.

⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰


𝔇ie Tore des Qu’ellars schwangen auf, und mit ihnen trat Jhea’kryna hinaus in die Gassen von Elashinn. Hinter ihr bewegte sich die Eskorte – zwölf Krieger, gerüstet in mattem Schwarz, ihre Schritte im Gleichschritt wie ein Echo ihres Zorns. Die Laternen warfen Netze aus Licht über den Boden, doch die Schatten dazwischen wirkten tiefer als sonst, dichter, fast lebendig.

Die Schreie waren verstummt. Doch die Stille war schlimmer. Es war jene Stille, die jeder in Elashinn kannte – die eines Raubtieres, nachdem es zugeschlagen hatte, die Stille, in der Blut tropfte.

Jhea’kryna ging nicht hastig. Jeder Schritt war gemessen, jeder Schwung ihres Gewandes berechnet. Doch in ihr brannte ein Feuer, das kaum zurückzuhalten war. Ihre Finger ruhten auf dem Griff ihrer Schlangenpeitsche, nicht um sie zu ziehen, sondern um sich selbst zu vergewissern, dass sie die Macht noch in der Hand hielt.

Der Weg führte durch die Hauptstraße hin zu einer der Seitengassen, schmal, steil, wie ein Schlund in den Fels geschnitten. Dort, wo der Klang hergekommen war. Dort, wo Elashinn heute Nacht ein Gesicht sehen sollte, das es nicht vergessen würde.

Sie fand sie.

𝔇as Rad stand in der Mitte der Gasse, schief an eine der Mauern gelehnt, als hätte jemand es absichtlich so platziert, dass jeder, der den Weg entlangging, es sehen musste. Auf den Speichen hing Reyviira – ihr Körper verdreht, die Haut von Fesseln und Stacheln gezeichnet, das weiße Haar wie verschüttetes Licht über Schulter und Brust gefallen.
Ihre Kleidung war zerrissen, fast gänzlich fortgerissen, als hätte man ihr nicht nur den Körper, sondern auch ihre Würde nehmen wollen. Auf ihrer Haut zeichneten sich Muster ab, Wunden, die in Linien gesetzt worden waren – nicht planlos, sondern wie von einer kalten Hand geführt, die ein Werk vollenden wollte. Spinnenbeine, grob und grausam, eingeritzt in Fleisch.
In ihrer Brust steckte noch der Speer – schwarzes Metall, die kunstvolle Gravuren glommen im Licht der Laternen. Und auf der Stirn klebte ein kleines Ornament aus schwarzem Glas, geformt wie eine Spinne, wie ein Siegel.

Ihre Augen waren geschlossen, doch der Ausdruck ihres Gesichts war nicht der des Friedens. Es war ein eingefrorener Schrei, der die Züge verzerrte, eine letzte Spur dessen, was die Mauern getragen hatten. Um das Rad herum standen Schaulustige. Drow aus den unteren Häusern, Händler, Diener, Soldaten – sie hatten Abstand genommen, wagten aber nicht fortzugehen. Niemand sprach. Niemand rührte sich. Jeder wusste, dass dies kein Mord war. Es war ein Urteil. Ein Schauspiel. Eine Botschaft.

Und die Empfängerin war Jhea’kryna.

𝔖ie trat näher, die Menge wich wie Wasser zur Seite. Kein Wort fiel, kein Atem wagte, laut zu sein. Sie stand vor dem Rad, sah den Körper ihrer Tochter, und in ihr spannte sich ein Netz aus Schmerz und Zorn, das jeden Verstand durchdrang. Reyviira war tot. Das war unausweichlich, sichtbar, endgültig. Doch was Jhea’kryna sah, war nicht nur der Tod. Es war die Handschrift einer Feindin, die den Mut gehabt hatte, ihre Botschaft mitten in die Stadt zu schreiben, mit Fleisch und Blut als Pergament.
Langsam hob Jhea ihre Hand und legte sie auf den Speer, der noch immer in Reyviiras Brust steckte. Sie ließ ihn nicht los. Nicht, um ihn zu ziehen, nicht, um ihn zu halten – sondern um den Schwur in Stein zu ritzen, der sich in ihr formte.

„Zauviir,“ flüsterte sie, und obwohl es nur ein Atem war, klang es wie ein Fluch, der die ganze Gasse erfüllte.

Sie wandte sich nicht an die Umstehenden, sie brauchte keine Zuschauer. Ihr Blick war nach innen gerichtet, auf die Göttin, auf das Netz, das sie spann. Und sie wusste, dass dieser Abend der letzte gewesen war, an dem Haus Zauviir geglaubt hatte, sie könnten mit Gift und Intrige allein herrschen. Von nun an würde es Blut sein – Blut, das durch die Gassen floss, bis kein Spinnennetz mehr stark genug war, es zu halten.

Jhea’kryna ließ den Speer los, trat zurück, und wandte sich an ihre Eskorte. Ihre Stimme war glatt, beinahe ruhig, doch in ihrer Ruhe lag das Beben eines Krieges:
„Brecht es los. Bringt sie heim. Einen Moment später fügte sie an, „So soll es Krieg sein – vom trügerischen Licht der Oberwelt bis in die finstersten Tiefen des Underdarks. Mögen die Meere aus Blut kochen, mögen die Sterne erlöschen und zu Asche verfallen. Und selbst wenn es den letzten Tropfen meines Blutes fordert – ich werde siegen. Und wenn ich diese Welt nicht von dem Schmutz der Zauviir befreien kann, dann soll sie selbst in Flammen vergehen!“

⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰
Jhea'kryna Ky'Alur
Beiträge: 79
Registriert: 07 Mai 2025, 09:46
Kontaktdaten:

Wenn Schatten Waffen schmieden

Beitrag von Jhea'kryna Ky'Alur »

𝔇ie Hallen des Hauses Ky’Alur lagen im Zwielicht der Spinnenlaternen. Dünne Rauchschwaden zogen sich über den schwarzen Basaltboden, als hätten selbst die Fackeln den Atem angehalten. Kein Laut durchbrach die Stille, außer dem Wispern von Dienern, dem gedämpften Klirren von Stahl, dem fernen Tropfen von Wasser in den Tiefen. Es war kein friedliches Schweigen. Es war das gespannte, vibrierende Schweigen vor einem Sturm.

Jhea’kryna Ky’Alur saß auf dem hohen Stuhl im Audienzsaal. Ihre Hände lagen locker auf den Armlehnen, die langen Finger mit den silbernen Ringen ruhten scheinbar entspannt, doch der Blick ihrer karmesinroten Augen brannte unbewegt in die Dunkelheit. Kein Muskel in ihrem Gesicht verriet die Glut, die unter dieser Maske aus Ruhe loderte. Doch in ihrem Inneren spannte sich das Netz aus Zorn und Entschlossenheit immer enger.

Seit jener Nacht in der Gasse, seit dem Blut, das nicht hätte fließen dürfen, war in ihr kein Zweifel mehr übriggeblieben. Reyviira hing noch immer in ihrem Blickfeld – entstellt, geschändet, gefoltert bis an den Rand des Todes und darüber hinaus, am Rad der Zauviir wie ein düsteres Schauspiel zur Schau gestellt. Jhea'kryna hatte sich selbst gezwungen, jede Linie dieses Bildes einzuprägen, nicht um daran zu zerbrechen, sondern um daraus eine Waffe zu schmieden. Aus dieser Schande würde nur eine einzige Antwort folgen: Blut, das Schuldige schwemmte, Blut, das keine Ausnahmen kannte, Blut, das von den Straßen gespült werden musste, bis die Steine selbst rot glänzten.

Und so begann sie zu weben. Nicht mit Spinnenseide, sondern mit Befehl und Planung.

⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰


𝔇ie Halle war erfüllt von gedämpftem Stimmengewirr, doch als Kyrii’linth eintrat, ebbte es ab wie ein Atemzug, der den Raum verließ. Sie ging erhobenen Hauptes, das schwarze und purpurne Gewand knapp über dem Boden schleifend, die Augen von dem kalten Glanz erfüllt, der selbst unter ihresgleichen Ehrfurcht und Widerwillen zugleich hervorrief.

Jhea wartete bereits auf dem erhöhten Podest, den Körper in der Haltung einer Königin, die keiner Krone bedarf. Als ihre Blicke sich trafen, war es, als berührten sich zwei Netze – jede Faser gespannt, jede Linie ein möglicher Schlag.

„Du rufst mich zu später Stunde“, sagte Kyrii'linth, ihre Stimme schmeckte nach samtigem Gift. „Ist es so dringend, dass du die Nacht der Ruhe raubst?“

Jhea’krynas Lippen verzogen sich zu einem kaum wahrnehmbaren Lächeln. „Ruhe ist ein Luxus für die, die nichts verlieren können. Wir beide wissen, dass wir ihn uns nicht leisten dürfen.“

Kyrii'linth neigte den Kopf, eine Geste, die weder Zustimmung noch Spott ausschloss. „Und doch: Du willst in Schatten marschieren, statt im Donner der Klingen. Unsere Krieger sind stark. Warum verbirgst du sie wie Diebe?“

Ein kurzes, gefährliches Schweigen entstand. Die Fackeln knackten, als hätten sie etwas zu sagen, wagten es aber nicht.

„Weil Stärke nicht im Lärm liegt“, antwortete Jhea schließlich, jede Silbe messerscharf. „Die Zauviir erwarten einen Sturm. Sie sollen kein Gewitter hören, bis der Blitz in ihrem Herzen einschlägt.“

Kyrii’linth ließ ein leises Lachen hören, seidenweich und verletzend zugleich. „Ein schöner Gedanke. Aber was, wenn der Blitz fehlgeht? Was, wenn du im Dunkeln zündest und nur Rauch hervorbringst?“

Die Ilharess beugte sich leicht vor, ihre karmesinroten Augen glühten wie Fäden geschmolzenen Metalls. „Dann wird Lloth selbst entscheiden, ob mein Schlag genügt. Aber wenn du glaubst, dass du es besser kannst, Kyrii’linth – so sag es laut. Vor mir. Vor der Göttin. Vor allen hier.“

Die Worte hingen wie ein Spinnenseil über dem Abgrund. Für einen Augenblick schien Kyrii tatsächlich darüber nachzudenken. Ihre Finger spielten mit den Perlen an ihrem Gewand, als prüfe sie das Gewicht einer Antwort. Dann senkte sie den Blick, nicht in Unterwerfung, sondern wie jemand, der eine andere Falle im Dunkeln vorbereitet.

„Ich diene dem Haus“, sagte sie leise. „Auch wenn ich es nicht immer in deiner Hand sehe.“

„Dann diene schweigend,“ erwiderte Jhea kühl, „bis der letzte Zauviir gefallen ist.“

Ein Murmeln lief durch die Halle, kaum hörbar, aber spürbar. Die Spannung zwischen den beiden war nicht gelöst – sie war nur verschoben, wie eine Klinge, die man wieder in die Scheide schiebt, wissend, dass sie jederzeit gezogen werden könnte.

Kyrii'linth trat zurück, verneigte sich knapp und ließ den Blick ein letztes Mal an Jhea'kryna haften. In diesem Blick lag keine Loyalität – nur Berechnung. Doch Jhea wusste: Berechnung genügte. Für jetzt.

⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰


𝔍n den unteren Hallen rüsteten sich die Krieger. Schmiede hämmerten auf Platten, bis die schwarzen Rüstungen mit eingeätzten Spinnenmotiven wie in sich selbst geborene Schatten glänzten. Priesterinnen und Maiger zeichneten Kreise aus Blut und Obsidian, webten Bannzeichen auf Pergament, die an den Türen der Zauviir explodieren würden wie Schläge von Lloths eigener Hand.

Überall huschten Spinnen, unruhig, als spürten sie den Hunger der Göttin. Manche webten Muster in den Winkeln der Halle, Muster, die wie Vorzeichen wirkten: Spiralen, Netze, Knoten, die sich enger zogen.

Jhea ließ sich jeden Plan vorlegen:
- Die Aufstellung der Hauptmacht in den Nebengassen, unsichtbar, bis die Tore der Zauviir unter Druck gerieten.
- Die geheimen Durchgänge, die das Haus Ky’Alur seit Generationen unter Elashinn kannte.
- Die Zauber, die wie Ketten um die Mauern der Verräter gelegt werden sollten, damit kein Entkommen möglich war.

Nichts entging ihrem Blick. Sie sprach wenig, doch wenn sie sprach, war es wie ein Messer: kurz, scharf, endgültig.

Und zuletzt, fast unscheinbar, lag der gefährlichste Faden im Netz.

⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰


𝔏yr’sa Teb’inyon arbeitete seit Tagen unter der Erde, tiefer noch als die tiefsten Tunnel der Stadt. Ihre Hände waren zerschunden, ihre Lungen voller Staub, doch sie arbeitete mit einer Besessenheit, die selbst ihre Angst überdeckte. Stütze um Stütze wurde gesetzt, Mauer um Mauer angebrannt, bis ein Tunnel direkt unter die Hallen der Zauviir führte.

„Es ist wie ein Herzschlag,“ hatte Lyr’sa geflüstert, als Jhea'kryna sie einmal im Halbdunkel der Tunnel aufsuchte. „Man spürt das Gewicht über sich… und man weiß, dass es nur einen Schlag braucht, und alles fällt.“

Jhea hatte nicht geantwortet. Sie hatte nur die Hand über die rauen Wände gelegt und das Beben gespürt. Ein einziger Befehl, und der Tunnel würde sich schließen wie ein Maul. Stein und Feuer würden hochschlagen, Mauern brechen, Schreie hallen.

„Sei bereit“, sagte sie schließlich zu Lyr’sa. „Wenn der Moment kommt, darf es kein Zögern geben.“

Lyr’sa hatte geschluckt, genickt, und weitergearbeitet.

⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰


𝔍n der großen Halle, zurück auf ihrem Stuhl, ließ Jhea den Blick durch die Reihen ihrer Krieger und Priesterinnen gleiten. Jede war gerüstet, jede bereit. Kein Lächeln huschte über ihr Gesicht, kein Funken von Zorn loderte auf ihren Zügen. Nur diese Kälte, die wie eine zweite Haut über ihr lag.

„Seid geduldig,“ sagte sie leise, so dass nur die nächsten Reihen es hörten. „Wir werden nicht rasen. Wir werden nicht wie Orks blind stürmen. Wir schlagen, wenn jedes Netz gespannt ist. Wir schlagen, wenn jede Tür sich gegen sie kehrt. Wir schlagen, wenn der erste Schrei einsam verhallt, und dann folgen alle anderen.“

Und dann, kaum hörbar, wie ein Schwur in die Finsternis:
„Und wir hören nicht auf, bis kein Zauviir mehr lebt.“
Jhea'kryna Ky'Alur
Beiträge: 79
Registriert: 07 Mai 2025, 09:46
Kontaktdaten:

Im Namen der Göttin

Beitrag von Jhea'kryna Ky'Alur »

𝔇ie Luft im Hof des Hauses Ky’Alur war schwer wie eine gespannte Sehne. Fackeln warfen flackerndes Licht über die glänzenden Klingen der Krieger, über die polierten Platten der Rüstungen, auf deren Stahl die Gravuren von Spinnenmustern wie lebendig schimmerten. Magier standen am Rand, ihre Stäbe leise summend, während Funken über die Spitzen krochen, als könnten sie kaum erwarten, entfesselt zu werden. Die Priesterinnen hatten sich nah um den erhobenen Platz versammelt, von dem die Ilharess zu ihnen sprechen würde, ihre Gesichter im Schatten ihrer Kapuzen verborgen, die Lippen bewegten sich unaufhörlich im Flüstern von Gebeten.

Dann öffneten sich die Tore, und Jhea’kryna Ky’Alur trat auf den Podest. Sie wirkte nicht, als ginge sie – es war, als würde sie schweben, getragen von der Gewissheit ihrer Macht, vom Netz selbst, das unter jedem Schritt gespannt war. Ihr Kleid, silbrig durchzogen, funkelte wie die Nacht selbst, wenn das Spinnennetz den Tau einfängt, und ihre Augen brannten in karmesinrotem Glanz. Für einen Herzschlag regte sich nichts – dann senkten die Krieger im Chor die Helme, als hätte eine unsichtbare Hand ihnen den Nacken gebeugt.

„Kinder des Hauses Ky’Alur,“ begann sie, und ihre Stimme war kühl, getragen, wie der erste Schnitt einer Klinge durch Seide. „Der Tag ist gekommen, an dem das Schwert nicht länger in der Scheide ruhen darf.“

Ein Murmeln lief durch die Reihen, dumpf und ehrfürchtig. Ein Krieger schlug die Faust gegen die Brustplatte, dumpf hallte der Schlag. Andere folgten, ein einzelnes Pochen, das sich wie ein Herzschlag über den Hof legte.

„Zu lange,“ fuhr Jhea fort, „haben die Verräter des Hauses Zauviir geglaubt, sie könnten Gift in unsere Adern träufeln, ohne den Zorn der Göttin zu spüren. Zu lange haben sie geglaubt, Intrigen und Messer im Dunkeln könnten das Netz der Lloth zerreißen.“

Die Priesterinnen hinter ihr erhoben die Hände, ein leises Raunen in der Dunkelheit, die Worte ihrer Gebete schwollen an, bis sie wie ein Unterton in Jheas Stimme lagen.

„Doch Lloth duldet keine Schwäche,“ rief sie, ihre Stimme schärfer nun, messerscharf. „So sage ich euch: Wir tragen das Schwert nicht länger in der Scheide.
Wir ziehen es im Namen der Göttin, und wir werden es erst zurücklegen, wenn unsere Feinde gefallen sind. Wir dulden keine Beleidigung. Heute stehen wir hier – nicht, um zu verhandeln, nicht, um zu warnen, sondern um auszulöschen!“


Ein Aufraunen ging durch die Reihen. Krieger trommelten mit den Knöcheln gegen die Platten, dumpfe Schläge wie Donnerschläge hallten durch die Halle. Magierinnen richteten die Stäbe höher, Lichtspitzen zuckten über ihren Köpfen.

„Wenn die Tiefen unserer Welt vom Schmutz der der Zauiir verdunkelt würden, wenn Elashinn in den Netzen der Verräter erstickte, wenn die Hallen der Stadt unter der Hand der Zauviir zerbrächen – so sage ich euch: Wir werden weder wanken noch weichen. Wir werden nicht zerbrechen. Wir werden diesen Weg bis zum Ende gehen. Wir werden nicht wanken. Wir werden nicht weichen,“ sprach Jhea, und jetzt legte sie all ihr Feuer in die Stimme, „wir werden kämpfen in den Gassen Elashinns, wir werden kämpfen unter den Bögen und Türmen, wir werden kämpfen in den Hallen und auf den Mauern, wir werden kämpfen in den Tiefen des Underdark. Wir werden kämpfen mit Stahl, mit Zauber, mit Gift und mit Schatten. Wir werden kämpfen, bis der letzte Zauviir ausgelöscht ist, bis ihr Name nichts mehr bedeutet als ein Fluch, den niemand mehr auszusprechen wagt.“

Die Rufe schwollen an, ein Chor aus Stahl und Stimmen, Priesterinnen schrien den Namen der Göttin, Magier ließen einige Funken in die Luft schnellen, und Krieger stampften so hart, dass die Steine unter ihren Stiefeln erzitterten.

Und in diesem Tosen, für einen Augenblick, war Kyrii’linth zu sehen. Die Yathallar stand seitlich hinter den Priesterinnen, ihr Gesicht im Halbschatten, die Lippen zu einem schmalen Lächeln verzogen. Sie nickte kaum sichtbar, ein winziges, beinahe widerwilliges Zeichen von Anerkennung. Es war nicht Zustimmung, nicht Loyalität – aber ein stummes Eingeständnis, dass Jhea’kryna hier und heute etwas entfachte, das auch sie selbst nicht hätte besser formen können.

Jhea'kryna hob die Hände, und die Stille fiel wie ein Tuch über den Hof. Ihre Stimme senkte sich, eisig, kalt, schneidend: „Und wenn unsere Hallen brennen, wenn unsere Netze reißen, wenn wir bis zum letzten Tropfen unseres Blutes kämpfen müssen – so werden wir nicht aufhören. Denn Ky’Alur ist stark. Denn Lloth sieht uns. Denn es ist besser, brennend unterzugehen, als schwach in Ketten zu leben.“

Ein letzter Schlag, ein dumpfer Chor von Metall auf Brust, von Stäben auf Stein, hallte durch die Nacht.

„Also marschiert,“ rief Jhea, und ihr Blick war jetzt wie der einer Göttin selbst. „Marschiert in die Dunkelheit. Marschiert in ihr Herz. Und reißt es heraus!“

Der Hof bebte, das Tosen schwoll an, bis die Luft selbst zu zittern schien. Krieger schrien, Priesterinnen sangen, Magierinnen riefen den Donner – und inmitten all dessen stand Jhea, das Kleid wie ein Netz aus Licht und Schatten, und wusste: Der Krieg hatte begonnen.

⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰
Lyr'sa Teb'inyon
Beiträge: 67
Registriert: 31 Mai 2025, 10:17
Kontaktdaten:

Ich darf nicht davonlaufen

Beitrag von Lyr'sa Teb'inyon »

Die Schmiede roch nach Eisen und Ruß, nach einem Halt, den sie nicht mehr festhalten konnte. Noch immer brannte die Erinnerung an die Fangzähne in ihren Gedanken, dieser Moment, in dem das kalte Maul des Vampirs sich an ihr genährt hatte, ohne sie zu töten. Es war schlimmer als der Tod selbst gewesen – ein Gefühl, als hätte er ihr die letzte Spur von Mut aus den Adern gezogen. Sie war nicht gestorben, aber ein Teil von ihr war zerfallen. Seitdem fühlte sie sich leerer. Schwächer. Ein Gefäß, das nicht mehr ganz dicht war.

Und nun, kaum Tage später, stand sie im Schatten des Hofes. Waffen wurden verteilt, Rüstungen angelegt, Befehle gebrüllt. Sie hörte die Stimmen wie durch Wasser, dumpf, verzerrt, zu laut und doch nicht richtig zu verstehen. Die Ilharess stand erhöht, ihre Präsenz scharf wie eine Klinge. Jeder Laut aus ihrem Mund ließ die Krieger straffer stehen. Befehle, die keinen Zweifel kannten. Es ging in den Krieg. Es gab keine Fragen.

Lyr’sa aber spürte nur das Zittern in ihren Fingern. Metall gegen Haut, als sie versuchte, die Armschiene richtig zu verschließen. Sie hatte es gelernt, tausendmal getan. Heute griffen die Finger nicht richtig. Als wäre ihre eigene Hand nicht mehr ihr Werkzeug. Oh nau … warum ich?

Die Melee Magthere hatte sie ausgestoßen – sie, die Techniken kannte, die mit Waffen umgehen konnte, aber nicht genügte. Kein Wille, hatten sie gesagt. Kein Biss. Kein Feuer. Ein Schlag ins Gesicht, der sie getroffen hatte wie ein Urteil. Und jetzt – jetzt sollte sie an der Seite jener marschieren, die sie für unfähig hielten?

Sie wagte einen Blick nach oben, zu der Ilharess. Anthrazitene Haut, silbernes Haar, eine Stimme, die keine Schwäche duldete. Jeder in diesem Hof glaubte, dass sie recht hatte, dass dieser Krieg notwendig war, dass Lloth es so wollte. Aber Lyr’sa spürte nur die Leere in sich, die klaffende Wunde, die der Vampir zurückgelassen hatte.

Ich kann das nicht … ich kann das nicht … Ihre Lippen bewegten sich kaum, ein kaum hörbares Wimmern. Wenn ich hinausgehe, sterbe ich. Wenn ich kneife, bin ich tot. Wenn ich bleibe, hasst sie mich. Oh shu … ich will nicht … aber ich muss …

Um sie herum spannten die Krieger die Sehnen ihrer Armbrüste, die Priesterinnen murmelten Litaneien. Alles war Bewegung, alles war Vorbereitung. Und sie – sie war ein Riss in der Formation. Ein Schatten, der nicht passte.

„Lyr’sa.“ Die Stimme schnitt durch den Lärm, und sie zuckte zusammen. Jhea’kryna hatte sie gesehen, mitten unter all den anderen. Ihre Augen waren wie Spinnenaugen, kalt, unbeirrbar, und Lyr’sa fühlte sich gefangen, als hätte sie ein Netz um ihre Kehle. „Du wirst mitgehen. Du wirst zeigen, dass du das Adamant wert bist, das du trägst.“

Ihr Atem ging stoßweise. Ich will nicht. Ich will nicht. Ich will nicht. Aber ihre Beine bewegten sich, als wären sie nicht mehr ihre eigenen. Ein Schritt. Noch einer. Die Rüstung klapperte leise. Sie fügte sich in die Reihe, ohne zu wissen, wie. Ohne zu glauben, dass sie es schaffen würde.

Und in ihrem Kopf hallte nur ein einziger Gedanke, verzweifelt, zerbrochen:
Ich darf nicht davonlaufen. Ich darf nicht davonlaufen. Ich darf nicht davonlaufen.


Die Halle leerte sich nur langsam. Die Krieger strömten hinaus, in Formation, laut klirrend, die Priesterinnen hinterher, ein Wispern von Gebeten wie ein Kranz aus Spinnenfäden. Zurück blieb sie, Lyr’sa, die Hände an den Riemen ihrer Armschienen, unfähig, sie festzuziehen. Als hätte das Leder selbst begriffen, dass es sie nicht halten wollte.

Ein Schatten fiel auf sie. Er war nicht laut, er war nicht schwer, und doch ließ er ihr Herz hämmern. Die Ilharess stand dicht vor ihr, so nah, dass sie den metallischen Duft ihres Schmucks und den kalten Rauch der Opferfeuer wahrnahm. Jhea’krynas Augen waren zwei Spiegel, die nichts zurückgaben – sie nahmen nur.

„Warum zögerst du?“ Keine Frage. Ein Schnitt, glatt, unerbittlich.

Lyr’sa versuchte zu antworten, aber ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch. „Ich … ich …“ Ihre Lippen zitterten. Die Bilder des Vampirs flackerten auf – die Zähne, das Blut, das Gefühl, leergetrunken zu sein, ohne sterben zu dürfen. „Ich kann nicht …“

Die Ilharess legte den Kopf leicht schräg, wie eine Spinne, die ihre Beute mustert. „Nicht können?“ Das Wort war ein Fanghaken, scharf, kalt. „Du wirst. Es ist nicht deine Entscheidung, Kind.“

Lyr’sa wollte schreien, wollte sagen, dass sie gebrochen war, dass die Melee Magthere sie verstoßen hatte, dass sie nichts war als ein Fehler im Gefüge. Doch kein Laut kam über ihre Lippen. Stattdessen sickerte Schweiß in den Kragen ihrer Rüstung, und sie fühlte sich kleiner, als sie es jemals gewesen war.

„Schau mich an.“ Jhea’krynas Stimme war weich geworden – nicht warm, aber weich, wie ein Spinnfaden, der sich um den Hals legt. Zögernd hob Lyr’sa den Blick. Silber traf auf Silber, und sie konnte nicht wegsehen.

„Du gehörst dem Netz“, sprach die Ilharess, und jedes Wort war ein Urteil. „Dein Blut, dein Atem, deine Angst – sie sind Fäden. Ziehst du dich zurück, reißt das Muster. Und was geschieht mit einer Spinne, wenn ihr Netz reißt?“

Lyr’sa flüsterte, kaum hörbar: „Sie … verhungert.“

Ein Nicken, sanft, gnadenlos. „Genau so. Also wirst du hinausgehen. Du wirst kämpfen. Du wirst sterben, wenn es Lloth gefällt. Aber du wirst nicht weglaufen. Nicht... einen... Schritt.“

Die Worte gruben sich tiefer in sie ein als jede Klinge. Es war kein Schrei, kein Befehl. Es war das kalte Gewicht einer Wahrheit, der sie nicht entkommen konnte. Ihr ganzer Körper wollte fliehen, aber ihre Beine standen fest, als hätte man sie mit Spinnenseide an den Boden geheftet.

Und so nickte sie, stumm, gebrochen, aber gefangen.
Ich darf nicht davonlaufen … ich darf nicht davonlaufen …

Die Ilharess drehte sich ab, lautlos, wie ein Schatten, der zurück in die Dunkelheit glitt. Zurück blieb nur Lyr’sa – zitternd, mit angezogenen Schultern, als wäre sie zu klein für die Rüstung, die sie trug. Sie wusste, sie würde hinausgehen. Nicht aus Mut. Nicht aus Stärke. Sondern weil sie keine Wahl hatte.
Jhea'kryna Ky'Alur
Beiträge: 79
Registriert: 07 Mai 2025, 09:46
Kontaktdaten:

Vor den Mauern des Qu'ellar Zauviir

Beitrag von Jhea'kryna Ky'Alur »

𝔇ie Tore des Hauses Zauviir sprangen auf wie der Rachen eines Untiers, das nur darauf gewartet hatte, sein Maul in die Feinde zu schlagen. Dunkle Reitechsen, jede so groß wie ein ausgewachsenes Schlachtross der Oberwelt, brachen hervor, die Nüstern dampfend, die Panzerplatten ihrer Schuppen von Eisenbändern überzogen. Die Reiter, gehüllt in Rüstungen aus schwarzem Adamant, führten ihre Lanzen so tief gesenkt, dass sie wie eine Wand aus Dornen auf die wartenden Reihen von Ky’Alur zurasten.
Ein Donnern erfüllte den Boden, jeder Hufschlag ließ Staub und Splitter der gepflasterten Straße hochspringen. Die Krieger in den vorderen Reihen Ky’Alurs senkten ihre Schilde, bildeten eine geschlossene Front, doch der Anblick der heranrasenden Masse ließ selbst den Mutigsten den Atem stocken.

Dann kam die Antwort: Ein Befehl, heiser gebrüllt, und über die gesamte Linie hinweg schnellten die Armbrusthebel nach vorn. Ein Hagel aus Bolzen stürzte sich auf die Reiter, hunderte Spitzen durchbrachen den Dunst, surrten wie ein tödlicher Schwarm. Das Aufprallen klang wie prasselnder Regen auf Eisen. Manche Bolzen prallten wirkungslos ab, andere fanden Ritzen in Schuppen und Gelenken. Dunkle Echsen bäumten sich brüllend auf, manche brachen mitten im Lauf zusammen, überschütteten die Straße mit Leibern, die nachfolgenden Reiter zum Straucheln zwingend.
Doch viele brachen durch. Sie rissen Lücken in die Schilde, Lanzen zerfetzten Brustplatten, rissen Körper auf wie Pergament. Schreie hallten, Blut spritzte, der Gestank nach Eisen und Tod legte sich wie ein Schleier über die Straße. Ky’Alurs Front bebte – aber sie hielt.

Von den Mauern des Qu’ellar Zauviir herab blitzte Magie. Priesterinnen und Magier, in Purpur und Schwarz, ließen Bannkreise aufleuchten, spien Feuer und Blitze in die Reihen. Ein einziger Feuerball, groß wie ein Streitwagen, stürzte in die Mitte der Ky’Alur-Formation, riss Dutzende Krieger zu Boden. Die Druckwelle ließ Schilde splittern, Schleudern flogen fort, Rüstungen wurden mit einem Schlag glühend heiß.
Doch die Antwort blieb nicht aus. Ein Summen, tief und mächtig, rollte über das Schlachtfeld. Die Reihen Ky’Alurs öffneten sich, und ein Gestaltwandler, ein Erzmagus namens Shar'tym, trat nach vorn. Er war alt, das sah man an den Runen, die in seine Haut eingebrannt waren – jede ein Siegel von Jahrhunderten gelebter Magie. Doch nun glühten diese Runen, als brenne ein inneres Feuer. Sein Leib wuchs, Knochen dehnten sich, Haut wurde zu Schuppen, Arme zu Schwingen. In einem Bogen erhob sich der Magus, und wo eben noch ein Mann gestanden hatte, bäumte sich nun ein Drache, geschwärzte Schuppen glänzten im Widerschein der Magie.

Mit einem einzigen Schlag seiner Flügel hob er sich in die Luft. Sein Odem – kein gewöhnliches Feuer, sondern flüssiges Pech – ergoß sich über die Mauer. Bannkreise, die seit Generationen dort eingraviert waren, knackten, platzten, zerbrachen wie Glas. Schreiend stürzten Zauviir-Schützen in die Tiefe, ihre Körper in klebriges kochendes Pech gehüllt.
Die Ky’Alur-Krieger brüllten auf, als hätten sie selbst Flügel bekommen. Schilde wurden erhoben, Speere vorwärts gestoßen, und die Front schob sich wie eine lebende Mauer vorwärts.

Auf einer Anhöhe, leicht abseits des Getümmels, stand Jhea’kryna. Ihre Silhouette, im Licht der brennenden Zauber und der geisterhaften Spinnenlaternen, wirkte wie eine Figur aus Erz und Schatten. Ihr Kleid, von Silberfäden durchzogen, schimmerte bei jeder Bewegung wie ein Netz, das unsichtbar die Schlacht umspannte.
Neben ihr Kyrii’linth, die Yathallar. Ihr Blick war scharf, die Arme vor der Brust verschränkt, das Gesicht eine Maske aus stolzer Verachtung. Doch wer genau hinsah, konnte erkennen, wie ihr Auge dem Drachen folgte, wie sie den Atem anhielt, als der Odem die Mauer sprengte.

„Sie werfen alles in die erste Welle,“ sagte sie leise, die Stimme seidig, aber mit einem Stachel darunter. „Wie ein Tier, das in die Enge getrieben ist.“
Jhea’kryna wandte den Kopf, musterte das Schlachtfeld mit kühlem Blick. „Ein sterbendes Tier beißt am wildesten. Aber es stirbt trotzdem.“
Kyrii’linths Mundwinkel verzogen sich, ein Lächeln, das weder warm noch freundlich war. „Vielleicht. Doch manchmal reißt es noch ein Stück Fleisch aus, bevor es fällt.“
Für einen Augenblick schwiegen sie. Unter ihnen dröhnten die Lanzenstöße, Bolzen surrten, Magie riss den Boden auf. Staub und Blut mischten sich, das Schlachtfeld war ein einziges Chaos aus Stahl, Haut und Feuer.
„Sieh sie dir an,“ sagte Jhea schließlich, die Hand leicht erhoben, als könnte sie mit einer einzigen Geste die Schlacht lenken. „Die Zauviir glauben noch, dass sie den Atem behalten. Sie irren.“
Kyrii’linth nickte – kaum merklich, fast so, als hätte sie es im selben Atemzug wieder bereut. „Wir werden sehen.“

Dann bebte der Boden. Zuerst kaum spürbar, ein Zittern, das durch die Stiefel kroch. Doch es wuchs, wurde zu einem Grollen, als würde der Untergrund selbst aufbrechen. Ein Krachen hallte, tief, unheilvoll. Staub schoss in die Höhe, Mauerwerk splitterte. Einer der Türme des Zauviir-Qu’ellars neigte sich, ächzte, und stürzte krachend in die Tiefe. Die Mauer daneben barst, riss auf wie ein aufgeschnittener Leib. Schreie hallten, sowohl von Verteidigern als auch Angreifern.

Jhea’kryna ließ die Hand sinken, und ein kaltes, hartes Lächeln huschte über ihre Lippen. „Lyr’sa hat geliefert.“
Kyrii’linth zog eine Augenbraue hoch, ihr Blick bohrte sich in Jhea, scharf wie ein Dolch. „So also sieht deine Strategie aus – nicht nur mit Klinge und Zauber, sondern mit dem Bauch der Erde selbst.“
„Wer in den Tiefen lebt,“ erwiderte Jhea leise, „sollte nie vergessen, dass die Tiefe selbst meine Waffe ist.“

Ein Ky'orl Ky’Alurs stürmte nach vorn, hob sein Schwert, das im Licht der Feuer zu flammen schien. „Vorwärts! Durch die Bresche! Für Ky’Alur!“
Ein einziger Ruf, doch er wurde zum Chor, zum Beben selbst. Hunderte Stimmen verschmolzen zu einem Gebrüll, das die Felsen erzittern ließ. Die Ky’Alur-Krieger warfen sich nach vorn, kletterten über Trümmer, rissen ihre Waffen hoch, und das Blutbad begann von Neuem – diesmal mitten im Herzen des Qu’ellar Zauviir.

⊱⋅ ───────── ༻ 𝔎𝔶'𝔄𝔩𝔲𝔯 ༺ ───────── ⋅⊰
Antworten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast