Zwischen Adler und Asche

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Kazhar Rontre
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Registriert: 07 Mai 2025, 10:48

Zwischen Adler und Asche

Beitrag von Kazhar Rontre »

Die alten Banner des Adlers hängen noch immer an den Mauern von Trinsic. Vom Wind zerfasert, von der Sonne gebleicht, tragen sie nur noch eine Ahnung jenes Glanzes in sich, der einst vom Ordo Ryonar ausging. Wo früher Gebete, Stimmengemurmel, Rüstungsklirren und das leise Kratzen von Federkielen in den Schreibstuben den Alltag füllten, herrscht nun Staub und Stille.

Kazhar Rontre kennt jeden dieser Gänge. Er kennt das Echo seiner eigenen Schritte auf den Steinen, die er so oft im Namen der Freiheit beschritten hat. Heute aber tragen seine Schritte ihn nicht mehr durch Trinsic – die Ordensburg steht verlassen, ein steinerner Sarkophag für einen Orden, der kaum jemandem mehr als ein Name in alten Chroniken ist.

Der letzte Gefährte des Adlers hat seine Waffen und seine wenigen Habseligkeiten nach Britain gebracht.

Britain – in seinen Augen die letzte Stadt der Ordnung. Die Wachen patrouillieren, die Gesetze gelten noch, und zumindest hier scheint der Faden der Zivilisation nicht vollständig gerissen. Doch selbst zwischen aufrechten Mauern kann das Herz eines Paladins ins Wanken geraten.

In einer kleinen Kammer über einer unscheinbaren Schenke, nahe den Kasernen, sitzt Kazhar in der Dämmerung auf einem einfachen Hocker. Seine Rüstung steht sorgfältig gereinigt in der Ecke, das Wappen des Adlers auf dem Brustharnisch mit einem Tuch bedeckt. Die Hand ruht auf einem Gebetsbuch, dessen Seiten von Jahren des Gebrauchs weich und abgenutzt sind.

Doch seit geraumer Zeit bleiben die Worte darin kalt.

Ryonar – der Gott, dessen Name einst wie ein Ruf zum Aufbruch und wie ein Eid zugleich war – ist verstummt. Keine Träume mehr, keine Eingebungen, keine leisen Gewissheiten im Herzen. Die Gebete prallen an einem Himmel ab, der still und fern erscheint. Kazhar hat es lange als Prüfung gesehen, als Zeit der Läuterung. Doch je mehr Gefährten verschwanden, je mehr die Hallen des Ordens sich leerten, desto schwerer wurde es, dieses Schweigen zu tragen.

Einst waren sie viele, die Gefährten des Adlers – ein Orden, der nicht für Eroberung oder blinden Gehorsam stand, sondern für die Freiheit der Lebewesen Schattenwelts. Für das Recht, ohne Ketten und Tyrannei zu leben. Sie waren Schwert und Schild für jene, die keine Stimme hatten. Jetzt aber scheint er der letzte zu sein, der diesen Auftrag noch wie eine glühende Brandmarke in sich trägt.

Allein.

Oder zumindest fühlt es sich so an.

In manchen Nächten fragt er sich, ob der Adler gefallen ist – oder ob er schlicht davongeflogen ist und sie zurückgelassen hat. Ob Ryonar sich abgewandt hat, weil sein Orden versagt hat. Ob die Freiheit, für die sie kämpften, sich in Beliebigkeit und Gleichgültigkeit verflüchtigt hat.

Zweifel sind Gift für einen Paladin. Und doch sind sie da.

Wenn Kazhar in den Straßen Britains patrouilliert – kein offizieller Posten, nur sein eigener Wille, Ordnung und Schutz zu bieten – beobachtet er die Menschen. Händler, die feilschen. Kinder, die spielen. Soldaten, die müde ihre Runden drehen. Er sieht Angst in manchen Augen, aber auch Hoffnung, Trotz und den ungebrochenen Wunsch, zu leben.

„Freiheit“, denkt er dann, „ist nicht nur ein Banner, nicht nur ein Gotteswort. Sie ist in diesen Menschen verankert, in ihrem täglichen Ringen, in ihrem Widerstand gegen die Finsternis.“

Vielleicht, so beginnt er zu ahnen, war der Ordo Ryonar nie nur Mauern und Titel. Vielleicht ist das, was wirklich zählt, der Funke im Herzen eines jeden, der aufsteht und sagt: „Bis hierhin und nicht weiter.“

Doch dieser Gedanke tröstet nur bedingt, wenn das Schweigen Ryonars in den stillen Stunden der Nacht unerträglich laut wird.

An einem Abend, als der Regen sanft auf die Dächer Britains prasselt und die Straßenlaternen mattes Licht über das Pflaster streuen, kniet Kazhar allein in seiner Kammer.

Vor ihm liegt das Schwert des Ordens, die Klinge spiegelblank, aber mit feinen, kaum sichtbaren Kerben. Zeugen vergangener Schlachten. Neben der Waffe ruht das Wappen des Adlers, aus Metall und Emaille geschaffen, die Ränder leicht abgeschlagen.

„Ryonar“, beginnt er, die Stirn auf den Knauf des Schwertes gedrückt, „wenn du mich verlassen hast, dann sag es mir. Wenn ich gescheitert bin, sprich das Urteil. Wenn du noch da bist, dann schweige nicht mehr so grausam.“

Stille.

Nur das Tropfen des Regens, das Knacken des Holzes im Gebälk. Kein Lichtstrahl, keine Stimme, kein Wunder.

Doch dieses Mal ist etwas anders. In der Leere des erwarteten Wunders drängt sich ein anderer Gedanke in sein Bewusstsein: Was, wenn es nicht darum geht, dass du mir antwortest? Was, wenn es darum geht, dass ich trotzdem weitergehe?

Kazhar atmet tief durch. Die Worte, die er nun spricht, klingen heiser, aber fester:

„Dann sei es so. Wenn ich der letzte Gefährte des Adlers bin, dann soll der Orden nicht im Schweigen enden, sondern in der Tat. Ich werde tun, wozu ich einst meinen Eid schwor – mit oder ohne deine Stimme in meinem Herzen.“

Er erhebt sich, legt das Wappen behutsam wieder an die Rüstung und schnallt das Schwert um. Kein strahlendes Zeichen begleitet ihn, als er die Kammer verlässt. Nur das Knarren der Treppe, der Geruch von Bier und Rauch im Schankraum und das kühle, klare Nachtluftband, das ihn empfängt, als er auf die Straße tritt.

In Britains Straßen beginnt sich leise herumzusprechen, dass ein Paladin unterwegs ist, der niemandem offiziell unterstellt ist, der keine Ordenserhebung verlangt, keine großen Worte macht – sondern einfach hilft. Der Streit schlichten kann, der bei Gefahr das Schwert erhebt, der den Schwachen seine Hand reicht und den Starken an ihre Verantwortung erinnert.

Manche nennen ihn spöttisch „den letzten Adler“. Andere sagen, dass in seinen Augen noch der gleiche entschlossene Glanz liegt wie in jenen Tagen, als die Banner Ryonars im Wind flatterten.

Ob Ryonar wirklich verschwunden ist oder nur schweigt, bleibt ungeklärt. Doch in Kazhar lebt zumindest ein Teil der alten Verheißung weiter: Die Überzeugung, dass Freiheit und Ordnung kein Widerspruch sein müssen, dass beides den Schutz derer braucht, die bereit sind, für mehr einzustehen als nur für sich selbst.

Vielleicht ist der Adler gefallen. Vielleicht fliegt er irgendwo weit über den Wolken.
Aber solange der letzte Gefährte seinen Weg geht, bleibt die Geschichte des Ordo Ryonar noch unvollendet.

Und in der letzten Stadt der Ordnung, zwischen Mauern, die vielen längst gewöhnlich vorkommen, schreitet ein Paladin durch die Nacht – mit zweifelndem Herzen, doch unbeugsamem Willen.
Vas Ryonar, tirith yar Adun