Die Vision verblasste, doch ihr Echo blieb, eingewoben in die Stille der Nacht. Ein Gewebe aus Silberfäden, das in Alniiras Geist schimmerte, eine leise, ungreifbare Melodie, die an den Rändern ihres Bewusstseins tanzte.
Rianon. Nicht verloren. Nur auf einem anderen Pfad, der sich wieder mit dem ihren kreuzen würde. Die Worte ihrer Göttin waren kein Befehl gewesen, sondern ein Versprechen.
Ein einziger, gleißender Tropfen Hoffnung in einem Ozean aus Verzweiflung.
Und dieser eine Tropfen reichte aus, um ein Feuer zu entfachen, das so heiß und widersprüchlich war wie ihre eigene Seele.
Das Schwert zitterte noch immer in ihrer Hand, doch nicht mehr aus Furcht.
Es vibrierte im Einklang mit dem leisen, tiefen Knurren, das in ihrer Kehle aufstieg, eine Vibration, die halb Drow, halb Wolf war.
Sie lehnte mit dem Rücken an der rauen Rinde eines alten Baumes, die imaginären Schatten noch immer ein Halbkreis aus lauernder Finsternis vor ihr.
In ihrem Verstand schienen sie zu grinsen, ihre grausamen Fratzen verzogen sich zu einem stummen Spott, als wüssten sie, dass ihre endgültige Niederlage nur eine Frage der Zeit war.
Sie flüsterten ihr Lügen ins Ohr, die aus ihren eigenen Ängsten geboren waren. Ein leeres Versprechen. Eine ferne Melodie. Du bist allein. Er hat dich verlassen.
Alniira hat geschrieben:Ihr glaubt, ihr habt gewonnen…
Doch die Worte ihrer Göttin hatten alles verändert. Sie hatten ihr nicht nur Hoffnung gegeben, sondern auch einen neuen, unerwarteten Zorn. Eine kalte, klare Wut, die nicht gegen die Schatten gerichtet war, sondern gegen den einen Wolf, der gegangen war, als er am meisten gebraucht wurde.
Die Hoffnung war ein Balsam, doch der Zorn war ein Gegengift, das die lähmende Trauer vertrieb.
Alniira hat geschrieben:Er ist nicht verloren… Er hat uns verlassen. Und er wird zurückkehren, als wäre nichts geschehen? Nach all dem Schmerz? Nach all der Angst, die er in uns zurückgelassen hat?
Sie schloss die Augen, um der lauernden Dunkelheit zu entkommen, doch die Bilder, die sie nun sah, waren noch schärfer, noch schmerzhafter.
Es war nicht mehr nur eine Ahnung, es war ein Kaleidoskop ihres zerbrechlichen Glücks, das am seidenen Faden hing. Rianon, dessen Duft sie vermisste wie die Luft zum Atmen, sein Gesicht gezeichnet von einer unsichtbaren Last.
Talos, der große, sterbende Mann in ihrer Höhle, sein rasselnder Atem ein stummer Vorwurf an ihre Unfähigkeit. Naya, die Weise, deren Augen den Schmerz in einer Stille ertrugen, die lauter schrie als jeder Klagelaut.
Koda, dessen junge Kraft von einer Sorge getrübt war, die er nicht verstand. Und die Welpen, deren verspielte Unschuld die einzige reine Flamme in dieser Finsternis war – eine Flamme, die zu erlöschen drohte.
Das Bild traf sie nicht wie eine Erinnerung, sondern wie ein körperlicher Schlag.
Ein Schmerz, so tief und durchdringend, dass er die Grenzen zwischen Geist und Körper auflöste, sie in Stücke riss und neu zusammensetzte.
Als sie die Augen wieder öffnete, war die Welt nicht mehr dieselbe.
Der Wolf war erwacht.
Es war keine Verwandlung aus Fleisch und Knochen, keine Veränderung, die ein Fremder hätte sehen können.
Es war ein Beben im Fundament ihrer Seele, eine Revolution aus reiner Wahrnehmung.
Alniira, die Drow, die Tänzerin, die Denkerin, war nicht länger die Akteurin.
Sie war die Kulisse. Ein stiller, ferner Zuschauer in den Tiefen ihres eigenen Wesens, der mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Schrecken zusah, wie eine andere, wahrhaftigere Kraft die Kontrolle übernahm.
Es war, als würde sie sich selbst im Spiegelbild eines Spiegelbilds eines Spiegelbildes sehen – unendlich weit entfernt und doch unendlich vertraut.
Die Essenz ihres Seins, befreit von den Fesseln des Zweifels.
Ihr Herzschlag, eben noch ein panisches Flattern, wurde zu einem tiefen, donnernden Trommeln.
Ein Rhythmus, der nicht von ihr kam, sondern vom Herz des Waldes selbst, ein Echo des Lebens, das um sie herum pulsierte.
Sie spürte, wie sich die Krallen ihrer Füße in den Boden gruben, nicht nur in das Moos und die weiche Erde, sondern tiefer, durch Schichten von verrottetem Laub und altem Gestein, als würden sie nach dem schlagenden Herzen der Welt selbst greifen.
Sie fanden Halt an etwas Hartem, Unnachgiebigem. Einer Wurzel. Einem Stein. Etwas, das nicht nachgab.
Dieser Halt durchströmte sie, eine Welle purer, ursprünglicher Energie, die jede Faser ihres Körpers und ihres Geistes mit neuer, unerschütterlicher Stabilität füllte.
Langsam beugte sie sich vor, die Muskeln ihres Rückens zeichneten sich unter der Haut ab wie die Hügel einer fremden Landschaft.
Weiter und weiter, bis ihre krallenbewehrte Pranke den feuchten, kühlen Boden berührte. Ihr ganzer Körper war angespannt wie die Sehne eines Bogens, kurz vor dem Abschuss des Pfeils, eine perfekte Symbiose aus latenter Kraft und absoluter Stille.
Für einen einzigen, unendlichen Moment stand die Zeit still. Der Wald hielt den Atem an.
Dann explodierte die Welt.
Mit einem Aufschrei, der halb Heulen, halb Schlachtruf war, stürmte sie los. Das Moos hinter ihr wurde in die Luft gerissen, zerfetzt von der rohen, unbändigen Kraft ihres Antritts.
Ihre Pranken durchfuhren die Luft, durchdrangen die Schattenkreaturen. Es gab keinen Widerstand, kein Geräusch.
Es war, als würde sie durch einen Nebel aus dunklen Gedanken stürmen. Der Schatten des Zweifels, der Schatten der Einsamkeit, der Schatten der Schuld – sie alle zerfielen bei ihrer Berührung, lösten sich in der Dunkelheit des Waldes auf, als hätte es sie nie gegeben.
Sie jagte nicht, sie reinigte.
Sie hielt keuchend inmitten der Lichtung an und sah sich für einen kurzen Moment um.
Die Finsternis war gewichen, verzehrt von der Flamme ihrer Entschlossenheit.
Für einen Herzschlag durchdrang Alniiras Bewusstsein die wilde Klarheit des Wolfes. Ihre Augen fielen auf das Bündel, das sie vor einer Ewigkeit abgelegt hatte.
Die Kräuter. Die Nahrung. Der Grund.
Ohne zu zögern, griff der Werwolf nach dem Beutel, die Bewegung war nicht mehr zögerlich, sondern instinktiv und sicher.
Bewegte sich auf den Weg zurück zur Höhle. Es gab keine Zeit mehr für Zweifel. Es gab nur noch das Rudel.
Der Rückweg war kein Lauf. Es war ein Rausch, ein zielgerichteter Sturm aus reiner Kraft, der sich seinen Weg durch den Yew Wald bahnte.
Alniira, die Drow, war nur noch ein Passagier in einem Körper, der sich mit instinktiver Sicherheit bewegte.
Jeder Schritt war ein kraftvolles, erdverbundenes Statement.
Sie umging die alten Bäume nicht, sondern floss zwischen ihnen hindurch wie ein reißender Fluss, der sein Bett kennt.
Die Welt war ein verschwommener Tunnel aus Grün- und Brauntönen, den sie mit der Effizienz eines Raubtiers durchquerte, das sein Ziel kennt.
Sie roch alles. Den modrigen Duft von verrottendem Holz, das feuchte Aroma von Moos, den süßen Hauch von Nachtblumen.
Sie hörte alles. Das panische Rascheln einer Maus im Unterholz, das ferne, rhythmische Schlagen der Herzen ihres Rudels, das immer näherkam.
Als sie sich dem Wolfsbau näherte, verlangsamte sie nicht. Die Logik der Vorsicht war dem drängenden Instinkt gewichen, so schnell wie möglich zu ihrer Familie zurückzukehren.
Mit einer kraftvollen, aber kontrollierten Bewegung schob sie die dichten Büsche und Ranken, die den Eingang zur Höhle verbargen, beiseite und trat in die kleine Senke vor dem Bau.
Und dort traf ihre entfesselte Macht auf die fragile Realität.
Das Rudel, alarmiert durch ihre plötzliche Ankunft, stand vor der Höhle. Doch in ihren Augen war kein freudiges Wiedererkennen.
Es war eine Mischung aus Verwirrung, Ehrfurcht und instinktiver Vorsicht. Naya war zurückgewichen, das Fell gesträubt, die Lefzen zu einem unsicheren Knurren hochgezogen.
Die anderen Wölfe duckten sich, ihre Körper angespannt. Sie sahen nicht Alniira, die Gefährtin. Sie sahen eine Kriegergestalt von über 2 Metern Höhe, eine Verkörperung des Mondes und der Wildnis, die sie nicht kannten.
Der Wolf in Alniira war verwirrt. Er verstand die Reaktion nicht. Er war zurückgekehrt.
Doch die Unsicherheit in den Augen seiner Familie traf ihn mit der Wucht eines Schlages.
Und in diesem Moment fand Alniiras Bewusstsein einen Riss in der Mauer aus Instinkt und übernahm wieder die Kontrolle.
Ihr wurde schlagartig klar, was sie getan hatte. In ihrer Entschlossenheit hatte sie vergessen, dass die Kraft, die sie nun umarmte, für andere ein Anblick des Schreckens war.
Die aggressive, territoriale Haltung, die sie eingenommen hatte, wich einer weicheren, fragenden Geste. Die Muskeln entspannten sich. Langsam, ganz bewusst, senkte sie ihren massiven Körper ab, machte sich kleiner, um die Bedrohung aus ihrer Erscheinung zu nehmen.
Aus ihrer Kehle kam ein leises, winselndes Geräusch – keine Verzweiflung, sondern eine Frage, ein beschwichtigendes Flehen.
Nach einer langen, angespannten Stille löste sich eine Gestalt aus der erstarrten Gruppe.
Es war Koda. Den Kopf tief gesenkt, näherte er sich vorsichtig. Er blieb vor ihr stehen und schnupperte zögerlich an der krallenbewehrten Pranke.
Der Geruch war fremd, durchdrungen von Drow-Blut und des Mondes. Doch darunter war etwas Vertrautes. Der Geruch von Alniira.
Plötzlich verwandelte sich sein unsicheres Knurren in ein freudiges Jaulen.
Er hatte sie erkannt. Er stieß sie mit seiner Nase an, und sein Schwanz begann zaghaft zu wedeln.
Das war das Zeichen. Die Angst der anderen Wölfe wich einer neugierigen Erleichterung. Einer nach dem anderen kamen sie näher und umringten sie.
Alniiras Gedanken hat geschrieben:Das war der Unterschied zwischen den Wölfen und den Menschen. Hier zählt der Geist, der einen ausmacht, und nicht die Form.
Ein neuer Geruch drang durch die vertrauten Düfte des Rudels. Rianon. Seine Fährte war frisch und führte direkt in den Bau.
Noch immer in der Gestalt des Werwolfs, getrieben von einer Welle überwältigender Gefühle, machte sie sich auf zum Eingang.
Freude, dass er wieder da war. Wut, dass er gegangen war. Traurigkeit, dass sie allein gewesen war.
Sie zwängte ihren massiven Körper durch die enge Öffnung und kroch in die Dunkelheit der Höhle.
Die roten Augen einer Drow, gefangen im Schädel eines Werwolfs, durchdrangen die Finsternis, als sie mit einem leisen, fragenden Winseln den Bau betrat, auf der Suche nach dem Wolf, der zurückgekehrt war.
Die Vision verblasste, doch ihr Echo blieb, eingewoben in die Stille der Nacht. Ein Gewebe aus Silberfäden, das in Alniiras Geist schimmerte, eine leise, ungreifbare Melodie, die an den Rändern ihres Bewusstseins tanzte.
Rianon. Nicht verloren. Nur auf einem anderen Pfad, der sich wieder mit dem ihren kreuzen würde. Die Worte ihrer Göttin waren kein Befehl gewesen, sondern ein Versprechen.
Ein einziger, gleißender Tropfen Hoffnung in einem Ozean aus Verzweiflung.
Und dieser eine Tropfen reichte aus, um ein Feuer zu entfachen, das so heiß und widersprüchlich war wie ihre eigene Seele.
Das Schwert zitterte noch immer in ihrer Hand, doch nicht mehr aus Furcht.
Es vibrierte im Einklang mit dem leisen, tiefen Knurren, das in ihrer Kehle aufstieg, eine Vibration, die halb Drow, halb Wolf war.
Sie lehnte mit dem Rücken an der rauen Rinde eines alten Baumes, die imaginären Schatten noch immer ein Halbkreis aus lauernder Finsternis vor ihr.
In ihrem Verstand schienen sie zu grinsen, ihre grausamen Fratzen verzogen sich zu einem stummen Spott, als wüssten sie, dass ihre endgültige Niederlage nur eine Frage der Zeit war.
Sie flüsterten ihr Lügen ins Ohr, die aus ihren eigenen Ängsten geboren waren. Ein leeres Versprechen. Eine ferne Melodie. Du bist allein. Er hat dich verlassen.
[quote=Alniira]Ihr glaubt, ihr habt gewonnen…[/quote]
Doch die Worte ihrer Göttin hatten alles verändert. Sie hatten ihr nicht nur Hoffnung gegeben, sondern auch einen neuen, unerwarteten Zorn. Eine kalte, klare Wut, die nicht gegen die Schatten gerichtet war, sondern gegen den einen Wolf, der gegangen war, als er am meisten gebraucht wurde.
Die Hoffnung war ein Balsam, doch der Zorn war ein Gegengift, das die lähmende Trauer vertrieb.
[quote=Alniira]Er ist nicht verloren… Er hat uns verlassen. Und er wird zurückkehren, als wäre nichts geschehen? Nach all dem Schmerz? Nach all der Angst, die er in uns zurückgelassen hat?[/quote]
Sie schloss die Augen, um der lauernden Dunkelheit zu entkommen, doch die Bilder, die sie nun sah, waren noch schärfer, noch schmerzhafter.
Es war nicht mehr nur eine Ahnung, es war ein Kaleidoskop ihres zerbrechlichen Glücks, das am seidenen Faden hing. Rianon, dessen Duft sie vermisste wie die Luft zum Atmen, sein Gesicht gezeichnet von einer unsichtbaren Last.
Talos, der große, sterbende Mann in ihrer Höhle, sein rasselnder Atem ein stummer Vorwurf an ihre Unfähigkeit. Naya, die Weise, deren Augen den Schmerz in einer Stille ertrugen, die lauter schrie als jeder Klagelaut.
Koda, dessen junge Kraft von einer Sorge getrübt war, die er nicht verstand. Und die Welpen, deren verspielte Unschuld die einzige reine Flamme in dieser Finsternis war – eine Flamme, die zu erlöschen drohte.
Das Bild traf sie nicht wie eine Erinnerung, sondern wie ein körperlicher Schlag.
Ein Schmerz, so tief und durchdringend, dass er die Grenzen zwischen Geist und Körper auflöste, sie in Stücke riss und neu zusammensetzte.
Als sie die Augen wieder öffnete, war die Welt nicht mehr dieselbe.
Der Wolf war erwacht.
Es war keine Verwandlung aus Fleisch und Knochen, keine Veränderung, die ein Fremder hätte sehen können.
Es war ein Beben im Fundament ihrer Seele, eine Revolution aus reiner Wahrnehmung.
Alniira, die Drow, die Tänzerin, die Denkerin, war nicht länger die Akteurin.
Sie war die Kulisse. Ein stiller, ferner Zuschauer in den Tiefen ihres eigenen Wesens, der mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Schrecken zusah, wie eine andere, wahrhaftigere Kraft die Kontrolle übernahm.
Es war, als würde sie sich selbst im Spiegelbild eines Spiegelbilds eines Spiegelbildes sehen – unendlich weit entfernt und doch unendlich vertraut.
Die Essenz ihres Seins, befreit von den Fesseln des Zweifels.
Ihr Herzschlag, eben noch ein panisches Flattern, wurde zu einem tiefen, donnernden Trommeln.
Ein Rhythmus, der nicht von ihr kam, sondern vom Herz des Waldes selbst, ein Echo des Lebens, das um sie herum pulsierte.
Sie spürte, wie sich die Krallen ihrer Füße in den Boden gruben, nicht nur in das Moos und die weiche Erde, sondern tiefer, durch Schichten von verrottetem Laub und altem Gestein, als würden sie nach dem schlagenden Herzen der Welt selbst greifen.
Sie fanden Halt an etwas Hartem, Unnachgiebigem. Einer Wurzel. Einem Stein. Etwas, das nicht nachgab.
Dieser Halt durchströmte sie, eine Welle purer, ursprünglicher Energie, die jede Faser ihres Körpers und ihres Geistes mit neuer, unerschütterlicher Stabilität füllte.
Langsam beugte sie sich vor, die Muskeln ihres Rückens zeichneten sich unter der Haut ab wie die Hügel einer fremden Landschaft.
Weiter und weiter, bis ihre krallenbewehrte Pranke den feuchten, kühlen Boden berührte. Ihr ganzer Körper war angespannt wie die Sehne eines Bogens, kurz vor dem Abschuss des Pfeils, eine perfekte Symbiose aus latenter Kraft und absoluter Stille.
Für einen einzigen, unendlichen Moment stand die Zeit still. Der Wald hielt den Atem an.
Dann explodierte die Welt.
Mit einem Aufschrei, der halb Heulen, halb Schlachtruf war, stürmte sie los. Das Moos hinter ihr wurde in die Luft gerissen, zerfetzt von der rohen, unbändigen Kraft ihres Antritts.
Ihre Pranken durchfuhren die Luft, durchdrangen die Schattenkreaturen. Es gab keinen Widerstand, kein Geräusch.
Es war, als würde sie durch einen Nebel aus dunklen Gedanken stürmen. Der Schatten des Zweifels, der Schatten der Einsamkeit, der Schatten der Schuld – sie alle zerfielen bei ihrer Berührung, lösten sich in der Dunkelheit des Waldes auf, als hätte es sie nie gegeben.
Sie jagte nicht, sie reinigte.
Sie hielt keuchend inmitten der Lichtung an und sah sich für einen kurzen Moment um.
Die Finsternis war gewichen, verzehrt von der Flamme ihrer Entschlossenheit.
Für einen Herzschlag durchdrang Alniiras Bewusstsein die wilde Klarheit des Wolfes. Ihre Augen fielen auf das Bündel, das sie vor einer Ewigkeit abgelegt hatte.
Die Kräuter. Die Nahrung. Der Grund.
Ohne zu zögern, griff der Werwolf nach dem Beutel, die Bewegung war nicht mehr zögerlich, sondern instinktiv und sicher.
Bewegte sich auf den Weg zurück zur Höhle. Es gab keine Zeit mehr für Zweifel. Es gab nur noch das Rudel.
Der Rückweg war kein Lauf. Es war ein Rausch, ein zielgerichteter Sturm aus reiner Kraft, der sich seinen Weg durch den Yew Wald bahnte.
Alniira, die Drow, war nur noch ein Passagier in einem Körper, der sich mit instinktiver Sicherheit bewegte.
Jeder Schritt war ein kraftvolles, erdverbundenes Statement.
Sie umging die alten Bäume nicht, sondern floss zwischen ihnen hindurch wie ein reißender Fluss, der sein Bett kennt.
Die Welt war ein verschwommener Tunnel aus Grün- und Brauntönen, den sie mit der Effizienz eines Raubtiers durchquerte, das sein Ziel kennt.
Sie roch alles. Den modrigen Duft von verrottendem Holz, das feuchte Aroma von Moos, den süßen Hauch von Nachtblumen.
Sie hörte alles. Das panische Rascheln einer Maus im Unterholz, das ferne, rhythmische Schlagen der Herzen ihres Rudels, das immer näherkam.
Als sie sich dem Wolfsbau näherte, verlangsamte sie nicht. Die Logik der Vorsicht war dem drängenden Instinkt gewichen, so schnell wie möglich zu ihrer Familie zurückzukehren.
Mit einer kraftvollen, aber kontrollierten Bewegung schob sie die dichten Büsche und Ranken, die den Eingang zur Höhle verbargen, beiseite und trat in die kleine Senke vor dem Bau.
Und dort traf ihre entfesselte Macht auf die fragile Realität.
Das Rudel, alarmiert durch ihre plötzliche Ankunft, stand vor der Höhle. Doch in ihren Augen war kein freudiges Wiedererkennen.
Es war eine Mischung aus Verwirrung, Ehrfurcht und instinktiver Vorsicht. Naya war zurückgewichen, das Fell gesträubt, die Lefzen zu einem unsicheren Knurren hochgezogen.
Die anderen Wölfe duckten sich, ihre Körper angespannt. Sie sahen nicht Alniira, die Gefährtin. Sie sahen eine Kriegergestalt von über 2 Metern Höhe, eine Verkörperung des Mondes und der Wildnis, die sie nicht kannten.
Der Wolf in Alniira war verwirrt. Er verstand die Reaktion nicht. Er war zurückgekehrt.
Doch die Unsicherheit in den Augen seiner Familie traf ihn mit der Wucht eines Schlages.
Und in diesem Moment fand Alniiras Bewusstsein einen Riss in der Mauer aus Instinkt und übernahm wieder die Kontrolle.
Ihr wurde schlagartig klar, was sie getan hatte. In ihrer Entschlossenheit hatte sie vergessen, dass die Kraft, die sie nun umarmte, für andere ein Anblick des Schreckens war.
Die aggressive, territoriale Haltung, die sie eingenommen hatte, wich einer weicheren, fragenden Geste. Die Muskeln entspannten sich. Langsam, ganz bewusst, senkte sie ihren massiven Körper ab, machte sich kleiner, um die Bedrohung aus ihrer Erscheinung zu nehmen.
Aus ihrer Kehle kam ein leises, winselndes Geräusch – keine Verzweiflung, sondern eine Frage, ein beschwichtigendes Flehen.
Nach einer langen, angespannten Stille löste sich eine Gestalt aus der erstarrten Gruppe.
Es war Koda. Den Kopf tief gesenkt, näherte er sich vorsichtig. Er blieb vor ihr stehen und schnupperte zögerlich an der krallenbewehrten Pranke.
Der Geruch war fremd, durchdrungen von Drow-Blut und des Mondes. Doch darunter war etwas Vertrautes. Der Geruch von Alniira.
Plötzlich verwandelte sich sein unsicheres Knurren in ein freudiges Jaulen.
Er hatte sie erkannt. Er stieß sie mit seiner Nase an, und sein Schwanz begann zaghaft zu wedeln.
Das war das Zeichen. Die Angst der anderen Wölfe wich einer neugierigen Erleichterung. Einer nach dem anderen kamen sie näher und umringten sie.
[quote=Alniiras Gedanken]Das war der Unterschied zwischen den Wölfen und den Menschen. Hier zählt der Geist, der einen ausmacht, und nicht die Form.[/quote]
Ein neuer Geruch drang durch die vertrauten Düfte des Rudels. Rianon. Seine Fährte war frisch und führte direkt in den Bau.
Noch immer in der Gestalt des Werwolfs, getrieben von einer Welle überwältigender Gefühle, machte sie sich auf zum Eingang.
Freude, dass er wieder da war. Wut, dass er gegangen war. Traurigkeit, dass sie allein gewesen war.
Sie zwängte ihren massiven Körper durch die enge Öffnung und kroch in die Dunkelheit der Höhle.
Die roten Augen einer Drow, gefangen im Schädel eines Werwolfs, durchdrangen die Finsternis, als sie mit einem leisen, fragenden Winseln den Bau betrat, auf der Suche nach dem Wolf, der zurückgekehrt war.