Sie hatte nicht für ihre Familie gekämpft. Sie hatte nicht für ihre Rache gekämpft. Sie war nur der Schatten einer Macht gewesen, die hinter ihr stand.
Die Stimme des Drachen in ihrem Kopf war kein Brüllen und keine Warnung mehr. Sie war nur noch ein Flüstern, erfüllt von einem uralten, unermesslichen Bedauern.Mytraxor hat geschrieben: Arencia...
Arencia drehte sich langsam um. Ihr Blick – leere, schwarze Höhlen – traf auf die erhobenen Waffen der Drow, auf das triumphierende Gesicht von Jhea'kryna. Erkenntnis.
„Ihr...“ krächzte sie.
Dann hob Jhea'kryna die Hand. Der Befehl war gefallen.
Tath’raens Streitkolben und die Klingen der anderen Krieger schossen auf sie zu. Doch in diesem Bruchteil einer Sekunde, zwischen Verrat und Vernichtung, handelte Arencia nicht aus einem Plan heraus, sondern aus reinem, verzweifeltem Instinkt. Sie konnte nicht kämpfen. Nicht mehr. Aber sie konnte sie mit sich reißen.
Ihre knöchernen Hände, von denen bereits Staub rieselte, schnellten nach vorne.
Ein Flüstern, brüchig und von Schmerz zerfressen, entkam ihr:
Ein Funke arkaner Energie zuckte vor ihr auf, der Beginn eines einfachen Fluchtportals. Doch in diesem Moment überlagerte eine andere Stimme ihre, ein Brüllen, das nicht aus ihrer Kehle, sondern direkt aus dem pulsierenden Kristall auf dem Boden kam. Eine Stimme aus Äonen des Zorns.Arencia hat geschrieben: Vas Rel Por!
Arencias Funke explodierte. Die Luft vor ihr riss auf, nicht zu einem sauberen Tor, sondern zu einem chaotischen, zerreißenden Schlund. Ein instabiles Portal nach Despise, dessen Ränder wie gezackte Wunden im Gewebe der Realität bluteten. Doch es blieb nicht an Ort und Stelle. Wie ein Raubtier stürzte der Vortex nach vorne, direkt auf die angreifenden Drow zu.Mytraxor hat geschrieben: ORT POR GRAV!
Tath’raen, Sarkul, Xurina und selbst die Priesterin Xael’vryna hatten keine Zeit zu reagieren. Der Schlund raste auf sie zu, ein gnadenloser Sog, der alles mit sich riss. Ihre Waffen fielen klirrend zu Boden, als die Gravitationskraft des Portals sie erfasste. Sie stemmten sich mit aller Macht dagegen, ihre Körper wurden verzerrt, als hätte die Welt sie aus ihren Fugen gelöst. Für einen Augenblick sah man ihre verzweifelten Silhouetten – dann verschwanden sie, verschluckt von den Tiefen Despise.
Der Rückstoß der entfesselten Magie traf Arencia wie ein zweiter, unsichtbarer Hieb. Ein lautes, splitterndes Geräusch durchfuhr ihren Körper. Ihr Brustkorb barst, die Rippen zerfielen zu Staub. Ihre Beinknochen gaben unter der Belastung nach und sie sank in sich zusammen, nur noch ein Haufen zerbrochener Knochen, der von der flackernden, violetten Aura Mytraxors zusammengehalten wurde.
Mit einem Geräusch wie ein letzter, erstickter Atemzug kollabierte das Portal.
Die Krypta war still. Die Angreifer waren verschwunden. Nur Jhea'kryna stand noch da, geschützt durch einen schimmernden Schild, ihr Gesicht eine Maske aus verärgertem Erstaunen. Sie blickte auf die Überreste von Arencia, die kaum mehr als ein Haufen Knochenstaub und ein wild pulsierender Kristall waren.
Sie waren allein.
Die Stille in der Krypta war absolut. Jhea'kryna stand reglos da, ihr Schild verblasste langsam und enthüllte ein Gesicht, auf dem sich Erstaunen mit einem Anflug von Respekt mischte. Vor ihr lag nur noch ein Häufchen Knochenstaub, zusammengehalten von einer schwach pulsierenden, violetten Aura, und in dessen Mitte der Kristall. Der Preis, den sie begehrt hatte.
Doch in diesem Moment, in der Stille zwischen den Herzschlägen, existierte die Krypta für Arencia nicht mehr. Ihr Bewusstsein war ein letzter, flackernder Funke in einer unendlichen, schwarzen Leere. Hier gab es keine Zeit, keinen Schmerz, nur das verblassende Echo dessen, was sie gewesen war. Und eine andere Präsenz. Gewaltig, uralt und nun von einer seltsamen, ruhigen Dringlichkeit erfüllt.
Die Stimme war kein Befehl und keine Warnung. Es war eine Feststellung, so unumstößlich wie das Verlöschen eines Sterns.Mytraxor hat geschrieben: Hör mir zu, Kind aus Staub. Es gibt keine Zeit mehr. Die Fäden, die dich halten, sind gerissen. Mein Geist kann deine Asche nicht ewig binden. Du stirbst. Endgültig.
Ihre Antwort war kaum ein Gedanke, ein letzter Hauch von Bewusstsein.Arencia hat geschrieben: Ich... ich weiß.
Eine Pause, die eine Ewigkeit dauerte.Mytraxor hat geschrieben: Und ich mit dir. Unsere Seelen sind verwoben. Wenn du fällst, sinke auch ich ins Vergessen. Jhea'kryna hat uns beide verurteilt. Doch sie irrt – sie wähnt uns gebrochen, und doch sind wir noch hier.
In Arencias verblassendem Geist flackerte ein letztes Bild auf: das Gesicht von Felyndiira, das Lächeln von Belgos, der Verrat von Jhea'kryna. Alles, was sie je geliebt und alles, was sie je gehasst hatte.Mytraxor hat geschrieben: Es gibt einen Weg. Einen letzten, schrecklichen Weg. Gib dich auf. Gib mir deinen Schmerz, deine Erinnerungen, den Verrat, den du erlitten hast. Ich werde mich aufgeben. Ich werde dir meine Wut, mein Feuer, mein uraltes Sein geben. Arencia wird enden. Mytraxor wird vergehen. Aber aus unserer Asche… kann etwas Neues erwachsen. Etwas, das stark genug ist, um sie alle zu richten.
Arencia hat geschrieben: Eins werden... Um es zu beenden?
Es gab kein Zögern. Was hatte sie noch zu verlieren? Ihre Leere? Ihren Schmerz? Ihre zerbrochenen Knochen?Mytraxor hat geschrieben: Um alles zu beenden. Es ist unsere einzige Chance. Bist du bereit, ein letztes Mal zu sterben, um wirklich zu kämpfen?
Die Worte hallten nicht nur in der Leere, sondern zugleich in die Krypta selbst – zwei Stimmen, die sich überlagerten, verschmolzen, als hätte die Zusammenführung der Seelen bereits begonnen.Arencia & Mytraxor hat geschrieben: …Wie du willst!
Zurück in der Krypta sah Jhea'kryna, wie der Kristall auf dem Boden plötzlich aufhörte, wild zu pulsieren. Stattdessen begann er, ein intensives, stetiges Licht auszustrahlen. Der Knochenstaub um ihn herum regte sich, wurde von dem Licht angezogen und begann, langsam auf den Kristall zuzuströmen, als würde eine unsichtbare Hand die Überreste einer zerbrochenen Figur wieder zusammensetzen.
Jhea'kryna beobachtete das Schauspiel mit einer Mischung aus Gier und kalter, studierender Neugier. Der Knochenstaub, jedes einzelne Partikel von Arencias zerschmetterter Existenz, wurde vom Licht des Kristalls aufgesogen. Die violette Aura verdichtete sich, wirbelte um den leuchtenden Kern und begann, Form anzunehmen. Es war keine Wiederherstellung. Es war eine Neuschöpfung.
Zuerst formten sich Knochen, aber nicht die eines Skeletts. Es waren gewaltige, monströse Knochen, schwarz wie Obsidian, die sich zu einem riesigen Rückgrat zusammenfügten. Sehnen aus reiner Schattenmagie schossen hervor und verbanden die Glieder, während der Knochenstaub sich wie eine zweite Haut darüberlegte und zu etwas Neuem verhärtete.
Die Gestalt, die sich aus dem Licht schälte, war die eines Drachen. Doch es war ein Zerrbild, ein Albtraum, geformt aus Schmerz und uraltem Zorn. Teile seines Körpers waren mit schimmernden, kristallinen Schuppen bedeckt, die das Licht wie ein zerbrochener Spiegel reflektierten. An anderen Stellen fehlte die Haut gänzlich und legte die verkohlte, knöcherne Struktur darunter frei, als wäre er mitten in einem unheiligen Feuer geschmiedet worden. Ein Flügel war perfekt, eine gewaltige Membran aus reiner Dunkelheit, durchzogen von leuchtenden, violetten Adern. Der andere war ein zerfetztes, knöchernes Gerippe, dessen zerrissene Haut nur noch in Fetzen herabhing. Sein Schädel war ein entstelltes Drachenhaupt, zerborsten und wieder zusammengefügt, von Rissen durchzogen, in denen violettes Feuer loderte. Und wo Augen sein sollten, glommen violette Flammen, die sich zu einem einzigen, grausamen Blick verdichteten.
Die Kreatur hob den Kopf und stieß einen Schrei aus. Es war ein dissonanter, schrecklicher Klang – das Brüllen eines Drachen, überlagert vom qualvollen Schreien einer verlorenen Seele. Es war die Stimme von etwas, das weder Arencia noch Mytraxor war, sondern das Echo von beiden.
Wo Augen hätten sein sollen, glommen violette Flammen, die sich zu einem einzigen, grausamen Blick verdichteten. Ein Laut, der an Lachen erinnerte – scharf, trocken, wie Steine, die aneinander rieben – durchzog die Krypta, bevor die doppelte Stimme sprach.
Ohne Jhea'kryna eines weiteren Blickes zu würdigen, breitete die Kreatur ihre ungleichen Flügel aus. Mit einem einzigen, gewaltigen Schlag, der die Grundfesten der Krypta erschütterte, schoss sie nach oben. Die uralte Steindecke barst wie Glas unter der unbändigen Kraft. Felsbrocken und Erde regneten herab, als der untote Drache durch das Loch in den vom Kampf gezeichneten Himmel über Yew stieg.Die Aschekreatur hat geschrieben: Du wolltest eine Waffe, Ilharess. Du hast eine bekommen.
Doch wisse: Ich bin kein Erbe. Kein Anfang. Ich bin nur ein Ende.
Mein Sein brennt nur einen Augenblick – genug, um dein Reich in Flammen zu legen und deinen Namen auszulöschen.
Wenn der letzte Hauch meiner Asche verweht, werde ich vergehen. Doch dein Name wird mit mir sterben.
Sein hohles, triumphierendes Lachen hallte auf die Ilharess in der Dunkelheit hinab – getragen von der absoluten Gewissheit, dass er nur eine kurze Zeit existieren würde, doch diese Zeit würde genügen, um sie zu vernichten.