In der Akademie der Dunklen Küste zu Minnersbach wehte der Wind durch steinerne Korridore. Hier, wo Novizen und Aspiranten die dunklen Künste studierten, saß einst ein ganz besonderer Aspirant: Shezar – wissbegierig, schweigsam, mit einem Blick, der nie lange auf dem Offensichtlichen verweilte. Anders als seine Kommilitonen, die sich in Theorien über das Arkana verloren oder sich mit eitler Arroganz in den Hallen der Akademie sonnten, hatte Shezar einen Hunger, der tiefer ging. Nicht nur nach Wissen. Nach Kontrolle. Nach Einfluss. Nach Macht.
Noch während seiner frühen Studienjahre suchte Shezar nach Wegen, sein spärliches Stipendium aufzubessern. Ein Lehrer vermittelte ihn – eher beiläufig – an einen Händler in der Stadt. Der Mann trug einen dunklen Siegelring am Finger, sein Name wurde nie genannt. Das erste war ein einfacher Botengang. Der Lohn dafür: ungewöhnlich hoch. Die Reaktion auf seine Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit war knappe Anerkennung – und bescherte ihm weitere Aufträge. Bald darauf waren es nicht nur Botengänge. Er beschattete Personen und sammelte Informationen aus Tavernen.

Shezar war nicht nur ein fähiger Aspirant an der Akademie der dunklen Künste – er war auch ein scharfsinniger Beobachter. Methodisch. Er sah Muster, wo für andere nur Zufall war. Und so erkannte er langsam, fast beiläufig, dass hinter den zahlreichen Aufträgen, die ihn durch Städte, Festungen und geheime Archive führten, mehr steckte als einfache Botendienste oder Informationsbeschaffung. Es steckte ein System dahinter, das ihn aufmerksam werden ließ. Er kombinierte: Die Namen änderten sich, aber die Form der Übergaben blieb gleich. Die Wege führten ihn in Adelsgemächer, hinter die geschlossenen Türen von Gilden, bis in Türme, die sonst nur den Ratsmagiern offenstanden. Und immer erwartete man ihn. Nie musste er sich erklären. Nie wurde gefragt, wer ihn geschickt hatte – denn sie wussten es bereits. Einmal erinnerte er sich, einen Auftraggeber dabei beobachtet zu haben, wie dieser unauffällig einen Ring abnahm: ein dunkler Stein, eingeschlossen in ein schweres Metall, auf dessen Oberfläche nur ein einfaches, graviertes „B“ prangte. Die Farbe war tief, fast schwarz mit grünem Schimmer. Blackrock. Ein Ring, wie ihn auch sein ertser Auftraggeber trug. Er begegnete dem Ring öfter. Nicht offen getragen, aber stets präsent. Bei anderen Auftraggebern. Bei Mittelsmännern. Selbst ein Hofschreiber hatte ihn einst unvorsichtig auf dem Tisch liegen lassen. Später, in einer Taverne am äußeren Ring von Britain, belauschte Shezar ein Gespräch. Zwei Männer, leise, nervös. Einer flüsterte: „…die Händler vom Blackrocksyndikat… ich glaube, sie beobachten mich. Vielleicht haben sie mich längst auf der Liste.“ Der andere hatte nur genickt – wortlos, wissend. Shezar verstand noch nicht alles. Aber er wusste, dass er sehr dicht dran war - und ohne es zu merken, war er längst Teil davon geworden.

Mit den Jahren an der Akademie übernahm Shezar zunehmend Aufgaben, die weit außerhalb der Unterrichtsräume lagen. Während andere Aspiranten und Novizen nach dem Unterricht in die Stadt strömten, sich in Tavernen zerstreuten oder ihren Stolz in nutzlosen Debatten zur Schau stellten, zog er es vor, in den Schatten der Verwaltung zu agieren. Er nahm sich jener Pflichten an, für die sich sonst niemand meldete – stille, unscheinbare Arbeiten, die kaum Ruhm versprachen, aber Einfluss bedeuteten. Shezar erkannte früh, dass wahre Macht nicht dort lag, wo sie laut verkündet wurde – sondern dort, wo sie niemand vermutete. So wurde er mit der Verwaltung der Kräuter- und Tränkekammer betraut, ein schlichter Posten auf dem Papier, doch in Wahrheit das logistische Rückgrat des Unterrichts. Shezar sorgte dafür, dass jeder Trank und jedes Gewächs in einer ausreichenden Zahl zur Verfügung stand. Sein stiller Dienst brachte ihm Vertrauen – nicht unter den Schülern, sondern bei der Leitung. Mit kühler Höflichkeit und präziser Zurückhaltung verschaffte sich Shezar durch die Aufgabe Zugänge innerhalb der Akademie, Einblicke in Arbeitsabläufe – und Spielräume in den Beschaffungsvorgängen. Als der richtige Moment gekommen war, nutzte Shezar all das zu seinem Vorteil. Diskret schlug er vor, den in die Jahre gekommenen Liefervertrag mit einem lokalen Händler aus Minenrsbach zu überdenken. Dieser war alt und lieferte immer unregelmäßiger. Stattdessen, so empfahl er, solle ein neuer, Händler den Zuschlag erhalten – jemand, mit dem er bereits in Verbindung stand. Die Akademieleitung, beeindruckt von Shezars Organisationstalent und dankbar für seine weitsichtige Initiative, stimmte zu. So gelang es Shezar, einem Vertreter des Blackrocksyndikats offiziell Zugang zur Akademie zu verschaffen – als neuer Hauptlieferant für alchemische Rohstoffe und seltene Ingredienzien. Was wie ein kluger Vorschlag wirkte, war in Wahrheit schon längst geplant und abgesprochen. Für Shezar war es nur ein weiterer Auftrag, der ihm viel Gold einbrachte und noch mehr. Denn am Abend fand er ein kleines, unscheinbares Päckchen auf seinem Arbeitstisch in der hintersten Kammer des Tranklagers. Kein Bote hatte es gebracht aber sein Name stand darauf. Shezar öffnete es mit ruhiger Hand. Darin: ein Siegelring aus dunklem Eisen, schwer, matt schimmernd. Auf der Oberfläche prangte – fein graviert – der Buchstabe B.

Das Blackrocksyndikat war bekannt dafür, lohnende Dienste nicht zu vergessen. Es belohnte nicht mit Lob, sondern mit Gold und Möglichkeiten – diskret, berechnend, konsequent. Wer für das Syndikat nützlich war, wurde beobachtet und geprüft. Man bewarb sich nicht beim Syndikat. Man wurde ausgewählt. Und wenn man sich über längere Zeit als zuverlässig, fähig und diskret erwies, wurde man langsam näher an das Syndikat herangeführt. Für jene, die als würdig galten, kam irgendwann der Moment, in dem man es wusste – ohne dass jemand sprach. Eines Nachts, vielleicht an einem unscheinbaren Ort, fand man einen schwarzen Samtbeutel. Darin: ein schlichter Siegelring aus dunklem Eisen, schwer und kühl. Das Zeichen des Syndikats war eingraviert, kaum sichtbar im Licht – und doch unverkennbar. Beigefügt ein Kärtchen, von Hand beschriftet, mit wenigen Worten:
- Non gladius regit, sed faber eius -*
So belohnte Blackrock. Mit Zugehörigkeit. Und Shezar gehörte jetzt dazu.
Die Jahre vergingen, und Shezar wandelte sich – nicht nur in Rang, sondern im Wesen. Die Gänge der Akademie, einst Schauplatz seines frühen Ehrgeizes, ließ er schließlich hinter sich. Er unterbrach seine Studien offiziell, um sich als Nekromant seinen "eigenen Forschungen" zu widmen. In Wahrheit aber war er längst tiefer in die Strukturen des Syndikats eingetaucht. Nach seiner Aufnahme hatte man ihn zunächst weiter geprüft. Man hatte ihm kleine Aufträge zugeteilt – das Beschaffen von Informationen, das Aufspüren von Personen, das Beobachten von Aktivitäten. Er erledigte jeden dieser Aufträge mit jener kalten Präzision, die ihn bereits im Studium ausgezeichnet hatte. So wurden seine Dienste für das Syndikat immer wichtiger. Mit der Zeit wurde Shezar zum internen Verantwortlichen des gesamten Bereichs der Informationsbeschaffung. Er führte Netzwerke von Agenten, führte ihre Berichte zusammen, entlarvte Lügen, filterte Relevantes von Gerüchten und belieferte die Vorsitzenden des Syndikats mit analysierten Berichten – stets nüchtern, stets treffend. Seine Methoden waren diskret, manchmal grausam, aber immer effektiv. Niemand wusste genau, wie viele Ohren und Augen Shezar unter sich versammelt hatte. Manche Agenten wussten nicht einmal, dass sie für ihn arbeiteten. Das war Teil seines Talents – und seines Einflusses.
Während er aufstieg, begannen andernorts die Strukturen zu bröckeln. Die Kriege zwischen Licht und Schatten – einst ein lodernder Sturm – verglühten langsam, nicht durch Einigung, sondern aus Erschöpfung. Zu viele Tote. Zu viel verbranntes Land. Die Nachfrage nach Waffen, Ausrüstung versiegte, und mit ihr das Fundament, auf dem das Blackrocksyndikat gewachsen war. Immer weniger Gold floss in die Kassen des Syndikats. Wahlen konnten nicht mehr beeinflusst, Informanten nicht mehr entlohnt, Vorteile nicht mehr erkauft werden. Der Einfluss auf Märkte, Adelshäuser und der Verwaltung schwand – leise, aber unaufhaltsam. Der Grund war so simpel wie bitter: Die alte Führung hatte sich nicht anpassen können. Sie ruhte auf längst verblassten Erfolgen, lehnte jeden Wandel ab, klammerte sich an Strukturen, die längst von der Zeit überholt worden waren.

So kam es, wie es kommen musste. Der Vorsitzende, nur noch ein Schatten vergangener Stärke, fiel einer inneren Intrige zum Opfer – nicht aus Gier, sondern aus Notwendigkeit. Doch obwohl sein Platz nun leer war, wagte kaum jemand, ihn einzunehmen. Denn mit Macht kam Verantwortung. Und mit Verantwortung kam Gefahr. Ohne Führung verfiel das Syndikat in Trägheit. Entscheidungen blieben aus, Kontakte versickerten, alte Netzwerke zerfielen. Einige warfen ihre Siegelringe fort, andere verschwanden spurlos – wie von der eigenen Geschichte verschluckt.
Doch Shezar blieb – und erkannte die Möglichkeiten. Fest entschlossen, das Syndikat wieder aufzubauen und zu seiner alten Macht zu führen. Doch dafür brauchte es mehr als nur Willen: Es brauchte neue Mitglieder. Und Shezar wusste genau, an wen er sich wenden musste.

*Nicht das Schwert herrscht, sondern der, der es schmiedet.