Die Rückkehr der Klingentänzer

Hintergrundgeschichten und Storylines eurer Charaktere. Beiträge in diesem Forum dürfen nicht als Allgemeinwissen behandelt werden.
Antworten
Rianon
Beiträge: 32
Registriert: 14 Mai 2025, 16:45
Kontaktdaten:

Die Rückkehr der Klingentänzer

Beitrag von Rianon »

Diese Geschichte ist ein Ergebnis/die Fortsetzung von Im Netz der Göttin auch als CSI: Yew bekannt. Hier der entsprechende Forenbeitrag: viewtopic.php?t=340
Der Wald atmete. Es war dieser stille, fast unhürbare Atem, den nur jemand wahrnehmen konnte, der lange genug zwischen diesen uralten Bäumen gelebt hatte. Rianon ging langsam, bedacht, mit einem gleichmäßigen Schritt, der kaum Laub aufwirbelte. Die Sonne warf goldene Scherben durch das dichte Blätterdach des Yew-Waldes, und irgendwo fern zwitscherte ein einzelner Vogel; ein Klang wie eine Erinnerung. Der Tag war ruhig. Zu ruhig. Und das nagte an ihm.

Seit sie, Lirael, Yaranel und er, die entführten Bauern aus den Klauen der Drow befreit hatten, lastete etwas auf seiner Brust. Es war kein Schmerz. Es war Verantwortung. Die Drow waren fort, ja. Doch ihr Erscheinen war kein Zufall, kein verirrter Ausbruch der Dunkelheit. Es war ein Zeichen. Ein Riss im Schutz des Waldes. Und das ließ ihn nicht los. "Der Yew-Wald ist nicht mehr unantastbar," murmelte er vor sich hin, während seine Finger sanft über die Rinde eines Baumes glitten, so als wolle er Trost spenden oder suchen.
Er blieb stehen. Blickte hinauf. Die Äste tanzten im Wind, flüsterten Geschichten, und eine davon erinnerte ihn an eine längst vergessene Erzählung. Eine alte Stimme, in einem der Lichtkreise der Sala, hatte einst vom Orden der *Klingentänzer* gesprochen - Elfenkrieger, die mit Licht und Stahl kämpften, nicht nur mit dem Schwert, sondern mit Ehre, Magie und uraltem Wissen. Wächter der Grenzen. Verteidiger von Leben, nicht Eroberer. Rianon hatte nie einen solchen Krieger gesehen. Vielleicht gab es sie wirklich nur in Legenden. Vielleicht waren sie nie mehr als ein idealisiertes Abbild dessen, was Elfen sein wollten. Und doch - in diesem Moment, allein zwischen Wurzeln und Schatten - erschien es ihm möglich. Nicht nur möglich, sondern notwendig.

Warum sollte es keinen neuen Klingentänzer geben?

Er legte eine Hand auf die Brust, spürte den leisen Schlag seines Herzens. Nein, es war nicht Ruhm, was ihn rief. Es war eine Sehnsucht. Der Wunsch, den Wald nicht nur zu lieben, sondern zu beschützen. Nicht als Rächer. Nicht als Mörder. Sondern als Hüter. "Ein Klingentänzer...?," flüsterte er, fast schamhaft. Es klang zu groß für seine Lippen. Doch in seinem Inneren keimte der Gedanke wie eine junge Eiche. Und dann dachte er an Lirael. Wie sie durch das Unterholz geschritten war - sicher, aufmerksam, verwurzelt. Wie ihre Augen gefunkelt hatten, wenn sie sprach - nicht über Kriege, sondern über Federn, Bögen, Pflanzen. Es war die gleiche Liebe, die ihn bewegte. Nur dass sie einen anderen Klang hatte. Vielleicht ... vielleicht würde sie es verstehen. Er musste sie suchen und sie nach ihrer Meinung fragen.

Ein leiser Windzug strich durch die Äste. Rianon sah ihm nach, als würde er ihm ein Zeichen bringen. Dann setzte er sich wieder in Bewegung - leise, fast lautlos. Nur der eine Vogel zwitscherte. Diesmal war jeder Schritt mehr als bloß eine Bewegung. Ein stiller Beginn.
Bild
Rianon
Beiträge: 32
Registriert: 14 Mai 2025, 16:45
Kontaktdaten:

Re: Die Rückkehr der Klingentänzer

Beitrag von Rianon »

Der Abend war mild, aber ein kühler Hauch hatte sich unter das Licht der untergehenden Sonne gemischt. Vor der Taverne lag der Hof still, als hätte selbst der Boden den Atem angehalten. Nur das Schnauben der Pferde und das ferne Knarren der Äste füllten den Raum zwischen den beiden. Lirael stand schon bei ihrem Pferd, die Zügel locker in der Hand, als Rianon einen Schritt auf sie zumachte. Für einen Moment schien er nach den richtigen Worten zu suchen. Dann legte er die Stirn leicht in Falten, als müsste er sie gegen seine Gedanken abschirmen. „Lirael…“ Er sprach leise, fast so, als wolle er das Wort selbst nicht stören. „Darf ich dir noch etwas sagen?“ Sie wandte sich ihm zu. Ihre Augen – wachsamer als zuvor – musterten ihn ruhig. Nicht ablehnend. Wartend. „Seit den Drow… seit dem, was geschehen ist, hab ich nachgedacht.“ Er zögerte. Der Wind strich durch die Baumkronen. „Es gibt Geschichten über einen alten Orden – die Klingentänzer. Du kennst sie vermutlich. Krieger, die nicht nur kämpfen, sondern wachen. Nicht aus Stolz. Aus Pflicht. Aus Liebe.“
Ein kurzer, fast flüchtiger Blick zu ihr. „Ich weiß, es klingt... groß. Vielleicht zu groß. Vielleicht ist es nur ein Märchen. Aber... ich frage mich, ob wir so etwas wieder brauchen. Nicht um Krieg zu führen. Sondern um etwas zu hüten, bevor es stirbt.“ Seine Stimme war ruhig, aber darin lag ein feiner Riss. Kein Zweifel – eher Scheu vor dem, was er da zu sagen wagte. „Ich weiß noch nicht, was das heißen würde. Oder ob ich das könnte. Ich bin kein Klingentänzer. Nicht mal annähernd. Aber vielleicht… könnte etwas entstehen. Etwas Neues.“
Lirael sagte zunächst nichts. Dann trat sie einen Schritt näher, legte ihre Hand auf seine – fest, aber nicht schwer. Ihre Finger waren warm von der Bewegung, vom Tag. Kein Wort kam über ihre Lippen. Nur ein Blick, durchdringend und ernst. Dann ließ sie seine Hand wieder los, schwang sich auf den Sattel und sah noch einmal zu ihm hinab. In ihren Augen lag kein Spott. Keine Ablehnung. Nur ein Nachdenken. Vielleicht auch ein Hauch Wehmut. „Ich muss gehen,“ sagte sie ruhig. Ein kurzer Nicken. Dann ein letzter Blick, und mit leichten Bewegungen setzte sich ihr Pferd in Bewegung. Bald schon verschwand sie zwischen den Bäumen.
Rianon blieb allein zurück. Er sah ihr lange nach, bis nur noch der Wind durch das hohe Gras flüsterte. Sie hatte nichts versprochen. Aber sie hatte auch nicht gelacht. Und das reichte ihm fürs Erste.
Er trat ein paar Schritte vom Weg, dorthin, wo der Wald begann. Eine Amsel rief aus dem Dickicht. Der Yew-Wald war still, aber nicht leblos. Etwas war in Bewegung geraten – nicht draußen. In ihm. Noch war er kein Klingentänzer. Aber der Gedanke war geboren.

Bild
Rianon
Beiträge: 32
Registriert: 14 Mai 2025, 16:45
Kontaktdaten:

Re: Die Rückkehr der Klingentänzer

Beitrag von Rianon »

Der Morgen lag schwer auf den Zweigen des Waldes von Yew, wie ein Versprechen und eine Warnung zugleich. Nebel schwebte träge über dem moosbedeckten Boden, und das leise Tropfen des Tauwassers von den Blättern war das Einzige, was zwischen den Stämmen zu hören war. Rianon bewegte sich langsam, beinahe lautlos, zwischen den uralten Wurzeln, sein Blick nachdenklich gesenkt. Die Drow waren besiegt, vorerst. Die Bauern gerettet. Und doch fühlte es sich nicht wie ein Sieg an. Denn in den Nächten flüsterte man von einer Katastrophe kosmischen Ausmaßes, die weitaus schlimmer sein wird, als die Drow. Der Sternfall. Alte Lieder hatten davon gesprochen. Und Rianon hatte zu viele dieser Lieder gehört, um sie als bloßen Aberglauben abzutun.
Seine Schritte führten ihn abseits der bekannten Pfade, dorthin, wo das Blätterdach so dicht war, dass kaum ein Sonnenstrahl den Boden berührte. Dort blieb er stehen. Etwas war anders. Ein Rascheln, sanft und doch eindeutig, wie ein geflüstertes Rufen. Nicht bedrohlich – eher ein Wispern voller Alter und Geduld. Er legte die Hand an den Stamm eines Baumes, schloss die Augen. Kein Wind. Und doch bewegten sich die Zweige, als ob sie etwas erzählen wollten. Rianon ließ sich führen, ging weiter, ohne nachzudenken. Der Wald atmete, und er atmete mit ihm.
Er fand sich bald auf einer Lichtung wieder, die ihm völlig unbekannt war. Ringsum wuchsen Farne, groß wie Schilde, und Moos bedeckte selbst die höchsten Wurzeln. In ihrer Mitte thronte ein einzelner Yewbaum – nicht der größte, den er je gesehen hatte, aber zweifellos einer der älteren. Seine Äste hingen schwer herab, und in ihren Schatten summte das Leben. Eichhörnchen huschten zwischen den Zweigen, und ein winziger Vogel mit kupferfarbenem Brustgefieder landete sachte auf Rianons Schulter. Er lächelte kaum merklich und ließ sich nieder.
Stunden vergingen. Rianon meditierte, den Rücken an den Stamm gelehnt, die Finger leicht im feuchten Gras. Er streichelte die Tiere, die ihn besuchten, hörte das leise Ticken eines Käfers an der Wurzel, den Herzschlag des Waldes, das unsichtbare Lied zwischen den Blättern. Und irgendwann geschah es. Kein Geräusch. Kein Licht. Nur ein Gefühl – tief, vibrierend. Die Zweige begannen zu „singen“. Keine Worte, keine Melodie, wie Elfen sie kannten. Doch Rianon spürte die Botschaft. Sie sprach durch das Herz, nicht durch das Ohr.

Bewahre. Bewahre, was wurzelt, bevor alles fällt.

Er öffnete langsam die Augen. Direkt vor ihm, zwischen zwei Wurzeln, kaum eine Handbreit groß, wuchs ein Setzling. Ein junger Yewbaum. Grün, zart, und dennoch voller Kraft. Rianon erschrak beinahe. Yewbäume trieben keine Setzlinge aus. Nicht so. Nicht hier. Nicht jetzt. Behutsam, als würde er ein schlafendes Kind betrachten, beugte er sich vor. Der kleine Baum war kein Geschenk. Er war eine Aufgabe. Vielleicht der erste seiner Art seit Jahrhunderten. Ein neues Lied. Eine neue Hoffnung. Rianon blieb lange still, die Fingerspitzen nahe der zarten Zweige, aber ohne sie zu berühren. Ich habe dich verstanden, dachte er. Ich werde dich schützen.
Der Wald musste verteidigt werden. Nicht mit Klingen allein. Sondern mit Erinnerung. Mit Wurzeln. Die Klingentänzer – die alten Geschichten hallten in seinem Geist wider. Krieger in Grün und Gold, Hüter und Heiler zugleich. Vielleicht war es Zeit, dass solche Hüter zurückkehrten. Er dachte an Lirael. An ihr wachsames Herz, das wie seines schlug, wenn es um den Wald ging. Vielleicht würde sie auch den Ruf hören.

Ein leises Knacken ließ Rianon aufhorchen. Zwischen Farnen und Schatten stand eine Rehkuh. Ihr Fell schimmerte wie Bernstein im gefilterten Licht, ihre großen Augen ruhten neugierig auf dem kleinen Yew-Setzling. Ihr Atem stieg weiß in der kühlen Morgenluft auf. Sie trat einen Schritt näher, schnupperte. Rianon hob langsam die Hand, seine Stimme kaum mehr als ein Hauch: „Nicht dieses Grün, Schwester des Waldes. Es trägt mehr als Geschmack.“ Die Rehkuh hielt inne, sah ihn an. Noch ein Schritt. Rianon schloss die Augen, ließ seinen Herzschlag ruhiger werden, bis er im Takt der Umgebung floss. Worte waren oft zu viel. Es war die Absicht, die zählte. Langsam, bedacht, erhob er sich, machte einen Schritt zwischen das Tier und den Setzling. „Dies ist kein Blatt wie andere. Er ist Lied und Beginn. Lass ihn stehen.“ Ein Windzug zog durch die Lichtung, kaum merklich, und die Rehkuh blinzelte. Dann, ohne Hast, drehte sie sich ab, verschwand lautlos im Dickicht, als sei sie nie dort gewesen. Rianon atmete aus. Tiefer, als er es erwartet hatte. Dann wandte er sich wieder dem Setzling zu.
Tage vergingen – oder war es nur ein Tag, der sich wie mehrere anfühlte? Rianon verlor das Zeitgefühl, während er auf der Lichtung verweilte. Er schlief unter dem Yewbaum, aß nur, was der Wald ihm bot, sprach mit den Tieren, den Winden, den Zweigen. Kein Gedanke trug ihn fort von hier. Denn alles drehte sich um den einen Setzling. Wie bewahrt man ein Wesen, das nicht geschützt, sondern verstanden werden will? Er versuchte, mit den Spuren der alten Lieder Kontakt aufzunehmen. Erinnerte sich an Verse, die von Hütern sprachen, die mit Wurzeln sprachen wie andere mit Waffen. Aber sie waren vergangen. Gebrochen, verloren. Der junge Yewbaum aber – er sang weiter. Nicht lauter, nicht dringlicher. Immer gleich. Bewahre. Rianon fing an, kleine Zeichen um ihn herum in den Boden zu ritzen – keine Runen, sondern Muster, die dem Wuchs des Waldes entsprachen. Spiralen wie Astverläufe, Linien wie Wurzeladern. Er sprach nicht von einem Schwur. Er dachte nicht an Ehre. Nur an Nähe. An Würde. Doch die Antwort blieb aus. Oder war sie bereits da, in seiner Stille? Er fragte sich, ob der Wald ihn prüfen wollte. Oder ob der Baum selbst wählte. Und ob es etwas gab, das er tun konnte, um zu zeigen, dass er mehr wollte als einen Namen. Dass er bereit war, zu sein.
Noch verstand er es nicht. Noch war keine Lösung in Sicht. Aber Rianon wartete. Und lauschte.

Bild
Rianon
Beiträge: 32
Registriert: 14 Mai 2025, 16:45
Kontaktdaten:

Re: Die Rückkehr der Klingentänzer

Beitrag von Rianon »

Die Nacht war hereingebrochen, sanft wie das Rascheln von Laub im Wind. Über Yew spannte sich ein klarer Sternenhimmel, und der große alte Yewbaum stand still und ehrwürdig über dem kleinen Setzling zu seinen Wurzeln. Rianon kniete davor, die Kapuze über den Kopf gezogen, die Hände auf den Knien gefaltet. Vor ihm, fast unscheinbar zwischen Moos und weichem Waldboden, ragte der zarte Spross empor – grün, lebendig und doch von einer seltsamen, ehrfurchtgebietenden Präsenz umgeben. Seit Tagen kam er immer wieder hierher. Wachte bei Sonnenaufgang, meditierte bei Wind und Blättersang. Doch er hatte den Setzling noch nicht berührt. Etwas hielt ihn zurück – ein Gefühl, das stärker war als Furcht: Demut.
Mit geschlossenen Augen lauschte er den nächtlichen Lauten des Waldes. Das entfernte Rufen einer Eule, das Knistern des Windes in den Ästen über ihm. Und irgendwann – fast unmerklich – sanken seine Schultern. Die Müdigkeit eines langen Tages, die Schwere der Fragen in seinem Herzen, sie legten sich wie Moos auf seinen Geist. Er schlief ein – am Fuß des alten Baums, das Gesicht dem Himmel zugewandt.

Im Traum war der Wald stiller als sonst. Keine Geräusche, kein Wind – nur eine leuchtende Helligkeit, die von nirgendwo zu kommen schien und dennoch alles umgab. Rianon stand allein inmitten eines Waldes, der zugleich vertraut und seltsam verändert wirkte. Die Bäume waren riesenhafte Silhouetten, deren Wurzeln wie Adern über den Boden krochen. Der große Yewbaum stand in weiter Ferne, jedoch wirkte er zugleich nah, als könne man ihn mit einem Schritt erreichen. Plötzlich durchbrach ein Laut die Stille. Das Kreischen eines Adlers. Hoch oben zog er Kreise, majestätisch, die Schwingen weit ausgebreitet. Mit einem letzten Ruf stieß er herab – direkt auf Rianon zu. Doch kurz bevor er ihn erreichte, bremste er ab und landete auf einem Ast direkt über ihm. Sein Blick war alt. Der Adler sprach nicht mit Worten, doch Rianon verstand ihn trotzdem. Es war, als würde der Wind zwischen den Ästen zu ihm sprechen – als würde das Herz des Waldes selbst zu ihm flüstern: „Du zögerst, kleines Küken. Doch Würde liegt nicht im Mut, sondern in der Absicht. Der Baum ruft nicht die Reinen, sondern die Aufrichtigen.“ Rianon senkte den Blick, fühlte Scham in sich aufsteigen. „Wie kann ich mich würdig erweisen?“ fragte er in Gedanken. Der Adler streckte die Schwingen. Licht spielte auf seinen Federn – wie Nebel, der von Morgensonne durchdrungen wird. „Finde das Gleichgewicht. In dir. In allem, was lebt. Nähre, was schwach ist. Zügle, was wild wird. Und wenn du gibst, gib aus Verbundenheit – nicht aus Pflicht.“ Dann flog der Adler empor, und mit jedem Flügelschlag wurde das Licht heller. Der Wald verblasste, die Geräusche kehrten zurück – Rauschen, Wind, Blätter...

Rianon schreckte hoch. Die Morgendämmerung brach herein. Ein kühler Tau lag auf seinen Schultern. Der große Yewbaum stand über ihm, schweigend und still. Und zu seinen Füßen – der kleine Setzling. Eine einzelne Träne hing an einem seiner jungen Blätter, als hätte auch er geträumt. Rianon atmete tief durch. Er war noch nicht bereit, das wusste er. Aber nun wusste er auch: Das war in Ordnung. Mit ruhiger Geste zog er eine kleine Phiole aus seiner Tasche. Darin: Tau, gesammelt aus dem Gras des Morgens. Er öffnete sie, ließ ein paar Tropfen auf den Boden um den Setzling fallen und flüsterte: „Ich werde lernen, das Gleichgewicht zu finden.“ Dann setzte er sich erneut unter den Baum. Und wartete.

Bild
gelöschter Charakter_789
Beiträge: 3
Registriert: 01 Jun 2025, 10:01

Re: Die Rückkehr der Klingentänzer

Beitrag von gelöschter Charakter_789 »

Faeron Elun’thael

Nicht jeder Ruf kommt mit Klang. Manchmal geschieht es still.

Faeron hatte die Kunde vom Sternfall gehört – von den alten Liedern, die sich wie Nebel zwischen den Ästen hielten. Doch während andere mit Sorge nach oben blickten, spürte er, dass die Antwort nicht am Himmel lag – sondern im Boden.

Es war in jener Nacht, als das Blätterdach über Yew schwieg, als selbst die Winde innehielten. Faeron war allein, tief in einem Teil des Waldes, den nicht einmal die Ältesten der Elfen beim Namen nannten. Dort, unter den Wurzeln eines halb versteinerten Baumes, fand er ihn.

Der Boden hatte sich geöffnet wie eine schlafende Brust, und aus dem Zentrum – geboren aus Moos und Licht – wuchs ein einzelner Setzling. Nicht groß. Zart, kaum eine Hand hoch. Und doch vibrierte er mit einer Kraft, die Faeron schier überwältigte.

Er kniete nieder.

Nicht aus Neugier. Aus Respekt. Die Luft um ihn herum veränderte sich – dichter, klarer. Es war, als würde der ganze Wald schweigen, um Platz zu schaffen für diesen einen Moment. Faeron berührte den Boden, nicht den Setzling selbst. Sein Handrücken lag auf dem feuchten Laub, die Fingerspitzen im lockeren Humus. Und da war es: ein Puls.

Nicht wie ein Herzschlag. Eher wie das Ausatmen eines uralten Geistes.

Faeron schloss die Augen. Sah nichts. Doch spürte alles.

Der Setzling war kein Geschenk. Er war ein Prüfstein. Eine lebendige Linse, durch die das Gleichgewicht der Welt selbst zu ihm sprach. Er spürte es in den Adern des kleinen Baumes – wie Licht, das sich durch feine Wurzeln tastete. Der junge Yew war nicht nur Träger des Waldes. Er war Erinnerung. Und Vorbote.

Faeron wagte es schließlich, die Hand näherzubringen – bis auf wenige Fingerbreit. Und in diesem Abstand spürte er, wie sich der Setzling zu ihm neigte. Nicht sichtbar. Aber deutlich. Wie zwei Bewusstseine, die einander nicht kennen – und sich dennoch erkennen.

Er flüsterte:
„Du bist geboren aus dem Lied zwischen Licht und Schatten… und ich bin nur derjenige, der zuhört.“

Stunden vergingen. Faeron sprach kein weiteres Wort. Er untersuchte den Setzling nicht wie ein Forscher – sondern wie ein Sänger ein neues Lied. Die Form der Blätter, spiralförmig angeordnet wie die alten Runen. Der Stamm, von feinem Goldstaub überzogen, als hätte er in Sternen geschlafen. Und vor allem: das Muster des Wurzelbeginns – nicht chaotisch, sondern symmetrisch. Ausgewogen.
Wie das Gleichgewicht selbst.

Faeron verstand. Dies war nicht einfach ein Baum. Es war ein Knotenpunkt. Eine Manifestation der Kräfte, die das Sein verbanden: Wachstum und Ruhe, Leben und Rückzug, Licht und Tiefe.

Er wusste: Dieses Wesen hatte ihn gewählt, weil auch er im Gleichgewicht lebte – oder es zu leben suchte.

Nicht als Krieger. Nicht als Heiler. Sondern als Hüter.

Und so begann es.

Der Setzling blieb an Ort und Stelle. Und Faeron blieb bei ihm.

Er schlief unter ihm, wachte bei ihm, sammelte Tau, zeichnete Spiralen in den Boden, um die Harmonie zu ehren, die durch ihn sprach. In seinen Meditationen begann er zu singen – nicht laut, nicht mit Worten, sondern mit seiner Seele. Und manchmal antwortete der kleine Baum. Mit einem Hauch. Mit einer Regung. Mit einem Lichtschimmer, den niemand sonst sah.

Das Gleichgewicht war keine Theorie. Es war lebendig. Verwurzelt.
Und Faeron Elun’thael war sein Wächter geworden.
gelöschter Charakter_789
Beiträge: 3
Registriert: 01 Jun 2025, 10:01

Re: Die Rückkehr der Klingentänzer

Beitrag von gelöschter Charakter_789 »

Faeron Elun’thael – Der Ruf der Klingentänzer

Die Drow waren geschlagen, die Dunkelheit wich. Doch in Faeron blieb eine Unruhe, wie Raureif auf warmer Haut. Der Wald schwieg nicht. Nicht wirklich. Zwischen den Zweigen rauschte etwas, das älter war als jeder Sieg – ein stilles Beben in der Tiefe der Wurzeln.

Auch er hatte den Setzling empfangen. Nicht aus Menschenhand, nicht von einer Stimme. Der Wald selbst hatte ihn ihm überlassen – zwischen Schlaf und Schweigen, wie ein Lied ohne Worte. Faeron, Waldläufer und Liedträger, hatte sich in die Einsamkeit zurückgezogen. Tagelang saß er in Meditation, die Knie vom Moos umwoben, das Gesicht dem Himmel verborgen unter den dichten Kronen Yews.

Und dann – kam der Ruf.

Nicht mit Donner oder Feuer. Nur ein Flügelschlag in der Ferne. Hoch über den alten Bäumen zog ein Adler seine Kreise, schwer aus Licht und Schweigen. Faeron stand nicht auf. Er folgte mit dem Blick – und der Adler drehte erneut seine Bahn, tiefer, näher. Schließlich erhob sich Faeron. Nicht aus Eile. Aus Gewissheit.

Er folgte ihm.

Die Pfade führten tiefer als gewohnt. An Farnen vorbei, über schmale Rinnsale, durch Schleier aus Nebel und Zeit. Der Adler flog nicht davon. Er führte. Und Faeron – lauschte. Nicht auf Geräusche. Auf das, was blieb, wenn alles schwieg.

Als er die Lichtung erreichte, blieb er stehen. Versteckt hinter dichtem Farn blickte er auf die Szene, die sich vor ihm entfaltete wie ein lebendiges Gedicht: Rianon kniete vor einem kleinen, zarten Setzling. Der alte Yewbaum erhob sich über ihm wie ein Wächter. Und der Adler – er saß auf einem Ast über Rianon, still, gegenwärtig, leuchtend.

Faeron wagte nicht, sich zu nähern. Die Luft war von einer Stille erfüllt, die heilig war. Der Atem des Waldes stockte. Und er erkannte: Dies war nicht sein Augenblick. Und doch war er Teil davon.

Er wurde zum Zeugen.

Er sah, wie Rianons Herz sich öffnete, wie Demut aus jeder seiner Gesten sprach. Er sah den Dialog, der keiner Worte bedurfte – zwischen dem Hüter des Waldes und dem, der bereit war zu hören. Faeron blieb wie verwurzelt stehen, seine Hand auf der Rinde eines jungen Baumes. Und als der Adler schließlich emporstieg, sich einmal um die Lichtung drehte und seinen Blick auf Faeron richtete – verstand er.
Der Ruf galt nicht nur dem einen. Sondern allen, die bereit waren, nicht zu nehmen, sondern zu bewahren.
Später, als er zurückkehrte, fand er seinen eigenen Setzling unverändert – und doch wirkte er anders. Lebendiger. Wacher. Faeron kniete nieder, legte die Fingerspitzen in den Boden daneben, atmete tief durch und schloss die Augen.

Keine Vision. Kein Licht. Nur Stille. Aber in dieser Stille sang etwas.

Ein Vers vielleicht. Ein Anfang. Und Faeron wusste:
Er war nicht allein.
Er war nicht bereit.
Und doch war er genau dort, wo er sein sollte.
Dateianhänge
Faeron und Rao'râ im Zwielicht.png
Faeron und Rao'râ im Zwielicht.png (1.75 MiB) 246 mal betrachtet
gelöschter Charakter_789
Beiträge: 3
Registriert: 01 Jun 2025, 10:01

Re: Die Rückkehr der Klingentänzer

Beitrag von gelöschter Charakter_789 »

Alles nur ein Traum?

Nachdem Faeron Zeuge geworden war, wie sich Rianons Herz dem Adler öffnete und dieser sich zu ihm niederließ, fuhr er plötzlich aus der Meditation hoch – zurück vor seinem eigenen Setzling.

Noch benommen blickte er auf das kleine Gewächs. Hatten sich die Wurzeln verändert? Waren sie kräftiger, tiefer? Oder war es nur ein Nachklang der Träume, die ihn in den letzten Tagen durchzogen hatten?

Nein – er hatte es nicht gesehen. Nicht mit Augen.
Was er erlebt hatte, war keine Vision, sondern ein Echo.
Ein Gefühl, getragen vom uralten Netz des Waldes.
Magie. Verbindung. Gleichgewicht.
Begegnung_Faeron_Rianon.png
Begegnung_Faeron_Rianon.png (1.72 MiB) 224 mal betrachtet
Rianon
Beiträge: 32
Registriert: 14 Mai 2025, 16:45
Kontaktdaten:

Re: Die Rückkehr der Klingentänzer

Beitrag von Rianon »

Die Dämmerung legte silbernen Tau auf die Nadeln des uralten Yew-Baums. Rianon kniete reglos im Wurzelschatten, der Setzling vor ihm, in einem Nest aus Moos gebettet. Der junge Elf hatte sich an diesem Abend bewusst auf eine Trance vorbereitet: mit Salben aus Farn und Bitterwurzel, einem gesungenen Mantra in der alten Sprache und der meditativen Konzentration eines Hüters des Waldes. Seine Lider senkten sich. Sein Atem wurde langsam, tiefer – bis das Rauschen der Wälder verstummte. Stille.
Dann Flügelschläge. Ein leuchtendes Grollen durchdrang die Schatten seines Bewusstseins, und aus dem Nebel des Traumes stieg der riesige Adler herab. Glühend wie Morgenlicht auf alten Runen breitete er seine Schwingen aus, jede Feder durchzogen von Lichtadern wie Wurzeladern alter Magie. Seine goldenen Augen durchbohrten Rianons innerstes Wesen. „Du kommst erneut, Küken.“ Die Stimme war nicht laut, sondern tief in seinem Geist vernehmbar – wie das Knistern uralter Rinde. „Ich... habe mich vorbereitet. Ich will verstehen, was ihr mir zeigt,“ flüsterte Rianon, und in seinem Innern zitterte der Respekt, den man nur einem wahrhaft alten Wesen entgegenbringt. Der Adler schnaubte wie Wind durch hohe Äste. „Viele sehen den Baum. Wenige erkennen den Geist darin.“ Er senkte den Kopf.
„Du sprichst von dem Setzling?“ fragte Rianon. „Dem jungen Yewbaum?“ „Nein,“ erwiderte der Adler. „Ich bin es, Küken. Ich bin der, den du retten sollst.“ Rianons Herz setzte einen Schlag lang aus. „Ich… dich? Aber du bist doch...“ „Ich bin einer der Ahnengeister dieses Waldes. Seit Jahrhunderten ruhe ich in diesem Baum. Einst war ich Wächter, Verbinder der Seelenlinien zwischen Tier, Blatt und Licht. In diesem Yewbaum fand ich meinen Schlaf. Doch die Ereignisse, die die Welt bewegen, bedrohen mein Licht. Und wenn ich gehe, stirbt ein Teil der alten Ordnung.“ Der riesige Kopf neigte sich näher. „Du hast das Potenzial, mich zu tragen. Nicht als Baum, sondern als lebendige Brücke zwischen den Welten. Doch ich werde den großen Yew nicht verlassen, nur weil ein Küken flattert. Zeige mir, dass du fliegen kannst.“ „Wie?“ fragte Rianon.
Die Schwingen des Geistes rauschten auf, wirbelten goldene Blätter durch die Luft seines Traumes. „Das Vertrauen eines Jägers, das Lied einer Heilerin, und die Träne eines Wesens, das du verschont hast.“ „Und dann?“ „Dann, vielleicht, wirst du nicht mehr nur Küken sein.“ Mit einem letzten Schrei, der in Rianons Geist vibrierte wie ein Hall aus ältester Zeit, löste sich der Adler auf in Licht und Rauch.
Als Rianon erwachte, lag Tau auf seiner Stirn – und der Setzling neben ihm schien, für einen Wimpernschlag, geglüht zu haben.

Bild
gelöschter Charakter_525
Beiträge: 18
Registriert: 07 Mai 2025, 09:48

Re: Die Rückkehr der Klingentänzer

Beitrag von gelöschter Charakter_525 »

Schatten über den Feldern
Die Sonne stand tief, als Lirael sich über die sanften Hügel der Felder beugte. Der Wind strich kühl durch das hohe Gras und trug den schwachen Geruch von Asche und Angst heran. Noch war nichts zu sehen – keine Spuren, kein Blut, kein Laut. Und doch wusste sie, dass hier etwas nicht stimmte.
Sie war gemeinsam mit Rianon unterwegs. Eine Reihe von Bauern war verschwunden, entführt, vermutlich von Dunkelelfen. Die Spuren führten gen Osten, aber es war nicht die Jagd, die Liraels Gedanken beschäftigte. Es war das, was Rianon zuvor gesagt hatte.
„Die Zeichen mehren sich“, hatte er gemeint, während sie am Rand eines kleinen Hains rasteten. „Die Wälder verändern sich. Die Tiere sind unruhig, das Gleichgewicht kippt.“
Seine Worte hallten in ihr nach – wie ein längst vergessener Traum, den man nicht ganz fassen kann. Und plötzlich erinnerte sie sich: Bareti hatte Ähnliches erwähnt. Damals, zwischen einem Kelch Most und dem Feuer vor der Taverne, in einem jener Gespräche, die so harmlos beginnen und tief unter die Haut dringen. Es war mehr als ein Zufall.
Lirael warf Rianon einen Seitenblick zu. Wie selbstverständlich bewegte er sich durch das Gelände, fast lautlos, aufmerksam. Sie hatte ihn in der Taverne kennengelernt, bei einem Treffen mit Elessar. Damals war sie sich nicht sicher gewesen, was sie von ihm halten sollte – so ruhig, so kontrolliert, mit einer Tiefe in den Augen, die ihr fremd war. Doch mit der Zeit, durch Begegnungen im Wald und geteilte Gespräche, hatte sich etwas verändert. Sie mochte ihn. Sehr sogar. Mehr, als sie sich selbst eingestehen wollte.
In einem ihrer letzten Gespräche hatte Rianon von den Klingentänzern gesprochen. Alte Krieger, Wächter der Elfen, die in Zeiten größter Not erschienen. Er glaubte, dass sie zurückkehren müssten. Dass sie gebraucht würden, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Und er hatte sie gefragt, ob sie ihn begleiten würde – auf der Suche nach diesen verschollenen Kriegern.
Sie hatte genickt, vage, abgelenkt – doch innerlich hallten seine Worte nach. Noch lange, nachdem sie sich verabschiedet hatten, saß sie allein unter einem knorrigen Baum, die Knie an die Brust gezogen, und starrte in die Nacht.

Flüstern der Erinnerung
Die folgenden Tage verbrachte Lirael allein im Wald. Sie streifte durch dichte Haine, sammelte Kräuter, beobachtete Vögel. Aber ihre Gedanken ließen sich nicht vertreiben. Immer wieder kehrten sie zurück zu den Geschichten der Klingentänzer – nicht nur zu Rianons Worten, sondern auch zu jenen aus ihrer Kindheit.
In den Erzählungen ihrer Mutter – oder war es eine Tante gewesen? – waren die Klingentänzer keine Krieger im herkömmlichen Sinn. Sie waren Bewahrer. Elfen, die in inniger Verbundenheit mit Yew und den Geistern des Waldes lebten, die ihre Kraft nicht aus dem Wunsch zu siegen, sondern aus dem Streben nach Harmonie schöpften. Ihre Schwerter dienten dem Schutz, nicht dem Zorn. Ihr Herz dem Leben, nicht dem Ruhm.
Auf ihren Wanderungen erinnerte sie sich an eine ganz bestimmte Begegnung: Jahre war es her, fernab von Yew, irgendwo tief im Grenzland, hatte sie einen alten Waldläufer getroffen. Er war wortkarg gewesen, aber weise. Sie hatten einige Tage miteinander verbracht, Kräuter gesammelt, Spuren gelesen, die Sterne beobachtet. Eines Abends hatte er am Feuer von den Klingentänzern gesprochen – von ihrer Berufung, ihrem Schwur, der tiefen Verbindung zu Yew. Und davon, dass ein wahrer Klingentänzer nicht gewählt wurde – sondern erwacht, wenn der Wald ihn ruft.
„Sie hören den Ruf nicht mit den Ohren, Kind“, hatte er gesagt, „sondern mit dem Herzen.“
Lirael schloss die Augen. In ihr begann etwas zu wachsen – leise, kaum fassbar. Aber es war da: eine Entscheidung.
Sie würde Rianon folgen.

Feuer, Licht und Nähe
Einige Tage später traf sie ihn wieder – nahe der Taverne, in deren Nähe sie oft Zuflucht suchte. Er war blass, müde, hatte eine Begegnung mit einer verirrten Wölfin hinter sich. Und doch lächelte er, als er sie sah. Sanyasala, hatte er gesagt. Wie oft hatte sie sich gewünscht, diese Begrüßung wieder zu hören?
Sie sprachen, lachten, tranken gemeinsam Baretis Most. Und irgendwann, am Feuer, als der Abend dämmerte und sich Stille über den Ort senkte, sprachen sie über das, was wirklich zählte.
Rianon erzählte von seiner Meditation unter einem Yewbaum. Von einer Vision. Ein leuchtender Adler war ihm erschienen – ein Ahnengeist, der auf der Suche war nach einem würdigen Bewahrer. Einem, der bereit war, seinen Setzling zu schützen, damit sein Geist weiterleben könne. Der Yew selbst hatte begonnen, Setzlinge auszutreiben – Zeichen der Not, nicht des Wachstums.
Lirael hörte zu, still, erschüttert. In ihr regten sich Erinnerungen. Ihre Eltern. Die Bäume ihrer Kindheit. Die Geister, die sie einst gespürt hatte – war es möglich, dass sie noch da waren?
Als Rianon ihre Hand nahm, zu ihr sprach, sie in die Arme schloss, fiel der letzte Widerstand. Eine Träne stahl sich über ihre Wange. Sie ließ es zu.
Sie sprach von ihrer Vergangenheit, von der Flucht vor Yew, von der Angst. Und er – er blieb. Hörte zu. Tröstete. Nahm ihre Scham, ihre Zweifel, ihre Trauer, und ließ sie bei ihm verweilen.
„Ich wäre dir dankbar, wenn du mir den Weg zurück nach Yew weisen könntest“, sagte sie schließlich.
Er lächelte. „Wann immer du bereit bist.“
Und in diesem Moment wusste sie, dass sie nicht mehr allein war.

Zurück nach Yew
Wenige Tage später kehrten sie zurück nach Yew. Der Weg war still, durchzogen vom Rascheln der Blätter und dem Klang des Windes, der wie eine ferne Erinnerung durch die Äste sang. Lirael sprach kaum – aber ihr Herz war aufgewühlt. Angst und Hoffnung, Schmerz und Vorfreude, alles mischte sich zu einem stummen Drängen in ihrer Brust.
Am Rand des alten Waldes wurde sie vom Bund der Wachenden empfangen. Freundlich. Respektvoll. Fast ehrfürchtig. Und obwohl viele der Gesichter ihr fremd waren, fühlte sie sich nicht fehl am Platz. Es war, als würde der Boden sie erkennen. Als würde der Wald ein leises Flüstern senden: Du bist zurück.
Sie blieb einige Stunden. Beobachtete. Sprach wenig. Aber sie fühlte – mehr als sie gedacht hatte. Die Luft, die Bäume, das Licht. All das war ihr nicht fremd. Es war, als sei ein Teil von ihr nie fort gewesen.
Noch hatte sie nicht meditiert. Noch hatte sie sich nicht dem Ruf gestellt. Aber sie hatte den ersten Schritt getan. Und bald, sehr bald, würde sie Rianon bitten, mit ihr zu einem der großen Yewbäume zu gehen. Um zu lauschen. Um zu fühlen. Um zu prüfen, ob sie noch sprechen konnten – die Geister ihrer Vorfahren.
Und vielleicht – nur vielleicht – konnte sie dieses Mal etwas bewahren. Vielleicht konnte sie heilen, was einst zerrissen wurde.
Nicht allein.
Sondern an seiner Seite.
Rianon
Beiträge: 32
Registriert: 14 Mai 2025, 16:45
Kontaktdaten:

Re: Die Rückkehr der Klingentänzer

Beitrag von Rianon »

Der Morgen graute nur blass, verhangen von bleiernem Nebel. Rianons Körper fühlte sich an wie ein nasser Leinenmantel, schwer und klamm. Das Fieber war noch da, seine Glieder brannten, jeder Schritt war eine Prüfung. Und doch trugen ihn seine Füße unbeirrt durch den Wald – dorthin, wo der kleine Setzling des Yew-Baums wuchs. Er kniete nieder, stützte sich mühsam auf die Handflächen, das Gesicht bleich und verschwitzt, das Haar zerzaust vom Schlaf, den keiner als erholsam bezeichnen würde. Mit einem matten Seufzen schloss er die Augen.
"Ich weiß nicht, was du von mir willst. Aber du bist der Erste, der mir sagt, ich sei auserwählt." Wind rauschte. Erst leise, dann wie ein Flügelschlag, der nicht gehört, sondern gespürt wurde. Und dann war er da. Der Adlergeist. Schimmernd, halb aus Licht, halb aus Erinnerung geformt, stolz, wachsam – seine Augen durchdrangen Rianons Geist wie Pfeilspitzen. „Genug des Gejammers, Küken.“ Rianon blinzelte. "Ich… bin halb tot." „Und dennoch bist du hier. Du hast die Prüfungen erfüllt.“ "Welche Prüfungen?" „Das Vertrauen eines Jägers – Alniira. Das Lied einer Heilerin – die Drow, die dich berührte. Und die Träne eines Wesens, das du verschont hast – Alniira erneut, als sie Mensch war. Du hast sie nicht gejagt. Du hast gewählt, anders zu sein.“ Rianon schwieg. Es klang so… feierlich, so endgültig. Und doch fühlte er sich nicht wie ein Sieger, eher wie ein Getriebener. „Du trägst zwei Tiere in deiner Seele, Elfenblut.“, sprach der Adler weiter. „Und du hältst sie in Balance. Das ist selten. Das ist… bewundernswert.“
Ein kurzes Schweigen. „Ich werde nun ruhen. Nicht in den Himmeln, sondern in Wurzeln.“ Der Geist senkte sich nieder – in kreisenden Bewegungen wie ein Greifvogel im Sinkflug – und glitt sacht in den kleinen Setzling, der daraufhin in goldenes Licht getaucht wurde. Die Blätter flackerten, als wäre Feuer unter ihrer Haut, dann wurde der Schimmer blasser… bis nichts mehr davon übrig war. Der Setzling stand still, aber verändert. Rianon streckte zögerlich die Hand aus, fuhr mit zittrigen Fingern über das kleine Gewächs. „Du bist jetzt ein Baum mit Meinung, was?“ Der Setzling schwieg. Natürlich.
Mit einiger Mühe grub Rianon die zarten Wurzeln vorsichtig aus und wickelte das kleine Bäumchen in ein feuchtes Tuch. Dann erhob er sich und sah noch einmal über die Lichtung. „Schön wär’s, wenn du noch Flügel hättest. Ich hab keine Kraft mehr.“ Doch er schritt los. Mit dem Adler in seinem Gepäck – und der Gewissheit, dass sich etwas verändert hatte.

Bild
Antworten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast