Ein Keller voller Schatten
Der kalte, modrige Geruch des Ky'Alur-Anwesens kroch Alniira in die Nase, ein permanenter, widerlicher Begleiter. Jeder Atemzug war ein stiller Protest der Lungen. Der Keller war eine einzige, erdrückende Umarmung der Finsternis. Die wenigen, spärlichen Lichtquellen, flackernde Dochte, die eher Verzweiflung als Helligkeit spendeten, kämpften einen aussichtslosen Krieg gegen die alles verschlingenden Schatten. Sie tanzten an den Wänden, schienen in jeder Nische und jedem Winkel zu lauern, bereit, jeden Ansatz von Wärme zu verschlucken. Gleich rechts von ihr, hinter einer rostigen, metallisch klagenden Tür, lagen die Kerker und Folterkammern. Alniira brauchte nicht hineinzusehen. Das Wissen allein war wie ein Stein in der Magengrube. Die Luft selbst schien dort zu schreien, selbst wenn die dicken Mauern die Laute dämpften. Jeder, der noch einen Funken Verstand besaß, würde hier von einem Gefühl des Unbehagens, der tiefen Abscheu, in die Knochen gefressen.
Und ich sitze hier, tue so, als wäre es der normalste Ort der Welt, um ein Kunstwerk zu erschaffen. Manchmal frage ich mich, ob mein Sinn für Normalität einfach im Keller geblieben ist. Oder ob ich nur zu gut darin bin, das Offensichtliche zu ignorieren. Ein Talent, das man in den Unterlanden entwickeln muss, um nicht wahnsinnig zu werden. Hier oben scheint es auch nützlich zu sein.
Ab und an huschte
Sorn Ky'Alur vorbei, ein Schatten im Schatten, sein Gesicht eine Maske der widerlichen Heiterkeit, die Alniira Übelkeit verursachte. Es war diese Art von Lächeln, das man nur bei jemandem sah, der in seinen dunkelsten Neigungen vollkommen aufging, ein Lächeln, das aus dem Herzen einer verdorbenen Seele kam. Sobald er im Nachbarraum verschwand, erfüllten Schreie den Keller, die sich bald zu einem schwachen Wimmern wandelten – ein Geräusch, das im Knochenmark nachhallte und sich wie ein kalter Schleier über alles legte. Sorns Vergnügen war fast greifbar, ein widerwärtiger Dunst, der sich mit dem Staub in der Luft vermischte und den ohnehin schon schweren Geruch von modrigem Gestein und Fäulnis verstärkte.
Dieses Lächeln… es ist so widerlich. So falsch. Und doch trägt er es mit der Selbstverständlichkeit eines Bäckers, der frisches Brot anpreist. Als wäre Folter eine ehrenwerte Handwerkskunst. Wie kann jemand so viel Freude an dem Leid anderer empfinden? Es ist die Norm, wo ich herkomme. Die Norm. Aber das macht es nicht richtig. Das macht es nicht weniger abscheulich. Bloß keine Regung zeigen, Alniira. Zeig ihnen nicht, dass du anders bist. Nicht in diesem Loch. Sie würden es riechen wie ein Rudel hungriger Wölfe das Blut eines Frischlings. Und das ist das Letzte, was ich jetzt brauche.
---
Eine unheimliche Präsenz
Plötzlich fröstelte Alniira, ein eiskalter Hauch strich über ihren Nacken, obwohl keine Brise den stickigen Keller durchzog. Die feinen Härchen auf ihren Armen stellten sich auf. Ein Schatten fiel über sie, obwohl keine der spärlichen Lichtquellen eine solche Verdunklung erklären konnte. Sie hatte
Ly'Saar Ky'Alur nicht kommen sehen. Er stand einfach da, neben ihr, als wäre er aus den Schatten selbst gewachsen, ein dunkler, schlanker Umriss, seine Augen auf ihre Hände gerichtet, die den Edelstein schliffen. Von ihm ging eine seltsame Ruhe aus, eine Aura, die sie noch nie zuvor gespürt hatte, ein Gewicht, das die Luft schwer machte. Er schien mit der Dunkelheit zu verschmelzen, ein Teil von ihr zu sein, eine lebendige Verkörperung der Nacht, älter als die Steine des Fundaments.
Wie kann er so still sein? Ich habe ihn nicht gehört. Keinen Schritt, kein Geräusch. Er ist wie ein Geist. Oder schlimmer: ein Jäger, der sich an sein Opfer heranpirscht, ohne auch nur einen Zweig unter den Füßen knacken zu lassen. Und ich bin wohl das Opfer, das nicht einmal merkt, dass es gejagt wird, bis die Zähne im Fleisch stecken. Eine wahrhaft erbauliche Erkenntnis.
Ihre Finger zitterten, nicht vor Angst – es war etwas anderes, tieferes, eine undefinierbare Unsicherheit, die sich wie eiskalte Nadeln unter ihre Haut bohrte. Die Präsenz dieses Mannes war ungleich der Sorns. Sie war… anders. Bedrohlicher auf eine ruhige, unaufdringliche Weise, wie die Stille vor dem Sturm, die Stille vor dem Fall.
Als sie fertig war, erfüllte eine leise, aber raumfüllende Stimme den Keller. Ly'Saars Worte schienen in allem widerzuhallen, als würden die alten Steine und die modrige Luft selbst mit ihm schwingen, die gleiche, unheimliche Frequenz annehmen, als wären sie Teil eines einzigen, dunklen Akkords.
„
Alniira, wir benötigen deine Dienste. Du kannst deinen Wert für das Quellar beweisen.“
Sie blickte auf und nickte stumm. Worte schienen in ihrer Kehle stecken zu bleiben, sinnlos angesichts der Macht, die dieser Mann ausstrahlte. Manchmal war Schweigen die klügste Antwort.
„
Aeterium von Finsterrode, finde ihn“, fuhr er fort, ohne eine Miene zu verziehen, seine Augen blieben auf Alniira geheftet, als würde er ihre Seele abtasten. „
Ich habe etwas für ihn von der Ilharess.“
---
Die Suche in der Maskerade
Alniira zog ihre Kapuze tief ins Gesicht. Eine
Dunkelelfe in
Moonglow war so unauffällig wie ein Feuerelementar in einem Schneesturm, das gerade eine Fackel schwenkte und dabei ein Loblied auf Lolth sang.
Bloß nicht auffallen. Bloß nicht erkannt werden. Eine Dunkelelfe, die unbehelligt durch Menschenlande streift – das wäre ja noch schöner. Als ob die Leute nicht schon genug Gründe hätten, mit Fackeln und Heugabeln herumzurennen. Es ist immer dasselbe mit diesen Oberweltlern. Ein Schatten zu viel und schon brennt das Dorf.
Ihr erster Halt war die Taverne, ein Ort, an dem sich Gerüchte sammelten wie Fliegen um einen Kadaver – laut und allgegenwärtig. Ein wahres Paradies für jeden, der Informationen brauchte, ohne selbst zu viel zu verraten.
Sie erspähte einen normal gebauten
Schmied in der Nähe, dessen Gesicht jedoch auffallend blass wirkte, fast kreidefarben, als hätte er die letzten zehn Jahre in einem Bergwerk verbracht oder das Sonnenlicht komplett gemieden. Sein Gesicht war vom Ruß seiner Arbeit geschwärzt, ein starker Kontrast zu seiner Haut.
Finsterrode… keine Beschreibung. Nur ein Name. Das ist ja wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen, nur dass die Nadel vermutlich selbst eine Nadel sucht. Und ich bin die arme Idiotin, die alle Heuhaufen der Welt durchsuchen darf. Brilliant.
„Entschuldigen Sie, mein Herr“, begann Alniira, ihre Stimme so tief und unauffällig wie möglich haltend, kaum mehr als ein Flüstern. „Ich suche eine Person. Man nannte mir den Namen Aeterium von Finsterrode. Treibt er sich hier in der Taverne herum? Ich habe gehört, dies sei ein Ort des Wissens.“ Sie versuchte, den Hinweis auf den Ort des Wissens mit einem subtilen Nicken zu unterstreichen, als würde sie ein geheimes Verständnis andeuten, das nicht existierte.
Der Schmied, dessen Augen so dunkel wie Kohle waren, musterte sie kurz mit einer seltsamen, fast leeren Neugier, die dann aber schnell weiterwanderte. „Finsterrode? Ja, der ist hier schon ab und an. Aber seit ein paar Tagen hab ich ihn nicht gesehen. Hat sich wohl verzogen, der Gute.
Ein Teilerfolg. Oder auch: Ein Tropfen auf dem heißen Stein, der in der Wüste verdampft, bevor er die Oberfläche erreicht. Aber immerhin kein kompletter Fehlschlag. Das muss ich mir merken: Wenn man keine Ahnung hat, ist ein Tropfen schon ein Ozean. Und wenn man keine Ahnung hat, sind blasse Schmiede mit leeren Augen auch nicht hilfreich. Der Kerl hat das Sonnenlicht wohl noch nie gesehen, oder er hat ein eher… unübliches Schlafverhalten.
Der Weg führte sie weiter zum
Minoc Mining Camp.
Vielleicht ein Schmied? Oder ein Minenarbeiter? Die Informationen sind so dünn wie der Faden einer Spinne, die gerade erst mit dem Weben begonnen hat. Ich habe mehr Informationen über die genaue Anzahl der Splitter in meinem Nagel als über diesen Finsterrode. Wahrscheinlich ein weiterer verschollener Eigenbrötler, der seine Existenz als Geheimnis behandelt.
Sie traf einen mürrischen
Zwerg, dessen Gesicht so zerfurcht war wie die Minen selbst, und der über alles und jeden schimpfte, was nicht Zwerg war oder aus Stein bestand. Zwerge wussten zwar viel über ihre Stollen und Gesteine, über ihre engen Tunnel und die Beschaffenheit des Erdreiches, aber von der Welt außerhalb ihrer engen Gemeinschaft schien er wenig gehört zu haben. Sein Blick war so eng wie ein frisch gegrabener Schacht. Von einem Finsterrode hatte er noch nie gehört.
Na toll. Das war ja wieder ein Erfolg. Wer hätte gedacht, dass ein griesgrämiger Zwerg nicht alles weiß? Er wusste nicht mal, dass sein eigenes Leben eine Katastrophe ist. Vielleicht hätte ich ihn nach dem genauen Ort seines letzten schlechten Essens fragen sollen, darauf hätte er sicher eine Antwort gehabt. Oder nach der Anzahl der Steine in seinem Bart.
---
Der Chimäre auf der Spur
Ihre Reise ging weiter nach
Britain. Dort mischte sie sich unter die Menge, lauschte diskret, versuchte, Fetzen von Gesprächen aufzuschnappen. Gerüchte waren wie Brotkrumen, man musste genug sammeln, um den Weg zu finden – und hoffen, dass die Vögel sie nicht gefressen hatten. Eine wahre Kunst, unauffällig zu sein, wenn man sich ständig fragte, ob jeder Blick, der sie streifte, nicht doch zu lange war. Sie erfuhr, dass am
Trainingsplatz einige Leute waren, die vielleicht Auskunft geben könnten.
Das ist es wert, es zu versuchen. Schlimmer als ein fluchender Zwerg oder ein blasser Schmied kann es kaum werden. Oder? Nur nicht zu optimistisch werden, Alniira. Das endet meistens in einem Desaster.
Am Trainingsplatz angekommen, stockte ihr der Atem. Eine bekannte Gestalt.
Die Chimäre. Halb Mensch, halb … etwas anderes. Eine Viertel? Ein Achtel? Wer wusste das schon genau bei diesem Kerl, dessen Abstammung so kompliziert war wie die Verwandtschaftsverhältnisse in einem Drow-Haus? Er trainierte mit einer anderen Person, die das Siegel von Schwert und Stab trug, ein Zeichen von Autorität und Ausbildung, das Respekt forderte.
Vorsicht. Bloß nicht zu offensichtlich sein, aber er muss mich erkennen. Eine Dunkelelfe, die plötzlich Fragen stellt… Das könnte ungemütlich werden. Ich muss es subtil angehen. So subtil wie ein Schatten, der sich langsam nähert. Er mag sprunghaft sein, aber er ist nicht dumm. Hoffe ich.
Sie näherte sich langsam, zitierte einige seiner früheren Aussagen, warf ihm Fragen zu, die nur sie beide verstehen konnten, kleine Codeschnipsel aus vergangenen Begegnungen. Das Gespräch war ein Tanz, ein Hin und Her, gespickt mit seinen üblichen Abschweifungen.
Er ist so unkonzentriert. Manchmal wünschte ich, seine Gedanken würden auch nur für eine Minute auf einem einzigen Pfad bleiben. Es ist schwer, ihm zu folgen, aber das macht ihn auch unberechenbar. Und manchmal führt sein Wirrwarr zu überraschenden Ergebnissen. Man muss nur geduldig genug sein, um das Chaos zu verstehen.
Doch dann, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, durchbrach ein Satz die wandelnden Gedanken und die chimärischen Abschweifungen, schnitt durch den Lärm des Trainingsplatzes und Alniiras eigene Ungeduld:
„
Dort ist die Person, die ihr sucht.“
Alniira folgte seinem Blick.
Aeterium von Finsterrode…
Die Unruhe in Alniira erreichte ihren Höhepunkt. Was nun? Der Kreis schloss sich. Das Warten hatte ein Ende. Das Spiel konnte beginnen.