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Kapitel 4

Hista Kindail stand erhobenen Hauptes auf seinem Turm. Die langen schwarzen Haare wehten im Wind und die untergehende Sonne lies seine Haut noch roter wirken, als sie es sowie so schon war. In seinen Armen hielt er eine Frau, dessen Kopf leblos hinab hing. Ihre langen weißen Haare hatten den Glanz ihrer Jugend verloren und ihre starren Augen schienen in den Himmel zu blicken.
Seit Stunden stand er so da. Er wagte es nicht auf den leblosen Körper in seinen Armen hinab zu blicken. Tränen hatte er längst keine mehr. Sein Mund war ausgetrocknet als er ihren Kopf an seine Brust drückte und all seinen Schmerz in die untergehende Sonne brüllte. Seit Hunderttausenden von Jahren hatte er keine Frau mehr so geliebt wie dieses junge Mädchen und nun lag sie tot in seinem Arm, ohne das er ihr jemals seine Liebe hatte gestehen können. Er vergrub seinen Kopf in ihren Haaren und schluchzte.
Warum? Was zur Hölle war nur passiert?

Einige Wochen vorher...
Viconia's Gedanken drehten sich nur um diese seltsame Frau, die sie schon in der Schlacht gesehen hatte. Diese Magierin verfügte über Kräfte, die weit über die eines Erzmagiers hinaus gingen. In ihren Vorstellungen sah sie sich bereits mit dieser Macht ausgestattet, doch sie wußte auch, das sie dafür zurückkehren mußte in die Unterwelt.
Kurz bevor sie sich dazu entschloß, diesen Weg zu gehen sah sie diese seltsame Magierin ein zweites mal.
Es war in Vesper. Das Tribunal der Finsternis wollte den Verlust von Vesper an die Drow nicht so einfach hinnehmen und mit ständigen Attacken wollten sie die Drow zermürben, die jetzt so kurz nach der Eroberung der Stadt, ihre Macht über die wenigen Besucher auszunutzen schienen.
Während einer dieser Attacken, bei denen sogar Beelzial persönlich anwesend war, tauchte die Magierin wieder auf. Stolz stellte sie sich vor die Drow und Beelzial von Angesicht zu Angesicht. Nur mit Worten und Blicken schienen diese beiden fast übernatürlichen Wesen einen Kampf auszutragen, von dem kaum ein anderer etwas mitbekam. Schließlich war es Beelzial, der Nachgab. Doch es war keine Niederlage gewesen, das Begriff selbst die sonst so hitzköpfige Viconia.
Die Magierin verschwand wieder, nachdem sie vergeblich nach Hista Kindail gesucht und ihn nirgends gefunden hatte. Von diesem Moment an war Viconia jedoch von dem Gedanken besessen, die Macht dieser Magierin zu erlernen. Damit würde sie dem Haus Hun'ett uneingeschränkte Macht geben und sich endlich aus dem Schatten ihrer Großmutter Vierna Do'Urden lösen können.
Am Tag darauf folgte sie der Magierin in die Unterwelt und das Unheil nahm seinen Lauf.

Als die Schlacht in der Unterwelt geschlagen war, da waren nicht alle vom Urvolk gestorben, die an Raynor geglaubt hatten. Sie flüchteten tiefer in die Erde, in Regionen die zuvor nie jemand betreten hatte. Dort stießen sie auf eine verschlossene Kammer und ein seltsames Licht ging von der Tür aus.
Die Magie war stark an diesem Ort. Viel stärker als sonst irgendwo auf Schattenwelt. Das Urvolk ging in dieser Magie auf und ohne es zu wollen, verließen sie ihre körperliche Existenz.
Dies schien im ersten Moment ein Fehler zu sein, denn die Tür zu dieser geheimnisvollen Kammer öffnete sich trotzdem nicht für sie. Aber sie erkannten das Schloß und wußten nun wie der Schlüssel zu diesem Schloß aussehen sollte. Sie brauchten nicht lange zu suchen, denn dieser Schlüssel lief direkt auf sie zu!

Aber es gab jemandem unter den Drow der Unterwelt, der die Gefahr spürte und sich auf den Weg machte, den Grund dafür aus der Welt zu schaffen. Dies war die rothäutige Frau, die von allen Garandia genannt wurde. Ebenso wie Hista Kindail war sie eine Erstgeborene. Sie hatte Seite an Seite mit ihm in der Schlacht gekämpft, in der Osten seinen ersten Sieg über seine Brüder errang.
Später war sie dann Lloth in die Unterwelt gefolgt, während Hista auf der Oberwelt geblieben war.
Sie hatte, im Laufe der Zeit, einfach irgendwann vergessen das es außer ihr noch andere ihrer Art geben konnte. Sie wußte bis zu dem Tag, an dem sie ein Gespräch zweier Drow belauschte nicht, das es außer ihr doch noch andere gab.
Hista jedoch erinnerte sich sehr wohl an Garandia und als er erfuhr, das sie noch lebte brach in ihm eine Welt zusammen. Seit dem seine Frau Rondra zu den Göttern zurückgekehrt war, war er alleine gewesen. Zigtausende von Jahren hatte es ihn nicht gestört, das sein Volk damals diese Welt verlassen hatte, er hatte ja seine Frau und war glücklich hier auf Schattenwelt. Zeuge dieser Zeit war schließlich ihre Tochter Bastet, die ihm von seinem geliebten Eheweib zum Abschied geschenkt wurde, als Kush verlangte, das Rondra zurückkehren sollte.
Seit diesem Tage lebte er in dem Wissen, das er der einzige seiner Art sei!
Als Garandia auftauchte, überschlug ihn die Welle eines Gefühls, das er bis zu diesem Zeitpunkt nicht gekannt hatte. Gerade hatte er angefangen sich damit abzufinden und sich erneut verliebt, da kam diese Nachricht zu plötzlich.
Er zog sich zurück in sein kleines Reich und vergaß alles um ihn herum. Tagelang saß er auf dem Rasen seines kleinen Hauses, ohne sich zu bewegen, die Augen starr auf den Boden gerichtet. Es stürmte und regnete, doch nichts davon bekam er mit. In ihm war etwas zerbrochen, das nichts auf dieser Welt wieder reparieren konnte und er wußte nicht damit umzugehen.

Garandia klärte Triel Dro'Olathurl über die Gefahr auf, die von dem jetzigem Zustand des Urvolkes ausging und nachdem sie bereits einmal gegen dieses Wesen gekämpft hatte, wußte sie zumindest, wer der Schlüssel sein mußte. Triel schickte sofort eine Botin an die Oberwelt, die diesen Schlüssel suchen und zu ihr bringen sollte. Nur hier wäre dieser Schlüssel in Sicherheit und die Botin brach auf.
Doch wie sie schnell erfahren mußte, war es bereits zu spät. Der Schlüssel befand sich auf dem Weg in die Unterwelt. Sein Name lautete
Viconia Do'Urden!

Garandia kam zu spät. Alles was sie fand war die Kleidung der Drow, die den Schlüssel darstellte, und viel Blut.
Triel Dro'Olathurl lies zwar die Botin auspeitschen, doch sie wußte, das es nicht ihre Schuld gewesen war. In aller Eile sandte sie Späher aus, die das gesamte Unterweltreich durchsuchen sollten, um eine Spur von Viconia zu finden. Garandia und Triel wußten, wenn das Urvolk seinen Plan zu Ende bringen konnte, würde sich auf Schattenwelt das Gleichgewicht der Macht verschieben und zwar nicht zu Gunsten der Drow, sondern zu Gunsten von Raynor.
Triel dachte lange nach und viele Pläne wurden entworfen und wieder vernichtet. Aber so lange man Viconia nicht gefunden hatte, wußte man einfach nicht wie weit der Gegner schon war. Die Lage war verzweifelt.

Währenddessen lag Viconia nackt auf dem kaltem Fußboden einer kleinen Kammer. Ihr Körper war von oben bis unten mit Wunden übersät. Jedesmal wenn sie für kurze Zeit aus der Bewußtlosigkeit erwachte, versuchte sie erneut sich daran zu erinnern, was mit ihr geschehen war. Aber kaum das ihre Gedanken wieder klar wurden, fiel sie erneut in eine tiefe Bewußtlosigkeit, die sie vor den grausamen Erinnerungen schützte.
Gerade war wieder so ein Moment gekommen und Viconia öffnete die schmerzenden Augenlieder. Ihr Gesicht war angeschwollen und sie konnte nur wenig erkennen. Aber plötzlich fühlte sie mehr, als das sie etwas sah, daß jemand in der nähe sein mußte. Leise stöhnend sah sie sich in dem Raum um, doch da war niemand.
Sie wollte gerade resignierend aufgeben, als sie das Gefühl wieder hatte. Ganz nah schienen zwei Wesen neben ihr zu stehen und sie zu beobachten. Ihr Kopf fuhr herum und für den Bruchteil einer Sekunde konnte sie schemenhaft einen Mann und eine Frau erblicken, die sie betrachteten. Den Mann kannte sie nicht, aber die Frau, das war Daemona ihre Mutter. In diesem Moment wurde die Tür zu der kleinen Kammer aufgeschlagen und die schemenhaften Gestalten verschwanden augenblicklich. Doch wie in Zeitlupe fiel eine Träne an der Stelle hinab, an der eben noch Daemona gestanden hatte. Viconia streckte die Hand nach dem kleinem Tropfen aus und er fiel in ihre Hand.
Genau in diesem Moment geschahen viele Dinge gleichzeitig.
Icho'Tolot - der Zeitreiser - und Daemona kehrten zurück in ihre Gegenwart an die Oberwelt, denn sie waren beide dem unsichtbaren Band gefolgt, das zwischen Mutter und Kind besteht und das nur der seltsame Fremde in der Lage war zu sehen.
Viele Welten entfernt spürte ein einsamer Titan auf seinem Thron einen Schmerz in seinem Herz aus Feuer, von dem er bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht gewußt hatte, das er es besaß. Er ging in sich und erinnerte sich an die Frau, mit der er ein Kind gezeugt hatte und dieser Schmerz führte ihn zu diesem Kind. Wenn auch nur auf einer Ebene, die niemand wahrnehmen konnte. Krampfhaft suchte er nach dem Grund und folgte, wie schon eine hundertstel Sekunde vor ihm seine Tochter, dem unsichtbaren Band das zwischen Mutter und Kind bestand. Er sah durch die Augen Daemona's seine Enkeltochter und ein Schmerz, den er bis dato nicht kannte, formte eine Träne. Als die Tür zu der Kammer aufgerissen wurde, wurde auch er wieder zurück geschleudert in seine eigene Welt, doch die Träne, die blieb und fiel in Viconia's Hand.
Das Wesen, welches die Tür geöffnet hatte, stürzte sich auf Viconia und warf sich über sie. Schmerz durchfuhr sie und wie schon einen Tag vorher, wurde ihr Körper an hunderten Stellen gleichzeitig gepeinigt und überall platzte die Haut auf. Doch es gab kaum noch Blut in dem geschundenen Körper. Auch war ihre Stimme bereits so heiser von den Schmerzensschreien des Vortages, das sie keinen Ton mehr von sich geben konnte. Ganz langsam sank sie erneut in eine tiefe Bewußtlosigkeit.
Doch etwas war anders als sonst. Das Wesen lies nicht nach und mit einem mal erkannte der Geist von Viconia, daß dies keine erneute Folter sein sollte, sondern ihren Tod bedeutete. Das letzte an das Viconia dachte, bevor es um ihren Geist dunkel wurde, war die Träne in ihrer Hand. Wie ein Magnet schien sie diese Träne anziehen zu wollen.

Der Schlüssel war Tod. Ihr Blut, das im Schmerz abgezapft worden war und nur unter stärksten Qualen aufgefangen werden sollte, hatte die Kammer geöffnet und dort lag der Kristall der Magie. Das Wesen hatte den Kristall an sich genommen aber im gleichen Moment einen Teil seiner eigenen Macht an ihn übergeben müssen. Diesen Kristall hatte das Wesen an Raynor übergeben. Da ihm die Macht gefehlt hatte selbst zu seinem Gott zu gehen, flehte er ihn an zu ihm auf die Schattenwelt zu kommen und Raynor kam, nahm den Kristall und erkannte, das dies erst ein Teil der Macht war. Der Schlüssel musste sterben und der Stein sollte endlich gefunden werden. Dies befahl Raynor seinem Diener, dem Wesen, welches einst das Urvolk gewesen war...

War dies ein Traum? Die Farben, das Feuer, das wie Wasser von den Wänden der Blase hinab lief? Sie schwebte und schwebte wieder nicht. Es gab kein unten und kein oben. Nichts, an dem sie sich orientieren konnte. Wie war sie hierher gekommen, wo befand sie sich überhaupt?
Sie griff nach den Flamen und diese wichen vor ihr zurück. Ein Spalt öffnete sich und sie sah ein grüne Wiese auf einem kleinem Hügel. Am höchsten Punkt des Hügels stand ein Baum, prachtvoller als sie je einen gesehen hatte. Sie bewegte sich darauf zu und der Spalt verbreiterte sich, so daß sie durch die Flammen hindurch passte ohne verbrannt zu werden. Doch in dem Augenblick erschrak sie.
Da war nichts, was hätte verbrennen können. Ihre Hand, ihr Arm, ihr ganzer Körper, NICHTS!
Sie wollte zurück in die Blase aus Flammen doch als sie sich umsah war die Blase verschwunden. Nur der kleine Hügel, die Wiese und der Baum waren noch da. Sie wußte nicht warum, aber der Baum schien sie magisch anzuziehen und als sie schließlich dem seltsamen Drängen nachgab, bewege sie sich langsam auf den Baum zu. Schnell erkannte sie, das dieser Baum riesig war, größer als alle Bäume die sie jemals zuvor gesehen hatte.
Wieder stutzte sie. Wo gesehen? Wer war sie überhaupt?
Die Antwort mußte da vor ihr im Schatten des Baumes liegen und sie gab dem drängendem Gefühl erneut nach. Langsam schwebte sie zu den Wurzeln des Baumes hinab und hielt auf ebener Erde an. Wie in Trance umschwebte sie den Baum mehrmals und blickte dabei auch nach Oben. Die Krone des Baumes verschwand in den Wolken, so wie der Fuß des Hügels im dichten Nebel verschwand.
Sie versuchte zu rufen, aber kein Ton drang über ihre Lippen, die nicht vorhanden waren. Wochen verbrachte sie damit den Baum zu studieren, doch nichts schien ihr bekannt oder klärte die Frage, wer sie war.
Und dann erschien plötzlich unverhofft ein kleines Mädchen aus dem Nebel und rannte lachend und jauchzend auf den riesigen Baum zu. Verwundert beobachtete sie das kleine Mädchen, das sich an den Stamm des Baumes lehnte und seine Rinde küßte. Anschließend setzte sich das Mädchen in den Schatten des Baumes und kramte aus der Tasche ein kleines Buch hervor. Daraus las es laut vor, doch sie konnte kein Wort von dem verstehen, was dieses Mädchen sprach. Die Sprache war zu fremd. Nach einigen Stunden erhob sich das Mädchen wieder und machte einen Knicks in Richtung des Baumes, warf ihm einen Handkuß zu und rannte dann vergnügt den Hang hinab in den Nebel hinein.
Sie versuchte dem Mädchen zu folgen, doch je näher sie dem Nebel kam, desto deutlicher wurde der Ruf des Baumes, der sie nicht gehen lassen wollte. Resignierend gab sie schließlich auf.

Einige Tage später wiederholte sich dieser Vorfall und wieder geschah genau das gleiche.
Das Mädchen schien eine Art Freundschaft mit diesem Baum zu haben, denn ihre Besuche kamen regelmäßig. Mal dauerte es ein oder zwei Tage, dann wieder eine Woche, aber so sicher wie die Sonne jeden Tag wieder auf ging, so sicher war es, daß dieses kleine Mädchen wieder kehrte.
So vergingen die Jahre und das Mädchen wuchs heran.
Die seltsame Frau, die immer unsichtbar anwesend war, schloß Freundschaft mit diesem Mädchen, ähnlich wie es wohl der Baum getan hatte und jedesmal wenn sie kam, um aus ihrem kleinem Buch vorzulesen, dann verweilte sie in ihrer Nähe und lauschte den Worten, die sie nicht verstand.
Nur zu gerne hätte sie sich dem Mädchen gezeigt, das inzwischen zu einer stattlichen jungen Frau herangewachsen war, um mit ihr zu reden, doch diese Macht besaß sie nicht.
Sie hatte sich damit abgefunden und genoß die Ruhe und den Frieden dieses Ortes.

Eines Tages aber färbte sich der Nebel, der um den kleinen Hügel wehte dunkel und strahlte eine düstere Aura aus. Sie bekam Angst, aber seltsamerweise nicht um sich, sondern um das Mädchen, das in diesem Nebel zu leben schien. Aber all ihre Versuche in den Nebel zu gehen scheiterten am Willen des Baumes, der sie nicht loslassen wollte.
Erfreut sah sie dann, als der Nebel schon fast schwarz war, nach einigen Monaten das Mädchen wieder und schwebte ihr entgegen. Sie freute sich auf die fremden Worte, welche die einzige Abwechslung auf diesem Hügel waren.
Doch diesmal ging das Mädchen nicht an den Baum heran und küßte seine Rinde und die Worte die das Mädchen sprach waren voller Trauer. Auch wenn die unsichtbare Lauscherin kein Wort verstand, so merkte sie doch, das dies der letzte Besuch des Mädchens sein sollte. Verzweifelt versuchte sie das Mädchen auf sich aufmerksam zu machen, doch alles was sie tat war sinnlos. Das Mädchen, bemerkte sie einfach nicht.

Kurz nachdem das Mädchen wieder im Nebel verschwunden war, färbte sich dieser blutrot. In diesem Moment wußte die Frau, daß sie das Mädchen niemals wieder sehen würde. Verzweifelt sah sie zu dem Baum und ein Schrecken fuhr durch ihr Bewußtsein.
Die Äste des Baumes hingen trostlos hinab und ein Blatt nach dem anderen fiel zur Erde.
Der Baum starb!
Eilig umrundete sie den Baum mehrmals, aber wie schon die vielen Jahre vorher konnte sie nichts erkennen. Sie wußte einfach nicht, wie sie dem Baum helfen sollte und eine tiefe Trauer überfiel sie.
Es begann zu regnen und ganz langsam verschwommen die Bilder vor ihren nicht vorhandenen Augen...

Beelzial saß am Fußende des schwarzen Tisches auf seinem Thron und starrte auf die Gesichter der Männer und Frauen, die ihn auf diese gefährliche Reise begleiten sollten. Keiner von ihnen wußte, was in den nächsten Minuten passieren würde, nur Beelzial selber hatte zumindest eine leichte Ahnung davon. Langsam wanderte sein Blick von einem zum anderen und tief in der menschlichen Hälfte seines Herzens, in dem es immer noch den Hauch von Gefühlen gab, tat es einen kleinen Stich, als ihm einfiel, das Brunhold der Barbar nicht an dieser Expedition teil nehmen konnte.
Doch keiner seiner Anhänger bemerkte dieses kurze Aufkeimen eines Gefühls. Innerlich jedoch kochte er vor Wut.
Wut auf die Faust, die Marrach vernichtet hatte. Denn dieser Magier aus einer anderen Welt, wäre der einzige gewesen, der ihm auch dieses letzte bisschen Gefühl noch hätte nehmen können.
Nun aber war Marrach für alle Zeiten vernichtet und der Krieg zwischen Lloth und Raynor schien in eine weitere noch heftigere Runde zu gehen.
Raynor höchstpersönlich hatte ihm den Krug Wein gegeben, aus dem jetzt die Diener die Gläser der Anwesenden füllten. Auf die Frage, was es mit diesem Wein auf sich hätte, hatte der Gott nur gelacht und geantwortet,
"Sammle deine besten Männer und Frauen um dich und trinkt gemeinsam diesen Wein. Mehr mußt Du erst einmal nicht wissen!"

Und nun war es soweit, die Gläser waren gefüllt. Beelzial stand auf und laut krachend fiel hinter ihm der Thron um. Die Gespräche verstummten und alle sahen zu ihrem Herren, dem Lord der Finsternis. Langsam hob Beelzial das Glas empor. Mit ausgestrecktem Arm rief er,
"Last uns anstoßen auf den fürchterlichsten Gott und das seine Macht niemals gebrochen wird!"
Die Männer und Frauen sprangen ebenfalls auf und erhoben ihre Gläser. Im Chor riefen sie,
"RAYNOR", dann tranken sie hastig den süßen Wein.
Beelzial führte das Glas langsam zum Mund und nippte ein wenig daran. Aufmerksam beobachtete er seine Leute die sich wieder hingesetzt hatten.
Plötzlich schrie die Magierin Freya te Pah laut auf und griff sich an den Hals. Sie sprang wieder auf und ihr Gesicht lief innerhalb einer Sekunde blau an, dann brach sie plötzlich über den Tisch zusammen. Ihre toten Augen blickten fragend in Beelzial's Richtung.
Die Männer und Frauen sprangen entsetzt auf und starrten auf ihren Führer. Schrecken und Angst machte sich in ihren Gesichtern breit aber bevor einer von ihnen wirklich begriff, was geschah, brachen sie alle tot zusammen.
Beelzial wartete noch ein paar Minuten und lauschte in die Stille des Raumes, dann sah er auf den Becher Wein in seiner Hand und setzte ihn an die Lippen. Mit einem Zug leerte er das Glas.

Dunkelheit - Minuten wurden zu Stunden und Tagen.
Dauerte es Jahre oder nur den Bruchteil einer Sekunde?
Vorsichtig öffnete Hellion die Augen. Er lag in eine zähflüssigen Brühe, die überall auf dem Boden entlang floss. Mühsam erhob er sich und sah sich um. Tom kam auf ihn zu gestolpert und half ihm sich, so gut es ging, von der Flüssigkeit zu befreien. Angewidert wischte er das Zeug von seinen Kleidern, doch es war bereits zu tief eingedrungen und bis zu den Knöcheln stand er in dem Dreck.
Hinter ihm erklang eine Stimme,
"Verdammte Schweinerei, was ist das für ein Zeug?"
Hellion sah sich um und erkannte die Männer und Frauen, die eben - oder war es vor Jahren? - noch mit ihm an Beelzial's Tafel gesessen hatten. Alle schienen im gleichen Moment zu sich gekommen zu sein wie er und jeder half dem anderen, sich von dieser ekligen Brühe zu befreien.
Asanna Dion sah sich um und meinte leise,
"Das ist Blut!" und zeigte auf die Masse, die den ganzen Boden bis zum Horizont bedeckte.
Jetzt sahen sich auch die anderen um und erkannten überall in der riesigen Ebene gewaltige Anhöhen. Bei genauerer Betrachtung fiel es ihnen jedoch auf. Das waren Berge von Leichen, hunderte von Metern aufgetürmt.
Freya te Pah, die in ihrem Leben schon manch grausame Tat begangen hatte und einiges gewohnt war, brach in die Knie und übergab sich röchelnd.
Manon Mayere, der nur wenige Meter neben ihr stand sah verächtlich auf die Frau hinab und meinte trocken,
"Als ob es hier nicht schon genug stinken würde, jetzt kotzt die auch noch hier hin!"
Die Umstehenden lachten leise, doch man konnte hören das jeder einzelne von ihnen einen Kloß im Hals hatte.

Und dann erklang plötzlich die Stimme von Beelzial hinter ihnen,
"Wie gefällt euch diese Welt?"
Er trat auf die kleine Gruppe zu und hielt den abgeschlagenen Kopf eines Toten in der Hand. Lächelnd hielt er ihn einigen seiner Leute hin, die sich beherrschen mussten um sich bei dem Anblick nicht ebenfalls übergeben zu müssen. Der Kopf bestand fast nur noch aus Würmern, die sich durch zerfallene Haut und Knochen hindurch fraßen. Es sah fast so aus, als ob der Kopf lebte!
Beelzial aber lachte laut auf und warf den Kopf  über die Schulter hinter sich, wo er mit einem lautem Platschen im zähflüssigen Blut landete und langsam darin versank.
Einen Wurm, der an seiner Hand hängen geblieben war, drehte er sorgsam zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her,
"Dies hier" dabei hob er die Hand mit dem Wurm etwas an, "ist das einzige was auf dieser Welt noch lebt!" wie beiläufig steckte er den Wurm in den Mund und kaute darauf herum, während er weiter sprach, "Auf dieser Welt gab es keine Lloth die Raynor aufhalten konnte und nun sind wir..." dabei zeigte er auf seine Leute, die ihn fassungslos anstarrten, "... für eine Weile die Herren dieser Welt!"

Seit vier Tagen folgten die Männer und Frauen ihrem Herren, Beelzial - dem Halbdämon - nun schon durch diese ewige Blutwüste. Manchmal versanken sie bis zu den Hüften im blutigem Schlamm. Längst hatten sie es aufgegeben ihre Kleider von der roten Suppe zu befreien oder sich davor zu Ekeln. Alles war klamm, schleimig und verschmiert. Mehrmals waren sie gestolpert und kopfüber in den Dreck gefallen.
Doch kaum einer von ihnen schien dies mehr richtig wahr zu nehmen.
Beelzial ging einige Schritte vor der Gruppe und seine Leute folgten ihm blindlings im Gänsemarsch. Die Leichenberge links und rechts ihres Weges waren seltener geworden und nur noch in weiter Ferne zu sehen, aber Beelzial hielt geradewegs auf einen der größten zu der ,noch ein paar Tagesmärsche entfernt, vor ihnen lag.
Plötzlich blieb er stehen und hob die Hand, schützend gegen die brennende Sonne, an die Stirn. Sein Blick galt einem der Berge, die mehrere Kilometer von ihrem Standpunkt aus entfernt, etwas südöstlich lagen. Hellion der Krieger und Astifelis der Magier blieben neben ihrem Meister stehen und sahen in die gleiche Richtung, doch sie konnten nichts besonderes erkennen. Beelzial musterte sie kurz und meinte dann mit ruhiger Stimme,
"Wir müssen uns beeilen." nickte kurz in Richtung der Berge und wanderte dann weiter in die alte Richtung.
Hellion und Astifelis sahen sich verständnislos an und zuckten mit den Schultern,
"Kannst Du was sehen?" fragte Astifelis seinen Gefährten, doch der zuckte ausdruckslos mit den Schultern.
Selbst wenn Hellion etwas erkannt hätte, wäre es ihm egal gewesen. Seit dem Beelzial ihm die Gefühle genommen hatte, war er nicht viel mehr als eine Marionette, die tat was ihr Herr und Meister befahl.
In diesem Moment trat Tom an die beiden heran und blickte fragend in Richtung der Berge, während er sich einen der Würmer in den Mund schob und genüßlich darauf herum kaute,
"Was ist da?"
Hellion griff in den Beutel, den Tom ihn hin hielt und zog einige der noch lebenden Würmer heraus, zuckte dabei mit den Schultern und schloß sich Belara de'Jhelom an, die gerade an ihnen vorbei watete. Astifelis, jedoch antwortete,
"hmm, Beelzial meint, das uns von dort Gefahr droht. Oder so etwas."
Tom spuckte die Haut des Wurmes aus und nahm sich einen neuen aus seinem Beutel. Gelangweilt verzog er die Mundwinkel,
"Was soll uns hier schon gefährlich werden," Er hob den Beutel an, in dem sich noch ein paar hundert Würmer befanden, "Die hier?" fragte er ungläubig.
Bevor Astifelis jedoch etwas sagen konnte, antwortete Freya im vorbeigehen,
"Die Fliegen!"

Es war ein schweben in der Unendlichkeit des Seins.
Sie war sich darüber im Klaren das sie lebte, denn sie dachte ja.
"Ich denke, also bin ich!" hatte mal ein weiser alter Mann zu ihr gesagt. Damals hatte sie die Worte nicht verstanden, aber jetzt fing sie langsam an zu begreifen.
Das Problem war nur, das sie weder etwas sehen, geschweige denn hören konnte. Sie schien nur aus Gedanken zu bestehen und seltsamerweise konnte sie sich kaum an die Gedanken früherer Leben erinnern, obwohl sie wußte das sie schon einmal gelebt hatte.
Immer verwirrter wurden die Denkvorgänge und längst hatte sie einen Grad des Wahnsinns erreicht, der jedes andere Lebewesen in den Tod getrieben hätte. Doch dies erkannte sie nicht, da sie weder lebte noch Tod war.

Dann erschien eines Tages ein seltsames Lebewesen und sprach zu ihr.
Es ging um den Strom der Zeit, um Kush, die Götter, um eine Welt Namens Schattenwelt, um vier Brüder und um sie.
Sie fragte das Wesen, ob sie zu dieser Welt gebracht werden sollte, doch das Wesen verneinte. Er würde sie zu einer Welt bringen und dort sollte sie etwas lernen. Auf die Frage um was es sich dabei handeln würde lachte das Wesen weise und meinte nur,
"Genau das ist es was Kush dich lehren will. Finde es heraus!"
Auf die Frage, wer Kush sei, bekam sie keine Antwort, doch das Wesen lächelte seltsam und antwortete nur,
"Er wird am Ende der Zeit auf dich warten, sowie er auf alle anderen wartet, dort kannst Du ihn selber fragen."

Das Wesen brachte sie zu einer fremden Welt und wie ein dichter Nebel legte sie sich darum.
Sie spürte die Abneigung der Bewohner gegen sie, doch sie saugte das Wissen und die Gefühle wie ein nasser Schwamm in sich auf. Mit der Zeit lernten die Bewohner der Welt mit ihrer ständigen Anwesenheit zu leben. Und nach vielen Generationen hatten sie den Nebel endlich akzeptiert.
Da kam eines Tages ein weiteres Wesen auf die Welt und bemächtigte sich vieler Seelen und pflanzte in ihnen den Haß auf den Nebel. In der friedlichen Koexistenz der Bewohner und dem Nebel entstand ein Riß und ein kleines Mädchen aus dem Volk war es schließlich, die zufällig eine Stelle auf ihrer Welt fand, an die der Nebel niemals gelangen konnte. Dort pflanzte das kleine unschuldige Mädchen einen Baum.
In dem Nebel wuchs der Haß auf das Volk, das ihn hintergehen wollte und nach einem tausendjährigem Frieden brach ein gewaltiger Krieg aus, den der Nebel am Ende für sich entschied. Das letzte Lebewesen des Volkes, das der Nebel tötete, war ein junges Mädchen. Doch noch im sterben erkannte das Mädchen den wahren Urheber dieses Krieges und so sprach sie die drei Worte, die der Nebel nie vergessen würde,
"Ich vergebe Dir!" dann starb das Mädchen und mit ihr der Baum auf dem kleinen Hügel, den der Nebel niemals erreicht hatte.
Der Nebel erkannte in den Worten die Wahrheit und etwas, das es niemals vorher gespürt hatte. Vergebung!
Der wahre Urheber des Krieges aber zog lachend über das Land und sammelte die Leichen der Getöteten zusammen und häufte sie zu riesigen Bergen zusammen.
Aus Gram über seine Blindheit verzog sich der Nebel wieder und starb schließlich am Fuße des Hügels, auf dem nur noch der tote Baum stand und an dessen Ufer die Wellen des Blutes schlugen.

Der Mann stand am Rande des kleinen Hügels und beobachtete den Nebel und sah zu wie er starb. Dann fing er die Seele der Frau wieder auf und verbarg sie im Strom der Zeit. Er wußte das seine Aufgabe noch nicht beendet war und wartete.
Er beobachtete, wie in der Ferne die Berge wuchsen und Ekel stieg in ihm auf. Doch seine Aufgabe auf dieser Welt hatte einen anderen Sinn. Selbst als der Gott lachend im Blut stand und ihn verhöhnte, verzog sich keine Miene in seinem Gesicht. Er wußte das Raynor ihm nichts anhaben konnte.
Verächtlich spuckte Raynor den Mann am Ufer an,
"Er wird dich nicht ewig schützen können!" sprach er.
Doch der Mann am Ufer sah ihn nur traurig an und wischte sich das Blut aus dem Gesicht, während er antwortete,
"Dich auch nicht!"
Raynor's Aufgabe war erledigt und so verzog er sich aus den Sphären dieser Welt, um sich eine neue zu suchen. Der Mann jedoch, stand seelenruhig da und wartete.
Endlich sah er Bewegung am Horizont. Eine Reihe von Männern und Frauen kamen im Gänsemarsch auf diesen Hügel zu. Sie waren jedoch noch zu weit entfernt, als das sie ihn erkennen konnten. Langsam schritt er auf den toten Baum zu und verbarg sich im Schatten. Nach kurzer Zeit war er nicht mehr zu erkennen.

Beelzial hatte das Ziel gesehen, als er auf den riesigen Leichenberg geklettert war. Nur noch einen Tagesmarsch entfernt lag der Hügel. Ohne sich umzuwenden, begann er mit dem Abstieg, während seine Leute gerade mit dem Aufstieg begonnen hatten.
Es gab kaum Halt und immer wieder verrutschten die Leichen über die sie kletterten, oder unter ihnen brachen die morschen Knochen zusammen und die nach rutschenden Leichen begruben sie unter sich. Einzig Hellion schien kaum Probleme zu haben, da er wie in Trance seinem Meister folgte!

Weit ab, auf einer ganz anderen Welt, oder in einer anderen Zeit, trafen sich im Palast der Valharess Triel Dro'Olathurl und Garandia.
"Es ist Zeit, ich muß gehen."
Triel blickte die Frau traurig an und nickte ohne ein Wort zu sagen. Sie wußte das dies ein Abschied für immer sein würde.
Garandia zog unter ihrem Umhang einen seltsamen Ständer hervor und überreichte ihn der Valharess,
"Bewahre ihn gut. Wenn ich Erfolg habe, dann wird der Kristall auf diesem Ständer erscheinen und die Stürme im arkanen Gewebe werden sich beruhigen."
Triel nahm den Ständer und brachte ihn zu einem kleinem Schrein. Dort positionierte sie ihn genau in der Mitte und entzündete zwei schwarze Kerzen, die ein unheimliches Licht warfen. Triel öffnete eine kleine Schublade in einem der Schränke und griff zu dem Messer, mit dem schon ihre Vorgängerin das Blutritual bei Viconia Do'Urden ausgeführt hatte. Dann öffnete sie ein kleines Fläschchen und tröpfelte etwas von dem starken Gift auf die Klinge. Als sie sich umsah hatte Garandia sich bereits entkleidet.
Langsam trat sie auf die Erstgeborene zu. Diese sah ihr ohne Angst entgegen,
"Es ist nicht anders möglich!" sagte Garandia leise und nahm dabei die Hand der Valharess, die den Dolch hielt und führte die Klinge an ihre Brust unter der das unsterbliche Herz schlug, dann schloß sie die Augen und während sie in einer uralten Sprache anfing seltsame Formeln zu murmeln, breitete sie langsam die Arme aus und legte den Kopf in den Nacken.
Triel wartete, bis die nackte Frau kein Wort mehr von sich gab und stieß dann mit aller Kraft den Dolch tief in die Brust der Unsterblichen.

Hista Kindail saß bereits seit über einer Woche still und regungslos auf dem Rasen vor seinem Haus, als plötzlich eine Stimme an sein Ohr drang,
"Es tut mir leid alter Freund!"
Hista erkannte die Stimme und ohne die Augen zu öffnen antwortete er,
"Ich habe nicht erwartet das du mich aufsuchst Garandia!" Trauer lag in diesen Worten.
Er spürte ihre Nähe, doch sie schien nicht anwesend zu sein, denn er vernahm keinen Laut, außer den der Pferde, die ruhig im Garten grasten.
"Ich..." die Stimme brach ab und nach einer Weile fuhr sie traurig fort, "Verzeih mir Hista!"
Hista öffnete die Augen und sah sich um. Dort war nichts. Nur seine Pferde die ihn mit seltsamen Augen anstarrten. Er lies traurig den Kopf sinken und mehr zu sich selbst, als zu dieser Stimme flüsterte er leise,
"Ich verzeih dir Garandia!"

Garandia aber war bereits verschwunden. Zuerst folgte sie der sichtbaren Spur, die das Tribunal der Finsternis in der Zeit hinterlassen hatte und kam unbemerkt an den Ort des Schreckens, den Raynor hinterlassen hatte. Sie folgte den Männern und Frauen, bis diese einen kleinen Hügel erreichten. Dort aber geschah etwas seltsames.
Beelzial schien außer sich vor Wut zu sein darüber, daß sie zu spät gekommen waren. Erst als ihn seine Anhänger um Aufklärung baten, erzählte er ihnen weshalb sie überhaupt hier wären. Jetzt ließen sich auch die anderen enttäuscht in das abgestorbene Gras sinken.
Eras Elur, ein großer stämmiger Krieger, menschlicher Abstammung stand am Rande des Hügels und blickte in die Ferne auf die Berge. Wie konnte er auch ahnen, das er direkt in das Antlitz von Garandia sah, die nur wenige Schritte von ihm entfernt stand, für ihn aber nicht sichtbar war. Wütend trat er einen kleinen Stein in das Blutmeer und sah dann wieder auf seinen Meister,
"Und was zur Hölle machen wir jetzt?" fragte er mit verärgerter Stimme.
Seine Kameraden zuckten mit den Schultern und alle Blicke wanderten zu Beelzial, der oben auf dem Hügel an dem toten Baumstamm lehnte.
Beelzial warf immer wieder eine kleine Eichel in die Luft, die am Fuße des Baumes gelegen hatte und sah hinaus auf die weit entfernten Berge. Wütend lies er die Eichel fallen und trat darauf. Dann ging er langsam zu seinen Leuten hinab und sah sie der Reihe nach an. Als er anfing zu sprechen, klang seine Stimme nicht gerade so, daß man sie freundlich nennen konnte,
"Raynor wird einen Grund haben, das er uns zu spät hier her holte. Was auch immer das für ein Grund ist. Er wird uns nicht vergessen!"
Belara sah Beelzial mit einem sonderbaren Blick an, nickte jedoch nur stumm. Oklot Radoi jedoch stand auf und während er in Richtung der Berge sah, meinte er leise,
"Dann wollen wir hoffen, das die Fliegen uns nicht eher erreichen als der Atem Raynor's!"
Alle folgten seinem Blick und nun sahen sie ebenfalls die riesige schwarze Wolke, die sich von einem der Berge in weiter Ferne erhob. Ganz leise war ein Summen zu vernehmen.

Garandia sah dem Tribunal fassungslos hinterher, als diese auf der entgegen gesetzten Seite den Hügel verließen und sich auf den Weg zu einem Ziel begaben, daß keiner kannte. Nicht einmal Beelzial. Gerade wollte sie ihnen wieder folgen, als aus dem Schatten des Baumes ein unbekannter Mann trat und sich zu der Eichel bückte, die Beelzial hatte fallen lassen.
Doch gänzlich verlor sie ihre Fassung als der Mann sich in ihre Richtung wandte und sie ansprach,
"Es scheint, das sich unsere Wege immer wieder kreuzen Garandia!"
Wie konnte das sein? Wer war dieser Mann und wieso konnte er sie sehen? Warum hatte sie ihn vorher nicht bemerkt und warum hatte Beelzial, der nur einen Schritt entfernt gestanden hatte, ihn nicht gesehen?
Der Mann lächelte und hielt kurz die Eichel gegen die Sonne. Dann schob er sie in einen kleinen Beutel, der an seinem Gürtel hing. Mit lächelnden Augen sah er anschließend auf Garandia und sprach,
"Finde jemanden, der Kontakt mit dieser Eichel aufnehmen kann und vielleicht rettest Du so ein Leben!"
Garandia erinnerte sich an das Gespräch, in dem Beelzial seinen Anhängern den Grund ihres Hierseins erklärte. Sie schluckte, als sie antwortete,
"Also lebt der Nebel... also lebt sie noch?"
Der Mann nickte leicht,
"Ja sie lebt noch, auch wenn sie noch nicht alles gelernt hat was sie wissen muß!"
Garandia wollte noch etwas sagen, doch der Mann war spurlos verschwunden.
Was sollte sie tun? Jemand finden, der Kontakt mit der Eichel herstellen konnte?
Es gab nur einen Ort, wo so jemand leben konnte. Schattenwelt!

Mit Freude im Herzen hatte sie Jahrtausende lang die Entwicklung der Drow auf Schattenwelt verfolgt. Wie alle von ihrem Volk, glaubte sie an Lloth und bemerkte wie sich die Göttin immer seltener um das Urvolk kümmerte. Machte ihr das am Anfang nicht viel aus wurden bald Stimmen laut, die sie in ihren Bann zogen.
War der Göttin das Urvolk wirklich egal?
Sie wollte es nicht glauben und so machte sie sich eines Tages auf die Suche nach Lloth. Unerkannt wandelte sie unter den Drow der Unterwelt und lauschte den Geschichten und Gerüchten. Mit verhaßtem Blick verfolgte sie die Häuser Do'Urden, Noquar und Hun'ett, die sich von der Unterwelt los sagten und an die Oberfläche gingen. Das schlimmste daran war, daß dies mit Erlaubnis der Göttin geschah.
Von jenem Tag an wuchs in ihrem Herzen der Haß auf Lloth ins Unermessliche und so wurde sie schließlich ein leichtes Opfer für Raynor.
Das Spiel, das Raynor dabei anwandte war hinterhältiger als es Lloth selbst jemals hätte planen können und ohne das der eingesetzte Titan etwas davon merkte wurde auch er nur ein Spielball im Kampf der Götter.
Raynor blendete einen jungen kräftigen Drow auf der Oberwelt und ließ ihn seinen Glauben für eine Weile vergessen, so daß dieser sich in die Tochter des Feuertitanen Pyros verliebte. Das Ergebnis dieser Liebe, die es niemals hätte geben dürfen, war eine Junge Drow, die äußerlich der Frau aus dem Urvolk wie aus dem Gesicht geschnitten war.
Als nun die Frau aus dem Urvolk sah, was angeblich im Namen von Lloth geschehen war, verfiel sie Raynor und ihre Seele war gefangen. Mit aller Kraft überzeugte sie immer mehr aus ihrem eigenem Volk und sogar die meisten Drowhäuser davon, das Lloth sich von ihnen abgewandt hatte.
Dann kam der Tag an dem die Valharess an die Oberfläche ging, um bei eben dieser jungen Halbdrow Viconia Do'Urden, das Blutritual zu vollziehen um sie zu einer vollwertigen Drow zu machen.
Für die Frau aus dem Urvolk war genau dies der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. In dem Geliebten der Valharess hatte sie längst einen Verbündeten gefunden und so schmiedete sie den letzten Plan um die Anhänger Lloth's vom Antlitz dieser Welt zu fegen. Zur Hilfe kam ihr dabei, das Raynor sein Tribunal der Finsternis im richtigen Moment gegen Vesper schickte und fast alle Drow tötete. Doch leider überlebte Viconia dabei und so schnell wie möglich mußte diese aus dem Weg geräumt werden. Ihren Ursprünglichen Plan gab sie jedoch auf, als der Geliebte der Valharess ihr erklärte, das es vielleicht besser wäre diese Bastardbrut am Leben zu lassen, um so eventuell ein Doubel zu haben, falls man eins benötigte.

Schließlich kam es zum Kampf der Drow in der Unterwelt und die Frau aus dem Urvolk tötete unbarmherzig jeden, der sich ihr in den Weg stellte. Ausgestattet mit einer Macht, die nur von Göttern vergeben wurde, erklomm sie ein Haus und ließ von der Position aus ihre Todbringenden Blitze in die Massen der Drow fahren. Dabei interessierte es sie wenig, daß eigene Leute ums Leben kamen. Sie steigerte sich in einen Blutrausch hinein, den niemand hätte stoppen können...
Als jedoch für kurze Zeit Ruhe in den Kampf eintrat, weil das Haus Dro'Olathurl und das Haus Baenre in den Kampf einstieg, fiel ihr Blick auf die Menge und das erste mal sah sie wirklich die Gesichter der Wesen vor sich. Sie bemerkte eine Bewegung. Ein einzelner Mann warf sich herum und zielte mit dem Bogen auf sie, gerade wollte sie den todbringenden Zauber aussprechen als sie in den Augen des Mannes etwas erkannte, das ihr ganzes Weltbild zerstörte. Sie zögerte einen Moment zu lange und der Pfeil traf sie genau ins Auge und zerfetzte ihren Kopf.
Das letzte Wort, daß sie in ihren sterbenden Gedanken formte war,
"Vater..."

Unbemerkt stand plötzlich ein Mann in seltsamer Rüstung neben der Leiche der Frau und wartete auf die Seele, die den Körper verlassen wollte. Mit einem freundlichem Lächeln im Gesicht streckte er ihr die Hand entgegen. Traurig sah ihn die Seele an, folgte ihm jedoch ohne Widerreden zurück in den Strom der Zeit.
Lange Zeit hing sie ihren Gedanken nach und sah dann in das Antlitz des Mannes, der ihr im Strom der Zeit gegenüber schwebte,
"Warum? Was hat das für einen Sinn?" fragte sie leise.
Der Mann sah sie lange an, bevor er antwortete,
"Den Göttern, wie ihr sie nennt, wurde im gewissen Sinne langweilig und sie fingen an gegen das Buch der Zeit zu verstoßen. Dies würde aber dazu führen das sich das Buch der Zeit selbst zerstört. Mit deiner Hilfe habe ich nun wenigstens einen Teil des Buches wieder herstellen können."
Die Frau sah ihn verständnislos an und er konnte erkennen, das sie nichts von dem verstanden hatte was er gerade gesagt hatte. Sanft lächelnd fügte er deshalb hinzu,
"Deine letzte Aufgabe wartet auf dich, geh nun und nimm dies mit," gleichzeitig überreichte er ihr eine seltsame Eichel, "das wird der Weg zurück sein in deine Welt und in deine Zeit."
Sie nahm die Eichel und betrachtete sie von allen Seiten. Gerade wollte sie fragen, wie denn diese Eichel ein Weg sein konnte, als sie vom Strom der Zeit fortgerissen wurde. In ihren Gedanken entstand ein Wirbel und sie vergaß alles, was sie eben noch gehört und gesehen hatte. Selbst alles Erlebte verschwand und zurück blieb nur ein absolutes nichts.
Der seltsame Mann aber sah in die endlose Leere der Zeit, eine Träne löste sich aus seinen Augen und schwebte langsam davon Richtung Ende. Er wußte das er Viconia wiedersehen würde, aber ebenso wie Garandia konnte sich niemals jemand an ihn erinnern. Die Spuren in der Zeit, die er hinterließ waren nicht sichtbar und dienten einzig dem Erhalt des Buches. Wie konnte er auch ahnen, daß es bereits Pläne gab ihn zu vernichten und als er sich abwandte sah er nicht wie unbemerkt ein kleiner Trupp Männer und Frauen in seine Spuren trat, von Raynor dazu verdammt dem Zeitreiser durch alle Welten zu folgen!

Gelroos, Tharkun und ein paar andere Leute hatten es sich an der kleinen Bar, die so abgelegen am Meer lag gemütlich gemacht und beobachteten den Sonnenuntergang. Einige Angler standen an dem kleinem Steg und versuchten in der Dämmerung etwas von den Schätzen des Meeres für ihr Abendbrot abzuzweigen, als plötzlich ein seltsam kalter Wind über den Strand wehte. Gleichzeitig fiel den Wesen eine kleine Nebelbank auf, die sich langsam dem Ufer näherte, sich jedoch nicht wie normaler Nebel mit dem Wind bewegte. Obwohl der Wind nicht kühl war, der über den Strand wehte, fröstelten die Beobachter dieses seltsamen Schauspiels.
Und dann erreichte der Nebel schließlich den kleinen Steg. Längst hatten die Angler ihre Sachen gepackt und beobachteten, wie alle anderen das Schauspiel lieber aus einer sicheren Entfernung.
Eine Stimme erklang und schien aus dem Nebel zu rufen, aber die Worte klangen als kämen sie von viel weiter her. Doch Tharkun fühlt etwas, daß aus dem Arkanen Gewebe zu kommen schien und trat vorsichtig auf den kleinen Steg hinaus und in diesem Moment verflog der Nebel wie von Geisterhand. Eine durchsichtig schimmernde Gestalt, die niemand der Anwesenden jemals zuvor gesehen hatte stand vor dem Magier. Kraftlos sank sie zu Boden und der Versuch der Frau zu helfen scheiterte einfach daran, das ihr Körper keine Materie besaß die man hätte anfassen können.
Die Männer und Frauen hörten die traurig klingende Stimme in ihren Köpfen, aber jeder konnte erkennen das die Frau ihren Mund nicht bewegte. Sie schien um Hilfe zu flehen.
Die wenigen Worte, die sich in ihren Köpfen formten, schienen etwas zusammenhanglos, doch erst als sie sagte,
"Findet den letzten seiner Art und beeilt euch, ein Leben hängt davon ab..."
begriff zumindest Gelroos sofort, wer damit gemeint sein könnte. Er war zwar ebenfalls der letzte seiner Art, aber er war ja da und sie hatte ihn angesehen. Doch die rötliche Färbung ihrer Haut erinnerte ihn vom ersten Moment an seinen alten Freund Hista Kindail, den Erstgeborenen. Gleichzeitig fiel ihm auch auf,  das er diesen Mann schon seit Wochen nicht mehr gesehen hatte.
Die Erscheinung der seltsamen Frau löste sich plötzlich auf, doch in den Köpfen der Männer und Frauen entstand das letzte mal ihre Stimme,
"Ich muß gehen, RAYNOR FINDET MICH SONNST..." und dann war sie verschwunden.
Gelroos blickte in die Gesichter der Anwesenden und sagte gelassen,
"Ich weiß zwar wo mein Freund wohnt, jedoch war ich noch nie dort. Die Reise dorthin ist ein einziges Labyrinth!"
Keiner der Männer und Frauen, die sich ihnen anschlossen, um den Erstgeborenen nun zu suchen ahnten zu diesem Zeitpunkt, wieviel Wahrheit in diesen Worten steckte!

Zwei Tage später.
Hista saß immer noch unbeweglich im Gras. Seit mehreren Wochen hatte er weder Nahrung noch etwas zu Trinken zu sich genommen. Jeder andere wäre längst gestorben, aber nicht der Erstgeborene. In seinem Herzen, das jetzt eins war mit dem Stein des Lebens, keimte ein Funken Haß auf seine Unsterblichkeit. Garandia, von der er Tausende von Jahren nichts geahnt hatte, wäre die einzige gewesen, die ihn vom Leben hätte erlösen können. Doch sie war weg. Im Strom der Zeit verschwunden und niemals würde er sie wiedersehen. Seine Gedanken schweiften zu der Drow Viconia und sein Herz schien für einen kurzen Moment auszusetzen. Wo war sie und lebte sie noch?
Ihm war klar, das sie seine heimliche Liebe niemals erwidern würde. Doch seit dem er sie das erste mal gesehen hatte, liebte er diese junge Drow. Seine Gedanken schweiften ab zu seiner Tochter Bastet, die sich in letzter Zeit verändert hatte. Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht. Sie würde ihn nicht verstehen, zu sehr liebte sie ihre Mutter, die diese Welt längst verlassen hatte.
Das Schnauben seiner Pferde riß ihn aus seinen Gedanken.
Erstaunt sah er in die Richtung, in die seine Pferde blickten. Dort draußen im Labyrinth mußte jemand sein.
Langsam erhob er sich und schritt auf die Pforte zu. Nichts! Argwöhnisch betrachtete er das Labyrinth und schließlich entschied er sich dafür, doch einmal nach draußen zu gehen um den Eindringling zu verjagen. Schon nach wenigen Schritten spürte er, das ihn mindestens ein Augenpaar verfolgte, doch so sehr er sich auch anstrengte, er konnte den heimlichen Beobachter nicht entdecken.
Gerade wollte er umkehren um seine Waffen zu holen, als direkt vor ihm ein in weiß gekleideter Mann um die Ecke gerannt kam. Als wäre es das natürlichste der Welt, grüßte ihn der Mann mit den Worten,
"Seid gegrüßt, ist euer Name Hista Kindail?"
Hista war viel zu schockiert um den unerwünschten Besucher sofort zu verjagen und antwortete wahrheitsgemäß. Der Mann lächelte und stellte sich vor,
"Tharkun mein Name. Magier der Paladine des Mondes!" Er reichte ihm die Hand und fuhr fort, "Wir suchen euch schon überall und ihr habt euch hier wirklich gut versteckt!"
Hista nickte nur wortlos, bis ihm das -wir- auffiel.
"WIR?" fragte er leicht erzürnt und Tharkun zuckte etwas zusammen.
Stammelnd antwortete er,
"Äh ja, wir haben uns aufgeteilt und einige scheinen sich wohl verlaufen zu haben in eurem Labyrinth."
Hista musterte den Mann. Er konnte sich erinnern, ihn schon einmal irgendwo gesehen zu haben, auch der Name Tharkun war ihm ein Begriff, doch er konnte ihn nicht einordnen. Bevor er jedoch darauf eingehen konnte, hatte Tharkun sich wieder gefasst und redete weiter,
"Wir haben eine Nachricht für euch, denke ich jedenfalls, da die Frau von dem letzten seiner Art gesprochen hatte!"
Hista hob eine Augenbraue, lies den Mann jedoch weiter reden.
"Sie sprach von einem Leben das im Strom der Zeit gefangen ist und einer Verbindung zu euch. Wir sollten euch aufsuchen und..." hastig erzählte der Magier, was an dem kleinem Strand vorgefallen war und schon nach kurzer Zeit begriff Hista, das Tharkun eine Begegnung mit Garandia gehabt haben mußte. Der Magier schloß seinen Bericht in dem Moment, als Gelroos um die Ecke bog.
Mit Trauer im Blick begrüßte ihn der Erstgeborene und mit einem kurzem Blickwechsel zwischen Tharkun und Gelroos war geklärt, das Hista über alles informiert war.
Forschend sah der Erstgeborene den Magier an und fragte dann,
"Und ihr seid ein Magier, der die Arkanen Mächte in seine Gewalt bringen kann?"
Tharkun lächelte verlegen als er antwortete,
"Nun ja, sagen wir eher ich kann sie ein wenig manipulieren. Ob ich sie jedoch unter meine Gewalt zwingen kann, wage ich zu bezweifeln."
Hista nickte nachdenklich und sein Blick fiel auf Gelroos,
"Alter Freund, bist du bereit uns zu helfen, wenn wir versuchen den Wunsch der Frau zu erfüllen, die ihr am Strand getroffen habt?"
Gelroos nickte lächelnd,
"Na ich bin doch für jede Tat zu haben, wenn sie einen guten Nutzen hat!"
Hista nickte und sank auf die Knie, auffordernd sah er die beiden Männer an und sie taten es ihm gleich. Sanft sah er dem Magier in die Augen,
"Ich werde dir meinen Geist öffnen Magier. Die Macht des Arkanen wird dir helfen hinein zu sehen. Doch Gelroos hier muß euch dabei unterstützen, denn was ihr sehen werdet, könnte euch gefangen nehmen und euer Geist wäre auf ewig verloren."
Er nahm die eine Hand von Tharkun und legte sie in die Hand von Gelroos, dann nahm er jeweils die freien Hände der beiden in seine eigenen,
"Macht euren Geist frei. Du Gelroos, sieh Tharkun an und konzentriere dich auf ihn. Du aber Magier sieh mir in die Augen."
Tharkun schluckte. Für einen kurzen Moment war er sich nicht sicher, ob er hier das richtige tat. Doch die Möglichkeit einen Teil der Arkanen Mächte dieser Welt zu sehen, die niemals jemand vor ihm gesehen hatte, ließ ihn seine Angst vergessen.
Mit festem Blick sah er in die Augen des Unsterblichen.

Nach einer Weile wurde dem Magier plötzlich schwarz vor Augen. Bevor er jedoch panikartig seinen Blick abwenden konnte, wurde die Sicht wieder klar.
Doch er war nicht mehr auf Schattenwelt. Dunkelheit, Kälte, Licht, Farben und Klänge umgaben ihn. Er schwebte irgendwo im nichts!
Auf der Stirn von Gelroos bildeten sich kleine Schweißtropfen. Er spürte, das irgendetwas mit dem Magier geschehen war, doch er wagte nicht zu fragen. Irgendwie schien sich ein Teil des Geistes von Tharkun an ihn zu klammern und er spürte, wie sich die Hand des Magiers verkrampfte. In diesem Moment vernahm er die Stimme des Erstgeborenen,
"Achte auf seinen Geist Gelroos, er darf nicht verloren gehen!"
Keiner der drei bemerkte, wie der Rest der kleinen Gruppe, die Hista gesucht hatten an dem Platz eintrafen. Tycho, Pizzaro und Tetsu hatten endlich den Weg gefunden. Fassungslos starrten sie auf die Szene die sich ihnen bot!
Tharkun jedoch bekam erst Recht nicht mit, was um ihn herum vorging, er befand sich nicht mehr in dieser Welt!
Vor seinen Augen entstand ein Fluß, der aus der Unendlichkeit zu kommen schien und auch dorthin verschwand. In seinem Geist entstand die Stimme des Unsterblichen,
"Siehst du den Strom Magier?"
Die drei Neuankömmlinge hatten diese Stimme nicht gehört, doch sie vernahmen nun die Antwort, die Tharkun wie in Trance aussprach,
"Ja... ich glaube... ich sehe... Wasser...!"
Leise sprach Hista in Richtung Gelroos, während er ihm einen kurzen Seitenblick zuwarf,
"Halte ihn gut fest, Freund!"
Gelroos stammelte unter starker Anstrengung,
"Ich... versuche es..." längst war er in einen Zustand verfallen, an dem ihm gar nichts anderes mehr übrig geblieben wäre, denn der Geist Tharkun's war das einzige was er noch richtig wahr nahm.
Zu Tharkun sprach Hista wieder nur in Gedanken,
"Berühre das Wasser!"
Zögernd streckte der Magier die Hände in den Strom, im gleichen Augenblick spürte er etwas. Leben! Dieses Wasser lebte!!! In seinem Kopf entstand wieder die Stimme von Hista,
"Dieses Wasser symbolisiert die Zeit, Magier. Du sprachst davon, das etwas oder jemand in diesem Strom zurück will nach Schattenwelt oder dort gefangen ist."
Die drei Personen, die mit weit aufgerissenen Augen auf die knienden Personen blickten sahen wie Tharkun nickte. Tycho fragte leise,
"Hey, was geht hier eigentlich ab?"
Pizzaro versetzte ihm einen kleinen Stoß in die Seite, legte den Finger auf den Mund und meinte nur,
"psssst!"
Währenddessen erklang im Geiste Tharkun's wieder die Stimme,
"Es ist dort im Wasser, greife danach und zieh es heraus."
Tharkun verstand nicht gleich, was der Erstgeborene meinte und seine Hände fuhren vergeblich durch das Wasser, als er plötzlich etwas zu fassen bekam. Etwas kleines, nicht viel größer als ein Kieselstein. Hastig griff er danach und zog es aus dem Wasser.
Gelroos schrie auf und warf sich mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht nach hinten. Die Hand des Magiers schien seine eigene zermalmen zu wollen.
Entsetzt sprangen die drei Zuschauer ein paar Schritte zurück, als plötzlich vor ihren Augen aus dem Nichts eine nackte Frau erschien und zu Boden fiel. Tharkun schrie auf und sank in eine tiefe Bewußtlosigkeit. Gelroos wälzte sich erschöpft auf der Erde und versuchte wieder Herr seiner Gedanken zu werden.
Auch Hista mußte eine Weile seine Gedanken sammeln, bis er wieder klar denken konnte.
Pizzaro starrte entsetzt auf die Frau vor seinen Füßen. Tetsu bückte sich hinab und fühlte kurz am Hals nach ihrem Puls. Traurig sah er erst seine beiden Kameraden und dann Hista an,
"Sie ist Tod!"
Hista stand mühsam auf und trat an die Frau heran. Bis jetzt hatte er nicht gesehen, wen der Magier da aus dem Strom der Zeit geholt hatte, doch als jetzt der Blick auf das Gesicht der Frau fiel, erbleichte er. Vor ihm lag Viconia Hun'ett. Die Frau die er mehr als alles andere auf dieser Welt liebte und die seine Liebe wohl niemals erwidern würde. In ihm zerbrach der letzte Funke Hoffnung und dann stieß er einen Schrei aus, den ganz Schattenwelt hörte und jeder erkannte die tiefe Trauer die in diesem Schrei lag.
Tycho, Pizzaro und Tetsu, die direkt neben ihm standen warfen sich zu Boden und hielten sich die Ohren zu. Doch der Schrei, den Hista ausstieß, schien durch alles hindurch zu dringen. Als sie sich wieder erhoben, sahen sie Hista mit der toten Viconia auf dem Arm in Richtung seines Grundstückes gehen. Von Gelroos und Tharkun kam ein leises Stöhnen. Eilig kümmerten sich die drei um die beiden kraftlosen Männer.

Stunden später...
Hista Kindail stand erhobenen Hauptes auf seinem Turm. Die langen schwarzen Haare wehten im Wind und die untergehende Sonne lies seine Haut noch roter wirken, als sie es sowie so schon war. In seinen Armen hielt er Viconia, ihr Kopf hing leblos hinab. Ihre langen weißen Haare hatten den Glanz ihrer Jugend verloren und ihre starren Augen schienen in den Himmel zu blicken.
Er wagte es nicht auf den leblosen Körper in seinen Armen hinab zu blicken. Tränen hatte er längst keine mehr. Sein Mund war ausgetrocknet als er ihren Kopf an seine Brust drückte und all seinen Schmerz in die untergehende Sonne brüllte. Seit Hunderttausenden von Jahren hatte er keine Frau mehr so geliebt wie dieses junge Mädchen und nun lag sie tot in seinem Arm, ohne das er ihr jemals seine Liebe hatte gestehen können. Er vergrub seinen Kopf in ihren Haaren und schluchzte.
Warum? Was zur Hölle war nur passiert?
Da spürte er plötzlich ein heißes Gefühl in seiner Brust. Erstaunt sah er auf die Stelle und bemerkte, wie unter seiner Haut etwas zu glühen schien. Vorsichtig nahm er den Kopf von Viconia zur Seite und das Glühen erlosch. Als er ihren Kopf jedoch wieder an seine Brust drücken wollte glühte die Stelle erneut auf und in dem Moment wußte der Unsterbliche was er zu machen hatte.
Behutsam legte er die Drow auf die Erde nieder, schwang sich in Windeseile von seinem Turm und rannte wieder in das Labyrinth hinein,
"WO IST DER MAGIER?" schrie er Tycho an, als er um die Ecke der Hecken gerannt kam.
Tycho begriff, das etwas sehr wichtiges passiert sein mußte und rief im davonlaufen,
"Warte ich hole ihn!"
Da Tharkun und Gelroos zu erschöpft gewesen waren um sofort die Heimreise anzutreten, hatten sie ihr Lager an der Stelle aufgeschlagen, an der Hista sie zurück gelassen hatte. So schnell sie konnten, gingen sie nun Hista entgegen.
Hista schüttelte den Magier am Arm,
"Es gibt Hoffnung, aber dafür benötige ich wieder deine Hilfe Magier." rief er aufgeregt.

Nach einiger Zeit hatte es Tharkun mit letzter Kraft geschafft den hohen Turm von Hista zu besteigen. Außer Atem sah er auf die Tote und Hista, der vor ihr kniete. Flehend sah ihn der Erstgeborene an,
"Ihr seid ihre letzte Hoffnung, ihr habt die Möglichkeit sie in das Leben zurück zu holen."
Tharkun hob fragend eine Augenbraue,
"Warum sollte ich das tun? Ich kenne diese Drow. Sie ist eine gefühllose eiskalte Mörderin!"
Hista sah ihn traurig an und antwortete leise fragend,
"Weil ich euch darum bitte?"
Tharkun überlegte eine Weile. Er hatte Hista bis zum heutigen Tag nicht gekannt und trotzdem hatte ihm dieser Mann etwas gegeben, von dem er nicht einmal geahnt hatte, das es existiert. Das Wissen um den Strom der Zeit. Er hatte ihn gesehen. Er hatte die Macht von Hista erhalten den Strom der Zeit zu berühren und sogar etwas daraus zu befreien. Und jetzt wollte dieser Mann ihm ein weiteres Geschenk machen? Diese Frau war seit Wochen tot. Auch wenn sich ihr Körper nicht dem Verfall hingegeben hatte und immer noch jugendlich und frisch wirke, so hätte seine Macht niemals gelangt, sie wieder ins Leben zu holen, dafür war ihre Seele zu lange vom Körper getrennt. Ein leichtes Grinsen umspielte seine Lippen, als er antwortete,
"Was muß ich machen?"
Hista sah zum Gürtel des Magiers und wies auf den Dolch,
"Nehmt den Dolch!" Dabei stand er auf und stellte sich vor den Magier!

Tetsu, Gelroos, Pizzaro und Tycho hatten sich einen Platz auf einem kleinem Hügel gesucht, von wo aus sie relativ gut erkennen konnten was sich dort oben auf dem Tempel abspielte. Sie konnten jedoch nicht hören was dort gesprochen wurde.
Plötzlich sprang Tycho auf und rief erregt, "Er tötet ihn. Er will ihn umbringen!"
Gelroos starrte fassungslos auf den Turm. Er sah, wie der Magier dem Unsterblichen den Dolch auf die Brust hielt und nach einem kurzem Zwiegespräch zwischen den beiden stieß er ihn tief in den Körper des Erstgeborenen hinein. Blut bespritzte den Magier und nach einer Weile liefen kleine Fäden Blut an den Mauern des Turmes hinab. Tycho wandte sich ab und übergab sich. Tetsu stand mit weit aufgerissenen Augen da und schluckte krampfhaft. So etwas hatte er noch nie gesehen, geschweige denn, das Tharkun so etwas machen würde.
Alle sahen wie der Magier immer wieder in der Brust des immer noch stehenden Erstgeborenen herum stocherte, als ob er etwas suchen würde und dann ertönte plötzlich ein knirschender Laut, der durch Mark und Bein ging. Tycho sank vor Ekel bewußtlos zu Boden.
Pizzaro schluckte heftig. Was auch immer dort oben auf dem Turm geschah, er glaubte an seinen Freund Tharkun und konnte sich einfach nicht vorstellen, das dieser jetzt ein Wesen auf diese Art und Weise das Leben nehmen konnte.
Gelroos murmelte fassungslos immer wieder vor sich hin,
"Er ist unsterblich... Er kann nicht sterben... Er ist unsterblich...."
Ein gewaltiger Schwall Blut schoß aus Hista's Brust, als Tharkun etwas daraus hervor holte, und spritzte bis zu dem kleinem Hügel auf dem die vier Personen standen. Tycho der gerade wieder zu sich gekommen war, sah in diesem Moment zum Turm und bekam einige Spritzer des Blutes ab. Wortlos kippte er erneut bewußtlos nach hinten!

Kraftlos sank Hista in die Knie und sah auf das Stück Herz, das Tharkun in der Hand hielt. Der Magier sah fassungslos auf das Stück Fleisch, das pulsierend in seiner Hand lag und aus Stein zu bestehen schien. Seine weiße Robe hatte längst die Farbe des Blutes angenommen, das Hista verloren hatte.
Fragend sah er auf Hista hinab, der vor ihm auf dem Boden lag und sich die riesige Wunde in der Brust zu hielt,
"Nun... Magier..." stöhnte Hista, "jetzt mußt... Du... ihren... Brustkorb..." er spuckte Blut und es dauerte einen Moment bis er weiter sprach, "ihren Brustkorb... öffnen... und... das Stück... meines Herzens... dort hinein... legen..." Wieder spuckte er Blut.
Tharkun ging wie in Trance auf die Drow zu, setzte den Dolch auf ihre Brust und schnitt an der Stelle, wo das Herz sitzen sollte den Körper auf. Er spürte, wie das Stück Fleisch in seiner anderen Hand langsamer schlug und Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, als er ihre Rippen auseinander bog. Sie verlor dabei kaum Blut und als er an die Stelle kam, wo ihr Herz sitzen sollte, war da nur eine leere Stelle. Er sah kurz zu Hista hinüber und dieser nickte ihm stöhnen zu.

Tharkun sah noch einmal auf das seltsame Stück Fleisch in seiner Hand und schob es vorsichtig in den Körper der Drow. Dann sammelte er seine geistigen Kräfte und verschloß die Wunde mit einem Zauber.
Im gleichen Moment fingen die Augenlieder der Toten an zu Flackern und er sah, wie ihr Körper langsam wieder Farbe bekam. Ein Hustenanfall Hista's lies ihn seine Aufmerksamkeit wieder dem Erstgeborenen zuwenden. Auch hier verschloß er die Wunde auf magischem Wege durch seine Zauberkraft.
Dankend nickte ihm der Unsterbliche zu,
"Ich danke euch Tharkun, mehr als ihr euch vorstellen könnt. Aber nun solltet ihr lieber gehen. Wer weiß wie sie reagiert, wenn sie ganz erwacht."
Tharkun sah kurz zu der Drow, die gerade ihren Kopf anhob und sich ungläubig umsah. Als ihr Blick auf den Magier fiel knurrte sie leicht und Tharkun nickte Hista zu,
"Ja ich denke wirklich das es besser ist, wenn ich jetzt gehe!"

Viconia kam ganz langsam wieder zu sich. Das letzte an das sie sich erinnerte waren die Schmerzen und die Träne die sie aufgefangen hatte und jetzt war sie...
Wo war sie eigentlich?
Misstrauisch verfolgte sie, wie Tharkun den Turm verlies. Dann sah sie zu Hista.
Sie kannte den Mann. Er war der Erstgeborene. Aber warum sah er sie so seltsam an und was um alles in der Welt war geschehen? Wütend wollte sie ihn anfahren, als sie die Wunde auf seiner Brust bemerkte. Ein Schmerz in ihrem Herzen lies sie sich selber an die Brust fassen und erst in diesem Moment bemerkte sie das sie Nackt war. Gerade wollte sie wütend aufschreien, als sie die Narbe auf ihrer Brust entdeckte. Fassungslos sah sie von Hista's Wunde zu ihrer eigenen und irgendwo ganz tief in ihrem Schädel begriff sie, das es da einen Zusammenhang geben musste.
Hista warf ihr seinen Umhang zu und meinte mit sanfter Stimme,
"Bedecke dich damit, im Haus..." Er mußte husten und spuckte dabei etwas Blut, "im Haus habe ich Kleider für dich!"
Während sie sich mit dem Umhang bedeckte lächelte sie kurz und sagte freundlich,
"Danke!"
Hista lächelte, als sie erstaunt die Augen aufriss und ihr klar wurde, was sie da gerade gesagt hatte!
Aber trotzdem half sie ihm anschließend in sein Haus und nahm dankend die Kleidungsstücke, die er ihr anbot. Mit offenem Mund lies sie sich von dem Erstgeborenen erzählen, was geschehen war. Nur konnte er ihr nichts davon berichten, was in der Zwischenzeit mit ihr passiert war. Aber je mehr sie im Kopf klar wurde, desto eher begriff sie, das etwas mit ihr passiert sein mußte in dieser Zeit.
Hista lächelte, als sie ihm von dieser Erkenntnis berichtete, deutete auf ihre Brust und meinte dann leise,
"Aber das hat sicher nichts damit zu tun, das jetzt in deiner Brust ein Teil meines Herzens schlägt!"
Viconia sah ihn eine Weile an und fragte dann,
"Warum? Warum hast du mir das Leben geschenkt?"
Hista's Augen füllten sich mit Tränen und er sah sie nicht an, als er leise antwortete,
"Aus Liebe!"
Doch seltsamerweise schien sich die junge Drow nicht darüber aufzuregen. Sie schüttelte nur den Kopf und man konnte hören das sie einen Kloß im Hals hatte als sie fragte,
"Was ist das?"

Draußen im Labyrinth löste sich ein Schatten von einem der Bäume und huschte geräuschlos zu der Stelle, an der Viconia wieder in diese Welt zurückgekehrt war. Die gut geschulten Augen des Waldelfen fanden schnell was sie suchten. Lächelnd steckte der Mann die kleine Eichel ein, die aus Viconia's Hand gefallen war, als Hista sie vom Boden gehoben hatte. Dann verschwand er wieder in den Schatten der Hecken und begab sich auf den Weg nach Yew...